Wie verändert die Ablehnung der Werkgerechtigkeit die Tugendikonographie und die Hierarchien der dargestellten virtutes in den öffentlichen Bildprogrammen protestantischer Städte, lautet die zentrale Frage der exemplarisch angelegten Untersuchung. Nicht nur in der Ethik, sondern auch in der Malerei mußte eine Antwort auf Luthers Rechtfertigungslehre gefunden werden. Dabei war eine zentrale Forderung zu erfüllen: Bestimmte, im städtischen Zusammenleben notwendige Normen sollten in den Bildprogrammen angemahnt werden, ohne dem Betrachter zu suggerieren, er könne durch tugendhaftes Handeln an seinem Seelenheil mitwirken.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Für Martin Luther, erklärt Valeska von Rosen, war Tugendhaftigkeit "unter dem Aspekt der Heilserlangung irrelevant". Trotzdem seien gerade zur Zeit der Reformation, und gerade in protestantischen Gegenden eine große Anzahl Tugendzyklen entstanden. Dieses Paradox nehme Margit Kern zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchung der Bilddarstellung der Tugend. Das Ergebnis ihrer ebenso soliden wie "differenzierten Ausdeutungen": Gute Taten mögen nicht mehr heilsrelevant gewesen sein, aber sie waren nichtsdestotrotz zu leisten. Die Bildsprache zielte demnach auf die "Ausbildung eines Bewusstseins zur Selbstkontrolle" ab. Erlösung oblag allein der Gnade Gottes - das Ausrufezeichen hinter den Tugenden blieb dennoch erhalten.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH