UC, Ultrachronos, bezeichnet eine Wahrnehmung, die angeblich unmittelbar vor dem Tod eines Menschen geschieht: Das ganze Leben läuft wie ein Film in extremem Zeitraffer vor einem ab. Darum geht es in diesem Buch: um den Erinnerungsfilm eines Mannes, der nur noch wenige Augenblicke zu leben hat. Ein Dirigent von vierzig Jahren, reich verheiratet, mit glänzenden Karriereperspektiven, wenige Monate zuvor noch eine scheinbar unerschütterliche Existenz. Vielleicht. Vor neunzehn Jahren. Aber daran erinnert er sich nicht mehr. Er trifft auf einen Mann, der merkwürdig genau über ihn Bescheid weiß. Es ist ein Schriftsteller, und in dessen neuestem Werk ist dem Dirigenten eine unheimliche Rolle zugedacht ... Helmut Kraussers "UC" arbeitet mit den Mitteln des Kriminalromans, führt aber auf seinen verschlungenen Pfaden viel weiter, nämlich in die Grenzbereiche unserer Existenz.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.03.2003Fortsetzung von Seite 18
Schatten. Er nimmt ihm alles. Er schreibt ein Buch über den Dirigenten. Ist es das Buch, das wir lesen? Der Kinogänger Krausser borgt sich für seinen wie immer bildungssatten Roman manches von David Finchers „The Game” und einiges mehr vom Filmregisseur David Lynch.
In dessen „Lost Highway” tritt Robert Blake alias „Mystery Man” bei einer Party auf Bill Pullman zu und bescheidet ihn, genau jetzt zugleich in dessen Appartment zu sein. Dem frappierten Pullman reicht er zum Beweis ein Telefon. Das folgende Gespräch zwischen den dreien gehört sicher zu den aufreibendsten der Filmgeschichte. Krausser setzt ähnliche Effekte. Anders als Lynch aber legt er seinem „Mystery Man” Sam Kurthes eine Theorie in den Mund, die Unerklärliches erklären hilft: „Zeit existiert nur deshalb, damit nicht alles auf einmal passiert”, lehrt Kurthes den derangierten Hermannstein.
Im „Ultrachronos” – daher das Kürzel im Titel – treiben Bilder, Sehnsüchte. „Der UC frisst auf was war und formt es um.” Eine Spanne wie zwischen null Uhr und Mitternacht ist er, „nah am Reich der Poesie”. Im Märchen fragt der Herr den Schatten, was er in der Poesie vorfand. „Alles”, sagte der Schatten, „denn ich sah alles, und ich weiß alles.” Kraussers „Ultrachronos” ist eine Metapher für den Reichtum des Erzählens. So, wie der Schatten eine Metapher für den Schriftsteller ist, der nur formen kann, was seine Figuren abwerfen.
TOBIAS RÜTHER
HELMUT KRAUSSER: UC. Roman. Unter Zuhilfenahme eines Märchens von H.C. Andersen. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003. 479 S., 19,90Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Schatten. Er nimmt ihm alles. Er schreibt ein Buch über den Dirigenten. Ist es das Buch, das wir lesen? Der Kinogänger Krausser borgt sich für seinen wie immer bildungssatten Roman manches von David Finchers „The Game” und einiges mehr vom Filmregisseur David Lynch.
In dessen „Lost Highway” tritt Robert Blake alias „Mystery Man” bei einer Party auf Bill Pullman zu und bescheidet ihn, genau jetzt zugleich in dessen Appartment zu sein. Dem frappierten Pullman reicht er zum Beweis ein Telefon. Das folgende Gespräch zwischen den dreien gehört sicher zu den aufreibendsten der Filmgeschichte. Krausser setzt ähnliche Effekte. Anders als Lynch aber legt er seinem „Mystery Man” Sam Kurthes eine Theorie in den Mund, die Unerklärliches erklären hilft: „Zeit existiert nur deshalb, damit nicht alles auf einmal passiert”, lehrt Kurthes den derangierten Hermannstein.
Im „Ultrachronos” – daher das Kürzel im Titel – treiben Bilder, Sehnsüchte. „Der UC frisst auf was war und formt es um.” Eine Spanne wie zwischen null Uhr und Mitternacht ist er, „nah am Reich der Poesie”. Im Märchen fragt der Herr den Schatten, was er in der Poesie vorfand. „Alles”, sagte der Schatten, „denn ich sah alles, und ich weiß alles.” Kraussers „Ultrachronos” ist eine Metapher für den Reichtum des Erzählens. So, wie der Schatten eine Metapher für den Schriftsteller ist, der nur formen kann, was seine Figuren abwerfen.
TOBIAS RÜTHER
HELMUT KRAUSSER: UC. Roman. Unter Zuhilfenahme eines Märchens von H.C. Andersen. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003. 479 S., 19,90Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2003Ich spüre nur, daß irgendwas mit Zeigern nach mir schmeißt
Doppelknoten im Zeitstrahl: Helmut Krausser bittet in seinem neuen Roman zum Klassentreffen im Paralleluniversum
Zum Klassentreffen stellen sich alle Musen pünktlich ein. Ist ein Ereignis denkbar, das dem Künstler mehr Inspiration bieten könnte als das Wiedersehen zwei Jahrzehnte nach dem Abitur? Der Dirigent Arndt Hermannstein fliegt dafür eigens aus Rom ein. Warum ihm die Begegnung mit Heike, inzwischen Assistentin beim Privatfunk ("ein Job, in den man auch mit vierundzwanzig ohne Vorkenntnisse reinkommt") oder Sozialhilfeempfänger Jo oder all den anderen mehr oder weniger Gescheiterten so wichtig ist, weiß er selbst nicht. Etwas Undefinierbares zieht ihn in diesen Schwabinger Biergarten. Für den Vergangenheitssüchtigen ist die von der Exfreundin Anne angebotene Riesenbreze ein gefundenes Fressen: Einfach in den Maßkrug tauchen, dann steigen die Erinnerungen wie beim Proustschen Teetrinken auf: Liebeleien, Schwärmereien oder eine eilige Nummer auf dem Klo während der Kursfahrt nach Florenz.
Alle Musen sind schon da. Nur Marita, die wichtigste, kommt zu spät, was kein Wunder ist, denn sie ist seit zweiundzwanzig Jahren tot - verschwunden in der Nacht nach einer exzessiven Schulparty, wo sie allen Jungs mit einem Striptease den Kopf verdrehte. Als wenige Wochen nach dem Klassentreffen ihre Knochen im Wald gefunden werden, beginnt Arndt an seinem Verstand zu zweifeln. Denn er hat Marita doch gerade noch auf der Holzbank sitzen sehen, zwar heruntergekommen, verhärmt und ungepflegt, gespenstisch, doch keineswegs geisterhaft. Und nun machen seine Schulkameraden Andeutungen über eine Ausschweifung im Wald, eine kollektive Vergewaltigung, ein schreckliches Verbrechen, an dem Arndt damals beteiligt gewesen sein soll, von dem er aber nichts weiß.
Helmut Kraussers neuer Roman bedient sich der analytischen Struktur des Kriminalromans, die er mit einem einfachen Trick abwandelt: Einer der Verdächtigen ist zugleich der Erzähler, der jedoch unter einer merkwürdigen Anomalie der Erinnerung zu leiden scheint: Arndt erinnert sich an Dinge, die nie geschehen sind. So verbringt er eine Nacht mit der getrennt lebenden Ehefrau, von der die später nichts mehr wissen will. Vor der Alternative, entweder verrückt zu sein oder Opfer einer unfassenden Verschwörung, lösen sich Arndts vielversprechende Dirigentenkarriere und sein Privatleben im Strudel der Paranoia auf: Schließlich endet er, von Freunden verlassen, von einer Bekannten denunziert, von der Polizei gejagt in einem Hotel auf Kreta.
An das Skelett der durchaus spannenden Krimi- und Psychothrillerhandlung lagert Krausser nun in gewohnter Manier das üppige Fleisch seiner softpornographischen Exkurse an, in denen jeder mal mit jedem darf, und überzieht das Ganze mit der Orangenhaut einer theosophischen Weltsicht, in die Arndt durch den charismatischen Schriftsteller Samuel Kurthes eingeführt wird. Beider Leben scheinen auf merkwürdige Weise miteinander verschlungen: Nicht nur sind sie sich an Schlüsselstellen der Vergangenheit mehrfach begegnet, auch schart der inzwischen zu einem Wohlfühlsektenführer mutierte Autor die Frauen aus Arndts Leben um sich.
In seinen Vorträgen entwickelt Kurthes die Lehre vom "Hyperchronos", eine physikalisch verbrämte Zeittheorie, derzufolge die starre Linearität menschlicher Wahrnehmung durch den Zugang zu höheren Dimensionen überwunden werden kann. In der Mitte des Romans darf Kurthes diesen Theoriemix aus Populärwissenschaft, Philosophie und Esoterik vor dem Leser ausbreiten und damit eine wissenschaftliche Begründung der erzählerischen Konstruktion liefern. Denn Arndt, nicht zufällig als Dirigent ein Virtuose der Zeitbehandlung, verfügt über die Gabe des Ultrachronos, der "höchsten Transzendenzstufe einer menschlichen Entität", die dem Normalsterblichen erst unmittelbar vor dem Tod eigen ist, wenn sein Dasein "wie ein Film" vor seinen Augen abläuft. Da Arndt nicht nur zwischen den Zeiten, sondern auch den Paralleluniversen des Wirklichen und Möglichen wandeln kann, löst sich der Mordfall Marita in metaphysische Spekulation auf. Arndt war der Täter, weil er es hätte sein können.
Doch damit nicht genug der Knoten: Ein ausführlich wiedergegebenes Märchen von H. C. "Hyperchronos" Andersen wird zur weiteren Folie der Handlung: Der Schatten, der seinen Herrn zum Rollentausch zwingt und vernichtet, präfiguriert das Verhältnis von Arndt und dem dämonischen Kurthes, der am Ende das tragische Schicksal des Dirigenten zum Stoff eines Buchs macht - eben des vorliegenden Romans. Das höhere Wesen, das Arndts Leben vorherzubestimmen scheint, ist niemand anderes als sein Autor, "Samuel Kurthes" schließlich ein Anagramm von "Helmut Krausser". Worin die Pointe liegt, daß der eifersüchtige Autor seiner Romanfigur die Frauen ausspannen darf. So wie Geld in diesem luxuriös ausgestatteten Roman keine Rolle spielt - Arndt ist mit einer steinreichen Erbin verheiratet -, sind im Ultrachronos auch der Potenz keine Grenzen gesetzt,
"Jede Summa ist Selbstbetrug", heißt es gleich zu Beginn. "UC" ist in vielerlei Hinsicht eine Synthese von Kraussers Werk. Die Ausschlachtung romantischer Motive - Künstlermythos, Doppelgänger - ist ebensowenig neu wie die allgegenwärtige anal-, oral- und geruchsfixierte Erotik mit hohem Ekelfaktor. Ein Schwachpunkt bleibt auch die klischeehafte Figurenzeichnung: Wie glaubwürdig ist ein avantgardistischer Stardirigent, der Ballett für "blödes Gehopse" hält und bei einer rasanten Taxifahrt denkt: "Er fährt, wie ich Beethovens op. 72 hätte dirigieren müssen"?
Doch zum größten Stolperstein ist Krausser der Ehrgeiz geworden, die Handlungsschraube noch um eine metafiktionale Windung höher zu drehen. Denn wie in den schwächeren Büchern Paul Austers, der ebenso wie die moralisch unzuverlässigen Erzähler John Banvilles hier Pate gestanden hat, werden die metaphysischen Probleme banal, wenn man sie auf das Verhältnis des Autors zu seinen Figuren überträgt. Jeder Zufall im Roman ist trivialerweise Vorbestimmung; die Logik von Zeit und Raum ist nur zu erschüttern, wenn wir seine Welt erst einmal für die Wirklichkeit nehmen. Und wenn wir alle nur Figuren in einem Roman sind, den ein Gott auf seiner ewigen Tastatur tippt? Dann bleibt zu hoffen, daß er vor der Kritik dereinst mehr Gnade finden wird.
Helmut Krausser: "UC". Roman. Unter Zuhilfenahme eines Märchens von H. C. Andersen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. 480 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Doppelknoten im Zeitstrahl: Helmut Krausser bittet in seinem neuen Roman zum Klassentreffen im Paralleluniversum
Zum Klassentreffen stellen sich alle Musen pünktlich ein. Ist ein Ereignis denkbar, das dem Künstler mehr Inspiration bieten könnte als das Wiedersehen zwei Jahrzehnte nach dem Abitur? Der Dirigent Arndt Hermannstein fliegt dafür eigens aus Rom ein. Warum ihm die Begegnung mit Heike, inzwischen Assistentin beim Privatfunk ("ein Job, in den man auch mit vierundzwanzig ohne Vorkenntnisse reinkommt") oder Sozialhilfeempfänger Jo oder all den anderen mehr oder weniger Gescheiterten so wichtig ist, weiß er selbst nicht. Etwas Undefinierbares zieht ihn in diesen Schwabinger Biergarten. Für den Vergangenheitssüchtigen ist die von der Exfreundin Anne angebotene Riesenbreze ein gefundenes Fressen: Einfach in den Maßkrug tauchen, dann steigen die Erinnerungen wie beim Proustschen Teetrinken auf: Liebeleien, Schwärmereien oder eine eilige Nummer auf dem Klo während der Kursfahrt nach Florenz.
Alle Musen sind schon da. Nur Marita, die wichtigste, kommt zu spät, was kein Wunder ist, denn sie ist seit zweiundzwanzig Jahren tot - verschwunden in der Nacht nach einer exzessiven Schulparty, wo sie allen Jungs mit einem Striptease den Kopf verdrehte. Als wenige Wochen nach dem Klassentreffen ihre Knochen im Wald gefunden werden, beginnt Arndt an seinem Verstand zu zweifeln. Denn er hat Marita doch gerade noch auf der Holzbank sitzen sehen, zwar heruntergekommen, verhärmt und ungepflegt, gespenstisch, doch keineswegs geisterhaft. Und nun machen seine Schulkameraden Andeutungen über eine Ausschweifung im Wald, eine kollektive Vergewaltigung, ein schreckliches Verbrechen, an dem Arndt damals beteiligt gewesen sein soll, von dem er aber nichts weiß.
Helmut Kraussers neuer Roman bedient sich der analytischen Struktur des Kriminalromans, die er mit einem einfachen Trick abwandelt: Einer der Verdächtigen ist zugleich der Erzähler, der jedoch unter einer merkwürdigen Anomalie der Erinnerung zu leiden scheint: Arndt erinnert sich an Dinge, die nie geschehen sind. So verbringt er eine Nacht mit der getrennt lebenden Ehefrau, von der die später nichts mehr wissen will. Vor der Alternative, entweder verrückt zu sein oder Opfer einer unfassenden Verschwörung, lösen sich Arndts vielversprechende Dirigentenkarriere und sein Privatleben im Strudel der Paranoia auf: Schließlich endet er, von Freunden verlassen, von einer Bekannten denunziert, von der Polizei gejagt in einem Hotel auf Kreta.
An das Skelett der durchaus spannenden Krimi- und Psychothrillerhandlung lagert Krausser nun in gewohnter Manier das üppige Fleisch seiner softpornographischen Exkurse an, in denen jeder mal mit jedem darf, und überzieht das Ganze mit der Orangenhaut einer theosophischen Weltsicht, in die Arndt durch den charismatischen Schriftsteller Samuel Kurthes eingeführt wird. Beider Leben scheinen auf merkwürdige Weise miteinander verschlungen: Nicht nur sind sie sich an Schlüsselstellen der Vergangenheit mehrfach begegnet, auch schart der inzwischen zu einem Wohlfühlsektenführer mutierte Autor die Frauen aus Arndts Leben um sich.
In seinen Vorträgen entwickelt Kurthes die Lehre vom "Hyperchronos", eine physikalisch verbrämte Zeittheorie, derzufolge die starre Linearität menschlicher Wahrnehmung durch den Zugang zu höheren Dimensionen überwunden werden kann. In der Mitte des Romans darf Kurthes diesen Theoriemix aus Populärwissenschaft, Philosophie und Esoterik vor dem Leser ausbreiten und damit eine wissenschaftliche Begründung der erzählerischen Konstruktion liefern. Denn Arndt, nicht zufällig als Dirigent ein Virtuose der Zeitbehandlung, verfügt über die Gabe des Ultrachronos, der "höchsten Transzendenzstufe einer menschlichen Entität", die dem Normalsterblichen erst unmittelbar vor dem Tod eigen ist, wenn sein Dasein "wie ein Film" vor seinen Augen abläuft. Da Arndt nicht nur zwischen den Zeiten, sondern auch den Paralleluniversen des Wirklichen und Möglichen wandeln kann, löst sich der Mordfall Marita in metaphysische Spekulation auf. Arndt war der Täter, weil er es hätte sein können.
Doch damit nicht genug der Knoten: Ein ausführlich wiedergegebenes Märchen von H. C. "Hyperchronos" Andersen wird zur weiteren Folie der Handlung: Der Schatten, der seinen Herrn zum Rollentausch zwingt und vernichtet, präfiguriert das Verhältnis von Arndt und dem dämonischen Kurthes, der am Ende das tragische Schicksal des Dirigenten zum Stoff eines Buchs macht - eben des vorliegenden Romans. Das höhere Wesen, das Arndts Leben vorherzubestimmen scheint, ist niemand anderes als sein Autor, "Samuel Kurthes" schließlich ein Anagramm von "Helmut Krausser". Worin die Pointe liegt, daß der eifersüchtige Autor seiner Romanfigur die Frauen ausspannen darf. So wie Geld in diesem luxuriös ausgestatteten Roman keine Rolle spielt - Arndt ist mit einer steinreichen Erbin verheiratet -, sind im Ultrachronos auch der Potenz keine Grenzen gesetzt,
"Jede Summa ist Selbstbetrug", heißt es gleich zu Beginn. "UC" ist in vielerlei Hinsicht eine Synthese von Kraussers Werk. Die Ausschlachtung romantischer Motive - Künstlermythos, Doppelgänger - ist ebensowenig neu wie die allgegenwärtige anal-, oral- und geruchsfixierte Erotik mit hohem Ekelfaktor. Ein Schwachpunkt bleibt auch die klischeehafte Figurenzeichnung: Wie glaubwürdig ist ein avantgardistischer Stardirigent, der Ballett für "blödes Gehopse" hält und bei einer rasanten Taxifahrt denkt: "Er fährt, wie ich Beethovens op. 72 hätte dirigieren müssen"?
Doch zum größten Stolperstein ist Krausser der Ehrgeiz geworden, die Handlungsschraube noch um eine metafiktionale Windung höher zu drehen. Denn wie in den schwächeren Büchern Paul Austers, der ebenso wie die moralisch unzuverlässigen Erzähler John Banvilles hier Pate gestanden hat, werden die metaphysischen Probleme banal, wenn man sie auf das Verhältnis des Autors zu seinen Figuren überträgt. Jeder Zufall im Roman ist trivialerweise Vorbestimmung; die Logik von Zeit und Raum ist nur zu erschüttern, wenn wir seine Welt erst einmal für die Wirklichkeit nehmen. Und wenn wir alle nur Figuren in einem Roman sind, den ein Gott auf seiner ewigen Tastatur tippt? Dann bleibt zu hoffen, daß er vor der Kritik dereinst mehr Gnade finden wird.
Helmut Krausser: "UC". Roman. Unter Zuhilfenahme eines Märchens von H. C. Andersen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. 480 S., geb., 22,90 [Euro].
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Mit «UC» hat Helmut Krausser die Grenzen von Sein und Dasein ebenso gesprengt wie jene der Dimensionen. Der Spiegel