Welche Symbolkraft von Bäumen ausging, welche mythischen, religiösen und philosophischen Vorstellungen seit der Antike mit ihnen verbunden sind, schildert Alexander Demandt in seinem neuen Buch. In einem Gang durch die Kulturgeschichte beschreibt er, welche Beziehung Griechen und Römer, Germanen und Slawen, die Menschen des christlichen Mittelalters wie der Neuzeit zu Bäumen entwickelten.
Zu allen Zeiten haben Menschen eine besondere Nähe zu Bäumen empfunden. Mit dem Boden verbunden streben sie zum Licht, sie gedeihen einzeln unter ihresgleichen, sie trotzen Wind und Wetter und entwickeln einen individuellen Charakter, der ihre Natur und Lebensgeschichte zum Ausdruck bringt. Bäume wurden als Verkörperung oder Wohnort von Göttern verehrt, sie waren Symbole der Hoffnung von Menschen und Völkern, Modelle für Staaten und Familiengeschichte, Orte des Gedenkens und der Erkenntnis, der Liebe und des Todes. Religion und Philosophie, Dichtung und Kunst haben Bäume thematisiert. Gilgamesch, Bibel und Homer bezeugen es, Buddha und Platon, Upanishaden und Evangelien bestätigen es. Zeder und Palme, Linde und Eiche streiten um den Vorrang. Kirchenväter und Scholastik, Renaissance und Reformation, Kant und Goethe - sie alle hatten ihre eigene "Dendrosophie". Das setzt sich fort bis zu den Baumaktionen der modernen Künstler und den Motiven auf Briefmarken und Münzen. Nicht zuf ällig zeigen die deutschen Euro-Cents wieder das Eichenlaub.
Zu allen Zeiten haben Menschen eine besondere Nähe zu Bäumen empfunden. Mit dem Boden verbunden streben sie zum Licht, sie gedeihen einzeln unter ihresgleichen, sie trotzen Wind und Wetter und entwickeln einen individuellen Charakter, der ihre Natur und Lebensgeschichte zum Ausdruck bringt. Bäume wurden als Verkörperung oder Wohnort von Göttern verehrt, sie waren Symbole der Hoffnung von Menschen und Völkern, Modelle für Staaten und Familiengeschichte, Orte des Gedenkens und der Erkenntnis, der Liebe und des Todes. Religion und Philosophie, Dichtung und Kunst haben Bäume thematisiert. Gilgamesch, Bibel und Homer bezeugen es, Buddha und Platon, Upanishaden und Evangelien bestätigen es. Zeder und Palme, Linde und Eiche streiten um den Vorrang. Kirchenväter und Scholastik, Renaissance und Reformation, Kant und Goethe - sie alle hatten ihre eigene "Dendrosophie". Das setzt sich fort bis zu den Baumaktionen der modernen Künstler und den Motiven auf Briefmarken und Münzen. Nicht zuf ällig zeigen die deutschen Euro-Cents wieder das Eichenlaub.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.09.2002Ein einig Volk von Eichen
Neros Stiefvater trieb es mit der Buche: Alexander Demandts brillante Kulturgeschichte des Baumes
Über allen Wipfeln ist Ruh'. Ein Gespräch mit Bäumen läßt sich daher nur imaginativ führen. Und mit dem Gespräch über Bäume ist das so eine Sache: Immer noch haben wir Brechts Klage an die Nachgeborenen im Ohr: "Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!" Nun ist dem Berliner Althistoriker Alexander Demandt allerdings das Kunststück gelungen, ein kulturgeschichtliches Gespräch über Bäume zu führen, das die im Namen teutonischer Eichen verübten Untaten gerade nicht verschweigt, sondern einschließt.
Ihren Anfang nimmt die überaus materialreiche Darstellung bei der Genesis und den zwei Bäumen des Paradieses. Von dort geht es weiter zu der dem Gotte El geweihten Terebinthe von Mamre, wo Abraham zum Stamm-Vater des Volkes Israel und damit auch zum Stammvater jener "Wurzel Jesse" wurde, aus der das Christentum den Erlöser hervorblühen sieht. Neben den kabbalistischen Baum der jüdischen und den Kreuzesbaum der christlichen Exegese stellt Demandt die Baum-Kultur des Orients. In den Upanishaden begegnet das auch in anderen Kulturkreisen geläufige Bild vom umgekehrten Baum, der seine Wurzeln im Himmel hat. Die chinesische Mythologie wiederum kennt einen Weltenbaum mit Namen Kien-mu, der an die germanische Weltesche Yggdrasil erinnert.
Das Gilgamesch-Epos (zweites Jahrtausend vor Christus) könnte als erste literarische Darstellung des Konflikts zwischen Technik und Natur, konkret: zwischen Urwald und gerodeter Kulturlandschaft, angesehen werden. Als versöhnt erscheint dieser Konflikt in der mythischen Vorstellung der Dendrogonie, wonach der Mensch aus dem Baum entstanden ist.
Den Römern gingen die Bäume über alles - jedenfalls, sofern sie nicht der Eroberung transalpiner Gebiete im Wege standen. Wo es freilich galt, das Holz barbarischer Waldheiligtümer für den Limesbau zu nutzen, konnte der Held des Gallischen Kriegs schon einmal selbst zur Axt greifen, um den Aberglauben an rachelustige Baumgötter mit Stumpf und Stiel zu vernichten. Der baumstarke Caesar wußte eben noch, was er dem Ideal eines vir vere Romanus schuldig war. Doch von der Dekadenz blieb auch Rom nicht verschont, und schon bald schoß eine luxuriöse Ziergärtnerei ins Kraut, der die prärousseauistische Sehnsucht nach der natürlichen Natur auf dem Fuß folgte. Konsul Passienus Crispus zum Beispiel, der Stiefvater Neros, war in eine Buche verliebt, die er zu küssen, zu umarmen und mit Wein zu begießen pflegte. Diese Naturverbundenheit schützte ihn freilich nicht davor, von seiner eher weniger dendrophilen Frau ermordet zu werden - o tempora, o mores.
Gegen die stilisierten Dekor-Bäume der folgenden Jahrhunderte nimmt sich die auf absteigendem Aste befindliche Kultur Roms freilich noch recht gediegen aus: 917 nach Christus gab es im Kalifenpalast zu Bagdad einen Kunstbaum, aus dessen Ästen der Gesang mechanischer Vögel erklang. Auf fränkischem Gebiet ging zu dieser Zeit die Königswürde von den Karolingern auf die Sachsen über - auf jene störrischen Heiden also, die von Bonifatius und seinen Nachfolgern nur mit größter Mühe hatten bekehrt werden können. Wie viele Donar-Eichen waren nicht zu fällen gewesen, bis das rauhe Volk der Germanen seinen Baumgöttern abschwor! Ganz glückte die monotheistische Mission freilich nie: Noch der Weihnachtsbaum schließt einen Kompromiß mit dem heidnischen Brauchtum. Und spätestens mit Klopstocks Glorifizierung der deutschen Eiche lebte der alte Kult wieder auf.
Das Kaiserreich erhob die Eiche dann zur Ikone der deutschen Machtpolitik; und nach dessen Ende, am 2. Dezember 1919, beklagte Kaiser Wilhelm den "Giftpilz am deutschen Eichbaum". Eichenwald und Buchenwald und Birkenau - man versteht, warum ein "Gespräch über Bäume" im Jahre 1937 "fast ein Verbrechen" war und warum, entgegen aller "Normalisierung", auch im Jahre 2002 über Buchen nicht gesprochen werden sollte, ohne daß man zugleich über Buchenwald spricht oder daran denkt.
Demandts Kulturgeschichte des Baumes leistet einen wichtigen Beitrag zu diesem Gespräch; der Abschnitt über die "Nazifizierung des Waldes" gehört zu den informativsten des Buches. Das erste gesamtdeutsche Naturschutzgesetz, so ist zu erfahren, stammt aus dem Jahr 1935; zu erfahren ist aber auch, daß Hermann Göring den Wald in "NS-Baumgemeinschaft" umbenannte und denselben als Lehrmeister der Volksgemeinschaft verstand. Seit 1938 gab es in Himmlers Lehr- und Forschungsverein "Ahnenerbe" eine Abteilung "Wald und Baum in der arisch-germanischen Geistes- und Kulturgeschichte" - es war das größte geisteswissenschaftliche Forschungsvorhaben des Dritten Reichs. Viel später, in den achtziger Jahren, ging das "Gespräch über Bäume" in ein Gespräch über das Waldsterben über.
SANDRA KLUWE
Alexander Demandt: "Über allen Wipfeln". Der Baum in der Kulturgeschichte. Böhlau Verlag, Köln 2002. 366 S., 15 Farb-u. 29 S/W-Abb., geb., 25,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neros Stiefvater trieb es mit der Buche: Alexander Demandts brillante Kulturgeschichte des Baumes
Über allen Wipfeln ist Ruh'. Ein Gespräch mit Bäumen läßt sich daher nur imaginativ führen. Und mit dem Gespräch über Bäume ist das so eine Sache: Immer noch haben wir Brechts Klage an die Nachgeborenen im Ohr: "Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!" Nun ist dem Berliner Althistoriker Alexander Demandt allerdings das Kunststück gelungen, ein kulturgeschichtliches Gespräch über Bäume zu führen, das die im Namen teutonischer Eichen verübten Untaten gerade nicht verschweigt, sondern einschließt.
Ihren Anfang nimmt die überaus materialreiche Darstellung bei der Genesis und den zwei Bäumen des Paradieses. Von dort geht es weiter zu der dem Gotte El geweihten Terebinthe von Mamre, wo Abraham zum Stamm-Vater des Volkes Israel und damit auch zum Stammvater jener "Wurzel Jesse" wurde, aus der das Christentum den Erlöser hervorblühen sieht. Neben den kabbalistischen Baum der jüdischen und den Kreuzesbaum der christlichen Exegese stellt Demandt die Baum-Kultur des Orients. In den Upanishaden begegnet das auch in anderen Kulturkreisen geläufige Bild vom umgekehrten Baum, der seine Wurzeln im Himmel hat. Die chinesische Mythologie wiederum kennt einen Weltenbaum mit Namen Kien-mu, der an die germanische Weltesche Yggdrasil erinnert.
Das Gilgamesch-Epos (zweites Jahrtausend vor Christus) könnte als erste literarische Darstellung des Konflikts zwischen Technik und Natur, konkret: zwischen Urwald und gerodeter Kulturlandschaft, angesehen werden. Als versöhnt erscheint dieser Konflikt in der mythischen Vorstellung der Dendrogonie, wonach der Mensch aus dem Baum entstanden ist.
Den Römern gingen die Bäume über alles - jedenfalls, sofern sie nicht der Eroberung transalpiner Gebiete im Wege standen. Wo es freilich galt, das Holz barbarischer Waldheiligtümer für den Limesbau zu nutzen, konnte der Held des Gallischen Kriegs schon einmal selbst zur Axt greifen, um den Aberglauben an rachelustige Baumgötter mit Stumpf und Stiel zu vernichten. Der baumstarke Caesar wußte eben noch, was er dem Ideal eines vir vere Romanus schuldig war. Doch von der Dekadenz blieb auch Rom nicht verschont, und schon bald schoß eine luxuriöse Ziergärtnerei ins Kraut, der die prärousseauistische Sehnsucht nach der natürlichen Natur auf dem Fuß folgte. Konsul Passienus Crispus zum Beispiel, der Stiefvater Neros, war in eine Buche verliebt, die er zu küssen, zu umarmen und mit Wein zu begießen pflegte. Diese Naturverbundenheit schützte ihn freilich nicht davor, von seiner eher weniger dendrophilen Frau ermordet zu werden - o tempora, o mores.
Gegen die stilisierten Dekor-Bäume der folgenden Jahrhunderte nimmt sich die auf absteigendem Aste befindliche Kultur Roms freilich noch recht gediegen aus: 917 nach Christus gab es im Kalifenpalast zu Bagdad einen Kunstbaum, aus dessen Ästen der Gesang mechanischer Vögel erklang. Auf fränkischem Gebiet ging zu dieser Zeit die Königswürde von den Karolingern auf die Sachsen über - auf jene störrischen Heiden also, die von Bonifatius und seinen Nachfolgern nur mit größter Mühe hatten bekehrt werden können. Wie viele Donar-Eichen waren nicht zu fällen gewesen, bis das rauhe Volk der Germanen seinen Baumgöttern abschwor! Ganz glückte die monotheistische Mission freilich nie: Noch der Weihnachtsbaum schließt einen Kompromiß mit dem heidnischen Brauchtum. Und spätestens mit Klopstocks Glorifizierung der deutschen Eiche lebte der alte Kult wieder auf.
Das Kaiserreich erhob die Eiche dann zur Ikone der deutschen Machtpolitik; und nach dessen Ende, am 2. Dezember 1919, beklagte Kaiser Wilhelm den "Giftpilz am deutschen Eichbaum". Eichenwald und Buchenwald und Birkenau - man versteht, warum ein "Gespräch über Bäume" im Jahre 1937 "fast ein Verbrechen" war und warum, entgegen aller "Normalisierung", auch im Jahre 2002 über Buchen nicht gesprochen werden sollte, ohne daß man zugleich über Buchenwald spricht oder daran denkt.
Demandts Kulturgeschichte des Baumes leistet einen wichtigen Beitrag zu diesem Gespräch; der Abschnitt über die "Nazifizierung des Waldes" gehört zu den informativsten des Buches. Das erste gesamtdeutsche Naturschutzgesetz, so ist zu erfahren, stammt aus dem Jahr 1935; zu erfahren ist aber auch, daß Hermann Göring den Wald in "NS-Baumgemeinschaft" umbenannte und denselben als Lehrmeister der Volksgemeinschaft verstand. Seit 1938 gab es in Himmlers Lehr- und Forschungsverein "Ahnenerbe" eine Abteilung "Wald und Baum in der arisch-germanischen Geistes- und Kulturgeschichte" - es war das größte geisteswissenschaftliche Forschungsvorhaben des Dritten Reichs. Viel später, in den achtziger Jahren, ging das "Gespräch über Bäume" in ein Gespräch über das Waldsterben über.
SANDRA KLUWE
Alexander Demandt: "Über allen Wipfeln". Der Baum in der Kulturgeschichte. Böhlau Verlag, Köln 2002. 366 S., 15 Farb-u. 29 S/W-Abb., geb., 25,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sandra Kluwe versucht in ihrer Rezension einen Schnelldurchlauf durch die Kulturgeschichte des Baumes, wie sie der Autor in seinem Buch bietet. Sie lobt den Band für seinen Materialreichtum, der von der Genesis bis zur Gegenwart das Thema verfolgt. Besonders beeindruckt ist sie aber von dem Kapitel über die Glorifizierung der Bäume und des Waldes durch die Nazis, das sie als "informativsten" Teil des Buches lobt. Demandt gelinge das "Kunststück", über Bäume schreiben zu können, ohne die Verbrechen, die in ihrem Namen begangen worden sind, zu vernachlässigen, wie es Brecht in einem berühmten Gedicht beklagt hat, so die Rezensentin begeistert. Denn Brecht befürchtete in seinem berühmten Gedicht, dass ein "Gespräch über Bäume" dadurch zum Verbrechen wird, dass es Naziuntaten verschweigt, erinnert Kluwe. Dem Autor attestiert sie, sich dieses Verbrechens nicht schuldig gemacht zu haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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