Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2004Willst du einen Witwer oder einen alten Junggesellen?
Traum vom Ausbruch, verplaudert: Karin Tuils Roman „Schattenhochzeit” über eine Frau von dreißig Jahren
„Komm, mein Geliebter, und koste vom Wasser meines Mundes ...”. Es muss ein wunderbares Gefühl sein, Théodore Gerszterkorn aus der Ferne zu betrachten. Dunkle Augen, wohlgeformte Wangenknochen und dazwischen ein Lächeln, dass man am liebsten ein Liebeslied anstimmen möchte. Wehe aber, der junge Mann rückt näher an die Adoranten heran ... . Dann werden seine schwieliegen Hände erkennbar, die von einem körnigen Film überzogen scheinen, die angenagten Fingernägel mit den getrockneten Bluttröpfchen und der scharfe Geruch seines Oberkörpers. Und während Gerszterkorn noch an seinem Hosenstall nestelt, verwandelt sich das Liebeslied langsam in einen Grabgesang.
Wer den Roman „Schaumhochzeit” der jungen französischen Autorin Karine Tuil liest, mag sich bisweilen ähnlich fühlen wie die Protagonistin Emma, als sie die Bekanntschaft des nägelkauenden Théodore Gerszterkorn macht. In diesem Buch klingt anfangs alles nach einem ironisch erzählten Streifzug durch die altbekannte Problemgeschichte von Mutter und Tochter. Aus der genau kalkulierten Beschreibung körperlicher Konturen und matriarchalischer Kleinigkeiten, eines geblümten Kleides etwa oder fettglänzender Küchenmesser, gewinnt Tuil ein deutliches Bild der mütterlichen Welt, einer Welt, in der das oberste Gesetz lautet: „Heiraten sollst Du und Kinder empfangen!”. Trotzdem sind unter der rauen Oberfläche des penibel vermessenen Hausfrauenreservates die zarten Schwingungen der Liebe zu spüren.
Für Emma Blum, die Tochter, eine Frau von 30 Jahren, die keineswegs an die Ehe denkt, sondern sich einen verheirateten Mann als Geliebten hält, ist das Leben ein fortwährender, doch aussichtsloser Kampf gegen das mütterliche System. Denn die junge Frau lässt sich von der Mutter wie ein kleines Mädchen behandeln und teilt so manches Mal ihre rustikale Weltsicht: „In ein paar Jahren werden nur noch drei Kategorien von Männern für dich übrigbleiben: Geschiedene, Witwer und schizophrene alte Junggesellen.” Erst als Emma und ihr Bruder Paul sich gemeinsam gegen die Mutter auflehnen, erhält deren religiös eingefärbtes Denkgebäude starke Risse. Zugleich beginnt die „Harpyie” mit der rot geäderten Nasenspitze des nachts heimlich in jenen freizügigen Manuskripten zu blättern, die Emma von ihrer Arbeitsstätte in einem Verlag für erotische Bücher mit nach Hause nimmt.
So wie die Mutter nach und nach gegen die selbst auferlegten Gesetze verstößt, bindet sich Emma immer fester an das Korsett der Vorschriften – schließlich heiratet sie sogar den unappetitlichen Théodore Gerszterkorn. Das hätte ein hübscher Konflikt werden können, mit denselben Träumen und Ausbruchsversuchen wie bei jener anderen Emma B., die zwischen den Sätzen ihre Spuren hinterlassen hat. Doch Karine Tuil vertraut weniger Flaubert als den beschaulichen Kalendersprüchen der mütterlichen Küche. Ein klein wenig von jener „zotigen Sprache”, die Emmas Mutter nach der Lektüre der pornografischen Romane an den Tag legt, hätte man sich als Leser auch für dieses Buch gewünscht.
Seite um Seite plätschert Tuils allzu gefälliges Plauderbächlein vor sich hin, verwirbelt sich hier zu einem kleinen Gedanken oder wartet dort mit einer überraschenden Einsicht auf: „Ich war perplex: konnte es sein, dass Paul und ich unsere Mutter nicht auf dieselbe Weise wahrnahmen?” Wenn sie nicht gerade die Wunder der Wahrnehmung entdeckt, kommentiert Tuil das zuvor Erzählte oder greift an den Kapitelenden spannungstötend voraus.„Ich bin den weißen Seiten in die Falle geraten. Gefangen in einem Buch”, philosophiert Emma am Schluss ihrer Lebenserzählung. Doch leider ist es kein Brevier der Liebeslieder geworden, nur eine Sammlung öder Epitaphe.
NICO BLEUTGE
KARINE TUIL: Schaumhochzeit. Roman. Aus dem Französischen von Ralf Pannowitsch. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 2003. 196 Seiten, 16,50 Euro.
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Traum vom Ausbruch, verplaudert: Karin Tuils Roman „Schattenhochzeit” über eine Frau von dreißig Jahren
„Komm, mein Geliebter, und koste vom Wasser meines Mundes ...”. Es muss ein wunderbares Gefühl sein, Théodore Gerszterkorn aus der Ferne zu betrachten. Dunkle Augen, wohlgeformte Wangenknochen und dazwischen ein Lächeln, dass man am liebsten ein Liebeslied anstimmen möchte. Wehe aber, der junge Mann rückt näher an die Adoranten heran ... . Dann werden seine schwieliegen Hände erkennbar, die von einem körnigen Film überzogen scheinen, die angenagten Fingernägel mit den getrockneten Bluttröpfchen und der scharfe Geruch seines Oberkörpers. Und während Gerszterkorn noch an seinem Hosenstall nestelt, verwandelt sich das Liebeslied langsam in einen Grabgesang.
Wer den Roman „Schaumhochzeit” der jungen französischen Autorin Karine Tuil liest, mag sich bisweilen ähnlich fühlen wie die Protagonistin Emma, als sie die Bekanntschaft des nägelkauenden Théodore Gerszterkorn macht. In diesem Buch klingt anfangs alles nach einem ironisch erzählten Streifzug durch die altbekannte Problemgeschichte von Mutter und Tochter. Aus der genau kalkulierten Beschreibung körperlicher Konturen und matriarchalischer Kleinigkeiten, eines geblümten Kleides etwa oder fettglänzender Küchenmesser, gewinnt Tuil ein deutliches Bild der mütterlichen Welt, einer Welt, in der das oberste Gesetz lautet: „Heiraten sollst Du und Kinder empfangen!”. Trotzdem sind unter der rauen Oberfläche des penibel vermessenen Hausfrauenreservates die zarten Schwingungen der Liebe zu spüren.
Für Emma Blum, die Tochter, eine Frau von 30 Jahren, die keineswegs an die Ehe denkt, sondern sich einen verheirateten Mann als Geliebten hält, ist das Leben ein fortwährender, doch aussichtsloser Kampf gegen das mütterliche System. Denn die junge Frau lässt sich von der Mutter wie ein kleines Mädchen behandeln und teilt so manches Mal ihre rustikale Weltsicht: „In ein paar Jahren werden nur noch drei Kategorien von Männern für dich übrigbleiben: Geschiedene, Witwer und schizophrene alte Junggesellen.” Erst als Emma und ihr Bruder Paul sich gemeinsam gegen die Mutter auflehnen, erhält deren religiös eingefärbtes Denkgebäude starke Risse. Zugleich beginnt die „Harpyie” mit der rot geäderten Nasenspitze des nachts heimlich in jenen freizügigen Manuskripten zu blättern, die Emma von ihrer Arbeitsstätte in einem Verlag für erotische Bücher mit nach Hause nimmt.
So wie die Mutter nach und nach gegen die selbst auferlegten Gesetze verstößt, bindet sich Emma immer fester an das Korsett der Vorschriften – schließlich heiratet sie sogar den unappetitlichen Théodore Gerszterkorn. Das hätte ein hübscher Konflikt werden können, mit denselben Träumen und Ausbruchsversuchen wie bei jener anderen Emma B., die zwischen den Sätzen ihre Spuren hinterlassen hat. Doch Karine Tuil vertraut weniger Flaubert als den beschaulichen Kalendersprüchen der mütterlichen Küche. Ein klein wenig von jener „zotigen Sprache”, die Emmas Mutter nach der Lektüre der pornografischen Romane an den Tag legt, hätte man sich als Leser auch für dieses Buch gewünscht.
Seite um Seite plätschert Tuils allzu gefälliges Plauderbächlein vor sich hin, verwirbelt sich hier zu einem kleinen Gedanken oder wartet dort mit einer überraschenden Einsicht auf: „Ich war perplex: konnte es sein, dass Paul und ich unsere Mutter nicht auf dieselbe Weise wahrnahmen?” Wenn sie nicht gerade die Wunder der Wahrnehmung entdeckt, kommentiert Tuil das zuvor Erzählte oder greift an den Kapitelenden spannungstötend voraus.„Ich bin den weißen Seiten in die Falle geraten. Gefangen in einem Buch”, philosophiert Emma am Schluss ihrer Lebenserzählung. Doch leider ist es kein Brevier der Liebeslieder geworden, nur eine Sammlung öder Epitaphe.
NICO BLEUTGE
KARINE TUIL: Schaumhochzeit. Roman. Aus dem Französischen von Ralf Pannowitsch. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 2003. 196 Seiten, 16,50 Euro.
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