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In seinen Essays holt Johann Hinrich Claussen Überraschendes aus der Tradition hervor, beobachtet die Gegenwart und bilanziert die aktuellen Konjunkturen oder Rezessionen des Religiösen; er unternimmt Ausflüge ins Gesellschaftliche oder Politische und breitet Literarisches aus. Besonders wichtig ist ihm bei alledem, dass die existentielle Dimension religiöser Fragen zur Sprache kommt.

Produktbeschreibung
In seinen Essays holt Johann Hinrich Claussen Überraschendes aus der Tradition hervor, beobachtet die Gegenwart und bilanziert die aktuellen Konjunkturen oder Rezessionen des Religiösen; er unternimmt Ausflüge ins Gesellschaftliche oder Politische und breitet Literarisches aus. Besonders wichtig ist ihm bei alledem, dass die existentielle Dimension religiöser Fragen zur Sprache kommt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Friedrich Wilhelm Graf lernt mit den "kulturprotestantischen Beiträgen" des Theologen Johann Hinrich Claussen, was Religion heute bedeuten kann. Von unterschiedlichen Arten der Frömmigkeit, von der Bedeutung der Weihnachtsmusik und von Fortschritten in der Kirche berichtet der Autor laut Graf mal belehrend aufklärerisch, mal witzig und kurzweilig, aber stets mit Takt und auch mit politischem Verstand, wie Graf erkennt, wenn Claussen über den Hass in der Politik nachdenkt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2020

Für die Wartenden
Ein Band versammelt Radioessays von Johann Hinrich Claussen

Sonntag für Sonntag strahlt der NDR nach einer Bach-Kantate die Sendung "Glaubenssache" aus. Seit zwölf Jahren teilt Johann Hinrich Claussen, einst Propst in Hamburg und seit 2016 "Kulturbeauftragter" der Evangelischen Kirche in Deutschland, hier seine theologischen Einfälle und religiösen Erfahrungen mit, teils belehrend im Gestus des Aufklärers, teils witzig und unterhaltsam. Taktvoll und ohne jede Übergriffigkeit stellt er seinen Hörern und nun Lesern die Grundfrage "Wie hältst du's mit der Religion?".

Claussen vertritt die Idee einer elastisch gemachten Volkskirche, die Raum für ganz unterschiedliche Stile individueller Frömmigkeit bieten will. Gegen konventionelle Säkularisierungsrhetorik betont er die religionsproduktiven Tendenzen der Moderne. Zentrale religiöse Feste, die viele Menschen für uralt hielten, seien erst Erfindungen des neunzehnten Jahrhunderts. Claussen zeigt dies etwa am Weihnachtsfest, das die Aneignung christlicher Elemente durch die sich hier selbst feiernde bürgerliche Familie bedeute. Doch in der Konsumkultur dieses modernen Weihnachtschristentums blieben immer auch störrische altchristliche Elemente präsent, vor allem durch die Weihnachtsmusik. Die Erfolge von Bachs Weihnachtsoratorium gerade bei denen, die sorgsam Abstand zu den Kirchen halten, erklärt er mit der Verführungskraft eines Gesamtkunstwerks, das in seiner fremden Sprache und der Verbindung so elementarer Gegensätze wie "froh und ernst", "innen und außen" Nachdenken über den christlichen Glauben in seiner Tiefe und Abgründigkeit provoziere.

Claussen scheut sich nicht, "Erbauung" zu bieten. Einblicke in das Tagebuch eines Großstadtpfarrers sollen zeigen, dass trotz aller Kirchenkrise manches in den letzten Jahren auch besser geworden ist. Zwar sei die alte ritualisierte Gebetskultur selbst in traditionell katholischen Ländern Europas weithin verschwunden. Aber die vielen Bücher in Kirchen, in denen die Menschen ihre Gebete aufschrieben, ließen eine bleibende Faszination des "frommen Spiels" erkennen, durch Einkehr und Stillewerden vor Gott neue Kraft für den Alltag zu sammeln.

Gern erzählt Claussen, auch regelmäßiger Autor auf der Rezensionsseite dieser Zeitung, seinen Hörern von Büchern, die er gerade gelesen hat. Volker Gerhardt, der in "Der Sinn des Sinns" eine "Religion mit Gott" expliziert hatte, und Ronald Dworkin, der sich in seinem letzten Buch an eine "Religion ohne Gott" herangetastet hatte, empfiehlt Claussen zu lesen, weil sie die üblichen Sortierungen von "religiös" und "nichtreligiös" auf eine intellektuell anregende Weise durcheinanderbrächten. Auch stellt er seine Auswahlausgabe der "Spektator-Briefe" Ernst Troeltschs aus der Revolution und den frühen Jahren der Weimarer Republik vor: Troeltschs "Plädoyer für Sachlichkeit, Nüchternheit, protestantischen Verantwortungssinn und demokratische Kompromisse" sei in der gegenwärtigen Krise der liberalen Demokratie bleibend aktuell.

Überhaupt gestaltet Claussen seine Meditationen mit politischem Verstand. Am Sonntag vor der Amtseinführung Donald Trumps fragt er, was Christen gegen den Hass in der Politik tun könnten. Seine Antwort: "Wir brauchen einen neuen politischen und theologischen Begriff von ,Feindschaft'." Christen seien hier besonders kompetent aufgrund ihrer Kenntnis der Bibel, in der "Feind" ein vielfältig gebrauchter, zentraler Begriff ist. Auf den Hass der Antidemokraten dürfe man nicht mit "Gegen-Hass" reagieren, sondern der Intensivierung des eigenen politischen Engagements und dem entschiedenen Kampf für die offene Gesellschaft. Der christliche Glaube biete dafür eine doppelte Inspiration: Er wisse um die Macht des Bösen, lehre aber auch die Hoffnung, nicht aufzugeben.

Das ist ein Christentum für "die Wartenden", wie Siegfried Kracauer sie 1922 in der "Frankfurter Zeitung" charakterisiert hatte: als Gebildete mit "zögerndem Geöffnetsein" für Sinnfragen. Sie glauben nicht, geben sich aber mit simplem Unglauben auch nicht zufrieden. Sie hören Bach und wollen irgendwie verstehen, was der "Fünfte Evangelist" des alten Luthertums den Heutigen zu sagen hat. Dabei mögen auch Claussens kulturprotestantische Beiträge hilfreich sein.

FRIEDRICH WILHELM GRAF

Johann Hinrich Claussen: "Über den Takt in der Religion". Fundstücke - Glaubenssachen.

Radius Verlag, Stuttgart 2020. 232 S., geb., 20,- [Euro].

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