Während des Lesens des Buches war ich unschlüssig, was ich höher einschätzen sollte, die physische Leistung, die Alpen in wiederholtem Auf- und Ab zu überschreiten oder die intellektuelle Leistung, letzteres in Form eines Buches niederzuschreiben. Am Ende des Buches stand fest: ich halte die
physische für die größere Leistung.
Was nicht heißen soll, dass ich das Buch schlecht finde. N.K. hat…mehrWährend des Lesens des Buches war ich unschlüssig, was ich höher einschätzen sollte, die physische Leistung, die Alpen in wiederholtem Auf- und Ab zu überschreiten oder die intellektuelle Leistung, letzteres in Form eines Buches niederzuschreiben. Am Ende des Buches stand fest: ich halte die physische für die größere Leistung.
Was nicht heißen soll, dass ich das Buch schlecht finde. N.K. hat eine Menge relevanter Geschichten über die Alpen zusammengetragen, und im Großen und Ganzen hat sie wohl korrekt recherchiert, denn das meiste davon ist vom Hörensagen bekannt. Neu war für mich, z.B., daß man unten nackt ankommt, wenn man vom Matterhorn oder ähnlich exponierten Bauwerken runterfällt. Die Ausflüge ins Sachliche halte ich durchweg für gelungen, was die Berichte über das Schweizer Leben und Mentalität betrifft, eher für entbehrlich, weil ziemlich langweilig, aber das ist Geschmackssache. Die Klage über den Verlust an Natürlichkeit in den Alpen kommt erwartungsgemäß, ist darum aber nicht fehl am Platz.
Aber das Buch ist eben auch nicht richtig gut. Das liegt an zweierlei Dingen. Erstens fehlt eine gewisse Spannung. Auf der Wanderung passiert nicht allzu viel, außer daß es hin und wieder regnet, die Füße brennen, und Heidi ganz unvermittelt „schluchzt“. Kein Adler zerrt an Heidis Haaren, weder Heidi noch N.K. gleitet den Hang hinab, kein liebestoller Bergbauer, keine Romanze, auch nicht am Comer See. Daß letztere außen vor bleiben, und auch nicht über die daheim gebliebenen Liebhaber debattiert wird, empfinde ich gleichwohl als wohltuend, und ich habe auch nichts dagegen, im Gegenteil, kann es gut verstehen, wenn die Männer eher als Bedrängung in der gemeinsamen Schlafstätte denn als begehrenswertes Objekt dargestellt werden. Zweitens ist es die Sprache. Wenn es um die Fakten geht, kommt die Sprache daher, wie wir es gewohnt sind. Wenn die beiden wandern, wird N..K. expressionistisch, aber die Wörter stimmen nicht, da hat sich finde ich, N.K. ganz einfach vergriffen. Es „hocken“ und „kauern“ die Berge und die Häuser, da „klappt die Landschaft auf“, es „schluchzt“ die Heidi, und ich weiß nicht warum, Heidi übrigens „ein Name wie ein Berg“, auch das habe ich nicht verstanden. Die „Sonne saugt“, der „Halbschlaf ist kratzig“ und wird vom „Leib gerissen“, Betten und Häuser höre ich stets „ächzen“, und „Muskeln sind eine Wahrscheinlichkeit“, das muß mir N.K. irgendwann erklären. Sie ist vom Typ „Was, wenn nicht ist“. Auch dieser Sinn bleibt mir verschlossen. Die „Argumente rangeln“, der „Weg wirft sich in den Wildbach“, Heidi „raspelt“ (nicht Süßholz, sondern spricht) und dann das: „Glas, pass, Glas, pass“, und so geht es fort, ich glaube der Tag war etwas zuviel für N.K., er hat ihre Sinne beeinträchtigt. Aber einiges ist auch sehr gelungen formuliert, und die Beschreibung des gemeinsamen Nachtlagers auf Seite 100 erheitert das Gemüt nachhaltig.
Schlußendlich: so schlecht steht es um die Alpen nicht. Vielleicht kommt N.K. einmal ins Piemont, wo ich in einem Bergdorf ein wiedererbautes Haus bewohne. Dann zeige ich ihr, daß sich dieser Teil der Alpen, klein zwar im Vergleich zur Schweiz und nur mit den montagne dei poveri (Berge der Armen) ausgestattet, also ohne die spektakulären Gletscherstraßen und Spitzen der Zentralalpen, so ursprünglich wie eh und je präsentiert und hoffentlich so bleibt. Das setzt voraus, daß sich der Tourismus in Grenzen hält. Dafür, so scheint mir, sorgt die widerspenstige Beschaffenheit dieses Geländes schon selbst.