«Le directeur a été tres gentil avec moi le jour de mon embauche. J'ai eu la permission de gérer ma parfumerie toute seule. Ça marchait bien. Seulement, quand les premiers symptômes sont apparus, j'ai du quitter la parfumerie. Ce n'était pas une histoire de décence ni rien ; c'est juste que tout devenait trop compliqué. Heureusement, j'ai rencontré Edgar, et Edgar, comme vous le savez, est devenu président de la République. C'était moi, l'égérie d'Edgar. Mais personne ne m'a reconnue. J'avais trop changé. Est-ce que j'avais raté la chance de ma vie ? En tout cas, je ne comprenais toujours pas tres bien ce qui m'arrivait. C'était surtout ce bleu sous le sein droit qui m'inquiétait...»
Eine Frau erzählt ihre Geschichte. Das ist man gewohnt. Ein Schwein erzählt seine Geschichte. Das ist selten. Eine Frau, die zum Schwein wurde, erzählt ihre Geschichte. Das ist unerhört. Dabei fängt alles ganz harmlos an: Weil sie arbeitslos ist, verdingt sie sich in einer Parfümerie mit Massagesalon. Doch der Service an der überwiegend männlichen Kundschaft umfaßt mehr, als die Werbefotos zeigen. Diese ungewohnten Dienstleistungen verändern sie auch körperlich. Sie wird dick und rosig, entwickelt Appetit auf Gras und Eicheln, bekommt einen Rüssel, sechs Brüste und einen Ringelschwanz. Die Kunden sind zufrieden, vor allem nachdem sie selbst Geschmack an ihrer Tätigkeit findet. Gesellschaftlich aber geht es bergab.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Eine Frau erzählt ihre Geschichte. Das ist man gewohnt. Ein Schwein erzählt seine Geschichte. Das ist selten. Eine Frau, die zum Schwein wurde, erzählt ihre Geschichte. Das ist unerhört. Dabei fängt alles ganz harmlos an: Weil sie arbeitslos ist, verdingt sie sich in einer Parfümerie mit Massagesalon. Doch der Service an der überwiegend männlichen Kundschaft umfaßt mehr, als die Werbefotos zeigen. Diese ungewohnten Dienstleistungen verändern sie auch körperlich. Sie wird dick und rosig, entwickelt Appetit auf Gras und Eicheln, bekommt einen Rüssel, sechs Brüste und einen Ringelschwanz. Die Kunden sind zufrieden, vor allem nachdem sie selbst Geschmack an ihrer Tätigkeit findet. Gesellschaftlich aber geht es bergab.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.1997Das Schwein spricht
Anarchie in Frankreich: Eine Fabel hat Erfolg
Eine junge Frau erzählt, wie sie eine Anstellung in einer Parfümerie findet. Dort dient sie auch, was sie selbst nicht weiter verwundert, als Prostituierte. Die Kunden mögen sie, weil sie so gesund wirkt. "In jener Phase meines Lebens fanden mich alle Männer wunderbar elastisch." Bald tritt eine Verwandlung ein. Sie wird dick und immer dicker, mag keine Schinkenbrote mehr und entwickelt statt dessen einen großen Appetit auf Äpfel, Kastanien und Kartoffeln. Ihre Haut wird rosig und bekommt graue Flecken. Lange bleiben die Kunden ihr treu, oder sie findet neue, doch irgendwann machen die Bedürfnisse eines Tiers sie berufsuntauglich. Am Ende sitzt ein zufrieden grunzendes Schwein auf der Lichtung. Die Geschichte ist kein Meisterwerk und auch nicht lang. Sie kommt munter plappernd daher, fast ohne Absätze erzählt, an einem Stück.
Die Autorin ist sehr jung, hat Literatur an einer Elitehochschule, der Ecole normale supérieure in Paris, studiert und heißt Marie Darrieussecq. "Truismes", ihr erster Roman, hatte im vergangenen Herbst einen großen Erfolg in Frankreich, und die Feuilletons erzählten immer wieder dieselbe Geschichte: daß sich dieses Buch von einem unverlangt eingesandten Manuskript in einen Bestseller verwandelte, daß die Rechte noch vor Erscheinen ins Ausland verkauft wurden und daß der Titel doppeldeutig sei: "Truismes" sind schlichte Wahrheiten, und "la truie", die Sau, verbirgt sich auch darin. Seit sechs Jahren, seit den "Feldern der Ehre" von Jean Rouaud, hat sich kein französischer Debütant so gut verkauft. Jean-Luc Godard wird die Geschichte verfilmen. In dieser Woche ist das Buch unter dem Titel "Schweinerei" bei Hanser auf deutsch erschienen.
Warum ist dieses Büchlein so erfolgreich? Die französische Kritik hat die Gefährten des Odysseus zitiert, die von der Zauberin Circe in Schweine verwandelt wurden, sie nannte Ovid, Jean de La Fontaine, Franz Kafka mit seinem Käfer Gregor Samsa und auch Bernard Mandevilles "Bienenfabel". Bei aller Gelehrsamkeit blieb das Offensichtliche unerwähnt: Dieses Buch ist ein Angestelltenroman, der eine Wendung ins Surreale nimmt. "Wir Mädchen brachten alle große finanzielle Opfer, wir hatten Angst, die Firma könnte bankrott gehen und wir unsere Arbeit verlieren." Erzählt wird vom Auseinanderbrechen einer brüchigen Welt, von einem durch die Natur erzwungenen Abschied aus einer Marktwirtschaft, die aller Freundlichkeit entkleidet ist.
Die Handlung des Romans ist um ein paar Jahre in die Zukunft versetzt. Die Währung heißt Euro. Ein Präsident ähnelt Jean-Marie Le Pen. Was einem heute widerfahren kann, ist vergröbert und ins Groteske gezogen. Die wenigsten können noch von ihrer Arbeit leben. Eine Frau bekommt nur dann eine Stelle, wenn sie sich sexuell belästigen läßt. Daß die Parfümerie dem Bordellbetrieb als Fassade dient, ist nichts Ungewöhnliches, da die Unterscheidung von Beruf und Privatleben keinen Boden mehr hat. Es wird nicht unterschieden, die Intimität geht ganz im Geschäftsleben auf, die Intimität ist Arbeit.
Es gab vor Jahren einen Film, der vom Untergang der bürgerlichen Welt und vom Durchbruch einer fröhlichen Anarchie berichtete. Es war ein Kultfilm, der vielleicht immer noch in den Programmkinos läuft: "Themroc", und die Regie hatte Claude Faraldo. Michel Piccoli spielte einen Arbeiter, der eines Tages die Façon verlor, seinen Job hinschmiß und die bürgerliche Fassade zerschlug. Brüllend kam dahinter der wahre Mann zum Vorschein, der mit seinen Weibern Polizisten vom Grill verzehrte. Der Film erzählte davon, wie einer den imaginären Vertrag mit der Zivilisation kündigte und sich in etwas Glücklicheres, Vormenschliches zurückverwandelte. "Themroc" berichtete von der Überflüssigkeit der Revolution. Denn das bessere Leben schlummerte bereits im Menschen selber und wartete nur darauf, befreit zu werden. Am Ende brüllte ganz Paris, weil der Mensch gut ist und die Franzosen ein gutes Volk sind.
Marie Darrieussecqs "Schweinerei" ist eine Antwort auf "Themroc" und den Anarchismus der frühen siebziger Jahre. Der Arbeiter und Untertan durfte das Tier in sich entdecken. Er blieb aber Mensch. Bei der Heldin der "Truismes" ist es umgekehrt. Sie ist die einzige, der diese Verwandlung widerfährt. Die Metamorphose stößt ihr zu, und in der Zivilisation gibt es nichts, was die Rückverwandlung ins Tierreich zu kritisieren erlaubte.
In der zweiten Hälfte des Romans steigert Marie Darrieussecq die Metamorphose zur Apokalypse. Das Fest zu Silvester 1999, das Frankreichs Präsident gibt, ist eine blutige Orgie, und an dieser Stelle überschreitet die Erzählerin deutlich die Schwelle des Ekels. In Frankreich ist ihr Buch mit Patrick Süskinds "Parfüm" verglichen worden, und in der Darstellung der "terreur", dem Reflex auf die blutigen Zeiten der Revolution, liegt tatsächlich eine Parallele. Paris ist die Hauptstadt dieser furchtbaren Welt, der Louvre schimmert nächtens als Ruine, die linke Regierung stürzt, die rechte kommt, die Köpfe rollen, und wer gestern noch im Irrenhaus saß, ist morgen Präsident. Das Schwein aber ist glücklich. Es hat sich, vorübergehend, mit einem Wolfsmenschen zusammengetan.
Viele Rezensenten haben die "Truismes" mit Kafkas "Verwandlung" verglichen. Doch der Vergleich hat einen zentralen Fehler. Gregor Samsa wird zum Käfer. Zu seinem Entsetzen verwandelt er sich in etwas, das er nicht ist. Die Heldin von "truismes" wird aber nur, was sie bereits war: Sie ist ein schlichter, ja zuweilen banaler Ausdruck einer sexualisierten, gewalttätigen und rücksichtslosen Welt. Und ihre Verwandlung tritt nicht plötzlich ein - sie liegt nicht plötzlich als Käfer da, sondern ändert sich wie Zwerg Nase. Die neue Gestalt schiebt sich langsam in das Leben, ergreift Raum und gewinnt eine eigene körperliche Massivität. Um sie herum lagert sich eine eigene Wirklichkeit an. Deswegen erschrickt sie nicht angesichts ihrer tierischen Gestalt. "Man muß ein Schwein sein in dieser Welt", singen die "Prinzen", das Publikum applaudiert, und Marie Darrieussecq spielt mit diesem volkstümlichen Gedanken. Franz Kafka beschrieb den Einbruch des Unvergleichlichen in die Welt. Bei Marie Darrieussecq ist alles kommensurabel.
Die Erzählerin pflegt einen naiven, etwas lakonischen Erzählton, der auch das Obszöne noch erträglich macht, ein Ton, den ähnlich die "Nonne" bei Denis Diderot benutzt. Und wie diese will es das Menschenschwein allen recht machen, gefällig sein und Anstand zeigen. Aber sie steht vor einer völlig unbegriffenen Welt, und aus dieser Perspektive liegen die kleinen Gemeinheiten und die großen Obszönitäten nie weit voneinander entfernt.
Mit diesem schmalen Buch ist Marie Darrieussecq, einigen offensichtlichen schriftstellerischen Mängeln zum Trotz, etwas gelungen. Sie hat kein sozialkritisches Buch geschrieben. Sie ist nicht dem Fehler der politischen Literatur verfallen, über das Große und Ganze verfügen zu wollen, während sie doch von ihm entmächtigt ist. Sie hat ihre Botschaft als Fabel verschlüsselt und mit der Zweideutigkeit der Interpretation kalkuliert, ohne Augenzwinkern und ohne Anspruch auf Sinnstiftung. Ob die Geschichte mit dem Anspruch der Wahrhaftigkeit geschrieben ist oder nur eine Phantasie sein will, bleibt offen und interessant. Ihre ganze Tücke aber liegt darin, daß uns ihre Geschichte nicht wundert, daß ihr Gehalt an Wirklichkeit nicht irritiert.
Am Ende steigert sich die Sau zum Kampfschwein, und die "Schweinerei" kehrt zum Lob der Anarchie zurück. Die Sau spürt den Ekel, den die Natur vor dem Menschen empfinden mag. Und "Themroc" setzt sich doch durch: Die Heldin tötet den ehemaligen Generaldirektor der Parfümerie, so wie der Arbeiter Michel Piccoli einen Polizisten grillte. Daß jener in der Zwischenzeit zum Manager einer geheimen Schlachterei mutierte und Schweinefleisch auf dem schwarzen Markt verkauft, vervollständigt die Parabel. Nebenbei rettet die heroische Sau noch ein paar Schicksalsgenossinnen. Und schließlich heißt es wie im Märchen: "Die Lebenslust wogte unter meiner Haut, das kam von überall her, wie galoppierende Wildschweine in meinem Hirn, explodierende Blitze in meinen Muskeln, vom tiefsten Grund des Windes her, vom ältesten Ursprung der überlebenden Rassen." Das ist Kitsch. Aber er ist giftig. THOMAS STEINFELD
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Anarchie in Frankreich: Eine Fabel hat Erfolg
Eine junge Frau erzählt, wie sie eine Anstellung in einer Parfümerie findet. Dort dient sie auch, was sie selbst nicht weiter verwundert, als Prostituierte. Die Kunden mögen sie, weil sie so gesund wirkt. "In jener Phase meines Lebens fanden mich alle Männer wunderbar elastisch." Bald tritt eine Verwandlung ein. Sie wird dick und immer dicker, mag keine Schinkenbrote mehr und entwickelt statt dessen einen großen Appetit auf Äpfel, Kastanien und Kartoffeln. Ihre Haut wird rosig und bekommt graue Flecken. Lange bleiben die Kunden ihr treu, oder sie findet neue, doch irgendwann machen die Bedürfnisse eines Tiers sie berufsuntauglich. Am Ende sitzt ein zufrieden grunzendes Schwein auf der Lichtung. Die Geschichte ist kein Meisterwerk und auch nicht lang. Sie kommt munter plappernd daher, fast ohne Absätze erzählt, an einem Stück.
Die Autorin ist sehr jung, hat Literatur an einer Elitehochschule, der Ecole normale supérieure in Paris, studiert und heißt Marie Darrieussecq. "Truismes", ihr erster Roman, hatte im vergangenen Herbst einen großen Erfolg in Frankreich, und die Feuilletons erzählten immer wieder dieselbe Geschichte: daß sich dieses Buch von einem unverlangt eingesandten Manuskript in einen Bestseller verwandelte, daß die Rechte noch vor Erscheinen ins Ausland verkauft wurden und daß der Titel doppeldeutig sei: "Truismes" sind schlichte Wahrheiten, und "la truie", die Sau, verbirgt sich auch darin. Seit sechs Jahren, seit den "Feldern der Ehre" von Jean Rouaud, hat sich kein französischer Debütant so gut verkauft. Jean-Luc Godard wird die Geschichte verfilmen. In dieser Woche ist das Buch unter dem Titel "Schweinerei" bei Hanser auf deutsch erschienen.
Warum ist dieses Büchlein so erfolgreich? Die französische Kritik hat die Gefährten des Odysseus zitiert, die von der Zauberin Circe in Schweine verwandelt wurden, sie nannte Ovid, Jean de La Fontaine, Franz Kafka mit seinem Käfer Gregor Samsa und auch Bernard Mandevilles "Bienenfabel". Bei aller Gelehrsamkeit blieb das Offensichtliche unerwähnt: Dieses Buch ist ein Angestelltenroman, der eine Wendung ins Surreale nimmt. "Wir Mädchen brachten alle große finanzielle Opfer, wir hatten Angst, die Firma könnte bankrott gehen und wir unsere Arbeit verlieren." Erzählt wird vom Auseinanderbrechen einer brüchigen Welt, von einem durch die Natur erzwungenen Abschied aus einer Marktwirtschaft, die aller Freundlichkeit entkleidet ist.
Die Handlung des Romans ist um ein paar Jahre in die Zukunft versetzt. Die Währung heißt Euro. Ein Präsident ähnelt Jean-Marie Le Pen. Was einem heute widerfahren kann, ist vergröbert und ins Groteske gezogen. Die wenigsten können noch von ihrer Arbeit leben. Eine Frau bekommt nur dann eine Stelle, wenn sie sich sexuell belästigen läßt. Daß die Parfümerie dem Bordellbetrieb als Fassade dient, ist nichts Ungewöhnliches, da die Unterscheidung von Beruf und Privatleben keinen Boden mehr hat. Es wird nicht unterschieden, die Intimität geht ganz im Geschäftsleben auf, die Intimität ist Arbeit.
Es gab vor Jahren einen Film, der vom Untergang der bürgerlichen Welt und vom Durchbruch einer fröhlichen Anarchie berichtete. Es war ein Kultfilm, der vielleicht immer noch in den Programmkinos läuft: "Themroc", und die Regie hatte Claude Faraldo. Michel Piccoli spielte einen Arbeiter, der eines Tages die Façon verlor, seinen Job hinschmiß und die bürgerliche Fassade zerschlug. Brüllend kam dahinter der wahre Mann zum Vorschein, der mit seinen Weibern Polizisten vom Grill verzehrte. Der Film erzählte davon, wie einer den imaginären Vertrag mit der Zivilisation kündigte und sich in etwas Glücklicheres, Vormenschliches zurückverwandelte. "Themroc" berichtete von der Überflüssigkeit der Revolution. Denn das bessere Leben schlummerte bereits im Menschen selber und wartete nur darauf, befreit zu werden. Am Ende brüllte ganz Paris, weil der Mensch gut ist und die Franzosen ein gutes Volk sind.
Marie Darrieussecqs "Schweinerei" ist eine Antwort auf "Themroc" und den Anarchismus der frühen siebziger Jahre. Der Arbeiter und Untertan durfte das Tier in sich entdecken. Er blieb aber Mensch. Bei der Heldin der "Truismes" ist es umgekehrt. Sie ist die einzige, der diese Verwandlung widerfährt. Die Metamorphose stößt ihr zu, und in der Zivilisation gibt es nichts, was die Rückverwandlung ins Tierreich zu kritisieren erlaubte.
In der zweiten Hälfte des Romans steigert Marie Darrieussecq die Metamorphose zur Apokalypse. Das Fest zu Silvester 1999, das Frankreichs Präsident gibt, ist eine blutige Orgie, und an dieser Stelle überschreitet die Erzählerin deutlich die Schwelle des Ekels. In Frankreich ist ihr Buch mit Patrick Süskinds "Parfüm" verglichen worden, und in der Darstellung der "terreur", dem Reflex auf die blutigen Zeiten der Revolution, liegt tatsächlich eine Parallele. Paris ist die Hauptstadt dieser furchtbaren Welt, der Louvre schimmert nächtens als Ruine, die linke Regierung stürzt, die rechte kommt, die Köpfe rollen, und wer gestern noch im Irrenhaus saß, ist morgen Präsident. Das Schwein aber ist glücklich. Es hat sich, vorübergehend, mit einem Wolfsmenschen zusammengetan.
Viele Rezensenten haben die "Truismes" mit Kafkas "Verwandlung" verglichen. Doch der Vergleich hat einen zentralen Fehler. Gregor Samsa wird zum Käfer. Zu seinem Entsetzen verwandelt er sich in etwas, das er nicht ist. Die Heldin von "truismes" wird aber nur, was sie bereits war: Sie ist ein schlichter, ja zuweilen banaler Ausdruck einer sexualisierten, gewalttätigen und rücksichtslosen Welt. Und ihre Verwandlung tritt nicht plötzlich ein - sie liegt nicht plötzlich als Käfer da, sondern ändert sich wie Zwerg Nase. Die neue Gestalt schiebt sich langsam in das Leben, ergreift Raum und gewinnt eine eigene körperliche Massivität. Um sie herum lagert sich eine eigene Wirklichkeit an. Deswegen erschrickt sie nicht angesichts ihrer tierischen Gestalt. "Man muß ein Schwein sein in dieser Welt", singen die "Prinzen", das Publikum applaudiert, und Marie Darrieussecq spielt mit diesem volkstümlichen Gedanken. Franz Kafka beschrieb den Einbruch des Unvergleichlichen in die Welt. Bei Marie Darrieussecq ist alles kommensurabel.
Die Erzählerin pflegt einen naiven, etwas lakonischen Erzählton, der auch das Obszöne noch erträglich macht, ein Ton, den ähnlich die "Nonne" bei Denis Diderot benutzt. Und wie diese will es das Menschenschwein allen recht machen, gefällig sein und Anstand zeigen. Aber sie steht vor einer völlig unbegriffenen Welt, und aus dieser Perspektive liegen die kleinen Gemeinheiten und die großen Obszönitäten nie weit voneinander entfernt.
Mit diesem schmalen Buch ist Marie Darrieussecq, einigen offensichtlichen schriftstellerischen Mängeln zum Trotz, etwas gelungen. Sie hat kein sozialkritisches Buch geschrieben. Sie ist nicht dem Fehler der politischen Literatur verfallen, über das Große und Ganze verfügen zu wollen, während sie doch von ihm entmächtigt ist. Sie hat ihre Botschaft als Fabel verschlüsselt und mit der Zweideutigkeit der Interpretation kalkuliert, ohne Augenzwinkern und ohne Anspruch auf Sinnstiftung. Ob die Geschichte mit dem Anspruch der Wahrhaftigkeit geschrieben ist oder nur eine Phantasie sein will, bleibt offen und interessant. Ihre ganze Tücke aber liegt darin, daß uns ihre Geschichte nicht wundert, daß ihr Gehalt an Wirklichkeit nicht irritiert.
Am Ende steigert sich die Sau zum Kampfschwein, und die "Schweinerei" kehrt zum Lob der Anarchie zurück. Die Sau spürt den Ekel, den die Natur vor dem Menschen empfinden mag. Und "Themroc" setzt sich doch durch: Die Heldin tötet den ehemaligen Generaldirektor der Parfümerie, so wie der Arbeiter Michel Piccoli einen Polizisten grillte. Daß jener in der Zwischenzeit zum Manager einer geheimen Schlachterei mutierte und Schweinefleisch auf dem schwarzen Markt verkauft, vervollständigt die Parabel. Nebenbei rettet die heroische Sau noch ein paar Schicksalsgenossinnen. Und schließlich heißt es wie im Märchen: "Die Lebenslust wogte unter meiner Haut, das kam von überall her, wie galoppierende Wildschweine in meinem Hirn, explodierende Blitze in meinen Muskeln, vom tiefsten Grund des Windes her, vom ältesten Ursprung der überlebenden Rassen." Das ist Kitsch. Aber er ist giftig. THOMAS STEINFELD
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