Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2022Sechzehn Tote sind zu viel
Paul Beatty versucht sich an einer brutalen Satire
Was ist eigentlich ein Krimi? Man könnte Lexikon-Definitionen bemühen, sich gut informiert fühlen, dann an einen Autor wie Paul Beatty geraten - und schon ist die angelesene Checkliste ungültig. Sein im Original bereits 2000 erschienenes Buch "Tuff" ist auch Kriminalliteratur. Im Wesentlichen handelt es sich dabei aber um einen erzählerischen Gemischtwarenladen, der jenes Publikum anspricht, das sich nicht an Genres klammert, sondern vor allem Interesse an sprachlicher Finesse mitbringt.
Der Protagonist Winston "Tuff" Foshay sagt einmal: "'Hip-Hop-Szene'. Wo ist denn dann bitte die Opern-Szene? Die Heavy-Metal-Szene? Scheiße, wie soll man die Leute denn nach ihren Musikvorlieben definieren?" Man wird ergänzend fragen dürfen, wie man die Leute nach ihren Literaturvorlieben definieren soll. Am besten gar nicht, also Genre-Regeln über Bord und los.
Zu Beginn ist alles Thriller as usual: Brooklyn, New York. Schießerei. Winston - zweiundzwanzig Jahre, hundertfünfzig Kilo, frischgebackener Vater, kleinkriminell, sympathisch und zugleich unsympathisch - erwacht in einer zur Drogenküche umfunktionierten Wohnung. Drei Leichen auf dem Boden, hier sämiges Blut, dort Hirnmasse. Er trifft einen Freund und verlässt mit ihm den Tatort. Die Bilder des Schlachtfests "flackerten in seinem Kopf auf wie Dias im Biologieunterricht". Er schließt die Augen und zählt alle Toten, die er bislang gesehen hat: sechzehn Stück. Zu viele. Damit sein Leben eine Richtung bekommt, entschließt er sich, für den Stadtrat zu kandidieren.
Der Plot durchläuft mehrere Metamorphosen. Beatty erzählt die Liebesgeschichte von Winston und seiner Frau Yolanda in einer rührenden, sich langsam entfaltenden Rückblende, um sie direkt mit einer klassischen Konfliktszene kurzzuschließen: Der betrunkene Mann kommt zu spät heim, wo Frau (wütend) und Kind (putzig) schon lange auf ihn warten. Dann wieder tragen schnelle, witzige Dialoge die streckenweise kammerspielhaft reduzierte Handlung.
Zu Winstons Entourage gehören sein antisemitischer Freund Fariq, der sich die meiste Zeit Gedanken darüber macht, wie man am besten reich wird. Sein Mentor Spencer, ein schwarzer Rabbiner, der aus Liebe zu einer Frau, die längst über alle Berge ist, zum Judentum konvertierte. Seine mütterliche Freundin Inez, eine linke Revoluzzerin mit bewegter Vergangenheit. Und sein Vater, ehemaliger Black Panther, der sich als Dichter versucht und Lesungen beginnt, indem er Salven in die Luft feuert: "Bämm! 'Das ist für die Vergewaltigung meiner Urgroßmutter.' Bämm! 'Und die soll uns ans Herz wachsen.' Es regnete Deckenputz und Spanplattenteile. Das Publikum saß auf der Stuhlkante."
Das klingt wild, das ist wild. Und wenn schon "Krimi" nicht das passende Label für dieses Buch darstellt, dann wäre zumindest "Satire" eine gute Wahl. So wird der junge, schwarze, abgehängte Mann in Amerikas Metropolen zweifach thematisiert: zum einen als Karikatur, zum anderen als Figur, die sich aufgrund der sozialen und politischen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten überhaupt erst karikieren lässt. Beatty, Jahrgang 1962 und einer der wichtigsten afroamerikanischen Poetry-Slammer der Neunziger, kann auf diese Weise moralische Kommentare in den Plot schmuggeln, ohne als Tugendbold aufzutreten.
Sein ganzes Potential entfaltet das Buch nur im englischsprachigen Original. Der Übersetzer Robin Detje gibt zwar alles, kriegt Beattys spezielle Mischung aus Hip-Hop-Jargon und reflektiertem Parlando aber nicht zu fassen: Insgesamt wird geflucht und überzeichnet, was das Zeug hält. Die Figuren können gleichwohl auch auf ausgesprochen eloquente Weise ausgesprochen kluge Dinge von sich geben.
Einerseits umschifft der Autor damit die Klischee-Falle, andererseits hält der Roman so Distanz zum Leser. Die Charaktere atmen nicht, sie erfüllen Rollen. Insofern fragt sich, was gewonnen ist, wenn das Abziehbild des Afroamerikaners vermieden wird, Winston dafür jedoch in einer grotesk-slapstickhaften Szene den Hund eines Polizisten erschießt? Die Antwort immerhin: Komik. KAI SPANKE
Paul Beatty: "Tuff". Roman.
Aus dem Englischen von Robin Detje. Btb Verlag,
München 2022.
448 S., br., 12,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Paul Beatty versucht sich an einer brutalen Satire
Was ist eigentlich ein Krimi? Man könnte Lexikon-Definitionen bemühen, sich gut informiert fühlen, dann an einen Autor wie Paul Beatty geraten - und schon ist die angelesene Checkliste ungültig. Sein im Original bereits 2000 erschienenes Buch "Tuff" ist auch Kriminalliteratur. Im Wesentlichen handelt es sich dabei aber um einen erzählerischen Gemischtwarenladen, der jenes Publikum anspricht, das sich nicht an Genres klammert, sondern vor allem Interesse an sprachlicher Finesse mitbringt.
Der Protagonist Winston "Tuff" Foshay sagt einmal: "'Hip-Hop-Szene'. Wo ist denn dann bitte die Opern-Szene? Die Heavy-Metal-Szene? Scheiße, wie soll man die Leute denn nach ihren Musikvorlieben definieren?" Man wird ergänzend fragen dürfen, wie man die Leute nach ihren Literaturvorlieben definieren soll. Am besten gar nicht, also Genre-Regeln über Bord und los.
Zu Beginn ist alles Thriller as usual: Brooklyn, New York. Schießerei. Winston - zweiundzwanzig Jahre, hundertfünfzig Kilo, frischgebackener Vater, kleinkriminell, sympathisch und zugleich unsympathisch - erwacht in einer zur Drogenküche umfunktionierten Wohnung. Drei Leichen auf dem Boden, hier sämiges Blut, dort Hirnmasse. Er trifft einen Freund und verlässt mit ihm den Tatort. Die Bilder des Schlachtfests "flackerten in seinem Kopf auf wie Dias im Biologieunterricht". Er schließt die Augen und zählt alle Toten, die er bislang gesehen hat: sechzehn Stück. Zu viele. Damit sein Leben eine Richtung bekommt, entschließt er sich, für den Stadtrat zu kandidieren.
Der Plot durchläuft mehrere Metamorphosen. Beatty erzählt die Liebesgeschichte von Winston und seiner Frau Yolanda in einer rührenden, sich langsam entfaltenden Rückblende, um sie direkt mit einer klassischen Konfliktszene kurzzuschließen: Der betrunkene Mann kommt zu spät heim, wo Frau (wütend) und Kind (putzig) schon lange auf ihn warten. Dann wieder tragen schnelle, witzige Dialoge die streckenweise kammerspielhaft reduzierte Handlung.
Zu Winstons Entourage gehören sein antisemitischer Freund Fariq, der sich die meiste Zeit Gedanken darüber macht, wie man am besten reich wird. Sein Mentor Spencer, ein schwarzer Rabbiner, der aus Liebe zu einer Frau, die längst über alle Berge ist, zum Judentum konvertierte. Seine mütterliche Freundin Inez, eine linke Revoluzzerin mit bewegter Vergangenheit. Und sein Vater, ehemaliger Black Panther, der sich als Dichter versucht und Lesungen beginnt, indem er Salven in die Luft feuert: "Bämm! 'Das ist für die Vergewaltigung meiner Urgroßmutter.' Bämm! 'Und die soll uns ans Herz wachsen.' Es regnete Deckenputz und Spanplattenteile. Das Publikum saß auf der Stuhlkante."
Das klingt wild, das ist wild. Und wenn schon "Krimi" nicht das passende Label für dieses Buch darstellt, dann wäre zumindest "Satire" eine gute Wahl. So wird der junge, schwarze, abgehängte Mann in Amerikas Metropolen zweifach thematisiert: zum einen als Karikatur, zum anderen als Figur, die sich aufgrund der sozialen und politischen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten überhaupt erst karikieren lässt. Beatty, Jahrgang 1962 und einer der wichtigsten afroamerikanischen Poetry-Slammer der Neunziger, kann auf diese Weise moralische Kommentare in den Plot schmuggeln, ohne als Tugendbold aufzutreten.
Sein ganzes Potential entfaltet das Buch nur im englischsprachigen Original. Der Übersetzer Robin Detje gibt zwar alles, kriegt Beattys spezielle Mischung aus Hip-Hop-Jargon und reflektiertem Parlando aber nicht zu fassen: Insgesamt wird geflucht und überzeichnet, was das Zeug hält. Die Figuren können gleichwohl auch auf ausgesprochen eloquente Weise ausgesprochen kluge Dinge von sich geben.
Einerseits umschifft der Autor damit die Klischee-Falle, andererseits hält der Roman so Distanz zum Leser. Die Charaktere atmen nicht, sie erfüllen Rollen. Insofern fragt sich, was gewonnen ist, wenn das Abziehbild des Afroamerikaners vermieden wird, Winston dafür jedoch in einer grotesk-slapstickhaften Szene den Hund eines Polizisten erschießt? Die Antwort immerhin: Komik. KAI SPANKE
Paul Beatty: "Tuff". Roman.
Aus dem Englischen von Robin Detje. Btb Verlag,
München 2022.
448 S., br., 12,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2022Kostbare Flüche
Was für ein Spaß: Paul Beattys Roman „Tuff“ als intellektuelles Bällebad
Die Besetzung der Hauptfiguren in Paul Beattys „Tuff“ ist schon mal eine Steilvorlage. Held ist Winston „Tuffy“ Foshay, ein 19-jähriger aus Spanish Harlem, der sich mit seinen 150 Kilo Körpergewicht als ebenso schwerfälliger, wie wirksamer Schläger für lokale Drogenhändler verdingt. Sein bester Freund ist Fariq, der auf Krücken neben ihm herhumpelt und dessen Tiraden voller Antisemitismus, Homophobie und Afrozentrismus den Echoraum der vielen Nebenfiguren mit wachem Sinn für Gerechtigkeit fortlaufend ins Schlingern bringen. Überhaupt hat Beatty in dem Roman eine diebische Freude an eingeführten Klischees über die Realität des Ghettos, die er als intellektuelles Bällebad betrachtet, das man nur bunt durcheinanderwirbeln kann, weil man sowieso nicht Tritt fasst.
Nicht einmal Tuffys Frau Yolanda, Mutter seines kleinen Sohnes, kann das erden. Und auch nicht Tuffys Ersatzmutter Inez, eine alternde Hippiedame mit asiatischen Wurzeln, die mal für Malcolm X gearbeitet hat. Oder Spencer Throckmorton, der zum Judentum konvertierte und sich nun als Dreadlock-geschmückter Rabbi um schwierige Teenager wie Tuffy kümmert.
Oder sein Vater Winston, ein ehemaliger Black Panther, der mit seinen Kumpels immer noch von der Revolution träumt. Die Liste solcher Figuren, die alle ihre Rolle im Räderwerk der Handlung spielen, ist lang. Und Beatty liebt alle diese Gebrochenen und Verrückten, die politisch Korrekten und die mit dem garstigen Mundwerk.
Gleich zu Beginn legt er erst einmal eine falsche Spur. Da wacht Tuffy im Appartment einer Drogengang auf, die gerade von der Konkurrenz erschossen wurde. Die Ouvertüre könnte direkt aus einem der Blaxploitation-Filme stammen, die eine der vielen Stilvorlagen sind, die Beatty auf den Kopf stellt. Schon im Bus von Brooklyn nach Harlem entspinnt sich dann ein Dialog zwischen Tuffy und Fariq, der mit seinem Hyperpopintellektualismus schon für sich alleine für ein Standup Special auf Netflix taugen würde. Das führt dann schon direkt in die raffinierte Gedankenwelt des Autors, der in Amerika nicht nur zum literarischen Establishment, sondern zum Kanon gehört.
„Tuff“ erschien im amerikanischen Original schon 2000. Da wuchs Beatty gerade aus seiner Rolle als „Poet Laureate der Hip-Hop-Gemeinde“ heraus. Was er im Roman dann auch Tuffy thematisieren lässt: „Hip-Hop-Community? Was zum Teufel ist das? Wo zum Teufel ist die Operngemeinde? Die Heavy-Metal-Gemeinde?“ Zwei Romane später wurde Beatty als erster Amerikaner mit dem britischen Man Booker Prize ausgezeichnet. Wobei es nicht nur im Original der Sprachfluss der Slam Poetry und damit auch des Hip-Hop ist, mit dem Beatty sein Ensemble mit einer solchen überhöhten Geschwindigkeit durch die immer absurdere Handlung schleudern kann, ohne dass es ihn aus der erzählerischen Kurve trägt. Im Gegenteil, wenn Tuffy im letzten Drittel für einen Sitz im New Yorker Stadtrat kandidiert, bekommt das Buch bei allem Sprudeln der szenischen Komik, der Sprachbilder und Popkulturverweise so etwas wie eine politische Ernsthaftigkeit.
Das macht den Roman nicht zu einem Manifest der Sozialkritik. Das Buch stammt aus einer Zeit, als es noch keine Smartphones, sozialen Medien und verhärteten Debattenfronten gab. Wenn Tuffy seinen Freund Fariq bremst, weil derdeden jüdischen Spencer beschimpft, geht es um Grundlagen der Höflichkeit, dann bleibt alles in jenem ideologiefreien Wertekanon der amerikanischen Komik, die genau weiß, wo die Grenzen verlaufen, die man ausreizen muss.
„Tuffy“ ist aber auch kein Zeitdokument. Paul Beatty gehört zu den Schriftstellern, die es verstehen, die jeweilige Gegenwart mit ihrer Sprache auf eine literarische Ebene zu heben, die nichts verklärt, nichts veredelt und doch einen Anspruch auf Zeitlosigkeit hat. Das funktioniert auch in der deutschen Übersetzung, bei der Robin Detje die kostbaren Flüche der New Yorker Straße elegant ins Deutsche einflicht. Fuckin‘ ay.
ANDRIAN KREYE
Clemens Meyers Roman „Als wir träumten“ war 2006
wie eine Frischzellenkur für die postsozialistische Literatur. Zuletzt erschien von ihm der Erzählband „Stäube“ im Leipziger Verlag Faber und Faber, in dessen Räumen auch dieses Bild entstanden ist.
Paul Beatty:
Tuff.
Aus dem Englischen
von Robin Detje.
btb Verlag,
München 2022.
448 Seiten, 12 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Was für ein Spaß: Paul Beattys Roman „Tuff“ als intellektuelles Bällebad
Die Besetzung der Hauptfiguren in Paul Beattys „Tuff“ ist schon mal eine Steilvorlage. Held ist Winston „Tuffy“ Foshay, ein 19-jähriger aus Spanish Harlem, der sich mit seinen 150 Kilo Körpergewicht als ebenso schwerfälliger, wie wirksamer Schläger für lokale Drogenhändler verdingt. Sein bester Freund ist Fariq, der auf Krücken neben ihm herhumpelt und dessen Tiraden voller Antisemitismus, Homophobie und Afrozentrismus den Echoraum der vielen Nebenfiguren mit wachem Sinn für Gerechtigkeit fortlaufend ins Schlingern bringen. Überhaupt hat Beatty in dem Roman eine diebische Freude an eingeführten Klischees über die Realität des Ghettos, die er als intellektuelles Bällebad betrachtet, das man nur bunt durcheinanderwirbeln kann, weil man sowieso nicht Tritt fasst.
Nicht einmal Tuffys Frau Yolanda, Mutter seines kleinen Sohnes, kann das erden. Und auch nicht Tuffys Ersatzmutter Inez, eine alternde Hippiedame mit asiatischen Wurzeln, die mal für Malcolm X gearbeitet hat. Oder Spencer Throckmorton, der zum Judentum konvertierte und sich nun als Dreadlock-geschmückter Rabbi um schwierige Teenager wie Tuffy kümmert.
Oder sein Vater Winston, ein ehemaliger Black Panther, der mit seinen Kumpels immer noch von der Revolution träumt. Die Liste solcher Figuren, die alle ihre Rolle im Räderwerk der Handlung spielen, ist lang. Und Beatty liebt alle diese Gebrochenen und Verrückten, die politisch Korrekten und die mit dem garstigen Mundwerk.
Gleich zu Beginn legt er erst einmal eine falsche Spur. Da wacht Tuffy im Appartment einer Drogengang auf, die gerade von der Konkurrenz erschossen wurde. Die Ouvertüre könnte direkt aus einem der Blaxploitation-Filme stammen, die eine der vielen Stilvorlagen sind, die Beatty auf den Kopf stellt. Schon im Bus von Brooklyn nach Harlem entspinnt sich dann ein Dialog zwischen Tuffy und Fariq, der mit seinem Hyperpopintellektualismus schon für sich alleine für ein Standup Special auf Netflix taugen würde. Das führt dann schon direkt in die raffinierte Gedankenwelt des Autors, der in Amerika nicht nur zum literarischen Establishment, sondern zum Kanon gehört.
„Tuff“ erschien im amerikanischen Original schon 2000. Da wuchs Beatty gerade aus seiner Rolle als „Poet Laureate der Hip-Hop-Gemeinde“ heraus. Was er im Roman dann auch Tuffy thematisieren lässt: „Hip-Hop-Community? Was zum Teufel ist das? Wo zum Teufel ist die Operngemeinde? Die Heavy-Metal-Gemeinde?“ Zwei Romane später wurde Beatty als erster Amerikaner mit dem britischen Man Booker Prize ausgezeichnet. Wobei es nicht nur im Original der Sprachfluss der Slam Poetry und damit auch des Hip-Hop ist, mit dem Beatty sein Ensemble mit einer solchen überhöhten Geschwindigkeit durch die immer absurdere Handlung schleudern kann, ohne dass es ihn aus der erzählerischen Kurve trägt. Im Gegenteil, wenn Tuffy im letzten Drittel für einen Sitz im New Yorker Stadtrat kandidiert, bekommt das Buch bei allem Sprudeln der szenischen Komik, der Sprachbilder und Popkulturverweise so etwas wie eine politische Ernsthaftigkeit.
Das macht den Roman nicht zu einem Manifest der Sozialkritik. Das Buch stammt aus einer Zeit, als es noch keine Smartphones, sozialen Medien und verhärteten Debattenfronten gab. Wenn Tuffy seinen Freund Fariq bremst, weil derdeden jüdischen Spencer beschimpft, geht es um Grundlagen der Höflichkeit, dann bleibt alles in jenem ideologiefreien Wertekanon der amerikanischen Komik, die genau weiß, wo die Grenzen verlaufen, die man ausreizen muss.
„Tuffy“ ist aber auch kein Zeitdokument. Paul Beatty gehört zu den Schriftstellern, die es verstehen, die jeweilige Gegenwart mit ihrer Sprache auf eine literarische Ebene zu heben, die nichts verklärt, nichts veredelt und doch einen Anspruch auf Zeitlosigkeit hat. Das funktioniert auch in der deutschen Übersetzung, bei der Robin Detje die kostbaren Flüche der New Yorker Straße elegant ins Deutsche einflicht. Fuckin‘ ay.
ANDRIAN KREYE
Clemens Meyers Roman „Als wir träumten“ war 2006
wie eine Frischzellenkur für die postsozialistische Literatur. Zuletzt erschien von ihm der Erzählband „Stäube“ im Leipziger Verlag Faber und Faber, in dessen Räumen auch dieses Bild entstanden ist.
Paul Beatty:
Tuff.
Aus dem Englischen
von Robin Detje.
btb Verlag,
München 2022.
448 Seiten, 12 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de