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When teenagers Kenneth and Corrie Tyler venture to their father's graveside they make a horrific discovery: their father is not buried in the casket they bought for him.

Produktbeschreibung
When teenagers Kenneth and Corrie Tyler venture to their father's graveside they make a horrific discovery: their father is not buried in the casket they bought for him.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.2010

Themenpark des Verfalls

Menschen dösen auf der Veranda, bis das Böse kommt: William Gay schwelgt in dem Roman "Nächtliche Vorkommnisse" in düsteren Szenerien.

Wem das Warten auf den nächsten Film der Brüder Coen schon mal zu lang wird, der kann sich die Zeit mit einem Roman von William Gay vertreiben. Gay beschwört eine Welt von gestern, die ländlichen Südstaaten um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Menschen dösen auf schiefen Veranden vor sich hin - bis ungute Dinge passieren.

Der 1943 geborene Autor ist ein Schüler von William Faulkner und Cormac McCarthy - und ein geduldiger Mann: Mit fünfzehn begann er zu schreiben; mit fünfundfünfzig veröffentlichte er erste Erzählungen. Die längste Zeit hat er als Schreiner gearbeitet. Gutes Handwerk zeichnet auch seine Prosa aus.

"Nächtliche Vorkommnisse" spielt 1951 in Tennessee. Der Beerdigungsunternehmer Fenton Breece hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht: "Lacht über mich, solange ihr noch könnt. Ich bin derjenige, der zuletzt lacht, denn irgendwann landet ihr alle auf meinem Edelstahltisch. Das Wasser, mit dem euer Blut, eure Fäkalien und der letzte Schweiß, den ihr je geschwitzt habt, fortgespült werden, geht auf meine Rechnung."

Die Geschwister Corrie und Kenneth Tyler kommen Breece auf die nekrophilen Schliche. Ihr schlimmer Verdacht, dass es bei der Beerdigung ihres Vaters nicht mit rechten Dingen zugegangen sei, bestätigt sich, als sie den alten Schwarzbrenner - und bald noch eine Reihe weiterer Verstorbener - ausgraben. Es gelingt ihnen, Breece einen Stapel inkriminierender Fotos zu entwenden, auf denen er seine abseitigen Praktiken dokumentiert hat.

Sie gehen jedoch nicht zum Sheriff, der selbst eine zwielichtige Gestalt ist. Weil sie etwas Geld gerade gut gebrauchen können, versuchen sie es mit Erpressung. Fünfzehntausend Dollar fordern sie für die Fotos, aber Breece investiert die Summe lieber anders: Er hetzt den beiden Jugendlichen damit den gefährlichsten Mann der Gegend auf den Hals, den psychopathischen Berufskriminellen Granville Sutter. Wenige Seiten später ist Corrie tot - ein Fall für Breece, der schon längst einen Blick auf die junge Frau geworfen hatte. Im jetzigen Zustand ist sie ihm am liebsten.

Was zeichnet diesen Roman im überbordenden Angebot der Gewalt-Literatur aus? Er lebt, anders als so viele mit "Tempo" erzählte Krimis und Thriller, nicht von der reißerischen Handlung, sondern von deren Dehnung. So wird Raum für atmosphärische Beschreibungen und düstere Landschaftsmalereien geschaffen. Groß sind die Bilder leidender Einsamkeit und Verwüstung, wenn Gay über zwei Drittel des Buches Tylers panische Flucht durch die Wälder des "Harrikin" beschreibt, ein verwildertes Niemandsland, das wie ein Themenpark des Verfalls wirkt, voller Reste gescheiterter Zivilisation: verwucherter Gleise, ruinierter Fabriken, aufgegebener Farmen und Minen, bizarrer Autofriedhöfe und Geisterstädte. Stimmen der Verdammten singen im "Harrikin" ihr Klagelied; oder ist es nur der Wind, der in einem dunklen Felsloch herumflötet? Auch die Natur verwandelt sich ins Gespenstische: "Die meisten Bäume waren abgestorben; schwarze, verwachsene Gebilde, gleich den Skeletten durch und durch missgestalteter Tiere."

Immer wieder trifft Tyler in der Einöde auf verschrobene Einzelgänger, knorrige Klischees des Südens, die zugleich wie Märchenfiguren wirken, alte Hexen, verwirrte Rapunzeln. Es ist eine böse verwunschene Welt - und Tyler der Hänsel, der seine Gretel eingebüßt hat. Sutter lauert ihm am Ende in passender Verkleidung auf, als hilfsbedürftige Großmutter mit Haube: "Brothers Grimm" als Southern gothic. Nach der Logik des Albtraums mag sich Tyler noch so sehr in den Wäldern verlaufen, Sutter bleibt ihm dicht auf den Fersen und hinterlässt eine Spur des Schreckens: Wer Tyler zur Seite steht, hat allen Grund, um sein eigenes Leben zu fürchten.

Gay wechselt die Perspektive zwischen Verfolger und Verfolgtem, erzählt immer wieder aber auch aus der Sicht von Nebenfiguren. Die Dialoge tragen bei zur Stimmungskunst. Egal, wer spricht, alle sind sie mundfaul und abgebrüht, spucken den anderen ihre knappen Sätze vor die Füße, ihren unlustigen Witz, die hämischen Pointen einer verworfenen Welt.

Stephen King hat "Nächtliche Vorkommnisse" als beste Neuerscheinung des Jahres 2007 gerühmt. Während in vielen King-Romanen über nette, durchschnittliche Kleinstädter das namenlose Grauen kommt, sind Gays durchschnittliche Südstaatler schon schrecklich genug: fratzenhafte Gestalten, gezeichnet von missglückten Biographien und den Wunden des Lebenskampfs, wie jener kleine, schlurfende Mann, bei dem Tyler zwischenzeitlich eine Zuflucht findet: Gerade hat er sich im Kirchenzelt mit Halleluja zu Jesus bekehrt; in der Nacht darauf tappt er schon wieder im Haus herum, um den Schnaps zu finden, den seine geplagte Frau versteckt hat. Das alles ist so intensiv beschrieben, dass man spürt: Gerade in ihrer Kaputtheit liebt der Autor seine Figuren; liebt sie wie die Landschaft, die sie hervorgebracht hat.

WOLFGANG SCHNEIDER

William Gay: "Nächtliche Vorkommnisse". Roman. Aus dem Amerikanischen von Jochen Körber. Arche Verlag, Zürich 2009. 286 S., geb., 19,90 [Euro].

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