"Liebe ist / eine kleine Katze / die Wasser trinkt / aus einer Schale mit / Sprung." So einfach kann ein Gedicht sein, so konzentriert, so rhythmisch, so schön. Der Slowene Ales Steger ist einer der bekanntesten Dichter seiner Generation: Sein neuer Band fasziniert durch Fülle und Lakonie, durch Witz und Formbewusstsein, durch leuchtende Farben und Präzision. Der genaue Blick prägt auch diese Gedichte, in der klangvollen Übersetzung von Matthias Göritz. "Alles ist vergangen, / und die Löschung des Endes / in der Sprache, Poesie." So klug kann ein Gedicht sein, so klar und so geheimnisvoll.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kurz bespricht Nico Bleutge, selbst Lyriker, diesen Band des bekannten slowenischen Kollegen und Übersetzers. Er schätzt ihn als einen, der Wörter auf seine Bedeutungsnuancen hin abzutasten und sie in neuen Kombinationen zusammenzusetzen verstehe. Dieser Band allerdings ist anders in seinem Duktus, berichtet Bleutge, denn er verdankt sich einigen Japan-Erfahrungen, wirkt meditativ, angelehnt an die Haiku-Kultur Matsuo Bashos. Bleutge ist nur halb überzeugt: Stegers Rechnung geht für ihn auf, wenn er Widersprüche in eine Form bringt. Dann aber wird's wieder sentenzenhaft. Dennoch: In manchen Gedichten geht mit Steger die alte Lust an der Sprache durch, "Computer sind durchgeschwitzt,/ An den Polen wachsen Löcher", und dann ist Bleutge wieder ganz und gar zufrieden.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2019Das Atemsemikolon zwischen Singen und Lauschen
So sein, wie der Zeitgeist es nicht will, und damit der Schönheit den Weg bereiten: Neue Gedichte des slowenischen Schriftstellers Ales Steger
"Unser Zeitalter begann / Wie ein Zahnschmerz", heißt es im neuen Gedichtband des Lyrikers Ales Steger, der 1973 im damals noch jugoslawischen Ptuj zur Welt kam und heute einer der weltweit bekanntesten slowenischen Schriftsteller ist. Er weiß allzu gut - wie im gleichen Gedicht lakonisch postuliert wird -, dass unsere Gegenwart "kein metaphysisches Zeitalter" ist. Und doch ist das, was er, der ein melodiöses Deutsch und die einst Serbokroatisch genannte Sprache mit großer Warmherzigkeit spricht, ein Reisender in einem metaphysischen Kontinuum, das einzigartig in der europäischen Lyrikszene ist. Der Grund dafür mag sein, dass stets in seiner Sprache das Etwas des Nichts unaufgeregt mitschwingt und dieser Dichter nicht nur leichtfüßig poetische Landschaften zu erschaffen vermag, sondern mit ebenso beeindruckender Leichtigkeit und fast nebenbei ein spirituelles Momentum des grundlosen, ungerichteten Seins in die Welt gibt.
Das kann nur jemand, der Verluste kennt, diese Verluste aber als Leben und nicht als Verlorenheit verbucht hat. Die Leichtigkeit im summend gehenden Blick ist Ales Stegers Poesie ebenso eigen, wie seine achtsam gesetzten philosophischen Erkenntnisse inspirierend sind. Dazu gehört bei ihm vor allem auch, eine der Schönheit zuarbeitende Freiheit zu haben, so zu sein, wie der Zeitgeist es nicht will. "Aus dieser Freiheit etwas / Anderes zu machen, / ein anderes hier, / ein anderes du, / Etwas" - das deutet an, dass seine Suche nicht abgeschlossen ist, sie bleibt dem Geheimnis verbunden und vertraut sich nicht einer Wahrheit im Singular an. Das Himmlische und das Menschliche, die Gegebenheiten der Erde spielen hierbei eine gleich große Rolle und sind schon im Buchtitel als geistiger Wegweiser angelegt.
Das Motto des Gedichtbandes stammt von dem berühmten Dichter und Philosophen Zhuanghzi, einem der größten daoistischen Weisen. Darin heißt es: "Himmel und Erde wurden zur selben Zeit geboren, und alles Leben und ich sind eins. Wozu braucht es Worte, wenn alles Leben eins ist?" Sobald wir fragen, sprechen wir, sobald wir sprechen, denken wir. Die große Kunst des Lyrikers Steger ist, dass er im Sprechen das Schweigen mitschwingen lässt, dass in seinen Worten die Ruhe und der Schlaf genauso wie die Nacht und der Tag Platz haben. Zeit und Leben, Gegenwart und Vergangenheit, innen und außen, Ding und Wesen fließen am Ende ineinander.
In einem der kürzesten Gedichte des Buchs, in dem die Rede von der toten Mutter und einem Reh ist, kommt dies am intensivsten zum Tragen. Mensch und Tier initiieren einen mystischen Moment der Verschmelzung, in dem "Geschichte zu Vergessen" wird, und einen Augenblick lang Paul Celan mitspricht, wenn das lyrische Ich von der "Asche der Milch" spricht und sagt: "Ein Reh isst Unkraut / im Garten meiner / Toten Mutter": Ein Reh, als Mittler aus dem Tierreich, wird zum Inbild des sich fortwährend verwandelnden Lebens und führt alles zusammen: Geschichte, Gegenwart, Unkraut und den Tod der Mutter.
Diese Gedichte sind im besten Sinne echt, durchwirkt vom wahren Erkenntnisdrang, ohne irgendeine besserwisserische intellektuelle Attitüde. "Es gibt keine Gesetze, / Nur Abschiede", wird vom lyrischen Ich in einem der schönsten Gedichte des Bandes gesagt. Dieses fluide Ich weiß, dass alles vergeht und nichts zum Bleiben hier auf Erden gemacht ist, also beweint es nicht das Vergangene, sondern spitzt sein Wissen zu: "Man muss alle Worte / Verlassen, / So wie das Wasser im Delta / Das Flussbett verlässt, / Das es sicher durchs Land / Geleitete." Unaufgeregter kann Weisheit nicht sein.
Ohne das Momentum des Absurden wäre das Leben eine dunkle Nachricht ohne Aussicht auf Licht. Bei Ales Steger sind Sinn und Geheimnis untrennbar miteinander verknüpft, so, wie sich bei ihm auch die Toten und die Lebenden "drahtlose Nachrichten" schicken; alles spricht, alles ist Leben. Oben und unten, Himmel und Erde - alles greift ineinander über und sendet sich aus in die Weite des Raums. "Ein jeder von uns ist alle zugleich." Diese schöne Radikalität, sich jenseits von einmal als logisch definierten Festfügungen frei denken zu können, hat etwas ansteckend Vitales, eine starke Energie geht von dieser Freiheit aus, ein zeitgleich vibrierendes Singen und Lauschen, das sich am eindrücklichsten in jenen Gedichten zeigt, in denen die Zeit als metaphysisches Rätsel eine Rolle spielt. So etwa in "Die Löschung des Endes", wenn das lyrische Ich sagt: "Alle Vergangenheit, / Auch dein Tod, / findet sich in mir. / . . . Unsere Körper verschwinden / Erst mit unseren Nachkommen / Wie Schnee von gestern. / . . . Alles ist vergangen, / Und die Löschung des Endes / In der Sprache ist Poesie."
Diese immerwährende Bereitschaft zur vervielfältigenden Transzendenz selbst im Physischen spiegelt ein Denken, das alles im Du münden lassen kann und nichts für sein kleines Ich beansprucht. Gerade weil Ales Steger fast immer alle politischen Konnotationen der Gegenwart meidet, scheint die politische Dimension hier und dort umso eigensinniger auf. Das "Du" beispielsweise, das die Liebe zu einem und die Hingabe an einen anderen Menschen in den Vordergrund stellt, lässt an Ossip Mandelstams Sprache denken, und damit weht auch "das Jahrhundert der Wölfe" in unser Bewusstsein, dem der Dichter in einem russischen Lager der Stalinzeit zum Opfer fiel. Aber der wahre, einzelne Mensch, den seine Ehefrau, die Schriftstellerin Nadeshda Mandelstam, in ihren gleichnamigen Erinnerungen eindrücklich beschrieb, hat den tragischen Tod als Dichter überlebt und spricht so auch zu uns Heutigen. Es gibt diesen "Schlupfwinkel der Zeit", wie es Steger sagt, in dem die Toten auf ihre Weise überleben und immer noch mit uns reden.
Stegers Gedichte sind ohne Hast, jeder Buchstabe sitzt kabbalistisch ruhig in seiner Welt und an seiner Stelle, fast so, als wäre er ein mystisch sprechendes Atemsemikolon. Das verdankt sich auch der behutsamen und genauen Übertragung aus dem Slowenischen ins Deutsche von Matthias Göritz, der begnadet die schönen Dilemmata aus dem Stegerschen Kosmos ins Deutsche überführen durfte: "Ich stecke im Leben fest, / Deshalb schreibe ich", heißt es da einmal in einem der elf mit "Transit" betitelten Gedichte. Sowohl Übersetzer als auch Autor haben das erlernte Sehen auf Wegen und Umwegen Sprache werden lassen, damit im Gedicht "Nikosia" Muriel Rukeysers "Gott ist ein kleiner Stein auf dem Weg nach Florida" mitsprechen kann: "Ich höre, da fallen reife / Orangen in den Matsch. / Von der See umzingelte Menschen, / Geflochtener Stacheldraht. / Auch uns umsingt / Der eine und einzige Gott / Unendliche Wahrheiten / In unendlichen Sprachen. / Fünfmal am Tag."
Wir alle leben in der Zeit, und wenn wir aus ihr herausfallen, werden wir verrückt oder schreiben Gedichte. Nichts in diesem Verrücktsein erzwingen zu wollen und sich mit Poesie wie mit Nacktheit gegen die Grobheiten der eigenen Zeit zu wehren, das ist gerade heute mehr als nur Kunst, es ist die Kunst der Künste, die das Leben immer noch heilig nennen kann. Ales Stegers Gedichte sind Spiegelbilder einer sanft-sakralen Erkenntniswoge, die sich im geistigen Auge des Betrachters ereignet. Wie das lyrische Ich weiß auch der Leser als synästhetisch Erkennender mehr vom Inwendigen, als es je ein politisch intendiertes und heute so oft geistlos plattes Bemühen um irgendwelche Positionen könnte. Das Zeitalter, das für jene südosteuropäische Generation, zu der Steger selbst gehört, wie ein Zahnschmerz begann, sich in Kriegen entlud und die rohe Gewalt der Barbaren ins Denken der Europäer trug, ist nun für alle anderen auch fühlbar geworden als ein kaltes Terrain der Unmenschlichkeit. Naturgemäß sind in einer solchen Zeit Gedichte wie diese eine Ausnahmeerscheinung. Endlich frischt einer die Lyrik geistig auf und schreibt Gedichte, in denen das Unausweichliche und die Gnade ihren Platz einnehmen und atmen dürfen - als "die Doppelnatur des Glücks".
MARICA BODROZIC
Ales Steger: "Über dem Himmel unter der Erde". Gedichte.
Aus dem Slowenischen und mit einem Nachwort von Matthias Göritz. Edition Lyrik Kabinett im Hanser Verlag, München 2019. 96 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
So sein, wie der Zeitgeist es nicht will, und damit der Schönheit den Weg bereiten: Neue Gedichte des slowenischen Schriftstellers Ales Steger
"Unser Zeitalter begann / Wie ein Zahnschmerz", heißt es im neuen Gedichtband des Lyrikers Ales Steger, der 1973 im damals noch jugoslawischen Ptuj zur Welt kam und heute einer der weltweit bekanntesten slowenischen Schriftsteller ist. Er weiß allzu gut - wie im gleichen Gedicht lakonisch postuliert wird -, dass unsere Gegenwart "kein metaphysisches Zeitalter" ist. Und doch ist das, was er, der ein melodiöses Deutsch und die einst Serbokroatisch genannte Sprache mit großer Warmherzigkeit spricht, ein Reisender in einem metaphysischen Kontinuum, das einzigartig in der europäischen Lyrikszene ist. Der Grund dafür mag sein, dass stets in seiner Sprache das Etwas des Nichts unaufgeregt mitschwingt und dieser Dichter nicht nur leichtfüßig poetische Landschaften zu erschaffen vermag, sondern mit ebenso beeindruckender Leichtigkeit und fast nebenbei ein spirituelles Momentum des grundlosen, ungerichteten Seins in die Welt gibt.
Das kann nur jemand, der Verluste kennt, diese Verluste aber als Leben und nicht als Verlorenheit verbucht hat. Die Leichtigkeit im summend gehenden Blick ist Ales Stegers Poesie ebenso eigen, wie seine achtsam gesetzten philosophischen Erkenntnisse inspirierend sind. Dazu gehört bei ihm vor allem auch, eine der Schönheit zuarbeitende Freiheit zu haben, so zu sein, wie der Zeitgeist es nicht will. "Aus dieser Freiheit etwas / Anderes zu machen, / ein anderes hier, / ein anderes du, / Etwas" - das deutet an, dass seine Suche nicht abgeschlossen ist, sie bleibt dem Geheimnis verbunden und vertraut sich nicht einer Wahrheit im Singular an. Das Himmlische und das Menschliche, die Gegebenheiten der Erde spielen hierbei eine gleich große Rolle und sind schon im Buchtitel als geistiger Wegweiser angelegt.
Das Motto des Gedichtbandes stammt von dem berühmten Dichter und Philosophen Zhuanghzi, einem der größten daoistischen Weisen. Darin heißt es: "Himmel und Erde wurden zur selben Zeit geboren, und alles Leben und ich sind eins. Wozu braucht es Worte, wenn alles Leben eins ist?" Sobald wir fragen, sprechen wir, sobald wir sprechen, denken wir. Die große Kunst des Lyrikers Steger ist, dass er im Sprechen das Schweigen mitschwingen lässt, dass in seinen Worten die Ruhe und der Schlaf genauso wie die Nacht und der Tag Platz haben. Zeit und Leben, Gegenwart und Vergangenheit, innen und außen, Ding und Wesen fließen am Ende ineinander.
In einem der kürzesten Gedichte des Buchs, in dem die Rede von der toten Mutter und einem Reh ist, kommt dies am intensivsten zum Tragen. Mensch und Tier initiieren einen mystischen Moment der Verschmelzung, in dem "Geschichte zu Vergessen" wird, und einen Augenblick lang Paul Celan mitspricht, wenn das lyrische Ich von der "Asche der Milch" spricht und sagt: "Ein Reh isst Unkraut / im Garten meiner / Toten Mutter": Ein Reh, als Mittler aus dem Tierreich, wird zum Inbild des sich fortwährend verwandelnden Lebens und führt alles zusammen: Geschichte, Gegenwart, Unkraut und den Tod der Mutter.
Diese Gedichte sind im besten Sinne echt, durchwirkt vom wahren Erkenntnisdrang, ohne irgendeine besserwisserische intellektuelle Attitüde. "Es gibt keine Gesetze, / Nur Abschiede", wird vom lyrischen Ich in einem der schönsten Gedichte des Bandes gesagt. Dieses fluide Ich weiß, dass alles vergeht und nichts zum Bleiben hier auf Erden gemacht ist, also beweint es nicht das Vergangene, sondern spitzt sein Wissen zu: "Man muss alle Worte / Verlassen, / So wie das Wasser im Delta / Das Flussbett verlässt, / Das es sicher durchs Land / Geleitete." Unaufgeregter kann Weisheit nicht sein.
Ohne das Momentum des Absurden wäre das Leben eine dunkle Nachricht ohne Aussicht auf Licht. Bei Ales Steger sind Sinn und Geheimnis untrennbar miteinander verknüpft, so, wie sich bei ihm auch die Toten und die Lebenden "drahtlose Nachrichten" schicken; alles spricht, alles ist Leben. Oben und unten, Himmel und Erde - alles greift ineinander über und sendet sich aus in die Weite des Raums. "Ein jeder von uns ist alle zugleich." Diese schöne Radikalität, sich jenseits von einmal als logisch definierten Festfügungen frei denken zu können, hat etwas ansteckend Vitales, eine starke Energie geht von dieser Freiheit aus, ein zeitgleich vibrierendes Singen und Lauschen, das sich am eindrücklichsten in jenen Gedichten zeigt, in denen die Zeit als metaphysisches Rätsel eine Rolle spielt. So etwa in "Die Löschung des Endes", wenn das lyrische Ich sagt: "Alle Vergangenheit, / Auch dein Tod, / findet sich in mir. / . . . Unsere Körper verschwinden / Erst mit unseren Nachkommen / Wie Schnee von gestern. / . . . Alles ist vergangen, / Und die Löschung des Endes / In der Sprache ist Poesie."
Diese immerwährende Bereitschaft zur vervielfältigenden Transzendenz selbst im Physischen spiegelt ein Denken, das alles im Du münden lassen kann und nichts für sein kleines Ich beansprucht. Gerade weil Ales Steger fast immer alle politischen Konnotationen der Gegenwart meidet, scheint die politische Dimension hier und dort umso eigensinniger auf. Das "Du" beispielsweise, das die Liebe zu einem und die Hingabe an einen anderen Menschen in den Vordergrund stellt, lässt an Ossip Mandelstams Sprache denken, und damit weht auch "das Jahrhundert der Wölfe" in unser Bewusstsein, dem der Dichter in einem russischen Lager der Stalinzeit zum Opfer fiel. Aber der wahre, einzelne Mensch, den seine Ehefrau, die Schriftstellerin Nadeshda Mandelstam, in ihren gleichnamigen Erinnerungen eindrücklich beschrieb, hat den tragischen Tod als Dichter überlebt und spricht so auch zu uns Heutigen. Es gibt diesen "Schlupfwinkel der Zeit", wie es Steger sagt, in dem die Toten auf ihre Weise überleben und immer noch mit uns reden.
Stegers Gedichte sind ohne Hast, jeder Buchstabe sitzt kabbalistisch ruhig in seiner Welt und an seiner Stelle, fast so, als wäre er ein mystisch sprechendes Atemsemikolon. Das verdankt sich auch der behutsamen und genauen Übertragung aus dem Slowenischen ins Deutsche von Matthias Göritz, der begnadet die schönen Dilemmata aus dem Stegerschen Kosmos ins Deutsche überführen durfte: "Ich stecke im Leben fest, / Deshalb schreibe ich", heißt es da einmal in einem der elf mit "Transit" betitelten Gedichte. Sowohl Übersetzer als auch Autor haben das erlernte Sehen auf Wegen und Umwegen Sprache werden lassen, damit im Gedicht "Nikosia" Muriel Rukeysers "Gott ist ein kleiner Stein auf dem Weg nach Florida" mitsprechen kann: "Ich höre, da fallen reife / Orangen in den Matsch. / Von der See umzingelte Menschen, / Geflochtener Stacheldraht. / Auch uns umsingt / Der eine und einzige Gott / Unendliche Wahrheiten / In unendlichen Sprachen. / Fünfmal am Tag."
Wir alle leben in der Zeit, und wenn wir aus ihr herausfallen, werden wir verrückt oder schreiben Gedichte. Nichts in diesem Verrücktsein erzwingen zu wollen und sich mit Poesie wie mit Nacktheit gegen die Grobheiten der eigenen Zeit zu wehren, das ist gerade heute mehr als nur Kunst, es ist die Kunst der Künste, die das Leben immer noch heilig nennen kann. Ales Stegers Gedichte sind Spiegelbilder einer sanft-sakralen Erkenntniswoge, die sich im geistigen Auge des Betrachters ereignet. Wie das lyrische Ich weiß auch der Leser als synästhetisch Erkennender mehr vom Inwendigen, als es je ein politisch intendiertes und heute so oft geistlos plattes Bemühen um irgendwelche Positionen könnte. Das Zeitalter, das für jene südosteuropäische Generation, zu der Steger selbst gehört, wie ein Zahnschmerz begann, sich in Kriegen entlud und die rohe Gewalt der Barbaren ins Denken der Europäer trug, ist nun für alle anderen auch fühlbar geworden als ein kaltes Terrain der Unmenschlichkeit. Naturgemäß sind in einer solchen Zeit Gedichte wie diese eine Ausnahmeerscheinung. Endlich frischt einer die Lyrik geistig auf und schreibt Gedichte, in denen das Unausweichliche und die Gnade ihren Platz einnehmen und atmen dürfen - als "die Doppelnatur des Glücks".
MARICA BODROZIC
Ales Steger: "Über dem Himmel unter der Erde". Gedichte.
Aus dem Slowenischen und mit einem Nachwort von Matthias Göritz. Edition Lyrik Kabinett im Hanser Verlag, München 2019. 96 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Endlich frischt einer die Lyrik geistig auf und schreibt Gedichte, in denen das Unausweichliche und die Gnade ihren Platz einnehmen und atmen dürfen ..." Marica Bodrozic, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.04.19
"Ales Stegers Gedichte versöhnen Paradoxe zu poetischer Einheit und uns mit der Welt." Anne-Kathrin Godec, Luxemburger Tageblatt, 23.09.19
"Mit Lust an der Sprache der Welt zugewandt: Der slowenische Schriftsteller Ales Steger ist einer der wichtigsten lyrischen Stimmen Europas." Dirk Hohnsträter, WDR 3 Mosaik, 02.07.19
"Der Dichter stellt ein Wort, das wir zu kennen meinen, in einen Kontext, in dem es in einer anderen Farbe leuchtet und uns einen Sachverhalt, ein Ereignis, einen Weltausschnitt neu sehen lässt. Solche oft durch ein einziges Wort bewirkte Augenöffnungen verdanken wir den Gedichten von Ales Steger." Wolfgang Schneider, SWR2 lesenswert, 14.07.19
"Die Gedichte des 1973 Geborenen erweisen sich einmal mehr als Wunderkammern ... Das Ich dieser Gedichte schreibt, weil es im Leben feststeckt, und in den Worten, die dem Mund entströmen, findet es so etwas wie Freiheit." Andreas Wirthensohn, Wiener Zeitung, 21.07.19
"Die slowenische Gegenwartslyrik bietet grossartige Entdeckungen ... Ales Steger versteht sich nicht zuletzt glänzend auf Kürze ... Man könnte seinen Gedichten Atem und Luft attestieren, Helle und Leere." Ilma Rakusa, Neue Zürcher Zeitung, 22.07.19
"Ales Stegers Gedichte versöhnen Paradoxe zu poetischer Einheit und uns mit der Welt." Anne-Kathrin Godec, Luxemburger Tageblatt, 23.09.19
"Mit Lust an der Sprache der Welt zugewandt: Der slowenische Schriftsteller Ales Steger ist einer der wichtigsten lyrischen Stimmen Europas." Dirk Hohnsträter, WDR 3 Mosaik, 02.07.19
"Der Dichter stellt ein Wort, das wir zu kennen meinen, in einen Kontext, in dem es in einer anderen Farbe leuchtet und uns einen Sachverhalt, ein Ereignis, einen Weltausschnitt neu sehen lässt. Solche oft durch ein einziges Wort bewirkte Augenöffnungen verdanken wir den Gedichten von Ales Steger." Wolfgang Schneider, SWR2 lesenswert, 14.07.19
"Die Gedichte des 1973 Geborenen erweisen sich einmal mehr als Wunderkammern ... Das Ich dieser Gedichte schreibt, weil es im Leben feststeckt, und in den Worten, die dem Mund entströmen, findet es so etwas wie Freiheit." Andreas Wirthensohn, Wiener Zeitung, 21.07.19
"Die slowenische Gegenwartslyrik bietet grossartige Entdeckungen ... Ales Steger versteht sich nicht zuletzt glänzend auf Kürze ... Man könnte seinen Gedichten Atem und Luft attestieren, Helle und Leere." Ilma Rakusa, Neue Zürcher Zeitung, 22.07.19