Ein bedeutendes literarisches Dokument und ein einzigartiges autobiografisches Zeugnis des großen Künstlers gibt Einblick in die Schrecken des Kriegsalltags.
Der weltberühmte Violinvirtuose und Komponist Fritz Kreisler kehrte 1914 nach der Kriegserklärung Österreich- Ungarns aus der neutralen Schweiz zurück und rückte freiwillig als Reserveoffizier bei seinem Regiment in Leoben ein. Während eines Kosakenangriffes im Kampf gegen das zaristische Russland wurde er schwer verwundet und verfasste sechs Monate später eine der authentischsten Beschreibungen der tiefgreifenden psychischen Veränderungen an der Front. 1915 wurde dieses außergewöhnliche Selbstzeugnis eines feinfühligen Künstlers in den USA publiziert, wo Kreisler seine Konzerttätigkeit wieder aufgenommen hatte. Er blieb der Habsburger Monarchie nach wie vor sehr verbunden, aufgrund der aufrichtigen Schilderung der militärischen Unterlegenheit seines Regiments und der schonungslosen Offenheit gegenüber der Realität des brutalen Kriegsalltages fernab jeder Heroisierung wurde aber sein Kriegsbericht trotz des patriotischen Untertons nie in deutscher Sprache publiziert. In der englischsprachigen Weltkriegs-Literatur gelten seine "Four Weeks in the Trenches" als eine der bedeutendsten und emotional offensten Schilderungen über die persönlichen Front-Erfahrungen während der ersten Kriegswochen 1914.
Der weltberühmte Violinvirtuose und Komponist Fritz Kreisler kehrte 1914 nach der Kriegserklärung Österreich- Ungarns aus der neutralen Schweiz zurück und rückte freiwillig als Reserveoffizier bei seinem Regiment in Leoben ein. Während eines Kosakenangriffes im Kampf gegen das zaristische Russland wurde er schwer verwundet und verfasste sechs Monate später eine der authentischsten Beschreibungen der tiefgreifenden psychischen Veränderungen an der Front. 1915 wurde dieses außergewöhnliche Selbstzeugnis eines feinfühligen Künstlers in den USA publiziert, wo Kreisler seine Konzerttätigkeit wieder aufgenommen hatte. Er blieb der Habsburger Monarchie nach wie vor sehr verbunden, aufgrund der aufrichtigen Schilderung der militärischen Unterlegenheit seines Regiments und der schonungslosen Offenheit gegenüber der Realität des brutalen Kriegsalltages fernab jeder Heroisierung wurde aber sein Kriegsbericht trotz des patriotischen Untertons nie in deutscher Sprache publiziert. In der englischsprachigen Weltkriegs-Literatur gelten seine "Four Weeks in the Trenches" als eine der bedeutendsten und emotional offensten Schilderungen über die persönlichen Front-Erfahrungen während der ersten Kriegswochen 1914.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2015Stryj, 1914
"Fritz Kreisler, der berühmte Violinvirtuose, wurde als Reserveoffizier der österreichischen Armee einberufen, um seinen Violinbogen gegen das Schwert zu vertauschen", meldete am 21. August 1914 das "Neue Wiener Journal". Auch das "Prager Tagblatt" berichtete vom "Geigerkönig" an der Ostfront. Und als Kreisler, damals 39 Jahre alt, im November durch den Huftritt eines Pferdes verwundet und ins Lazarett geschickt wurde, brachte sogar die "New York Times" einen langen Bericht, was allerdings nichts gegen das war, was Fritz Kreisler kurz darauf in den Vereinigten Staaten dann selber schrieb: "Four weeks in the trenches" heißt der Text, der 1915 erstmals erschien und der jetzt, mit hundert Jahren Verspätung, ins Deutsche übersetzt wurde. Er ist weit mehr als einfach nur noch ein Kriegsbericht neben all den anderen, die im Moment veröffentlicht werden.
Denn Kreisler hatte "trotz des Tosens der Kanone", wie das Buch in der Übersetzung heißt, eine ungeheure Fähigkeit: Er konnte hören, was die Soldaten neben ihm nicht hören konnten. Er stellte an seinem Frontabschnitt in Galizien Hörexperimente an: Er registrierte, dass die russischen Geschosse dumpf klangen, "mit fallender Kadenz", und die aus den eigenen, weit hinten stehenden Mörsern "schrill". Jede Granate, folgerte er, beschreibe auf ihrer Flugbahn eine Parabel, "die erste Hälfte ist aufsteigend, die zweite absteigend". Offensichtlich erzeugte die Granate in der ersten Hälfte der Kurve ein dumpfes Jaulen, das dann zu einem anschwellenden Schrillen wurde, sobald der Höhepunkt erreicht war und die Kurve wieder nach unten führte. Der Scheitelpunkt für beide Arten von Granaten musste sich in halber Entfernung zwischen der russischen und der österreichischen Artillerie befinden.
Er ging zu seinem Artillerieoffizier: Er könne den genauen Ort angeben, an welchem ein von gegnerischen Geschützstellungen kommendes Geschoss seinen Scheitelpunkt erreiche, sagte er ihm. Der Offizier sprach mit dem Kommandeur, und tatsächlich setzten sie den Musiker als menschlichen Schallmesser ein, als akustischen Ortungsexperten, der die Position der russischen Batterie in eine Karte eintragen sollte, bevor im Mai 1915 die Experimentalpsychologen Erich Moritz von Hornbostel und Max Wertheimer dem deutschen Kriegsministerium mit ihrer Erfindung des "Richtungshörers" dafür einen Apparat zur Verfügung stellten. Kreislers Kreuze auf der Karte waren richtig. Es sei das einzige Mal gewesen, dass "mir mein musikalisches Gehör während meiner Dienstzeit von Nutzen war", schreibt der dem Krieg zum Glück schnell Entkommene.
Julia Encke
Fritz Kreisler: "Trotz des Tosens der Kanone". Braumüller, 137 Seiten, 18,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Fritz Kreisler, der berühmte Violinvirtuose, wurde als Reserveoffizier der österreichischen Armee einberufen, um seinen Violinbogen gegen das Schwert zu vertauschen", meldete am 21. August 1914 das "Neue Wiener Journal". Auch das "Prager Tagblatt" berichtete vom "Geigerkönig" an der Ostfront. Und als Kreisler, damals 39 Jahre alt, im November durch den Huftritt eines Pferdes verwundet und ins Lazarett geschickt wurde, brachte sogar die "New York Times" einen langen Bericht, was allerdings nichts gegen das war, was Fritz Kreisler kurz darauf in den Vereinigten Staaten dann selber schrieb: "Four weeks in the trenches" heißt der Text, der 1915 erstmals erschien und der jetzt, mit hundert Jahren Verspätung, ins Deutsche übersetzt wurde. Er ist weit mehr als einfach nur noch ein Kriegsbericht neben all den anderen, die im Moment veröffentlicht werden.
Denn Kreisler hatte "trotz des Tosens der Kanone", wie das Buch in der Übersetzung heißt, eine ungeheure Fähigkeit: Er konnte hören, was die Soldaten neben ihm nicht hören konnten. Er stellte an seinem Frontabschnitt in Galizien Hörexperimente an: Er registrierte, dass die russischen Geschosse dumpf klangen, "mit fallender Kadenz", und die aus den eigenen, weit hinten stehenden Mörsern "schrill". Jede Granate, folgerte er, beschreibe auf ihrer Flugbahn eine Parabel, "die erste Hälfte ist aufsteigend, die zweite absteigend". Offensichtlich erzeugte die Granate in der ersten Hälfte der Kurve ein dumpfes Jaulen, das dann zu einem anschwellenden Schrillen wurde, sobald der Höhepunkt erreicht war und die Kurve wieder nach unten führte. Der Scheitelpunkt für beide Arten von Granaten musste sich in halber Entfernung zwischen der russischen und der österreichischen Artillerie befinden.
Er ging zu seinem Artillerieoffizier: Er könne den genauen Ort angeben, an welchem ein von gegnerischen Geschützstellungen kommendes Geschoss seinen Scheitelpunkt erreiche, sagte er ihm. Der Offizier sprach mit dem Kommandeur, und tatsächlich setzten sie den Musiker als menschlichen Schallmesser ein, als akustischen Ortungsexperten, der die Position der russischen Batterie in eine Karte eintragen sollte, bevor im Mai 1915 die Experimentalpsychologen Erich Moritz von Hornbostel und Max Wertheimer dem deutschen Kriegsministerium mit ihrer Erfindung des "Richtungshörers" dafür einen Apparat zur Verfügung stellten. Kreislers Kreuze auf der Karte waren richtig. Es sei das einzige Mal gewesen, dass "mir mein musikalisches Gehör während meiner Dienstzeit von Nutzen war", schreibt der dem Krieg zum Glück schnell Entkommene.
Julia Encke
Fritz Kreisler: "Trotz des Tosens der Kanone". Braumüller, 137 Seiten, 18,90 Euro
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