Kennt Künstliche Intelligenz Gefühle? Von Sexrobotern und Intimität
Haben Sie schon mal mit Alexa geflirtet? Ihr Navi beschimpft? Oder als Kind ein Tamagotchi gepflegt? Roboter als Idee gibt es seit Tausenden von Jahren. Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts sind sie in stetig steigender Zahl in der Realität angekommen und erleichtern auf vielfältige Weise den Alltag. Kate Devlin, eine englische Archäologin und Informatikerin, setzt sich in diesem Sachbuch mit einem besonderen Teilaspekt der Robotik auseinander: "Turned On - Intimität und Künstliche Intelligenz" geht dem Phänomen Sexroboter und Sexspielzeuge auf den Grund und spinnt Zukunftsvisionen zur Entwicklung von menschlichen Beziehungen. Dazu behandelt sie unter anderem die folgenden Fragen:
Von Pygmalion zur Sexpuppe: Worin liegt die Faszination der Maschine?Momentaner Stand der Technik: Wie weit ist die Künstliche Intelligenz? Ersatz für menschliche Nähe oder Technofetischismus: Was ist der Zweck von Sexrobotern und -puppen?Mensch und Technik: Gefährden Sexroboter menschliche Beziehungen?
Von Science-Fiction zum Alltagsgegenstand: Ein Wertewandel
Kate Devlin führt das Thema KI und Intimität auf unterhaltsam-philosophische Art aus. Sie spricht mit Entwicklern und Besitzern von Sexpuppen und -robotern und "unterhält" sich mit der Künstlichen Intelligenz. Das Leben der Menschen in einer Welt voller Technologie ist ebenso Thema wie die Frage, ob wir in Zukunft Roboter heiraten werden. Die Suche nach Antworten führt dabei von archäologischen Ausgrabungen zu Science-Fiction-Romanen bis in Chat-Rooms und zu einem Hackathon zum Thema Sexroboter.
Faktenbasiert, umfassend und dabei im lockeren Plauderton geschrieben: Kate Devlin zeichnet ein realistisches Bild dessen, was möglich ist, und fordert ihre Leser auf, die Zukunft der künstlichen Intelligenz mitzugestalten!
Haben Sie schon mal mit Alexa geflirtet? Ihr Navi beschimpft? Oder als Kind ein Tamagotchi gepflegt? Roboter als Idee gibt es seit Tausenden von Jahren. Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts sind sie in stetig steigender Zahl in der Realität angekommen und erleichtern auf vielfältige Weise den Alltag. Kate Devlin, eine englische Archäologin und Informatikerin, setzt sich in diesem Sachbuch mit einem besonderen Teilaspekt der Robotik auseinander: "Turned On - Intimität und Künstliche Intelligenz" geht dem Phänomen Sexroboter und Sexspielzeuge auf den Grund und spinnt Zukunftsvisionen zur Entwicklung von menschlichen Beziehungen. Dazu behandelt sie unter anderem die folgenden Fragen:
Von Pygmalion zur Sexpuppe: Worin liegt die Faszination der Maschine?Momentaner Stand der Technik: Wie weit ist die Künstliche Intelligenz? Ersatz für menschliche Nähe oder Technofetischismus: Was ist der Zweck von Sexrobotern und -puppen?Mensch und Technik: Gefährden Sexroboter menschliche Beziehungen?
Von Science-Fiction zum Alltagsgegenstand: Ein Wertewandel
Kate Devlin führt das Thema KI und Intimität auf unterhaltsam-philosophische Art aus. Sie spricht mit Entwicklern und Besitzern von Sexpuppen und -robotern und "unterhält" sich mit der Künstlichen Intelligenz. Das Leben der Menschen in einer Welt voller Technologie ist ebenso Thema wie die Frage, ob wir in Zukunft Roboter heiraten werden. Die Suche nach Antworten führt dabei von archäologischen Ausgrabungen zu Science-Fiction-Romanen bis in Chat-Rooms und zu einem Hackathon zum Thema Sexroboter.
Faktenbasiert, umfassend und dabei im lockeren Plauderton geschrieben: Kate Devlin zeichnet ein realistisches Bild dessen, was möglich ist, und fordert ihre Leser auf, die Zukunft der künstlichen Intelligenz mitzugestalten!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2020Ferndildonik ist noch nicht alles
Kate Devlin macht sich Gedanken über ein eigentlich florierendes, doch ungern eingestandenes Forschungsgebiet von Robotik und Künstlicher Intelligenz.
Keine Technik ist jemals so gründlich vorgedacht worden wie die Robotik. Seit der Antike wird ausbuchstabiert, was geschehen könnte, gäbe es erst einmal künstliche Menschen. Doch all diese Geschichten scheinen unsere Phantasie im Design von und im Umgang mit den Robotern unserer Tage eher einzuschränken. Jedenfalls was die Sexroboter angeht, meint Kate Devlin. Die am Londoner King's College lehrende Spezialistin für Mensch-Maschine-Interaktion forscht seit Jahren zu Sexmaschinen und versucht in ihrem neuen Buch, ein wenig Ordnung in die emotional geführte Debatte um diesen Randbereich der Robotik mit dem Schmuddel-Image zu bringen. Dabei geht es ihr nicht nur um Sex. Sie interessiert sich vielmehr für die Veränderungen von Intimität insgesamt, die sich einstellen könnten, wenn Roboter als eine "neue Spezies" in Zukunft häufiger anzutreffen sein werden.
Die Irritationen, die entstehen können, wenn sich Mensch und menschenähnliche Maschine begegnen, werden landauf, landab diskutiert. Doch nirgendwo werden sie deutlicher als bei den Sexrobotern. Sind sie Spielzeuge, die unser Leben bereichern können? Ideale Gefährten für die Einsamen? Oder eher der Gipfel der moralischen Verwirrung, wahr gewordener Männertraum von der stets verfügbaren Frau und Albtraum aller Emanzipationsbemühungen?
Sexspielzeuge sind kein neues Phänomen, und entsprechend schlägt Devlin erst einmal den Bogen von der Archäologie prähistorischer Dildos über die Geschichte der Automaten bis zu den Sexrobotern unserer Tage. Tatsächlich sind die aktuellen Roboter, wozu auch immer sie dienen, noch nicht besonders klug. Dennoch erzählt Devlin die Geschichte der Künstliche-Intelligenz-Forschung und ihrer Vordenker: Da fehlen weder René Descartes' "Ich denke, also bin ich" noch de La Mettrie mit seiner Idee des Maschinenmenschen, weder der Turing-Test noch Joseph Weizenbaums Psycho-Bot ELIZA, weder das maschinelle Lernen noch die Asimov'schen Robotergesetze.
Innovativer als dieser historische Teil ist Devlins Führung durch die Welt der heutigen Sexroboter. Diese findet die Autorin zumeist enttäuschend, bestehen sie doch in der Regel aus Roboterköpfen mit beschränkten Programmen und vorgefertigten Reaktionen, die auf eine ansonsten unbewegliche Puppe montiert sind. Die Dialoge, zu denen sie fähig sind, seien bestenfalls erheiternd und die Werbeversprechen - "hat Empfindungen und eine echte Persönlichkeit" - völlig überzogen. Manche erinnern die Autorin eher an in die Jahre gekommene Schaufensterpuppen, von anderen, über die angebliche Nutzer begeistert berichteten, konnte die Autorin keine Spur auftreiben. Die erklärte Feministin hält auch mit ihrem Ärger über eine einfallslose Sexindustrie nicht hinter dem Berg, die die neuen technischen Möglichkeiten bislang im Wesentlichen nutze, comicartige, übersexualisierte Frauenfiguren herzustellen. Vom Äußeren einiger Maschinen aus dem Hochpreissegment zeigt sich Devlin allerdings begeistert. So habe sie bei der Besichtigung einer Fabrik für Sexroboter ihre eigene Reaktion überrascht. Statt sich, wie sie erwartet hatte, über die immer gleichen Frauengestalten zu ärgern, hätten das handwerkliche Geschick der Hersteller, die feinen Details der Puppen und ihre warme Haut sie fasziniert. Und einen kleinen träumerischen Ausflug in die Science-Fiction kann sich auch die sonst betont kritische Autorin nicht verkneifen: Was wäre, wenn die Roboter dann irgendwann doch Gefühle entwickelten? Darüber müsse man sich doch Gedanken machen.
Diese Idee ist so naheliegend und faszinierend, weil wir, wie Devlin selbst bemerkt, nun einmal so "eingestellt" sind, dass wir kaum anders können, als Systeme, die sprechen und mit den Augen rollen, als menschenähnlich wahrzunehmen, als Wesen mit Wünschen und Absichten, mit Intelligenz und vielleicht sogar Gefühlen. Dass die Maschinen nicht mit uns mitfühlen, dass sie nicht leiden und nicht lieben können, heiße nicht, dass wir uns nicht umgekehrt in das einfühlen, was wir wahrzunehmen meinen. "Es ist uns alles andere als egal, was mit einem Roboter geschieht", konstatiert Devlin.
Sie bemüht die Bindungstheorien der Psychologie, fragt, ob Menschen einen Roboter eher wie einen Mitmenschen, eine Maschine oder ein Haustier wahrnehmen, und findet, wie in den meisten anderen Fragen zur Interaktion von Mensch und Maschine: Nichts Genaues weiß man (noch) nicht. An allen Ecken und Enden fehle es an gesicherten Erkenntnissen über den Umgang der Menschen mit diesen Maschinen, über die Auswirkungen ihrer Interaktion und die Wünsche, die Menschen bewegen, sich mit Maschinen abzugeben. So sei etwa die Erwartung verbreitet, Menschen, vor allem Männer, benutzten Sexroboter, um gewalttätige Phantasien auszuleben. In den Kreisen, zu denen die Autorin Zugang hatte, fand sie hingegen durchweg einen respektvollen Umgang mit der immerhin nicht ganz billigen Technik. Ebenso ist unklar, ob der Umgang mit Maschinen dazu führt, dass Menschen sich einigeln und die anstrengendere Interaktion mit Menschen meiden.
Auch die Rechtsprechung sei (noch) nicht auf Sexroboter eingestellt. So werden, wie die Autorin berichtet, bisweilen merkwürdige alte Paragraphen bemüht, etwa das Verbot der "Einfuhr obszöner Gegenstände". Straftatbestände wie "sexuelle Onlinenötigung" seien bislang nicht definiert. Häufig gebe es auch hier keine oder nicht ausreichend Daten, um eine gesetzliche Regelung zu begründen. So sei unklar, ob etwa Sexroboter in Kindergestalt als Ersatzangebot für Pädophile therapeutisch sinnvoll sein könnten oder ob ihr Besitz bewertet werden müsse wie der von Kinderpornographie.
Die Forschung ist natürlich in vollem Gange, jedenfalls dort, wo es nicht explizit um Sexroboter geht. Bei Letzteren flössen die Forschungsgelder doch eher zögerlich, so die Autorin. Die Welt des Sex-Techs sei zwar neu und zweifellos ein großer Markt, da ihr aber nach wie vor das Schmuddel-Image anhafte, seien Investoren ebenso zurückhaltend wie Forscher. Keiner der großen Techkonzerne wolle seinen Namen mit diesen Technologien in Verbindung gebracht wissen, Risikokapitalgebern seien Projekte "für Erwachsene" meist verboten. Und nach einer Universität, an der sie einen Kongress über Sex und Roboter ausrichten konnte, habe sie suchen müssen, berichtet Devlin.
Nachdem sie die vielen Perspektiven umrissen hat, aus denen man auf das Thema schauen kann, und die vielen offenen Fragen, die es zu beantworten gilt, nachdem sie Leserin und Leser mit Kuriositäten wie der Ferndildonik und der Penis-Plethysmografie bekanntgemacht hat, gibt sich Devlin optimistisch: Statt bestehende Beziehungen zu stören, könnten die sexualisierten Roboter neue Rollen ausfüllen, könnten ein soziales Ventil sein, ein Kommunikationsmedium oder einfach avanciertes Spielzeug.
Nicht alle teilen diese Einschätzung: Forscherinnen wie etwa Sherry Turkle warnen seit Jahren davor, Menschen, die sich mit sogenannten sozialen Robotern abgeben, könnten ihre Fähigkeiten zu zwischenmenschlichen Beziehungen verlieren. Andere haben eine Initiative zum Verbot von Sexrobotern gestartet. Devlin stimmt ihnen zu, viele der gängigen Sexroboter könnten die Instrumentalisierung der Frau befördern. Um dann zu fragen, warum man überhaupt menschenähnliche Maschinen baue, wo doch das Reich der Möglichkeiten so viel größer sei.
Hier scheine unsere Prägung durch all die Science-Fiction unsere Phantasie zu lähmen. Devlin jedenfalls träumt von einem Sexroboter, der vor allem variabel ist: an einem Tag ein Bett aus Brüsten, an einem anderen eine Reihe von Penissen, die schmutzige Sprüche zum Besten geben, vielleicht auch beides zugleich. Würden Sexspielzeuge und Sexroboter auf diese Weise konvergieren, so ihre Vision, taugten sie nicht länger für bedenkliche Ersatzbeziehungen. Stattdessen könnte eine Vielfalt neuer Möglichkeiten die Intimität in Zeiten der Künstlichen Intelligenz bereichern. Die hyperrealistischen, dem Menschen nachempfundenen Puppen wären in dieser vielleicht zu optimistischen Vision dann allenfalls noch ein Nischenmarkt für die Einfallslosen.
MANUELA LENZEN
Kate Devlin: "Turned On".
Intimität und Künstliche Intelligenz.
Aus dem Englischen von Axel Walter.
wbg/Theiss Verlag,
Darmstadt 2020.
240 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kate Devlin macht sich Gedanken über ein eigentlich florierendes, doch ungern eingestandenes Forschungsgebiet von Robotik und Künstlicher Intelligenz.
Keine Technik ist jemals so gründlich vorgedacht worden wie die Robotik. Seit der Antike wird ausbuchstabiert, was geschehen könnte, gäbe es erst einmal künstliche Menschen. Doch all diese Geschichten scheinen unsere Phantasie im Design von und im Umgang mit den Robotern unserer Tage eher einzuschränken. Jedenfalls was die Sexroboter angeht, meint Kate Devlin. Die am Londoner King's College lehrende Spezialistin für Mensch-Maschine-Interaktion forscht seit Jahren zu Sexmaschinen und versucht in ihrem neuen Buch, ein wenig Ordnung in die emotional geführte Debatte um diesen Randbereich der Robotik mit dem Schmuddel-Image zu bringen. Dabei geht es ihr nicht nur um Sex. Sie interessiert sich vielmehr für die Veränderungen von Intimität insgesamt, die sich einstellen könnten, wenn Roboter als eine "neue Spezies" in Zukunft häufiger anzutreffen sein werden.
Die Irritationen, die entstehen können, wenn sich Mensch und menschenähnliche Maschine begegnen, werden landauf, landab diskutiert. Doch nirgendwo werden sie deutlicher als bei den Sexrobotern. Sind sie Spielzeuge, die unser Leben bereichern können? Ideale Gefährten für die Einsamen? Oder eher der Gipfel der moralischen Verwirrung, wahr gewordener Männertraum von der stets verfügbaren Frau und Albtraum aller Emanzipationsbemühungen?
Sexspielzeuge sind kein neues Phänomen, und entsprechend schlägt Devlin erst einmal den Bogen von der Archäologie prähistorischer Dildos über die Geschichte der Automaten bis zu den Sexrobotern unserer Tage. Tatsächlich sind die aktuellen Roboter, wozu auch immer sie dienen, noch nicht besonders klug. Dennoch erzählt Devlin die Geschichte der Künstliche-Intelligenz-Forschung und ihrer Vordenker: Da fehlen weder René Descartes' "Ich denke, also bin ich" noch de La Mettrie mit seiner Idee des Maschinenmenschen, weder der Turing-Test noch Joseph Weizenbaums Psycho-Bot ELIZA, weder das maschinelle Lernen noch die Asimov'schen Robotergesetze.
Innovativer als dieser historische Teil ist Devlins Führung durch die Welt der heutigen Sexroboter. Diese findet die Autorin zumeist enttäuschend, bestehen sie doch in der Regel aus Roboterköpfen mit beschränkten Programmen und vorgefertigten Reaktionen, die auf eine ansonsten unbewegliche Puppe montiert sind. Die Dialoge, zu denen sie fähig sind, seien bestenfalls erheiternd und die Werbeversprechen - "hat Empfindungen und eine echte Persönlichkeit" - völlig überzogen. Manche erinnern die Autorin eher an in die Jahre gekommene Schaufensterpuppen, von anderen, über die angebliche Nutzer begeistert berichteten, konnte die Autorin keine Spur auftreiben. Die erklärte Feministin hält auch mit ihrem Ärger über eine einfallslose Sexindustrie nicht hinter dem Berg, die die neuen technischen Möglichkeiten bislang im Wesentlichen nutze, comicartige, übersexualisierte Frauenfiguren herzustellen. Vom Äußeren einiger Maschinen aus dem Hochpreissegment zeigt sich Devlin allerdings begeistert. So habe sie bei der Besichtigung einer Fabrik für Sexroboter ihre eigene Reaktion überrascht. Statt sich, wie sie erwartet hatte, über die immer gleichen Frauengestalten zu ärgern, hätten das handwerkliche Geschick der Hersteller, die feinen Details der Puppen und ihre warme Haut sie fasziniert. Und einen kleinen träumerischen Ausflug in die Science-Fiction kann sich auch die sonst betont kritische Autorin nicht verkneifen: Was wäre, wenn die Roboter dann irgendwann doch Gefühle entwickelten? Darüber müsse man sich doch Gedanken machen.
Diese Idee ist so naheliegend und faszinierend, weil wir, wie Devlin selbst bemerkt, nun einmal so "eingestellt" sind, dass wir kaum anders können, als Systeme, die sprechen und mit den Augen rollen, als menschenähnlich wahrzunehmen, als Wesen mit Wünschen und Absichten, mit Intelligenz und vielleicht sogar Gefühlen. Dass die Maschinen nicht mit uns mitfühlen, dass sie nicht leiden und nicht lieben können, heiße nicht, dass wir uns nicht umgekehrt in das einfühlen, was wir wahrzunehmen meinen. "Es ist uns alles andere als egal, was mit einem Roboter geschieht", konstatiert Devlin.
Sie bemüht die Bindungstheorien der Psychologie, fragt, ob Menschen einen Roboter eher wie einen Mitmenschen, eine Maschine oder ein Haustier wahrnehmen, und findet, wie in den meisten anderen Fragen zur Interaktion von Mensch und Maschine: Nichts Genaues weiß man (noch) nicht. An allen Ecken und Enden fehle es an gesicherten Erkenntnissen über den Umgang der Menschen mit diesen Maschinen, über die Auswirkungen ihrer Interaktion und die Wünsche, die Menschen bewegen, sich mit Maschinen abzugeben. So sei etwa die Erwartung verbreitet, Menschen, vor allem Männer, benutzten Sexroboter, um gewalttätige Phantasien auszuleben. In den Kreisen, zu denen die Autorin Zugang hatte, fand sie hingegen durchweg einen respektvollen Umgang mit der immerhin nicht ganz billigen Technik. Ebenso ist unklar, ob der Umgang mit Maschinen dazu führt, dass Menschen sich einigeln und die anstrengendere Interaktion mit Menschen meiden.
Auch die Rechtsprechung sei (noch) nicht auf Sexroboter eingestellt. So werden, wie die Autorin berichtet, bisweilen merkwürdige alte Paragraphen bemüht, etwa das Verbot der "Einfuhr obszöner Gegenstände". Straftatbestände wie "sexuelle Onlinenötigung" seien bislang nicht definiert. Häufig gebe es auch hier keine oder nicht ausreichend Daten, um eine gesetzliche Regelung zu begründen. So sei unklar, ob etwa Sexroboter in Kindergestalt als Ersatzangebot für Pädophile therapeutisch sinnvoll sein könnten oder ob ihr Besitz bewertet werden müsse wie der von Kinderpornographie.
Die Forschung ist natürlich in vollem Gange, jedenfalls dort, wo es nicht explizit um Sexroboter geht. Bei Letzteren flössen die Forschungsgelder doch eher zögerlich, so die Autorin. Die Welt des Sex-Techs sei zwar neu und zweifellos ein großer Markt, da ihr aber nach wie vor das Schmuddel-Image anhafte, seien Investoren ebenso zurückhaltend wie Forscher. Keiner der großen Techkonzerne wolle seinen Namen mit diesen Technologien in Verbindung gebracht wissen, Risikokapitalgebern seien Projekte "für Erwachsene" meist verboten. Und nach einer Universität, an der sie einen Kongress über Sex und Roboter ausrichten konnte, habe sie suchen müssen, berichtet Devlin.
Nachdem sie die vielen Perspektiven umrissen hat, aus denen man auf das Thema schauen kann, und die vielen offenen Fragen, die es zu beantworten gilt, nachdem sie Leserin und Leser mit Kuriositäten wie der Ferndildonik und der Penis-Plethysmografie bekanntgemacht hat, gibt sich Devlin optimistisch: Statt bestehende Beziehungen zu stören, könnten die sexualisierten Roboter neue Rollen ausfüllen, könnten ein soziales Ventil sein, ein Kommunikationsmedium oder einfach avanciertes Spielzeug.
Nicht alle teilen diese Einschätzung: Forscherinnen wie etwa Sherry Turkle warnen seit Jahren davor, Menschen, die sich mit sogenannten sozialen Robotern abgeben, könnten ihre Fähigkeiten zu zwischenmenschlichen Beziehungen verlieren. Andere haben eine Initiative zum Verbot von Sexrobotern gestartet. Devlin stimmt ihnen zu, viele der gängigen Sexroboter könnten die Instrumentalisierung der Frau befördern. Um dann zu fragen, warum man überhaupt menschenähnliche Maschinen baue, wo doch das Reich der Möglichkeiten so viel größer sei.
Hier scheine unsere Prägung durch all die Science-Fiction unsere Phantasie zu lähmen. Devlin jedenfalls träumt von einem Sexroboter, der vor allem variabel ist: an einem Tag ein Bett aus Brüsten, an einem anderen eine Reihe von Penissen, die schmutzige Sprüche zum Besten geben, vielleicht auch beides zugleich. Würden Sexspielzeuge und Sexroboter auf diese Weise konvergieren, so ihre Vision, taugten sie nicht länger für bedenkliche Ersatzbeziehungen. Stattdessen könnte eine Vielfalt neuer Möglichkeiten die Intimität in Zeiten der Künstlichen Intelligenz bereichern. Die hyperrealistischen, dem Menschen nachempfundenen Puppen wären in dieser vielleicht zu optimistischen Vision dann allenfalls noch ein Nischenmarkt für die Einfallslosen.
MANUELA LENZEN
Kate Devlin: "Turned On".
Intimität und Künstliche Intelligenz.
Aus dem Englischen von Axel Walter.
wbg/Theiss Verlag,
Darmstadt 2020.
240 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Nebenbei streift sie in ihrem Buch (...) hochinteressante Fragen: Warum sind wir so schnell bereit, allem, was sich auch nur rudimentär selbstständig verhält, menschliche Fähigkeiten zuzuschreiben und ihm Gefühle wie Sorge oder Zuneigung entgegenzubringen? Was genau suchen Menschen in intimen Beziehungen, was davon könnten künstliche Gefährten ersetzen?« DIE ZEIT »Devlin nimmt uns mit auf eine Reise durch die Revolution der Künstlichen Intelligenz und ihren möglichen Einfluss auf unsere Beziehungen. Entspannt und im Plauderton erzählt.« Cosmopolitan »Erhellend, geistreich und mit einem aufgeschlossenen Geist geschrieben.« Sunday Times »Ein ungewöhnlich entspannter Rundgang über das thematische Gebiet der Sexroboter. Devlins ruhigerer, faktenbasierter Mittelweg erscheint anziehend, gerade auf einem Gebiet, auf dem die viele Polemik an den Nerven zehrt.« Harper's Magazine »Ein fesselnder Bericht über die Geschichte der Humanoide.« Financial Times »Eine von Devlins Errungenschaften ist es, dass sie die Hersteller und Benutzer von Sexrobotern menschlich macht - wir werden eingeladen, nicht über sie zu lachen, sondern sie zu verstehen.« The Times »Ein sehr gut lesbarer Ausflug in die Geschichte der Computer, Roboter und Sexspielzeuge. Eine faszinierende Einführung in den Status quo der Sex-Technik.« Science »Ein lebendig erzählter, schelmischer Reiseführer durch unerforschtes Gebiet, der Ethik, Sexualität, Intimität und das Unheimliche streift.« Tatler