"Die Emigration Benjamins war ein Akt, der untrennbar ist von seinem Werk. Dieses Werk, das ist bereits vorausprojiziert in Partien der Einbahnstraße, lebt aus der unmittelbaren Erfahrung der Emigration." Nur selten hat Helmut Heißenbüttel (1921-1996), Literaturkritiker und avantgardistischer Autor, so nachdrücklich bei einem Schriftsteller auf die Wichtigkeit der Lebensgeschichte, auf die unmittelbare Verschränkung von Existenz und schriftlichem Ausdruck gepocht wie im Falle Walter Benjamins. Überraschend wechselt er dabei auch den Modus: Von diskursiven Äußerungen über den Rundfunkautor oder den Briefeschreiber geht er über zur literarischen Formulierung in der "Nacht in den Pyrenäen", worin er die letzten Tage Benjamins nachzeichnet. Die in diesem Band gesammelten Texte sind zwischen 1967 und 1983 publiziert bzw. gesendet worden. (Einige werden hier zum ersten Mal gedruckt.) In diesem Zeitraum hat sich nicht nur Benjamins Bild in der Öffentlichkeit verändert, sondern ebenfallsHeißenbüttels Auffassung von Literatur. Stets argumentiert Heißenbüttel auch aus der Position des Produzierenden, des dichterisch Tätigen - in den späteren Beiträgen mit der für ihn einschneidenden Erfahrung, daß die politisch-kulturellen Hoffnungen der »goldenen« sechziger Jahre nicht realisiert wurden; dichtend konnte die Welt nicht verändert werden.Über Benjamin ist das Zeugnis einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit Leben und Werk, die zugleich den, der sich da auseinandersetzt, anschaulich mitcharakterisiert. Aus guten Gründen ruft das Nachwort von Christina Weiss die Gestalt Heißenbüttels, des fast schon Verschwundenen, zurück.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2008Totenklage
Einen anagogischen Hallraum hat es, was Walter Benjamin im August 1940, die lebensbedrohliche französische Kollaboration vor Augen, an Adorno schrieb: "Ich bin verurteilt, jede Zeitung . . . wie eine an mich ergangene Zustellung zu lesen und aus jeder Radiosendung die Stimme des Unglücksboten herauszuhören." Auf den Trümmern der Geschichte findet das Absolute keinen Halt mehr. Nur eine Unheilslehre, eine negative Verkündigung mochte diese Realität noch erfassen. Einen Monat später nahm sich Benjamin das Leben, nachdem er trotz Emergency-Visum von einem Posten an der französisch-spanischen Grenze abgewiesen worden war. Aus dem Jahre 1979 stammt eine der würdigsten Totenklagen auf den Philosophen, verfasst von Helmut Heißenbüttel, der Benjamins Theorien - vor allem den "Kunstwerk"-Aufsatz sowie "Der Autor als Produzent" - als Grundlage für seine eigene, kombinatorische Poetik ansah. In Heißenbüttels poetischem Epitaph stirbt Benjamin nicht einfach auf dem Weg, sondern erreicht ein letztes Ziel, steht vor dem Unglücksboten: "Dies war die Grenze. Diese steinerne und, wenn man will, fast biblische Herberge, die ich mir da vorstelle, vorphantasiere, einbilde, am Rand des wüsten und unwegsamen Gebirgsmassivs war die Grenze." Jetzt ist "Die Nacht in den Pyrenäen" mit anderen instruktiven Texten Heißenbüttels zum Grenzgänger Benjamin, den er aus Adornos Fängen befreien wollte, in einem kleinen Sammelband mit neuem, erhellendem Nachwort zugänglich. (Helmut Heißenbüttel: "Über Benjamin". Hrsg. und mit einem Nachwort von Thomas Combrink. Vorwort von Christina Weiss. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 204 S., geb., 14,80 [Euro].) oju
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einen anagogischen Hallraum hat es, was Walter Benjamin im August 1940, die lebensbedrohliche französische Kollaboration vor Augen, an Adorno schrieb: "Ich bin verurteilt, jede Zeitung . . . wie eine an mich ergangene Zustellung zu lesen und aus jeder Radiosendung die Stimme des Unglücksboten herauszuhören." Auf den Trümmern der Geschichte findet das Absolute keinen Halt mehr. Nur eine Unheilslehre, eine negative Verkündigung mochte diese Realität noch erfassen. Einen Monat später nahm sich Benjamin das Leben, nachdem er trotz Emergency-Visum von einem Posten an der französisch-spanischen Grenze abgewiesen worden war. Aus dem Jahre 1979 stammt eine der würdigsten Totenklagen auf den Philosophen, verfasst von Helmut Heißenbüttel, der Benjamins Theorien - vor allem den "Kunstwerk"-Aufsatz sowie "Der Autor als Produzent" - als Grundlage für seine eigene, kombinatorische Poetik ansah. In Heißenbüttels poetischem Epitaph stirbt Benjamin nicht einfach auf dem Weg, sondern erreicht ein letztes Ziel, steht vor dem Unglücksboten: "Dies war die Grenze. Diese steinerne und, wenn man will, fast biblische Herberge, die ich mir da vorstelle, vorphantasiere, einbilde, am Rand des wüsten und unwegsamen Gebirgsmassivs war die Grenze." Jetzt ist "Die Nacht in den Pyrenäen" mit anderen instruktiven Texten Heißenbüttels zum Grenzgänger Benjamin, den er aus Adornos Fängen befreien wollte, in einem kleinen Sammelband mit neuem, erhellendem Nachwort zugänglich. (Helmut Heißenbüttel: "Über Benjamin". Hrsg. und mit einem Nachwort von Thomas Combrink. Vorwort von Christina Weiss. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 204 S., geb., 14,80 [Euro].) oju
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»Aus dem Jahre 1979 stammt eine der würdigsten Totenklagen auf den Philosophen Benjamin, verfasst von Helmut Heißenbüttel, der Benjamins Theorien als Grundlage für seine eigene, kombinatorische Poetik ansah.« Frankfurter Allgemeine Zeitung