Der slowenische Kultroman über wütende und entwurzelte Vorstadtjungs - abgedreht und melancholisch.Marko ist einer aus der Jugo-Bande, ein Tschefur. Als Kind bosnischer Eltern ist er in Fuzine groß geworden, der Trabantenstadt von Ljubljana, doch ist er in Slowenien nie richtig angekommen. Im Viertel sind die Wohnungen klein, die Familien groß und der Lebensstandard niedrig. Vor dem Wohnblock sitzen ist Nationalsport. Was Marko am meisten auf den Sack geht: Er hat nicht mal einen eigenen Fußballklub! Kein Wunder, dass Marko und seine Freunde wie alle, die von südlich oder östlich des Flusses Kolpa stammen, ein Faible für das leichte Leben, für das Fluchen, Saufen und die Frauen haben. So schlagen sie die Zeit tot, zappen durch die TV-Kanäle und können die weinerlichen Geschichten von der Sehnsucht der Väter nach dem Süden nicht mehr hören.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Skandalös findet Rezensent Jörg Plath den Roman von Goran Vojnovic nicht, eher bedrückt ihn die Geschichte um einen diskriminierten jungen Ex-Jugoslawen in Slowenien, der gegen sein Schicksal aufbegehrt. Amüsant ist die Story aber auch, räumt Plath ein, weil der Autor die bodenständigen "Tschefuren" und ihre Lebensweise so gut kennt und seine Hauptfigur in prallem Jugendslang darüber berichten lässt. Klaus Detlef Olofs Übersetzung passt dazu, meint er, und in den Anmerkungen findet der Leser die nötige Orientierung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.09.2021Richtige Tschefuren gehen nicht ins Restaurant
Nach vielen Jahren endlich auf Deutsch: Goran Vojnovics Romandebüt hat in Slowenien Aufsehen erregt
Dieser Roman hat dem Autor eine Vorladung beim Polizeipräsidenten und die Androhung einer Klage eingetragen, was nach einer kleinen Protestwelle kassiert wurde. Ein Skandalbuch aber ist "Tschefuren raus!", das Debüt des slowenischen Filmregisseurs und Schriftstellers Goran Vojnovic, nicht, vielmehr ein ebenso amüsantes wie bedrückendes Zeugnis des Aufbegehrens. Tschefuren heißen im unabhängigen Slowenien die dort ansässigen Bürger anderer ex-jugoslawischer Republiken. Sie stammen in der Regel vom Land, arbeiten in schlecht bezahlten Berufen, leben in beengten Verhältnissen, bleiben unter sich und sprechen oft gebrochenes Slowenisch. Mehr als 25 000 von ihnen wurden 1992 zu Staatenlosen, als die Preußen des Balkans sie aus dem Bevölkerungsregister löschten. Die Tschefuren verloren so mit einem Schlag das Arbeits- und Aufenthaltsrecht, ihren Besitz, Versicherungs- und Rentenansprüche. "Tschefuren raus!" lautete die Maxime der Politik im eben unabhängig gewordenen Slowenien.
Vojnovic erzählt von Diskriminierungen und Ausbruchsversuchen des Tschefuren Marko im Plattenbauviertel Fuzine von Ljubljana. Der Siebzehnjährige spielt erfolgreich "Basket", doch als seine Mannschaft die nationale Meisterschaft gewinnt und er vor Freude einige der unterlegenen Slowenen "klatscht", beginnen die Probleme: Marko wird aus dem Training ausgeschlossen, randaliert angetrunken mit seinen Freunden Dejan, Aco und Adi, bis die Polizei kommt, sie in den "Kübel" wirft und an einem unbekannten Ort im Wald aussetzt. Beim zweiten Kontakt mit der Polizei werden die Jugendlichen - diese Szene erregte 2008 den anfangs erwähnten Skandal - eine Nacht lang verprügelt und verletzt. Marko verliert zunehmend den Halt. Am Ende schickt ihn sein ratloser, bevorzugt schweigender Vater zu den bosnischen Verwandten: Harte Arbeit soll den Jungen auf den rechten Weg zurückführen. Bosnier freilich nennen die Menschen aus Slowenien "Janez". Marko hat keine Heimat, nirgends.
Das Drama der zweiten Einwanderergeneration wird aus Markos Perspektive in einer kraftvollen Jugendsprache erzählt, die Klaus Detlef Olof knackig und mit Witz übersetzt, dazu mit hilfreichen Anmerkungen versehen hat. Zwischen den älteren Tschefuren und den heranwachsenden Tschefürzchen sucht Marko seinen Weg und macht sich seinen Reim auf alles. Die richtigen Tschefuren gehen nicht ins Restaurant? Klar, erst mal gibt's keins im Hochhausviertel, dann wär's zu teuer, und schließlich müsste man sich auch noch unterhalten, das packt doch keiner. Zu Hause wird nur gefragt und geantwortet, und die Challenge ist, so kurz wie möglich zu antworten.
Mit ethnologischem Interesse blickt Marko auf die bäuerlichen Lebensformen der Tschefuren, auf deren erzwungene Solidarität, die falsche Freundlichkeit, und den "Nationalsport" Vor-dem-Block-Sitzen. Dass seine Freunde in Bedrängnis zu Verachtung, Nationalismus oder Gewalt greifen, kritisiert er, ebenso, dass sie aus Angst nicht etwa die Slowenen, sondern die eigenen Leute attackieren. Letztlich aber macht Marko mit. Denn zwischen beiden Welten gibt es keine dritte, in die sich die "vier Genies" retten könnten. Goran Vojnovic, der 1980 kurz vor Titos Tod geboren wurde, hat schon im schön rotzig-soziologischen Debüt das Thema seiner späteren Romane gefunden: das untergegangene Jugoslawien, die "ehemalige Jugovina". JÖRG PLATH
Goran Vojnovic:
"Tschefuren raus! oder Warum ich wieder mal zu Fuß bis in den zehnten Stock musste". Roman.
Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Folio Verlag, Bozen 2021. 272 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nach vielen Jahren endlich auf Deutsch: Goran Vojnovics Romandebüt hat in Slowenien Aufsehen erregt
Dieser Roman hat dem Autor eine Vorladung beim Polizeipräsidenten und die Androhung einer Klage eingetragen, was nach einer kleinen Protestwelle kassiert wurde. Ein Skandalbuch aber ist "Tschefuren raus!", das Debüt des slowenischen Filmregisseurs und Schriftstellers Goran Vojnovic, nicht, vielmehr ein ebenso amüsantes wie bedrückendes Zeugnis des Aufbegehrens. Tschefuren heißen im unabhängigen Slowenien die dort ansässigen Bürger anderer ex-jugoslawischer Republiken. Sie stammen in der Regel vom Land, arbeiten in schlecht bezahlten Berufen, leben in beengten Verhältnissen, bleiben unter sich und sprechen oft gebrochenes Slowenisch. Mehr als 25 000 von ihnen wurden 1992 zu Staatenlosen, als die Preußen des Balkans sie aus dem Bevölkerungsregister löschten. Die Tschefuren verloren so mit einem Schlag das Arbeits- und Aufenthaltsrecht, ihren Besitz, Versicherungs- und Rentenansprüche. "Tschefuren raus!" lautete die Maxime der Politik im eben unabhängig gewordenen Slowenien.
Vojnovic erzählt von Diskriminierungen und Ausbruchsversuchen des Tschefuren Marko im Plattenbauviertel Fuzine von Ljubljana. Der Siebzehnjährige spielt erfolgreich "Basket", doch als seine Mannschaft die nationale Meisterschaft gewinnt und er vor Freude einige der unterlegenen Slowenen "klatscht", beginnen die Probleme: Marko wird aus dem Training ausgeschlossen, randaliert angetrunken mit seinen Freunden Dejan, Aco und Adi, bis die Polizei kommt, sie in den "Kübel" wirft und an einem unbekannten Ort im Wald aussetzt. Beim zweiten Kontakt mit der Polizei werden die Jugendlichen - diese Szene erregte 2008 den anfangs erwähnten Skandal - eine Nacht lang verprügelt und verletzt. Marko verliert zunehmend den Halt. Am Ende schickt ihn sein ratloser, bevorzugt schweigender Vater zu den bosnischen Verwandten: Harte Arbeit soll den Jungen auf den rechten Weg zurückführen. Bosnier freilich nennen die Menschen aus Slowenien "Janez". Marko hat keine Heimat, nirgends.
Das Drama der zweiten Einwanderergeneration wird aus Markos Perspektive in einer kraftvollen Jugendsprache erzählt, die Klaus Detlef Olof knackig und mit Witz übersetzt, dazu mit hilfreichen Anmerkungen versehen hat. Zwischen den älteren Tschefuren und den heranwachsenden Tschefürzchen sucht Marko seinen Weg und macht sich seinen Reim auf alles. Die richtigen Tschefuren gehen nicht ins Restaurant? Klar, erst mal gibt's keins im Hochhausviertel, dann wär's zu teuer, und schließlich müsste man sich auch noch unterhalten, das packt doch keiner. Zu Hause wird nur gefragt und geantwortet, und die Challenge ist, so kurz wie möglich zu antworten.
Mit ethnologischem Interesse blickt Marko auf die bäuerlichen Lebensformen der Tschefuren, auf deren erzwungene Solidarität, die falsche Freundlichkeit, und den "Nationalsport" Vor-dem-Block-Sitzen. Dass seine Freunde in Bedrängnis zu Verachtung, Nationalismus oder Gewalt greifen, kritisiert er, ebenso, dass sie aus Angst nicht etwa die Slowenen, sondern die eigenen Leute attackieren. Letztlich aber macht Marko mit. Denn zwischen beiden Welten gibt es keine dritte, in die sich die "vier Genies" retten könnten. Goran Vojnovic, der 1980 kurz vor Titos Tod geboren wurde, hat schon im schön rotzig-soziologischen Debüt das Thema seiner späteren Romane gefunden: das untergegangene Jugoslawien, die "ehemalige Jugovina". JÖRG PLATH
Goran Vojnovic:
"Tschefuren raus! oder Warum ich wieder mal zu Fuß bis in den zehnten Stock musste". Roman.
Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Folio Verlag, Bozen 2021. 272 S., geb., 22,- Euro.
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