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Er ist wild und unberechenbar im Frühling, seicht im Sommer, still und vereist im Winter. Der Ottawa. Ein Nebenfluss des mächtigen Sankt-Lorenz-Stroms. Die Grenze zwischen Ontario und Quebec. Als die Munitionsfabrik in Darley schließt, verfrachtet Jock seine Familie nach St. Pierre, in einen kleinen Bungalow oberhalb schäumender Stromschnellen, von dessen Fenstern man hinaus auf den Fluss blickt. Ein Umzug vom Angelsächsischen ins Französische, fort von der Großfamilie, in eine fremde Welt. In eindringlichen Bildern beschreibt Frances Itani das Leben der Familie, der ernsten Mutter Maura, die…mehr

Produktbeschreibung
Er ist wild und unberechenbar im Frühling, seicht im Sommer, still und vereist im Winter. Der Ottawa. Ein Nebenfluss des mächtigen Sankt-Lorenz-Stroms. Die Grenze zwischen Ontario und Quebec. Als die Munitionsfabrik in Darley schließt, verfrachtet Jock seine Familie nach St. Pierre, in einen kleinen Bungalow oberhalb schäumender Stromschnellen, von dessen Fenstern man hinaus auf den Fluss blickt. Ein Umzug vom Angelsächsischen ins Französische, fort von der Großfamilie, in eine fremde Welt. In eindringlichen Bildern beschreibt Frances Itani das Leben der Familie, der ernsten Mutter Maura, die nur, wenn sie die alten Jazztunes im Radio hört, aus sich herausgeht, des Vaters Jock, der die Familie auch bei arktischen Temperaturen zu Erkundungstouren ins Freie treibt und in seinen Kindern die Liebe zur Poesie wecken möchte, und der beiden Töchter Lyd und Trude und ihres Bruders Eddie. Über dem Strom ist eine wunderbar komponierte Familiengeschichte, die in der Tradition der großen kanadischen Erzähler steht. Ein Roman voll lyrischer Präzision, der die stille, unbezwingbare Kraft des Wassers in sich trägt.
Autorenporträt
Frances Itani, geboren in Ontario und aufgewachsen in Quebec, hat Psychologie und Anglistik studiert und einige Jahre als Krankenschwester gearbeitet. Sie schreibt regelmäßig für die Washington Post und lebt in Ottawa.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2010

An den Ufern der Kindheit
Nostalgisch: Frances Itanis Episodenroman

Ausgerechnet an die Ufer des Ottawa verfrachtet Jock King seine Familie, obwohl seine in der Eisenbahnstadt Darley aufgewachsene Frau Maura nicht schwimmen kann. An jenen Fluss also, der eine natürliche Grenze zwischen den Provinzen Ontario und Quebec zieht, zwischen französischer Sprache und englischer. Doch dort lässt sich zu Beginn der fünfziger Jahre Geld verdienen, nachdem die überflüssig gewordenen Munitionsfabriken nach und nach geschlossen werden, mit Fleurs de Lis, den heraldisch aufgeladenen französischen Lilien, die Jock unermüdlich in Aluminiumtabletts ritzt, um seine Familie mit den drei Kindern Lyd, Trude und Eddie ernähren zu können. Das "Zwischenkind" Trude erwählt sich Frances Itani zur Ich-Erzählerin - ein offensichtlicher Hinweis auf die Autorin selbst, die, 1942 in Belleville, Ontario, geboren, inmitten von vier Geschwistern am Ottawa in Quebec aufwuchs. Die Konstruktion, im Roman zunächst eine Erzählstimme einzuführen, die sodann die eigentliche Erzählerin etabliert, wirkt zwar ungelenk, erhält aber dadurch eine gewisse Plausibilität, dass der Roman aus mehreren in sich geschlossenen Geschichten oder Episoden besteht.

"Leaning, Leaning Over Water" - so der Originaltitel des 1998 erschienenen Werks - zeichnet das Porträt eines zunächst beinahe idyllischen, überaus traditionellen Familienlebens, das von starken Frauenfiguren bestimmt wird, ganz so, wie man es aus der lakonischen Prosa von Itanis bekannteren kanadischen Kolleginnen Alice Munro oder Margaret Atwood kennt. Während Mutter Maura, die jene in ihrem Namen mitschwingende Dunkelheit vorerst hinter sich gelassen hat, in die tägliche Arbeit zwischen Küche, Näh- und Wringmaschine eingespannt ist, spielt Jock mit seiner poetischen Ader den strengen Erzieher seiner heranwachsenden Töchter und seines Sohnes, die seine Neigung zu gemeinschaftlichen winterlichen Spaziergängen widerwillig erdulden. Unterschwellig steht jedoch die Warnung beständig im Raum, dass die festgefügte Ordnung bedroht werden wird; sie ist ebenso einsturzgefährdet wie jene alte Mauer, die sich über die Stromschnellen des Flusses neigt, vor denen Jock seine Kinder behüten will. So wird "Über dem Strom" zu einer charakteristischen Erzählung des Erwachsenwerdens, in der die flügge werdenden Kinder sich Freiräume erkämpfen, sich bewusst und unbewusst Gefahren aussetzen, wobei sie die Welt ihrer Eltern immer weniger verstehen, obwohl sie sich ihr unweigerlich annähern. Innerhalb dieser genretypischen Entwicklungen, die von aufkeimender Sexualität, Entdeckungsgeist, Klavierunterricht, Schule und Leichtsinn geprägt sind, gelingen Itani, die für ihren Roman "Betäubend" 2004 mit dem Commonwealth Writer's Prize ausgezeichnet wurde, stille und berührende Szenen. Sie reichert diese um ein detailfreudiges, zuweilen nostalgisch anmutendes Zeitkolorit an, trifft präzise den Tonfall jener Tage und thematisiert beiläufig auch übergeordnete Konflikte, etwa zwischen protestantischer und katholischer Kultur.

Ihre Metaphorik hingegen wirkt auf Dauer bemüht. Denn der Kunstgriff, die unwägbaren Zeitläufte eines Familienlebens symbolisch mit einem gar von Geistern heimgesuchten Fluss zu verknüpfen, der je nach Jahreszeit friedlich vor sich hinfließt, aber auch brodeln und überschäumen kann, ist alles andere als originell. Zu offensichtlich kündigt sich das Unheil an, wenn im Tosen der Stromschnellen der "Klang der Trauer" zu hören ist, und später ertrinkt natürlich jemand, und ein Leben wird "fortgeschwemmt". So will es das Gesetz literarischer Plots, die an einem reißenden Gewässer angesiedelt werden. Der tragische Verlust verleiht den folgenden Geschichten Itanis, in denen sie Trude das Wesen der Trauer erkunden lässt, mehr Tiefgang. Insgesamt jedoch schwanken die einzelnen Erzählungen, die sich in chronologischer Anordnung zu einem Roman fügen sollen, hinsichtlich ihrer Suggestions- und Aussagekraft erheblich. Das Leben ist eben doch ein langer, ruhiger Fluss - wirklich aufwühlend ist es nur selten.

ALEXANDER MÜLLER

Frances Itani: "Über dem Strom". Roman. Aus dem Englischen von Patricia Klobusiczky. Berlin Verlag, Berlin 2009. 224 S., geb., 22,- [Euro].

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