In westlichen Gesellschaften sind post-politische Konzepte des Dritten Weges derzeit en vogue. Sie propagieren eine konsensuelle Form von Demokratie jenseits der politischen Opposition von rechts und links. Chantal Mouffe kritisiert daran, daß diese Konzepte die antagonistische Dimension des Politischen und die Ambivalenz der menschlichen Natur leugnen. Nach einer Analyse des Begriffs des Politischen, die sich auf Carl Schmitt stützt, übt Mouffe Kritik an Habermas, Rorty, Giddens und Beck. Unter Bezug auf aktuelle Probleme wie den Terrorismus deckt sie Defizite und politische Gefahren post-politischer Konzepte auf und argumentiert zwingend gegen die Möglichkeit eines universalen rationalen Konsenses und für den antagonistischen Charakter von Politik. Über das Politische ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem aktuellen Zustand und der Zukunft der Demokratie. Chantal Mouffe ist Professorin für Politische Theorie am Centre of the Study of Democracy an der Universität Westminster.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.01.2008Ein Kampf zwischen Gegnern
Chantal Mouffe setzt die Machtfrage auf die Tagesordnung
An theoretischen Gesellschafts- und Politikentwürfen herrschte in den letzten Jahren kein Mangel. Nach dem Ende des Kalten Krieges begeisterte man sich für neue Weltordnungen, entdeckte die Globalisierung oder suchte in Abgrenzung zu neoliberalen Triumphalisten nach einem sozialdemokratischen „dritten Weg”. Allein die Wirklichkeit wollte sich nie so recht den Theorien fügen. Kosmopolitisch gesinnte reflexive Modernisierer wie Ulrich Beck, Jürgen Habermas oder Anthony Giddens sahen ihre normativ imprägnierten Zeitdiagnosen sehr schnell auf dem Ramschtisch des modernen Antiquariats wieder. Weder setzte sich eine „postnationale Konstellation” nachhaltig durch, noch verschwand die Religion in einer säkularisierten Moderne, und auch die einst so mobilisierende Idee des Westens scheint transatlantisch gespalten zu sein. Insgesamt ließen sich global vielfältige Transformationsprozesse beobachten, ohne dass es zu einer Kopplung von technischer Modernisierung, ökonomischer Liberalisierung und Demokratisierung kommen musste.
Die in London lehrende Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe rechnet in ihrem Essay „Über das Politische” fulminant mit dem Mainstream des westlichen Universalismus ab. Den Glauben an vernunftbasierte politische Übereinkommen stellt sie radikal in Frage, denn jede Form von Konsensutopie ist aus ihrer Sicht in letzter Konsequenz Antipolitik. Eine derartige Auffassung vom Politischen schließt alle, die ein solches Grundvertrauen nicht teilen, von jeder Debatte aus. Nicht um geteilte normative Maßstäbe kreist ihr Verständnis von Politik, sondern sie hebt mit Carl Schmitt das antagonistische Prinzip des Politischen hervor. Politik ist zwar nicht mehr als erbitterte Konfrontation zwischen Freund und Feind zu denken, aber sie bleibt prinzipiell nur zu verstehen als gehegter Kampf zwischen Gegnern um Hegemonie – „Feinde darf man töten, Gegner nur bekämpfen”. Dazu bedarf es laut Mouffe lediglich einer Sphäre der geregelten Auseinandersetzung, nicht jedoch eine präjudizierte moralische Einigung über grundsätzliche politische Ziele.
Leidenschaftlich Partei
Mouffe setzt damit die Machtfrage wieder auf die Tagesordnung der politischen Reflexion und wendet sich in der Hauptsache gegen die Moralisierung, die der kosmopolitischen Vision innewohnt. Dabei habe man es paradoxerweise „noch immer mit politischen Freund-Feind-Unterscheidungen zu tun, die jetzt aber unter Verwendung des Vokabulars der Moral artikuliert werden”. Eine derart selbstgewisse Haltung verkenne den Charakter des Politischen – und mache überdies die Auseinandersetzung mit einem Gegenüber, das nicht den gleichen Wertehorizont teilt, vollends unmöglich.
Darüber hinaus bezweifelt Mouffe, dass moderne Gesellschaften jemals in ein Zeitalter eintreten, in dem „postkonventionelle Identitäten” eine rein rationale Behandlung politischer Fragen ermöglichen könnten. Sie hält an dem menschlichen Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft fest und betont die Notwendigkeit kollektiver Identität für das soziale Leben. Mit ihrer „agonistischen Konzeption von Demokratie” plädiert sie dafür, die „Dimension leidenschaftlicher Parteilichkeit” und die „konfliktvolle Darstellung der Welt mit gegnerischen Lagern” anzuerkennen. Kosmopolitismus und Global Gouvernance sind für sie zwei Seiten derselben Medaille: ob nun ideell verbrämt oder zur technischen Problemlösung reduziert, manifestiert sich hier der Glaube an eine alternativlose Weltgesellschaft.
Chantal Mouffe streitet mit Verve „wider die kosmopolitische Illusion”, und so mancher Leser wird ihre theoretisch versierten Angriffe gegen die etwas blutarme deliberative political correctness mit Genuss lesen. Mouffes rhetorischer Antiliberalismus mag in deutscher Übersetzung etwas verwirren, erscheint doch ihr Beharren auf Pluralismus und ihr antiideologischer Impetus in vielerlei Hinsicht prototypisch liberal. Allerdings hat diese Irritation nicht nur kulturelle Gründe, wenn man in Rechnung stellt, dass „liberal” in angelsächsischen Kontexten häufig „sozialdemokratisch” meint. Die ehemalige Marxistin und Gramsci-Exegetin fordert immerhin eine „tiefgreifende Veränderung der bestehenden Machtverhältnisse und die Schaffung einer neuen Hegemonie”. Damit kultiviert sie einen Begriff der „radikalen Demokratie”, den auch ihre Opponenten sehr schätzen. Doch wenn Mouffe mit ihrer Konzeption ausdrücklich zu einer Neuorientierung der Linken beitragen möchte, was ist dann ihr eigentliches politisches Anliegen? Im Gegensatz zu Habermas oder Giddens, die sich zumindest um eine Redefinition von Leitwerten wie Gleichheit und Gerechtigkeit bemüht haben, vermeidet Mouffe jede Präzisierung von substantiellen Inhalten. Auf einer Metaebene thematisiert sie das Politische als Reflexionsraum, und sie tut dies diametral entgegengesetzt zum Entwurf Hannah Arendts, der es nicht um Konfrontation, sondern um das gemeinsame Handeln freier Bürger zu tun war. Über Zwecke und Wertorientierung des Handelns schwieg sich freilich auch Arendt aus. Mouffes temperamentvolles und anregendes Buch lässt darauf hoffen, dass sie der Linken noch Auskunft über politische Optionen erteilt. JENS HACKE
CHANTAL MOUFFE: Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 170 Seiten, 9 Euro.
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Chantal Mouffe setzt die Machtfrage auf die Tagesordnung
An theoretischen Gesellschafts- und Politikentwürfen herrschte in den letzten Jahren kein Mangel. Nach dem Ende des Kalten Krieges begeisterte man sich für neue Weltordnungen, entdeckte die Globalisierung oder suchte in Abgrenzung zu neoliberalen Triumphalisten nach einem sozialdemokratischen „dritten Weg”. Allein die Wirklichkeit wollte sich nie so recht den Theorien fügen. Kosmopolitisch gesinnte reflexive Modernisierer wie Ulrich Beck, Jürgen Habermas oder Anthony Giddens sahen ihre normativ imprägnierten Zeitdiagnosen sehr schnell auf dem Ramschtisch des modernen Antiquariats wieder. Weder setzte sich eine „postnationale Konstellation” nachhaltig durch, noch verschwand die Religion in einer säkularisierten Moderne, und auch die einst so mobilisierende Idee des Westens scheint transatlantisch gespalten zu sein. Insgesamt ließen sich global vielfältige Transformationsprozesse beobachten, ohne dass es zu einer Kopplung von technischer Modernisierung, ökonomischer Liberalisierung und Demokratisierung kommen musste.
Die in London lehrende Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe rechnet in ihrem Essay „Über das Politische” fulminant mit dem Mainstream des westlichen Universalismus ab. Den Glauben an vernunftbasierte politische Übereinkommen stellt sie radikal in Frage, denn jede Form von Konsensutopie ist aus ihrer Sicht in letzter Konsequenz Antipolitik. Eine derartige Auffassung vom Politischen schließt alle, die ein solches Grundvertrauen nicht teilen, von jeder Debatte aus. Nicht um geteilte normative Maßstäbe kreist ihr Verständnis von Politik, sondern sie hebt mit Carl Schmitt das antagonistische Prinzip des Politischen hervor. Politik ist zwar nicht mehr als erbitterte Konfrontation zwischen Freund und Feind zu denken, aber sie bleibt prinzipiell nur zu verstehen als gehegter Kampf zwischen Gegnern um Hegemonie – „Feinde darf man töten, Gegner nur bekämpfen”. Dazu bedarf es laut Mouffe lediglich einer Sphäre der geregelten Auseinandersetzung, nicht jedoch eine präjudizierte moralische Einigung über grundsätzliche politische Ziele.
Leidenschaftlich Partei
Mouffe setzt damit die Machtfrage wieder auf die Tagesordnung der politischen Reflexion und wendet sich in der Hauptsache gegen die Moralisierung, die der kosmopolitischen Vision innewohnt. Dabei habe man es paradoxerweise „noch immer mit politischen Freund-Feind-Unterscheidungen zu tun, die jetzt aber unter Verwendung des Vokabulars der Moral artikuliert werden”. Eine derart selbstgewisse Haltung verkenne den Charakter des Politischen – und mache überdies die Auseinandersetzung mit einem Gegenüber, das nicht den gleichen Wertehorizont teilt, vollends unmöglich.
Darüber hinaus bezweifelt Mouffe, dass moderne Gesellschaften jemals in ein Zeitalter eintreten, in dem „postkonventionelle Identitäten” eine rein rationale Behandlung politischer Fragen ermöglichen könnten. Sie hält an dem menschlichen Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft fest und betont die Notwendigkeit kollektiver Identität für das soziale Leben. Mit ihrer „agonistischen Konzeption von Demokratie” plädiert sie dafür, die „Dimension leidenschaftlicher Parteilichkeit” und die „konfliktvolle Darstellung der Welt mit gegnerischen Lagern” anzuerkennen. Kosmopolitismus und Global Gouvernance sind für sie zwei Seiten derselben Medaille: ob nun ideell verbrämt oder zur technischen Problemlösung reduziert, manifestiert sich hier der Glaube an eine alternativlose Weltgesellschaft.
Chantal Mouffe streitet mit Verve „wider die kosmopolitische Illusion”, und so mancher Leser wird ihre theoretisch versierten Angriffe gegen die etwas blutarme deliberative political correctness mit Genuss lesen. Mouffes rhetorischer Antiliberalismus mag in deutscher Übersetzung etwas verwirren, erscheint doch ihr Beharren auf Pluralismus und ihr antiideologischer Impetus in vielerlei Hinsicht prototypisch liberal. Allerdings hat diese Irritation nicht nur kulturelle Gründe, wenn man in Rechnung stellt, dass „liberal” in angelsächsischen Kontexten häufig „sozialdemokratisch” meint. Die ehemalige Marxistin und Gramsci-Exegetin fordert immerhin eine „tiefgreifende Veränderung der bestehenden Machtverhältnisse und die Schaffung einer neuen Hegemonie”. Damit kultiviert sie einen Begriff der „radikalen Demokratie”, den auch ihre Opponenten sehr schätzen. Doch wenn Mouffe mit ihrer Konzeption ausdrücklich zu einer Neuorientierung der Linken beitragen möchte, was ist dann ihr eigentliches politisches Anliegen? Im Gegensatz zu Habermas oder Giddens, die sich zumindest um eine Redefinition von Leitwerten wie Gleichheit und Gerechtigkeit bemüht haben, vermeidet Mouffe jede Präzisierung von substantiellen Inhalten. Auf einer Metaebene thematisiert sie das Politische als Reflexionsraum, und sie tut dies diametral entgegengesetzt zum Entwurf Hannah Arendts, der es nicht um Konfrontation, sondern um das gemeinsame Handeln freier Bürger zu tun war. Über Zwecke und Wertorientierung des Handelns schwieg sich freilich auch Arendt aus. Mouffes temperamentvolles und anregendes Buch lässt darauf hoffen, dass sie der Linken noch Auskunft über politische Optionen erteilt. JENS HACKE
CHANTAL MOUFFE: Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 170 Seiten, 9 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Mindestens bedenkenswert scheint Ines Kappert Chantal Mouffes Thesen zu finden. Die Autorin bezeichnet sie immerhin als "eine der wichtigsten Stimmen in der linken Theoriebildung" und folgt ihr aufmerksam bei ihrer Kritik an der planmäßigen "Entpolitisierung des Politischen" durch politische und theoretische Köpfe wie Jürgen Habermas, Anthony Giddens oder Tony Blair. Mouffes Insistieren auf der einer Aussetzung der politischen Frontenbildung folgenden Logik kommt Kappert mitunter zwar etwas redundant vor, als Ganzes gesehen aber scheint ihr dieses Plädoyer eine Lektüre wert zu sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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