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Drei Texte, entstanden 1992/93 nach der »Wende«, die Volker Braun nun Umbruch nennt, zeigen seine ungebrochene Lust, in die Verhängnisse zu sehen. Auf die bittere Geschichte Das Nichtgelebte folgt der satirische Dialog Der Wendehals, und dieser wird kommentiert von den kafkaesk gestimmten Kurzerzählungen der Fußgängerzone.

Produktbeschreibung
Drei Texte, entstanden 1992/93 nach der »Wende«, die Volker Braun nun Umbruch nennt, zeigen seine ungebrochene Lust, in die Verhängnisse zu sehen. Auf die bittere Geschichte Das Nichtgelebte folgt der satirische Dialog Der Wendehals, und dieser wird kommentiert von den kafkaesk gestimmten Kurzerzählungen der Fußgängerzone.
Autorenporträt
Braun, VolkerVolker Braun, 1939 in Dresden geboren, arbeitete in einer Druckerei in Dresden, als Tiefbauarbeiter im Kombinat Schwarze Pumpe und absolvierte einen Facharbeiterlehrgang im Tagebau Burghammer. Nach seinem anschließenden Philosophiestudium in Leipzig wurde er Dramaturg am Berliner Ensemble. 1983 wurde Volker Braun Mitglied der Akademie der Künste der DDR, 1993 der (gesamtdeutschen) Akademie der Künste in Berlin. 1996 erfolgte die Aufnahme in die Sächsische Akademie der Künste und in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Im Wintersemester 1999/2000 erhielt er die Brüder-Grimm-Professur an der Universität Kassel. Von 2006 bis 2010 war Volker Braun Direktor der Sektion Literatur der Akademie der Künste. Er erhielt zahlreiche Preise, u.a. den Georg-Büchner-Preis im Jahr 2000. Volker Braun lebt heute in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.06.1995

Einmal ich, einmal er
Volker Braun ist sich selbst der beste Scheinwerfer

Vor dreißig Jahren veröffentlichte Volker Braun seinen ersten Gedichtband und nannte ihn: "Provokation für mich". Mit dieser Wendung hatte er den Titel gefunden, unter dem sich sein gesamtes späteres Werk subsumieren läßt. Provokation, das meinte in Brauns Fall die permanente Unzufriedenheit mit der gegebenen Welt und der eigenen Rolle in ihr. Konkret gesprochen also: mit dem real existierenden Sozialismus der DDR und dem Anteil, der dem DDR-Bürger Braun daran zukam. In Lyrik, Prosa und auf dem Theater hat der Schriftsteller Braun seine Wirklichkeit immer wieder zur Debatte gestellt. In gewissem Maße auch zur Disposition, dies freilich nur streng theoretisch, sozusagen im Denklabor hinter Glaswänden.

Bei den Literaturwächtern der DDR nützte ihm diese Laborhygiene wenig. Die Funktionäre bezogen die Provokation nicht auf ihren Urheber, sondern auf sich. Ihre Herrschaft brauchte Lobsänger, keine Kritiker, die den wohltönenden Losungen auf den Grund gingen und nach Methoden zu ihrer Realisierung forschten. Schon im Erscheinungsjahr der "Provokation für mich", im Dezember 1965, sah sich Braun als Angeklagter des Scherbengerichts, das die SED auf ihrem berüchtigten 11. ZK-Plenum über allzu freimütige Schriftsteller und Künstler hielt.

Von nun an lebte er, wie so viele Kulturschaffende der DDR, im Zeichen nicht angenommener, weil zu hellsichtiger Liebe. Eine Scheidung jedoch hat Braun, anders als die prominenten Exilanten der siebziger und achtziger Jahre, nie erwogen. Er blieb der Gesellschaft seiner Neigung treu und riskierte Zurücksetzung, Druckverweigerung oder verschlossene Bühnenpforten, wenn er der realsozialistischen Ordnung mahnend den Spiegel vorhielt: etwa in seiner Philippika über den Unsinn des "verkehrten" und des "richtigen" Bewußtseins; oder in der Demontage des Propagandabegriffs "Arbeiterklasse", praktiziert in der Darstellung des malochenden und oft irrenden Kippers Paul Bauch; oder im Porträt der Funktionärskaste, hervorgehend aus den Gesprächen zwischen dem Funktionär Kunze und dessen Fahrer Hinze; oder in der Klage über den totalen Überwachungsstaat, vorgetragen am Exempel einer Liebestragödie, die vom blindwütigen Mißtrauen der Stasi verursacht wird.

Ein derart scharfblickender Kritiker konnte sich eigentlich nicht wundern, wenn das Ungetüm DDR, das so gar keine Lehre annahm, schließlich an sich selber zugrunde ging. Volker Braun hat sich wahrscheinlich auch nicht gewundert, aber geschmerzt hat es ihn doch, und es schmerzt ihn offenbar noch heute. Zeugnis davon legt das Bändchen "Wendehals" ab, dem der Autor die Erweiterung "oder Trotzdestonichts" mitgab, außerdem die Bezeichnung "Eine Unterhaltung". Diese Beifügung stimmt uns darauf ein, daß Braun, wie er es schon früher gern tat, auch für sein jetziges Anliegen die Gesprächsform wählte.

Was aber ist sein Anliegen? Nicht mehr und nicht weniger als die Beschwerde darüber, daß die neue Gesellschaft, in die er hineingeworfen wurde, auch nicht den Himmel auf Erden bedeutet. Darüber reden ein "Ich", hinter dem man eine satirisch verfremdete Inkarnation des Autors vermuten darf, und ein "Er" mit Namen Schaber, seines Zeichens abgewickelter Chef aus der Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften. "Er" zeichnet sich dadurch aus, daß ihm der Kopf vor lauter Wendewut unheilbar ins Genick verdreht ist. "Ich" verkörpert einen dialektischen Zyniker, der irgendwie immer recht hat und daran leidet, daß dies niemanden interessiert.

Eben dieser Umstand ist anscheinend "Ichs", und das heißt Brauns, zentrale Crux: Früher, in dem Staat, dessen er nur mit Tadel gedenken kann, nahm man ihn wichtig, wenn auch mit gerunzelter Stirn. Jetzt darf er sagen, was er will, aber er kann es ebensogut bleiben lassen, er regt niemanden auf. Was er tut, ist künftig allein sein Geschäft. Eine schreckliche, nie gekannte Einsamkeit, genauer: ein Kollektivmangel lastet auf "Ich", und das vor allem ist es, was ihm die Nachwendegesellschaft so verleidet. Freilich gesteht er das weder sich noch anderen; was würde das auch für einen Eindruck machen - ein Kind, das nach der Hand des Prügelvaters schreit! "Ich" respektive Braun verlegt sich vielmehr darauf, die ungeliebte neue Gesellschaft zu desavouieren, das heißt, sie mit einer Einäugigkeit zu porträtieren, die er sich beim Blick auf die DDR stets versagte.

Da Brauns "Ich" zu gescheit ist, um pauschalisierender Schwarzmalerei den Zeugen abzugeben, wird dieser Part dem Exfunktionär "Er" zugewiesen. Auf dem Weg der beiden durch das östliche Berlin fällt der Wendehals allen kapitalistischen Greueln zum Opfer, die das Vorurteil kennt, und übersteht sie nur dank seines biegefreudigen Rückgrats. So trifft Braun zwei Fliegen mit einer Klappe, die abgelehnte Gegenwart genauso wie die kritikwürdige Vergangenheit. Was aber bleibt ihm sonst? Leider nichts, und leider gründet darauf das literarische Stückchen, und leider ist es auch danach.

Da hält man sich besser an die Fingerübungen, mit denen die letzten zwanzig Seiten des Bändchens gefüllt sind: acht kurze Geschichten, in denen Braun prägende Erlebnisse der jüngsten Vergangenheit paraphrasiert. Hier geht es um die seelenverderbende Pest gegenseitiger Bespitzelung, um die Ost-Berliner Euphorie am sagenhaften 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz und andere Erinnerungsfetzen aus der Umbruchszeit, um traumgleiche Schlüsselszenen abgelebter Gegenwarten. "Kafkaesk gestimmt" nennt der Verlag diese Kurzerzählungen, und das ist nicht falsch. Aber auch nicht nötig. Volker Braun, wenn er sich nicht von Ressentiments einnebeln läßt, braucht keinen Scheinwerfer vom Olymp. Er kann, wenn er will, selbst leuchten. SABINE BRANDT

Volker Braun: "Der Wendehals". Eine Unterhaltung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. 125 S., geb., 34,- DM.

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