Eine politische Abenteuergeschichte
"Dies ist mein politischstes und komischstes Buch zugleich", sagt die israelische Comiczeichnerin Rutu Modan. Mit ihrer neuen Graphic Novel zeigt sie, wie man mit den Mitteln der Satire sehr unterhaltsam gegen die Verbohrtheit und für den Frieden kämpfen kann.
Die Suche nach der Bundeslade
Sperranlagen an Grenzen bringen die Menschen dazu, nach Möglichkeiten zu suchen, sie zu umgehen. Stellen Sie sich vor, eine Gruppe Israelis baut einen Tunnel in die Westbank, weil sie dort religiöse Artefakte vermutet. Ebenso zielstrebig bauen Palästinenser in entgegengesetzter Richtung ihren unterirdischen Gang. Als sich diese Wege kreuzen, müssen sie sich irgendwie arrangieren, wenn sie nicht auffliegen wollen.
Eine Gesellschaftssatire
In diesem Comic vermischt Rutu Modan eine Abenteuergeschichte, die an Indiana Jones erinnert, mit einer Gesellschaftssatire über den israelisch-palästinensischen Konflikt. Die Finessen und Wendungen in diesem Comic sind ebenso vielfältig und kompliziert wie in der Lebenswirklichkeit vieler Menschen in Israel und dem Westjordanland. Dabei hält sie sich mit eindeutigen, gar plumpen Meinungsäußerungen zurück, und konzentriert den Blick stattdessen auf die Protagonisten dieses grotesken Stücks: Ärchäologen, Schatzsucher, Schmuggler, die zufällig auch Israelis, Palästinenser oder einfach Menschen sind, die unterhalb der großen Politik ihr Leben meistern müssen. Selten wurde dieser große Konflikt so anregend, so komisch, so abenteuerlich dargestellt!
"Dies ist mein politischstes und komischstes Buch zugleich", sagt die israelische Comiczeichnerin Rutu Modan. Mit ihrer neuen Graphic Novel zeigt sie, wie man mit den Mitteln der Satire sehr unterhaltsam gegen die Verbohrtheit und für den Frieden kämpfen kann.
Die Suche nach der Bundeslade
Sperranlagen an Grenzen bringen die Menschen dazu, nach Möglichkeiten zu suchen, sie zu umgehen. Stellen Sie sich vor, eine Gruppe Israelis baut einen Tunnel in die Westbank, weil sie dort religiöse Artefakte vermutet. Ebenso zielstrebig bauen Palästinenser in entgegengesetzter Richtung ihren unterirdischen Gang. Als sich diese Wege kreuzen, müssen sie sich irgendwie arrangieren, wenn sie nicht auffliegen wollen.
Eine Gesellschaftssatire
In diesem Comic vermischt Rutu Modan eine Abenteuergeschichte, die an Indiana Jones erinnert, mit einer Gesellschaftssatire über den israelisch-palästinensischen Konflikt. Die Finessen und Wendungen in diesem Comic sind ebenso vielfältig und kompliziert wie in der Lebenswirklichkeit vieler Menschen in Israel und dem Westjordanland. Dabei hält sie sich mit eindeutigen, gar plumpen Meinungsäußerungen zurück, und konzentriert den Blick stattdessen auf die Protagonisten dieses grotesken Stücks: Ärchäologen, Schatzsucher, Schmuggler, die zufällig auch Israelis, Palästinenser oder einfach Menschen sind, die unterhalb der großen Politik ihr Leben meistern müssen. Selten wurde dieser große Konflikt so anregend, so komisch, so abenteuerlich dargestellt!
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Eine Frau ist mit ihrem siebenjährigen, Smartphone-süchtigen Sohn auf der Suche nach der Bundeslade und spannt nebenbei jüdische Expansionisten genauso für ihre Zwecke ein wie palästinensische Tunnelbauer und die israelische Armee, fasst Rezensent Andreas Fanizadeh die Handlung dieses "Comicromans" zusammen. Der Kritiker hat die Lektüre des Archäologenabenteuers sehr genossen, vor allem, da es laut ihm nicht nur Spannung, sondern auch satirische Anspielungen auf den palästinensisch-israelischen Konflikt zu bieten hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2021Ein israelisches Spiegelbild in jeder Hinsicht
Alle sieben Jahre kommt ein neues Comicbuch von Rutu Modan. Jetzt ist es wieder so weit: Mit "Tunnel" erzählt sie den Konflikt ums Heilige Land in Gestalt einer schaurig-schönen Groteske.
Als Harrison Ford 1981 zum ersten Mal in die Kinorolle des Archäologieabenteurers Indiana Jones schlüpfte, drehte sich das Filmgeschehen um die Suche nach der Bundeslade, jenem mythischen Kultgegenstand, in dem die Israeliten die Gesetzestafeln des Moses aufbewahrt haben sollen und der bei der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier verschwand. Die biblische Überlieferung will wissen, dass der Prophet Jeremia die Lade in einer Höhle versteckt habe. Ihr Besitz verheißt göttliche Allmacht, was in Steven Spielbergs während der dreißiger Jahre angesiedeltem Hollywood-Vehikel eine Truppe Nazis auf die Spur des jüdischen Heiligtums setzt, denen der edle Amerikaner Indiana Jones zuvorkommen muss. Natürlich ist er dabei erfolgreich, obwohl das Ende des Films manche Frage offenlässt.
Vierzig Jahre nach "Jäger des verlorenen Schatzes" sind nun wieder konkurrierende Gruppen auf der Suche nach der Bundeslade, allerdings nicht auf der Leinwand, sondern im Comic. Ausgedacht hat sich den jemand, die von ähnlicher Bedeutung für ihre Erzählform ist wie Spielberg fürs Kino: Rutu Modan. Die 1966 geborene Israelin macht sich allerdings weitaus rarer als der amerikanische Regisseur. 2006 kam in ihrem Heimatland der Band "Blutspuren" heraus, eine große umfangreiche Comic-Erzählung über die damals häufigen Attentate palästinensischer Terroristen in israelischen Städten. Sieben Jahre später publizierte sie die Graphic Novel "Das Erbe" über eine durch eigene Erlebnisse angeregte Mehrgenerationenreise einer israelischen Familie auf den Spuren ihrer europäischen Vorfahren. Darin kam ein sardonischer Humor zum Vorschein, der die Schoa zusammenbrachte mit einem unbarmherzigen Porträt lauter Egozentriker, die sich im Stil einer Fernsehseifenoper abwechselnd kabbelten und zusammenrauften, ehe alles in einem magischen Moment auf einem Friedhof gipfelte. Und nochmals sieben Jahre danach, im vergangenen Herbst, erschien in Israel der dritte Comicband von Rutu Modan, der jetzt schon auf Deutsch da ist - schneller als die Übersetzungen in Amerika oder Frankreich, wo die Zeichnerin auch bereits große Erfolge gefeiert hat. Der Carlsen Verlag hat die Ausgabe allerdings großenteils gespiegelt, weil im Hebräischen von rechts nach links gelesen und also auch in Bildern so erzählt wird. Dabei liefen Kleinigkeiten schief - übliche wie der abrupte Wechsel von Rechts- zu Linkshändern, doch auch sehr ärgerliche wie vertauschte Sprechblasen.
Dennoch: Einen besseren Jahresauftakt kann man sich gar nicht wünschen, denn Rutu Modan hat ihre Methoden noch einmal verschärft, gewissermaßen drastifiziert. Zunächst zum Inhaltlichen: "Tunnel" heißt die Geschichte, und es ist schade, dass im Deutschen Ein- und Mehrzahl dieses Worts identisch sind, denn der Witz besteht darin, dass mehrere Parteien graben. Da ist zunächst die Hauptfigur, Nili Broshi, die nicht mehr ganz junge Tochter eines ehedem in Israel renommierten Archäologen, der mittlerweile aber in die Demenz abgedriftet ist. Zuvor jedoch wurde er beruflich noch von seinem Kollegen Motke Sarid wegen angeblicher Inkompetenz abserviert, obwohl der seitdem von der Arbeit des Vorgängers profitiert und darüber zur Weltberühmtheit seiner Disziplin geworden ist. Die Demütigung der Familie Broshi wird dadurch komplettiert, dass Nilis jüngerer Bruder Nimrod sich als Sarids Assistent verdingen muss.
Die Tochter hat die Ungerechtigkeit gegenüber ihrem Vater nie vergessen, und plötzlich ergibt sich die Chance zu dessen fachlicher Rehabilitation durch ein Artefakt, das überraschend wieder auftaucht, als der Antikensammler Emil Abuloff seine Kollektion abgibt, nachdem er wegen illegaler Ankäufe beim "Islamischen Staat" ins Zwielicht geraten ist. Auf einer Keilschrifttafel aus der Zeit der Babylonischen Gefangenschaft ist das Versteck der Bundeslade beschrieben; Broshi senior hatte diese Inschrift bereits entziffert, als Nili noch Kind war. Doch seine Ausgrabung musste abgebrochen werden, und danach war die Tafel niemandem mehr zugänglich. Nun will Nili das Projekt des Vaters zum verspäteten Erfolg führen. Ihr Problem: Der ehemalige Grabungstunnel befindet sich heute auf dem Gebiet der palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland, und die riesige israelische Schutzmauer zur Abwehr von Terrorismus steht im Weg. Es braucht einen zweiten Tunnel, der darunter durchführt.
Um ein sehr komplexes Personengefüge hier knapp zu halten: Nili bedient sich der Hilfe einer jüdisch-orthodoxen Jugendgruppe um den Prediger Shmuël Gedanken, die darin geübt ist, Ausgrabungen an für Juden heiligen Orten zu verhindern, aber nun umso begeisterter selbst buddelt, weil die Chance besteht, eine Rechtfertigung für jahrtausendealte jüdische Präsenz auf palästinensischem Terrain zu finden. Von der Gegenseite her aber gräbt der Palästinenser Mahdi an einem Tunnel nach Israel, durch den Güter ins Autonomiegebiet geschmuggelt werden sollen, und da Mahdis Vater zum Ausgrabungsteam von Vater Broshi gehörte, weiß der Sohn um den alten Tunnel, den er für seine neuen Zwecke nutzen will.
Die Tunnelgräber begegnen sich unter Tage, die Streitfrage um ältere Rechte eskaliert im archäologischen Mikrokosmos. Zumal Mahdi und Nimrod eine heimliche homosexuelle Beziehung unterhalten und auch noch Motke Sarid auf der Ausgrabungsstätte aktiv wird. Dass auf palästinensischer Seite Sprengstoff im alten Tunnel gelagert ist, fällt da kaum mehr ins Gewicht, sorgt aber für ganzseitigen Knalleffekt.
Modan bezieht also alle Seiten des Konflikts ums Heilige Land mit ein und überführt das Ganze in eine aberwitzige private Konkurrenz, die man als groteske Allegorie lesen kann oder als komödiantische Abenteuergeschichte. Ihren graphischen Stil, der sich immer schon an der von Hergé begründeten Ligne claire orientierte, hat Modan weiter perfektioniert, was in diesem Falle bedeutet: vereinfacht. Die Figuren sind bewusst ganz statisch gehalten, damit diese scheinbar kindgerechte Darstellung die ebenso politische wie ideologische Brisanz der Geschichte kaschiert - was wie "Tim und Struppi" aussieht, gerade auch in den stilisierten Dekors oder der Ausstaffierung der Hauptfigur Nili mit heller Knickerbockerhose und blauem Pullover, das kann doch nur harmlos sein! Aber so wie es das bei Hergé schon nicht war, ist es das auch in Modans "Tunnel" nicht. Eine Tragödie zeichnet sie als Farce.
Dabei lernt man immens viel über die Konflikte in Israel, und obwohl Rutu Modan sich politisch auf der Linken verortet, ist ihre Haltung gegenüber allen Akteuren ihres Comics eine spöttische. Die Lektüre mit den zahllosen bizarren Wendungen ist ein einziges Vergnügen, und das lustvolle Nebeneinander von Klischees und Aktualitäten macht dieser Zeichnerin kaum jemand so schnell nach. Allein wie sie am Schluss den "Islamischen Staat" noch einmal ins böse Spiel bringt, ist die zweihundertsiebzigseitige Lektüre wert. Da bleiben keine Fragen offen und sicher keine Augen trocken.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alle sieben Jahre kommt ein neues Comicbuch von Rutu Modan. Jetzt ist es wieder so weit: Mit "Tunnel" erzählt sie den Konflikt ums Heilige Land in Gestalt einer schaurig-schönen Groteske.
Als Harrison Ford 1981 zum ersten Mal in die Kinorolle des Archäologieabenteurers Indiana Jones schlüpfte, drehte sich das Filmgeschehen um die Suche nach der Bundeslade, jenem mythischen Kultgegenstand, in dem die Israeliten die Gesetzestafeln des Moses aufbewahrt haben sollen und der bei der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier verschwand. Die biblische Überlieferung will wissen, dass der Prophet Jeremia die Lade in einer Höhle versteckt habe. Ihr Besitz verheißt göttliche Allmacht, was in Steven Spielbergs während der dreißiger Jahre angesiedeltem Hollywood-Vehikel eine Truppe Nazis auf die Spur des jüdischen Heiligtums setzt, denen der edle Amerikaner Indiana Jones zuvorkommen muss. Natürlich ist er dabei erfolgreich, obwohl das Ende des Films manche Frage offenlässt.
Vierzig Jahre nach "Jäger des verlorenen Schatzes" sind nun wieder konkurrierende Gruppen auf der Suche nach der Bundeslade, allerdings nicht auf der Leinwand, sondern im Comic. Ausgedacht hat sich den jemand, die von ähnlicher Bedeutung für ihre Erzählform ist wie Spielberg fürs Kino: Rutu Modan. Die 1966 geborene Israelin macht sich allerdings weitaus rarer als der amerikanische Regisseur. 2006 kam in ihrem Heimatland der Band "Blutspuren" heraus, eine große umfangreiche Comic-Erzählung über die damals häufigen Attentate palästinensischer Terroristen in israelischen Städten. Sieben Jahre später publizierte sie die Graphic Novel "Das Erbe" über eine durch eigene Erlebnisse angeregte Mehrgenerationenreise einer israelischen Familie auf den Spuren ihrer europäischen Vorfahren. Darin kam ein sardonischer Humor zum Vorschein, der die Schoa zusammenbrachte mit einem unbarmherzigen Porträt lauter Egozentriker, die sich im Stil einer Fernsehseifenoper abwechselnd kabbelten und zusammenrauften, ehe alles in einem magischen Moment auf einem Friedhof gipfelte. Und nochmals sieben Jahre danach, im vergangenen Herbst, erschien in Israel der dritte Comicband von Rutu Modan, der jetzt schon auf Deutsch da ist - schneller als die Übersetzungen in Amerika oder Frankreich, wo die Zeichnerin auch bereits große Erfolge gefeiert hat. Der Carlsen Verlag hat die Ausgabe allerdings großenteils gespiegelt, weil im Hebräischen von rechts nach links gelesen und also auch in Bildern so erzählt wird. Dabei liefen Kleinigkeiten schief - übliche wie der abrupte Wechsel von Rechts- zu Linkshändern, doch auch sehr ärgerliche wie vertauschte Sprechblasen.
Dennoch: Einen besseren Jahresauftakt kann man sich gar nicht wünschen, denn Rutu Modan hat ihre Methoden noch einmal verschärft, gewissermaßen drastifiziert. Zunächst zum Inhaltlichen: "Tunnel" heißt die Geschichte, und es ist schade, dass im Deutschen Ein- und Mehrzahl dieses Worts identisch sind, denn der Witz besteht darin, dass mehrere Parteien graben. Da ist zunächst die Hauptfigur, Nili Broshi, die nicht mehr ganz junge Tochter eines ehedem in Israel renommierten Archäologen, der mittlerweile aber in die Demenz abgedriftet ist. Zuvor jedoch wurde er beruflich noch von seinem Kollegen Motke Sarid wegen angeblicher Inkompetenz abserviert, obwohl der seitdem von der Arbeit des Vorgängers profitiert und darüber zur Weltberühmtheit seiner Disziplin geworden ist. Die Demütigung der Familie Broshi wird dadurch komplettiert, dass Nilis jüngerer Bruder Nimrod sich als Sarids Assistent verdingen muss.
Die Tochter hat die Ungerechtigkeit gegenüber ihrem Vater nie vergessen, und plötzlich ergibt sich die Chance zu dessen fachlicher Rehabilitation durch ein Artefakt, das überraschend wieder auftaucht, als der Antikensammler Emil Abuloff seine Kollektion abgibt, nachdem er wegen illegaler Ankäufe beim "Islamischen Staat" ins Zwielicht geraten ist. Auf einer Keilschrifttafel aus der Zeit der Babylonischen Gefangenschaft ist das Versteck der Bundeslade beschrieben; Broshi senior hatte diese Inschrift bereits entziffert, als Nili noch Kind war. Doch seine Ausgrabung musste abgebrochen werden, und danach war die Tafel niemandem mehr zugänglich. Nun will Nili das Projekt des Vaters zum verspäteten Erfolg führen. Ihr Problem: Der ehemalige Grabungstunnel befindet sich heute auf dem Gebiet der palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland, und die riesige israelische Schutzmauer zur Abwehr von Terrorismus steht im Weg. Es braucht einen zweiten Tunnel, der darunter durchführt.
Um ein sehr komplexes Personengefüge hier knapp zu halten: Nili bedient sich der Hilfe einer jüdisch-orthodoxen Jugendgruppe um den Prediger Shmuël Gedanken, die darin geübt ist, Ausgrabungen an für Juden heiligen Orten zu verhindern, aber nun umso begeisterter selbst buddelt, weil die Chance besteht, eine Rechtfertigung für jahrtausendealte jüdische Präsenz auf palästinensischem Terrain zu finden. Von der Gegenseite her aber gräbt der Palästinenser Mahdi an einem Tunnel nach Israel, durch den Güter ins Autonomiegebiet geschmuggelt werden sollen, und da Mahdis Vater zum Ausgrabungsteam von Vater Broshi gehörte, weiß der Sohn um den alten Tunnel, den er für seine neuen Zwecke nutzen will.
Die Tunnelgräber begegnen sich unter Tage, die Streitfrage um ältere Rechte eskaliert im archäologischen Mikrokosmos. Zumal Mahdi und Nimrod eine heimliche homosexuelle Beziehung unterhalten und auch noch Motke Sarid auf der Ausgrabungsstätte aktiv wird. Dass auf palästinensischer Seite Sprengstoff im alten Tunnel gelagert ist, fällt da kaum mehr ins Gewicht, sorgt aber für ganzseitigen Knalleffekt.
Modan bezieht also alle Seiten des Konflikts ums Heilige Land mit ein und überführt das Ganze in eine aberwitzige private Konkurrenz, die man als groteske Allegorie lesen kann oder als komödiantische Abenteuergeschichte. Ihren graphischen Stil, der sich immer schon an der von Hergé begründeten Ligne claire orientierte, hat Modan weiter perfektioniert, was in diesem Falle bedeutet: vereinfacht. Die Figuren sind bewusst ganz statisch gehalten, damit diese scheinbar kindgerechte Darstellung die ebenso politische wie ideologische Brisanz der Geschichte kaschiert - was wie "Tim und Struppi" aussieht, gerade auch in den stilisierten Dekors oder der Ausstaffierung der Hauptfigur Nili mit heller Knickerbockerhose und blauem Pullover, das kann doch nur harmlos sein! Aber so wie es das bei Hergé schon nicht war, ist es das auch in Modans "Tunnel" nicht. Eine Tragödie zeichnet sie als Farce.
Dabei lernt man immens viel über die Konflikte in Israel, und obwohl Rutu Modan sich politisch auf der Linken verortet, ist ihre Haltung gegenüber allen Akteuren ihres Comics eine spöttische. Die Lektüre mit den zahllosen bizarren Wendungen ist ein einziges Vergnügen, und das lustvolle Nebeneinander von Klischees und Aktualitäten macht dieser Zeichnerin kaum jemand so schnell nach. Allein wie sie am Schluss den "Islamischen Staat" noch einmal ins böse Spiel bringt, ist die zweihundertsiebzigseitige Lektüre wert. Da bleiben keine Fragen offen und sicher keine Augen trocken.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die Lektüre mit den zahllosen bizarren Wendungen ist ein einziges Vergnügen [...]." Andreas Platthaus Frankfurter Allgemeine Zeitung 20210107