Eine politische Abenteuergeschichte
"Dies ist mein politischstes und komischstes Buch zugleich", sagt die israelische Comiczeichnerin Rutu Modan. Mit ihrer neuen Graphic Novel zeigt sie, wie man mit den Mitteln der Satire sehr unterhaltsam gegen die Verbohrtheit und für den Frieden kämpfen kann.
Die Suche nach der Bundeslade
Sperranlagen an Grenzen bringen die Menschen dazu, nach Möglichkeiten zu suchen, sie zu umgehen. Stellen Sie sich vor, eine Gruppe Israelis baut einen Tunnel in die Westbank, weil sie dort religiöse Artefakte vermutet. Ebenso zielstrebig bauen Palästinenser in entgegengesetzter Richtung ihren unterirdischen Gang. Als sich diese Wege kreuzen, müssen sie sich irgendwie arrangieren, wenn sie nicht auffliegen wollen.
Eine Gesellschaftssatire
In diesem Comic vermischt Rutu Modan eine Abenteuergeschichte, die an Indiana Jones erinnert, mit einer Gesellschaftssatire über den israelisch-palästinensischen Konflikt. Die Finessen und Wendungen in diesem Comic sind ebenso vielfältig und kompliziert wie in der Lebenswirklichkeit vieler Menschen in Israel und dem Westjordanland. Dabei hält sie sich mit eindeutigen, gar plumpen Meinungsäußerungen zurück, und konzentriert den Blick stattdessen auf die Protagonisten dieses grotesken Stücks: Ärchäologen, Schatzsucher, Schmuggler, die zufällig auch Israelis, Palästinenser oder einfach Menschen sind, die unterhalb der großen Politik ihr Leben meistern müssen. Selten wurde dieser große Konflikt so anregend, so komisch, so abenteuerlich dargestellt!
"Dies ist mein politischstes und komischstes Buch zugleich", sagt die israelische Comiczeichnerin Rutu Modan. Mit ihrer neuen Graphic Novel zeigt sie, wie man mit den Mitteln der Satire sehr unterhaltsam gegen die Verbohrtheit und für den Frieden kämpfen kann.
Die Suche nach der Bundeslade
Sperranlagen an Grenzen bringen die Menschen dazu, nach Möglichkeiten zu suchen, sie zu umgehen. Stellen Sie sich vor, eine Gruppe Israelis baut einen Tunnel in die Westbank, weil sie dort religiöse Artefakte vermutet. Ebenso zielstrebig bauen Palästinenser in entgegengesetzter Richtung ihren unterirdischen Gang. Als sich diese Wege kreuzen, müssen sie sich irgendwie arrangieren, wenn sie nicht auffliegen wollen.
Eine Gesellschaftssatire
In diesem Comic vermischt Rutu Modan eine Abenteuergeschichte, die an Indiana Jones erinnert, mit einer Gesellschaftssatire über den israelisch-palästinensischen Konflikt. Die Finessen und Wendungen in diesem Comic sind ebenso vielfältig und kompliziert wie in der Lebenswirklichkeit vieler Menschen in Israel und dem Westjordanland. Dabei hält sie sich mit eindeutigen, gar plumpen Meinungsäußerungen zurück, und konzentriert den Blick stattdessen auf die Protagonisten dieses grotesken Stücks: Ärchäologen, Schatzsucher, Schmuggler, die zufällig auch Israelis, Palästinenser oder einfach Menschen sind, die unterhalb der großen Politik ihr Leben meistern müssen. Selten wurde dieser große Konflikt so anregend, so komisch, so abenteuerlich dargestellt!
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Eine Frau ist mit ihrem siebenjährigen, Smartphone-süchtigen Sohn auf der Suche nach der Bundeslade und spannt nebenbei jüdische Expansionisten genauso für ihre Zwecke ein wie palästinensische Tunnelbauer und die israelische Armee, fasst Rezensent Andreas Fanizadeh die Handlung dieses "Comicromans" zusammen. Der Kritiker hat die Lektüre des Archäologenabenteuers sehr genossen, vor allem, da es laut ihm nicht nur Spannung, sondern auch satirische Anspielungen auf den palästinensisch-israelischen Konflikt zu bieten hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2021Ein israelisches Spiegelbild in jeder Hinsicht
Alle sieben Jahre kommt ein neues Comicbuch von Rutu Modan. Jetzt ist es wieder so weit: Mit "Tunnel" erzählt sie den Konflikt ums Heilige Land in Gestalt einer schaurig-schönen Groteske.
Als Harrison Ford 1981 zum ersten Mal in die Kinorolle des Archäologieabenteurers Indiana Jones schlüpfte, drehte sich das Filmgeschehen um die Suche nach der Bundeslade, jenem mythischen Kultgegenstand, in dem die Israeliten die Gesetzestafeln des Moses aufbewahrt haben sollen und der bei der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier verschwand. Die biblische Überlieferung will wissen, dass der Prophet Jeremia die Lade in einer Höhle versteckt habe. Ihr Besitz verheißt göttliche Allmacht, was in Steven Spielbergs während der dreißiger Jahre angesiedeltem Hollywood-Vehikel eine Truppe Nazis auf die Spur des jüdischen Heiligtums setzt, denen der edle Amerikaner Indiana Jones zuvorkommen muss. Natürlich ist er dabei erfolgreich, obwohl das Ende des Films manche Frage offenlässt.
Vierzig Jahre nach "Jäger des verlorenen Schatzes" sind nun wieder konkurrierende Gruppen auf der Suche nach der Bundeslade, allerdings nicht auf der Leinwand, sondern im Comic. Ausgedacht hat sich den jemand, die von ähnlicher Bedeutung für ihre Erzählform ist wie Spielberg fürs Kino: Rutu Modan. Die 1966 geborene Israelin macht sich allerdings weitaus rarer als der amerikanische Regisseur. 2006 kam in ihrem Heimatland der Band "Blutspuren" heraus, eine große umfangreiche Comic-Erzählung über die damals häufigen Attentate palästinensischer Terroristen in israelischen Städten. Sieben Jahre später publizierte sie die Graphic Novel "Das Erbe" über eine durch eigene Erlebnisse angeregte Mehrgenerationenreise einer israelischen Familie auf den Spuren ihrer europäischen Vorfahren. Darin kam ein sardonischer Humor zum Vorschein, der die Schoa zusammenbrachte mit einem unbarmherzigen Porträt lauter Egozentriker, die sich im Stil einer Fernsehseifenoper abwechselnd kabbelten und zusammenrauften, ehe alles in einem magischen Moment auf einem Friedhof gipfelte. Und nochmals sieben Jahre danach, im vergangenen Herbst, erschien in Israel der dritte Comicband von Rutu Modan, der jetzt schon auf Deutsch da ist - schneller als die Übersetzungen in Amerika oder Frankreich, wo die Zeichnerin auch bereits große Erfolge gefeiert hat. Der Carlsen Verlag hat die Ausgabe allerdings großenteils gespiegelt, weil im Hebräischen von rechts nach links gelesen und also auch in Bildern so erzählt wird. Dabei liefen Kleinigkeiten schief - übliche wie der abrupte Wechsel von Rechts- zu Linkshändern, doch auch sehr ärgerliche wie vertauschte Sprechblasen.
Dennoch: Einen besseren Jahresauftakt kann man sich gar nicht wünschen, denn Rutu Modan hat ihre Methoden noch einmal verschärft, gewissermaßen drastifiziert. Zunächst zum Inhaltlichen: "Tunnel" heißt die Geschichte, und es ist schade, dass im Deutschen Ein- und Mehrzahl dieses Worts identisch sind, denn der Witz besteht darin, dass mehrere Parteien graben. Da ist zunächst die Hauptfigur, Nili Broshi, die nicht mehr ganz junge Tochter eines ehedem in Israel renommierten Archäologen, der mittlerweile aber in die Demenz abgedriftet ist. Zuvor jedoch wurde er beruflich noch von seinem Kollegen Motke Sarid wegen angeblicher Inkompetenz abserviert, obwohl der seitdem von der Arbeit des Vorgängers profitiert und darüber zur Weltberühmtheit seiner Disziplin geworden ist. Die Demütigung der Familie Broshi wird dadurch komplettiert, dass Nilis jüngerer Bruder Nimrod sich als Sarids Assistent verdingen muss.
Die Tochter hat die Ungerechtigkeit gegenüber ihrem Vater nie vergessen, und plötzlich ergibt sich die Chance zu dessen fachlicher Rehabilitation durch ein Artefakt, das überraschend wieder auftaucht, als der Antikensammler Emil Abuloff seine Kollektion abgibt, nachdem er wegen illegaler Ankäufe beim "Islamischen Staat" ins Zwielicht geraten ist. Auf einer Keilschrifttafel aus der Zeit der Babylonischen Gefangenschaft ist das Versteck der Bundeslade beschrieben; Broshi senior hatte diese Inschrift bereits entziffert, als Nili noch Kind war. Doch seine Ausgrabung musste abgebrochen werden, und danach war die Tafel niemandem mehr zugänglich. Nun will Nili das Projekt des Vaters zum verspäteten Erfolg führen. Ihr Problem: Der ehemalige Grabungstunnel befindet sich heute auf dem Gebiet der palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland, und die riesige israelische Schutzmauer zur Abwehr von Terrorismus steht im Weg. Es braucht einen zweiten Tunnel, der darunter durchführt.
Um ein sehr komplexes Personengefüge hier knapp zu halten: Nili bedient sich der Hilfe einer jüdisch-orthodoxen Jugendgruppe um den Prediger Shmuël Gedanken, die darin geübt ist, Ausgrabungen an für Juden heiligen Orten zu verhindern, aber nun umso begeisterter selbst buddelt, weil die Chance besteht, eine Rechtfertigung für jahrtausendealte jüdische Präsenz auf palästinensischem Terrain zu finden. Von der Gegenseite her aber gräbt der Palästinenser Mahdi an einem Tunnel nach Israel, durch den Güter ins Autonomiegebiet geschmuggelt werden sollen, und da Mahdis Vater zum Ausgrabungsteam von Vater Broshi gehörte, weiß der Sohn um den alten Tunnel, den er für seine neuen Zwecke nutzen will.
Die Tunnelgräber begegnen sich unter Tage, die Streitfrage um ältere Rechte eskaliert im archäologischen Mikrokosmos. Zumal Mahdi und Nimrod eine heimliche homosexuelle Beziehung unterhalten und auch noch Motke Sarid auf der Ausgrabungsstätte aktiv wird. Dass auf palästinensischer Seite Sprengstoff im alten Tunnel gelagert ist, fällt da kaum mehr ins Gewicht, sorgt aber für ganzseitigen Knalleffekt.
Modan bezieht also alle Seiten des Konflikts ums Heilige Land mit ein und überführt das Ganze in eine aberwitzige private Konkurrenz, die man als groteske Allegorie lesen kann oder als komödiantische Abenteuergeschichte. Ihren graphischen Stil, der sich immer schon an der von Hergé begründeten Ligne claire orientierte, hat Modan weiter perfektioniert, was in diesem Falle bedeutet: vereinfacht. Die Figuren sind bewusst ganz statisch gehalten, damit diese scheinbar kindgerechte Darstellung die ebenso politische wie ideologische Brisanz der Geschichte kaschiert - was wie "Tim und Struppi" aussieht, gerade auch in den stilisierten Dekors oder der Ausstaffierung der Hauptfigur Nili mit heller Knickerbockerhose und blauem Pullover, das kann doch nur harmlos sein! Aber so wie es das bei Hergé schon nicht war, ist es das auch in Modans "Tunnel" nicht. Eine Tragödie zeichnet sie als Farce.
Dabei lernt man immens viel über die Konflikte in Israel, und obwohl Rutu Modan sich politisch auf der Linken verortet, ist ihre Haltung gegenüber allen Akteuren ihres Comics eine spöttische. Die Lektüre mit den zahllosen bizarren Wendungen ist ein einziges Vergnügen, und das lustvolle Nebeneinander von Klischees und Aktualitäten macht dieser Zeichnerin kaum jemand so schnell nach. Allein wie sie am Schluss den "Islamischen Staat" noch einmal ins böse Spiel bringt, ist die zweihundertsiebzigseitige Lektüre wert. Da bleiben keine Fragen offen und sicher keine Augen trocken.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alle sieben Jahre kommt ein neues Comicbuch von Rutu Modan. Jetzt ist es wieder so weit: Mit "Tunnel" erzählt sie den Konflikt ums Heilige Land in Gestalt einer schaurig-schönen Groteske.
Als Harrison Ford 1981 zum ersten Mal in die Kinorolle des Archäologieabenteurers Indiana Jones schlüpfte, drehte sich das Filmgeschehen um die Suche nach der Bundeslade, jenem mythischen Kultgegenstand, in dem die Israeliten die Gesetzestafeln des Moses aufbewahrt haben sollen und der bei der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier verschwand. Die biblische Überlieferung will wissen, dass der Prophet Jeremia die Lade in einer Höhle versteckt habe. Ihr Besitz verheißt göttliche Allmacht, was in Steven Spielbergs während der dreißiger Jahre angesiedeltem Hollywood-Vehikel eine Truppe Nazis auf die Spur des jüdischen Heiligtums setzt, denen der edle Amerikaner Indiana Jones zuvorkommen muss. Natürlich ist er dabei erfolgreich, obwohl das Ende des Films manche Frage offenlässt.
Vierzig Jahre nach "Jäger des verlorenen Schatzes" sind nun wieder konkurrierende Gruppen auf der Suche nach der Bundeslade, allerdings nicht auf der Leinwand, sondern im Comic. Ausgedacht hat sich den jemand, die von ähnlicher Bedeutung für ihre Erzählform ist wie Spielberg fürs Kino: Rutu Modan. Die 1966 geborene Israelin macht sich allerdings weitaus rarer als der amerikanische Regisseur. 2006 kam in ihrem Heimatland der Band "Blutspuren" heraus, eine große umfangreiche Comic-Erzählung über die damals häufigen Attentate palästinensischer Terroristen in israelischen Städten. Sieben Jahre später publizierte sie die Graphic Novel "Das Erbe" über eine durch eigene Erlebnisse angeregte Mehrgenerationenreise einer israelischen Familie auf den Spuren ihrer europäischen Vorfahren. Darin kam ein sardonischer Humor zum Vorschein, der die Schoa zusammenbrachte mit einem unbarmherzigen Porträt lauter Egozentriker, die sich im Stil einer Fernsehseifenoper abwechselnd kabbelten und zusammenrauften, ehe alles in einem magischen Moment auf einem Friedhof gipfelte. Und nochmals sieben Jahre danach, im vergangenen Herbst, erschien in Israel der dritte Comicband von Rutu Modan, der jetzt schon auf Deutsch da ist - schneller als die Übersetzungen in Amerika oder Frankreich, wo die Zeichnerin auch bereits große Erfolge gefeiert hat. Der Carlsen Verlag hat die Ausgabe allerdings großenteils gespiegelt, weil im Hebräischen von rechts nach links gelesen und also auch in Bildern so erzählt wird. Dabei liefen Kleinigkeiten schief - übliche wie der abrupte Wechsel von Rechts- zu Linkshändern, doch auch sehr ärgerliche wie vertauschte Sprechblasen.
Dennoch: Einen besseren Jahresauftakt kann man sich gar nicht wünschen, denn Rutu Modan hat ihre Methoden noch einmal verschärft, gewissermaßen drastifiziert. Zunächst zum Inhaltlichen: "Tunnel" heißt die Geschichte, und es ist schade, dass im Deutschen Ein- und Mehrzahl dieses Worts identisch sind, denn der Witz besteht darin, dass mehrere Parteien graben. Da ist zunächst die Hauptfigur, Nili Broshi, die nicht mehr ganz junge Tochter eines ehedem in Israel renommierten Archäologen, der mittlerweile aber in die Demenz abgedriftet ist. Zuvor jedoch wurde er beruflich noch von seinem Kollegen Motke Sarid wegen angeblicher Inkompetenz abserviert, obwohl der seitdem von der Arbeit des Vorgängers profitiert und darüber zur Weltberühmtheit seiner Disziplin geworden ist. Die Demütigung der Familie Broshi wird dadurch komplettiert, dass Nilis jüngerer Bruder Nimrod sich als Sarids Assistent verdingen muss.
Die Tochter hat die Ungerechtigkeit gegenüber ihrem Vater nie vergessen, und plötzlich ergibt sich die Chance zu dessen fachlicher Rehabilitation durch ein Artefakt, das überraschend wieder auftaucht, als der Antikensammler Emil Abuloff seine Kollektion abgibt, nachdem er wegen illegaler Ankäufe beim "Islamischen Staat" ins Zwielicht geraten ist. Auf einer Keilschrifttafel aus der Zeit der Babylonischen Gefangenschaft ist das Versteck der Bundeslade beschrieben; Broshi senior hatte diese Inschrift bereits entziffert, als Nili noch Kind war. Doch seine Ausgrabung musste abgebrochen werden, und danach war die Tafel niemandem mehr zugänglich. Nun will Nili das Projekt des Vaters zum verspäteten Erfolg führen. Ihr Problem: Der ehemalige Grabungstunnel befindet sich heute auf dem Gebiet der palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland, und die riesige israelische Schutzmauer zur Abwehr von Terrorismus steht im Weg. Es braucht einen zweiten Tunnel, der darunter durchführt.
Um ein sehr komplexes Personengefüge hier knapp zu halten: Nili bedient sich der Hilfe einer jüdisch-orthodoxen Jugendgruppe um den Prediger Shmuël Gedanken, die darin geübt ist, Ausgrabungen an für Juden heiligen Orten zu verhindern, aber nun umso begeisterter selbst buddelt, weil die Chance besteht, eine Rechtfertigung für jahrtausendealte jüdische Präsenz auf palästinensischem Terrain zu finden. Von der Gegenseite her aber gräbt der Palästinenser Mahdi an einem Tunnel nach Israel, durch den Güter ins Autonomiegebiet geschmuggelt werden sollen, und da Mahdis Vater zum Ausgrabungsteam von Vater Broshi gehörte, weiß der Sohn um den alten Tunnel, den er für seine neuen Zwecke nutzen will.
Die Tunnelgräber begegnen sich unter Tage, die Streitfrage um ältere Rechte eskaliert im archäologischen Mikrokosmos. Zumal Mahdi und Nimrod eine heimliche homosexuelle Beziehung unterhalten und auch noch Motke Sarid auf der Ausgrabungsstätte aktiv wird. Dass auf palästinensischer Seite Sprengstoff im alten Tunnel gelagert ist, fällt da kaum mehr ins Gewicht, sorgt aber für ganzseitigen Knalleffekt.
Modan bezieht also alle Seiten des Konflikts ums Heilige Land mit ein und überführt das Ganze in eine aberwitzige private Konkurrenz, die man als groteske Allegorie lesen kann oder als komödiantische Abenteuergeschichte. Ihren graphischen Stil, der sich immer schon an der von Hergé begründeten Ligne claire orientierte, hat Modan weiter perfektioniert, was in diesem Falle bedeutet: vereinfacht. Die Figuren sind bewusst ganz statisch gehalten, damit diese scheinbar kindgerechte Darstellung die ebenso politische wie ideologische Brisanz der Geschichte kaschiert - was wie "Tim und Struppi" aussieht, gerade auch in den stilisierten Dekors oder der Ausstaffierung der Hauptfigur Nili mit heller Knickerbockerhose und blauem Pullover, das kann doch nur harmlos sein! Aber so wie es das bei Hergé schon nicht war, ist es das auch in Modans "Tunnel" nicht. Eine Tragödie zeichnet sie als Farce.
Dabei lernt man immens viel über die Konflikte in Israel, und obwohl Rutu Modan sich politisch auf der Linken verortet, ist ihre Haltung gegenüber allen Akteuren ihres Comics eine spöttische. Die Lektüre mit den zahllosen bizarren Wendungen ist ein einziges Vergnügen, und das lustvolle Nebeneinander von Klischees und Aktualitäten macht dieser Zeichnerin kaum jemand so schnell nach. Allein wie sie am Schluss den "Islamischen Staat" noch einmal ins böse Spiel bringt, ist die zweihundertsiebzigseitige Lektüre wert. Da bleiben keine Fragen offen und sicher keine Augen trocken.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.01.2021Jäger der verlorenen Bundeslade
In ihrem neuen Comic „Tunnel“ zeichnet die Israelin Rutu Modan den Nahost-Konflikt als Komödie
Weit haben die jüdischen Schatzsucher ihren Tunnel in die Erde getrieben. Da hören sie plötzlich Stimmen, und durch einen Riss in der Wand dringt Licht. Ein paar beherzte Hammerschläge bringen einen zweiten, gegenläufigen Tunnel zum Vorschein. Zwei Palästinenser sind in ihm zugange, professionell mit Sauerstoffgeräten ausgerüstet. Hacken werden drohend erhoben, eine Pistole gezückt. Für einen Moment scheint es, als würde der Bruderkrieg sich unter Tage fortsetzen.
Es ist eine wilde, immer wieder sehr komische Geschichte, die Rutu Modan in ihrem Comic „Tunnel“ erzählt. Im Zentrum steht ein Abenteuer, die Suche nach der Bundeslade, die von der israelischen Comic-Künstlerin so spannend wie ironisch als Schatzsuche auf den Spuren von Indiana Jones inszeniert wird. Klar, dass dabei auch der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern eine entscheidende Rolle spielt, immerhin wird illegal unter der Erde der Westbank gegraben.
Rutu Modans Indiana Jones heißt Nili. Sie ist die Tochter des berühmten Archäologen Israel Broshi, bei dessen Ausgrabungen sie schon als Kind mitgeholfen hat. Nun ist Israel ein dementer alter Mann, der wie ein Kleinkind versorgt werden muss. Nili beschließt daher, auf eigene Faust das größte Unternehmen ihres Vaters fortzusetzen: das Auffinden der Bundeslade, jener hölzernen Truhe, in der der Bibel zufolge die zwei Steintafeln mit den Zehn Geboten aufbewahrt wurden, die Moses von Gott auf dem Berg Sinai empfangen hat. An einem geheimen Ort ist dieser heilige Gegenstand nach der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier von einem Tempelpriester versteckt worden. Nili, die eine ebenso leidenschaftliche wie offenbar begnadete Archäologin ist, kann die Keilschrift auf einer Tontafel mühelos entziffern und meint fortan zu wissen, wo die Lade liegt. Der Haken dabei: Der Ort befindet sich hinter der hohen Schutzmauer, die das israelische Territorium vor Terrorangriffen schützen soll. Also hilft nur eins: Es muss gegraben werden, und Nili schafft es tatsächlich, orthodoxe Juden und Palästinenser zur Zusammenarbeit zu überreden.
Israel ist kein klassisches Comic-Land, aber es gibt eine interessante Szene, zu deren wichtigsten Vertretern die 1966 geborene Rutu Modan zählt. In „Blutspuren“ (2006), ihrem Debüt, macht sich ein Taxifahrer auf die Suche nach seinem Vater, den er seit Jahren nicht gesehen hat und von dem dessen junge Geliebte glaubt, er sei einem Selbstmordanschlag zum Opfer gefallen. In der doppeldeutig betitelten Graphic Novel „Das Erbe“ (2013) reist eine 90-Jährige mit ihrer Enkelin von Tel Aviv nach Warschau, um Anspruch auf ihr im Zweiten Weltkrieg geraubtes Elternhaus zu erheben. Zugleich geht es um die Frage, welches Verhältnis nachwachsende Generationen – nicht nur in Israel – zum Holocaust entwickeln können.
Mit knapp 280 Seiten ist „Tunnel“ Modans bislang umfangreichste und ambitionierteste Arbeit. Die Vielzahl an Figuren ermöglicht manche Verästelungen der Geschichte. Dabei schöpft sie aus der Vergangenheit und Gegenwart Israels, um die spezielle Situation des Landes als einer von außen bedrohten und im Inneren zerrissenen Nation zu schildern. Mit der Gestalt des cleveren Shmuël und seiner naiven jugendlichen Ausgrabungshelfer macht Modan sich über die Strenggläubigen und deren teilweise handfest rassistischen Ansichten lustig.
„Tunnel“ ist aber auch die Geschichte einer Archäologen-Familie, in der alle irgendwie besessen sind, ein Abbild der politisch-religiösen Konflikte im Land: Nili hat nur noch die Bundeslade im Kopf; ihr Sohn greift sich bei jeder Gelegenheit ein – notfalls fremdes – Handy; und Nilis jüngerer Bruder will unbedingt im akademischen Betrieb landen. Um die ersehnte Festanstellung am archäologischen Institut zu erhalten, dient er sich skrupellos einem früheren Kollegen und Konkurrenten seines Vaters an, einem Egozentriker, dessen Motto lautet: „Wichtig ist nicht, wer die Lade findet. Wichtig ist, wer den Fachaufsatz dazu schreibt.“ „Tunnel“ ist so auch eine Universitätssatire, in der die Eitelkeiten und verzwickten Abhängigkeitsverhältnisse der akademischen Welt auf die Schippe genommen werden.
In Modans Debüt „Blutspuren“ gibt es komische Momente, „Das Erbe“ ist eine Tragikomödie. Mit „Tunnel“ ist Modan bei der Komödie angekommen, mit allem, was dazugehört: groteske Wendungen, Karikaturen und Klischees, übertriebene Mimik und Gestik. Ihrem Ligne-claire-Stil ist sie zwar treu geblieben, aber hat die Figuren viel humorvoller gezeichnet als in früheren Arbeiten. Hier stellt sie sich allerdings leider nicht allzu geschickt an; die semirealistische Figurendarstellung liegt ihr mehr. Das ist aber der einzige Einwand gegen diesen Band. Ansonsten genießt man von Seite zu Seite mehr, wie es Modan gelingt, in der Komik den Ernst durchscheinen zu lassen und allem Ernsten komische Seiten abzugewinnen – am Ende sogar dem IS.
CHRISTOPH HAAS
Das Ernste im Komischen, das Komische im Ernsten: Szene aus Rutu Modans „Tunnel“.
Abb.: Carlsen Verlag
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In ihrem neuen Comic „Tunnel“ zeichnet die Israelin Rutu Modan den Nahost-Konflikt als Komödie
Weit haben die jüdischen Schatzsucher ihren Tunnel in die Erde getrieben. Da hören sie plötzlich Stimmen, und durch einen Riss in der Wand dringt Licht. Ein paar beherzte Hammerschläge bringen einen zweiten, gegenläufigen Tunnel zum Vorschein. Zwei Palästinenser sind in ihm zugange, professionell mit Sauerstoffgeräten ausgerüstet. Hacken werden drohend erhoben, eine Pistole gezückt. Für einen Moment scheint es, als würde der Bruderkrieg sich unter Tage fortsetzen.
Es ist eine wilde, immer wieder sehr komische Geschichte, die Rutu Modan in ihrem Comic „Tunnel“ erzählt. Im Zentrum steht ein Abenteuer, die Suche nach der Bundeslade, die von der israelischen Comic-Künstlerin so spannend wie ironisch als Schatzsuche auf den Spuren von Indiana Jones inszeniert wird. Klar, dass dabei auch der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern eine entscheidende Rolle spielt, immerhin wird illegal unter der Erde der Westbank gegraben.
Rutu Modans Indiana Jones heißt Nili. Sie ist die Tochter des berühmten Archäologen Israel Broshi, bei dessen Ausgrabungen sie schon als Kind mitgeholfen hat. Nun ist Israel ein dementer alter Mann, der wie ein Kleinkind versorgt werden muss. Nili beschließt daher, auf eigene Faust das größte Unternehmen ihres Vaters fortzusetzen: das Auffinden der Bundeslade, jener hölzernen Truhe, in der der Bibel zufolge die zwei Steintafeln mit den Zehn Geboten aufbewahrt wurden, die Moses von Gott auf dem Berg Sinai empfangen hat. An einem geheimen Ort ist dieser heilige Gegenstand nach der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier von einem Tempelpriester versteckt worden. Nili, die eine ebenso leidenschaftliche wie offenbar begnadete Archäologin ist, kann die Keilschrift auf einer Tontafel mühelos entziffern und meint fortan zu wissen, wo die Lade liegt. Der Haken dabei: Der Ort befindet sich hinter der hohen Schutzmauer, die das israelische Territorium vor Terrorangriffen schützen soll. Also hilft nur eins: Es muss gegraben werden, und Nili schafft es tatsächlich, orthodoxe Juden und Palästinenser zur Zusammenarbeit zu überreden.
Israel ist kein klassisches Comic-Land, aber es gibt eine interessante Szene, zu deren wichtigsten Vertretern die 1966 geborene Rutu Modan zählt. In „Blutspuren“ (2006), ihrem Debüt, macht sich ein Taxifahrer auf die Suche nach seinem Vater, den er seit Jahren nicht gesehen hat und von dem dessen junge Geliebte glaubt, er sei einem Selbstmordanschlag zum Opfer gefallen. In der doppeldeutig betitelten Graphic Novel „Das Erbe“ (2013) reist eine 90-Jährige mit ihrer Enkelin von Tel Aviv nach Warschau, um Anspruch auf ihr im Zweiten Weltkrieg geraubtes Elternhaus zu erheben. Zugleich geht es um die Frage, welches Verhältnis nachwachsende Generationen – nicht nur in Israel – zum Holocaust entwickeln können.
Mit knapp 280 Seiten ist „Tunnel“ Modans bislang umfangreichste und ambitionierteste Arbeit. Die Vielzahl an Figuren ermöglicht manche Verästelungen der Geschichte. Dabei schöpft sie aus der Vergangenheit und Gegenwart Israels, um die spezielle Situation des Landes als einer von außen bedrohten und im Inneren zerrissenen Nation zu schildern. Mit der Gestalt des cleveren Shmuël und seiner naiven jugendlichen Ausgrabungshelfer macht Modan sich über die Strenggläubigen und deren teilweise handfest rassistischen Ansichten lustig.
„Tunnel“ ist aber auch die Geschichte einer Archäologen-Familie, in der alle irgendwie besessen sind, ein Abbild der politisch-religiösen Konflikte im Land: Nili hat nur noch die Bundeslade im Kopf; ihr Sohn greift sich bei jeder Gelegenheit ein – notfalls fremdes – Handy; und Nilis jüngerer Bruder will unbedingt im akademischen Betrieb landen. Um die ersehnte Festanstellung am archäologischen Institut zu erhalten, dient er sich skrupellos einem früheren Kollegen und Konkurrenten seines Vaters an, einem Egozentriker, dessen Motto lautet: „Wichtig ist nicht, wer die Lade findet. Wichtig ist, wer den Fachaufsatz dazu schreibt.“ „Tunnel“ ist so auch eine Universitätssatire, in der die Eitelkeiten und verzwickten Abhängigkeitsverhältnisse der akademischen Welt auf die Schippe genommen werden.
In Modans Debüt „Blutspuren“ gibt es komische Momente, „Das Erbe“ ist eine Tragikomödie. Mit „Tunnel“ ist Modan bei der Komödie angekommen, mit allem, was dazugehört: groteske Wendungen, Karikaturen und Klischees, übertriebene Mimik und Gestik. Ihrem Ligne-claire-Stil ist sie zwar treu geblieben, aber hat die Figuren viel humorvoller gezeichnet als in früheren Arbeiten. Hier stellt sie sich allerdings leider nicht allzu geschickt an; die semirealistische Figurendarstellung liegt ihr mehr. Das ist aber der einzige Einwand gegen diesen Band. Ansonsten genießt man von Seite zu Seite mehr, wie es Modan gelingt, in der Komik den Ernst durchscheinen zu lassen und allem Ernsten komische Seiten abzugewinnen – am Ende sogar dem IS.
CHRISTOPH HAAS
Das Ernste im Komischen, das Komische im Ernsten: Szene aus Rutu Modans „Tunnel“.
Abb.: Carlsen Verlag
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"Die Lektüre mit den zahllosen bizarren Wendungen ist ein einziges Vergnügen [...]." Andreas Platthaus Frankfurter Allgemeine Zeitung 20210107