Jonathan Littell war schon in den beiden Tschetschenienkriegen 1996 und 1999 für eine Menschenrechtsorganisation in Tschetschenien tätig. Seitdem gilt er als gut informierter und scharfsinniger Kenner des Landes. In diesem Frühjahr 2009 hat er erneut diese Region bereist - entstanden ist eine ebenso beeindruckende wie beängstigende Reportage über die Entwicklung, die das Land seit Kriegsende und dem Regierungsantritt Ramzan Kadryrows im Jahre 2007 genommen hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2010Trügerisch idyllisch
Auch Akhmed Zakayev hat Jonathan Littell besucht. Er beschreibt den Schauspieler und Sprecher der tschetschenischen Unabhängigkeitsbewegung mit Blick auf dessen Schuhe aus Krokodilleder. In wenigen Sätzen erschließt Littell die Widersprüche der schillernden Figur. Nach seiner Weltkriegs-Fiktion "Die Wohlgesinnten" und seiner brillanten Reportage aus Georgien hat er sich der veränderten Wirklichkeit in Tschetschenien angenommen. Er kennt das Land aus seiner Zeit des humanitären Engagements. Als Ramsan Kadyrow 2007 an die Macht kam, ging die Zahl der Folterungen und Entführungen zurück. Die Terroranschläge wurden als Jungenstreiche abgehakt, die Rebellen kehrten aus den Wäldern zurück. Littells Porträt des "größten Baumeisters der Welt", als den sich Kadyrow feiern lässt, ist ein Meisterwerk. Fast schon als Idylle erscheint Tschetschenien in Littells Bericht, der durch Littells Fähigkeit besticht, komplexe Zusammenhänge verständlich zu machen, ohne sie zu vereinfachen. "Der Sieg ist ein subjektiver Begriff", schreibt er, und manchmal ein "bürokratischer": Die Russen haben den Tschetschenen den Eindruck vermittelt, ihn errungen zu haben. Und Kadyrow die Erlaubnis zur Islamisierung des Landes gegeben. Für Littell ist die nationalistische Ideologie der Unabhängigkeit tot, ihre Nostalgiker im Exil haben kein politisches Projekt. Doch das prekäre Gleichgewicht wird durch den fundamentalistischen Widerstand in den umliegenden Ländern bedroht. (Jonathan Littell: "Tschetschenien im Jahr III". Aus dem Französischen von Hainer Kober. Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2009. 142 S., 10,- [Euro].) J.A.
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Auch Akhmed Zakayev hat Jonathan Littell besucht. Er beschreibt den Schauspieler und Sprecher der tschetschenischen Unabhängigkeitsbewegung mit Blick auf dessen Schuhe aus Krokodilleder. In wenigen Sätzen erschließt Littell die Widersprüche der schillernden Figur. Nach seiner Weltkriegs-Fiktion "Die Wohlgesinnten" und seiner brillanten Reportage aus Georgien hat er sich der veränderten Wirklichkeit in Tschetschenien angenommen. Er kennt das Land aus seiner Zeit des humanitären Engagements. Als Ramsan Kadyrow 2007 an die Macht kam, ging die Zahl der Folterungen und Entführungen zurück. Die Terroranschläge wurden als Jungenstreiche abgehakt, die Rebellen kehrten aus den Wäldern zurück. Littells Porträt des "größten Baumeisters der Welt", als den sich Kadyrow feiern lässt, ist ein Meisterwerk. Fast schon als Idylle erscheint Tschetschenien in Littells Bericht, der durch Littells Fähigkeit besticht, komplexe Zusammenhänge verständlich zu machen, ohne sie zu vereinfachen. "Der Sieg ist ein subjektiver Begriff", schreibt er, und manchmal ein "bürokratischer": Die Russen haben den Tschetschenen den Eindruck vermittelt, ihn errungen zu haben. Und Kadyrow die Erlaubnis zur Islamisierung des Landes gegeben. Für Littell ist die nationalistische Ideologie der Unabhängigkeit tot, ihre Nostalgiker im Exil haben kein politisches Projekt. Doch das prekäre Gleichgewicht wird durch den fundamentalistischen Widerstand in den umliegenden Ländern bedroht. (Jonathan Littell: "Tschetschenien im Jahr III". Aus dem Französischen von Hainer Kober. Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2009. 142 S., 10,- [Euro].) J.A.
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