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Im Spagat zwischen Loyalität zu Moskau und individuellen Autonomiebestrebungen im späten Kalten Krieg: Die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen der beiden wichtigsten westeuropäischen kommunistischen Parteien, PCI (Italien) und PCF (Frankreich), zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) im Zeitraum von 1968 bis 1989/90 stellten bisher ein Desiderat der Forschung dar. Dieses Buch liefert eine systematische Analyse des trilateralen Beziehungsgeflechts zwischen PCI, PCF und SED und trägt damit wesentlich zum besseren Verständnis der Außenpolitik der italienischen,…mehr

Produktbeschreibung
Im Spagat zwischen Loyalität zu Moskau und individuellen Autonomiebestrebungen im späten Kalten Krieg: Die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen der beiden wichtigsten westeuropäischen kommunistischen Parteien, PCI (Italien) und PCF (Frankreich), zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) im Zeitraum von 1968 bis 1989/90 stellten bisher ein Desiderat der Forschung dar. Dieses Buch liefert eine systematische Analyse des trilateralen Beziehungsgeflechts zwischen PCI, PCF und SED und trägt damit wesentlich zum besseren Verständnis der Außenpolitik der italienischen, französischen und ostdeutschen Kommunisten zu Zeiten des Eurokommunismus bei. Dabei spielte der Dialog sowohl mit führenden sozialistischen als auch mit konservativen Kräften Europas ebenso eine zentrale Rolle.

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Autorenporträt
Francesco Di Palma, University of Vienna, Austria.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2022

Spannungsvolle Beziehung
Die Sowjetunion, die "Eurokommunisten" in Westeuropa und die Rolle der SED

Im Januar 1985 lud Dresdens Bürgermeister die Partnerstadt Florenz zum 40. Jahrestag "der Zerstörung der Stadt Dresden" ein. Dabei rief sein Schreiben dazu auf, hier "gegen die Drohung des amerikanischen Imperialismus" zu protestieren. Obwohl die Florentiner Stadtverwaltung kommunistisch dominiert war, lehnte sie die Einladung ab, da die geplante Veranstaltung "politisch bedenklich" und "zu unkritisch" sei.

Die Episode unterstreicht, wie weit sich die Kommunisten in der DDR und Italien politisch voneinander entfernt hatten. Selbst symbolische Treffen mit der SED prüfte der Partito Comunista d'Italia (PCI) kritisch und setzte Grenzen. Zugleich zeigen allein die Städtepartnerschaft und die Einladung, dass die SED weiterhin einen Austausch mit den italienischen Kommunisten suchte, obgleich Letztere ihr ideologisch abtrünnig erschienen.

Viele Kommunisten in Westeuropa waren nach dem sowjetisch angeführten Einmarsch in Prag 1968 vom Moskauer Modell abgerückt. Besonders Italiens kommunistische Partei, die PCI, emanzipierte sich zunehmend von der Sowjetunion und ihren Vasallenstaaten. Unter ihrem neuen Vorsitzenden Enrico Berlinguer bildete sie in den 1970er-Jahren den Nukleus des sogenannten "Eurokommunismus". Auch in Frankreich erschütterte der Einmarsch in Prag 1968 das Vertrauen in das sowjetische Vorbild. Die Französische Kommunistische Partei (PCF) kritisierte zunächst das sowjetische Eingreifen, schlug dann aber seit Ende 1968 wieder einen prosowjetischen Kurs ein. In der PCF war diese Loyalität aber umstritten.

Diese unterschiedlichen Entwicklungen sind für sich bekannt und gut untersucht. Die Wiener Habilitationsschrift von Francesco Di Palma erweitert jedoch den Blick auf diese spannungsvolle Beziehung zwischen der Moskauer KPdSU und Westeuropas Kommunisten. Di Palma zeigt, wie vielfältig sich die SED trotz aller politischen Unterschiede um die starken kommunistischen Parteien in Italien und Frankreich bemühte. Die DDR-Regierung versuchte so Einfluss auf deren Kurs zu nehmen. Vor allem wollte sie, so ein Hauptargument der Studie, auf diese Weise Kontakte ins Ausland und die Anerkennung der DDR im Westen fördern. Die SED agierte dabei mit "Kalkül und Opportunismus". Gerade rangniedere Gruppen konnten bei diesen Begegnungen Akzente setzen, die von Moskaus Kurs abwichen.

Die Strategien der SED wandelten sich. 1968 versuchte sie zunächst, die kommunistische Basis der PCI und PCF zu mobilisieren. So verbreitete sie heimlich landessprachliche Flugblätter in Italien und Frankreich, die die Genossen gegen den Revisionismus ihrer Parteiführung aufstacheln sollten. Gleichzeitig wandten sich viele sozialistische Dissidenten aus der DDR an Italiens Kommunisten, die über ihre schwierige Lage klagten und sich Unterstützung von den westlichen Genossen erhofften.

Trotz der wachsenden Differenzen agierte die SED in den 1970er-Jahren wieder kooperativer gegenüber der PCI, um ihr Ansehen und ihren Einfluss im Ausland auszubauen. Da die Kommunisten in Italien bis zu 34 Prozent der Stimmen erreichten, Regierungen stützten und große Städte verwalteten, erschienen sie der DDR-Führung als "unumgängliche Mittler". Dass die italienischen und auch die französischen Kommunisten mit den demokratischen Parteien paktierten, verstieß zwar gegen die ideologischen Überzeugungen der SED, wertete die Schwesterparteien aber auch machtpolitisch auf. Zunehmend hoffte die SED, über die westlichen Kommunisten den Handel mit dem Westen auszubauen.

Auf diese Weise entwickelte sich ein vielfältiger Austausch mit der DDR. "Freundschaftsgesellschaften", "Wochen der völkerrechtlichen Annäherung" oder eben Städtepartnerschaften zu kommunistisch regierten Kommunen entstanden, um durch Begegnungen Vertrauen aufzubauen. Linke Historiker trafen sich, und Fernsehsender aus der DDR tauschten Material mit Italien und Frankreich aus. Das Interesse an diesen Begegnungen unterschied sich: Während die DDR vor allem politische und ökonomische Kontakte anstrebte, waren die italienischen und die französischen Kommunisten eher an einem kulturellen Austausch interessiert.

Die Konflikte zwischen der SED und Italiens Kommunisten verschwanden freilich nicht. Der PCI-Vorsitzende Berlinguer kritisierte etwa 1976 im Fernsehen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Honecker rechtfertigte sich eher hilflos mit einem Brief, in dem er schrieb, Biermann habe seine Förderung durch die DDR "schmählich missbraucht". Berlinguer konterte direkt, dass abweichende politische Meinungen nicht bestraft werden dürften. Neue Spannungen traten im Zuge der westlichen Nachrüstung mit Mittelstreckenraketen und des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan auf. Diese Meinungsverschiedenheiten schienen unüberbrückbar. Auch in der bislang recht Moskau-loyalen französischen PCF führte dies zu einer wachsenden Entfremdung, begleitet von Wählerverlusten und inneren Spaltungen.

Angesichts der wachsenden ökonomischen Krise in der DDR suchte die SED dennoch einen noch intensiveren Austausch. Nachdem Italiens Regierung bereits 1979 einen großen Kredit an die DDR vermittelt hatte, förderte die PCI 1985 ein gemeinsames Handelsabkommen. Die Distanz, die die SED dann zunehmend gegenüber Gorbatschows Reformen zeigte, verstärkte freilich auch den Abstand zu den Eurokommunisten.

Di Palmas Studie beruht auf einer beeindruckend breiten Archivrecherche. Er hat in Ostdeutschland, Italien und Frankreich die Parteiarchive ausgewertet, ebenso einige Regierungsarchive und die Unterlagen der Staatssicherheit. Während die dargestellte Entwicklung der Parteien selbst vertraut ist, kann er mit vielen Beispielen bisher kaum bekannte Formen der Kooperation und Abgrenzung aufzeigen. Damit bildet sie ein Gegenstück zu Nikolas Dörrs Studie zum bundesdeutschen Umgang mit dem "Eurokommunismus" in Italien.

Während die Studie viele Kontakte der SED darstellt, bleibt deren gesellschaftliche Bedeutung leider außen vor. Welche Wirkungen der kulturelle Austausch oder Besuche von italienischen Genossen in der DDR hatten, erfährt der Leser kaum. Damit bleibt unklar, inwieweit die Kontakte mit italienischen Kommunisten in der SED Zweifel am eigenen Kurs förderten. Leider bleibt auch etwas unterbelichtet, wie die vielen zitierten Begegnungen auf der persönlichen Ebene abliefen. Entstanden Freundschaften und persönliche Nähe, oder erschwerten bereits Sprachbarrieren eine echte Annäherung? Hier wäre es hilfreich gewesen, mehr Quellen jenseits der Parteiakten heranzuziehen. Zudem deutet die Studie vieles eher enzyklopädisch an. Einzelne Begegnungen, wie die verschiedenen Städtepartnerschaften, führt Di Palma nacheinander auf, statt sie systematisch zu vertiefen. Dadurch entsteht mitunter der Eindruck eines Zettelkastens, der viele Einzelfunde in kurzen Kapitelchen präsentiert.

Dennoch beeindruckt und überzeugt der Gesamtbefund. Wie bei den deutsch-deutschen Beziehungen wird deutlich, dass die SED außenpolitisch sehr pragmatisch sein konnte. FRANK BÖSCH

Francesco Di Palma: Trouble for Moscow?

De Gruyter Oldenbourg Verlag, München 2022. 643 S., 69,95 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Die Wiener Habilitationsschrift von Francesco Di Palma erweitert [jedoch] den Blick auf diese spannungsvolle Beziehung zwischen der Moskauer KPdSU und Westeuropas Kommunisten. [...] Di Palmas Studie beruht auf einer beeindruckend breiten Archivrecherche. Während die dargestellte Entwicklung der Parteien selbst vertraut ist, kann er mit vielen Beispielen bisher kaum bekannte Formen der Kooperation und Abgrenzung aufzeigen. Damit bildet sie ein Gegenstück zu Nikolas Dörrs Studie zum bundesdeutschen Umgang mit dem "Eurokommunismus" in Italien." Frank Bösch in: FAZ, 18.04.2022