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Nach einer Geschäftsreise zu einer Antiquariatsmesse in Bordeaux beginnt für die Buchhändlerin Tara Selter, die mit ihrem Mann Thomas in einem Haus in Nordfrankreich lebt, die Zeit stillzustehen. Gefangen in einer Wiederholung, durchlebt sie stets von Neuem jenen 18. November, während es für Thomas und alle anderen Menschen, denen sie begegnet, ein immer neuer Anfang ist. Sie erinnern sich an nichts, was »gestern« war, erwachen stets zu ihrem ersten 18. November des Jahres. Genießt Tara diese Zeit des »Schwindels« im doppelten Sinne die ersten sechzig Tage noch, offenbart sich langsam ein…mehr

Produktbeschreibung
Nach einer Geschäftsreise zu einer Antiquariatsmesse in Bordeaux beginnt für die Buchhändlerin Tara Selter, die mit ihrem Mann Thomas in einem Haus in Nordfrankreich lebt, die Zeit stillzustehen. Gefangen in einer Wiederholung, durchlebt sie stets von Neuem jenen 18. November, während es für Thomas und alle anderen Menschen, denen sie begegnet, ein immer neuer Anfang ist. Sie erinnern sich an nichts, was »gestern« war, erwachen stets zu ihrem ersten 18. November des Jahres. Genießt Tara diese Zeit des »Schwindels« im doppelten Sinne die ersten sechzig Tage noch, offenbart sich langsam ein Problem: Sie wird älter, Thomas nicht. Die beiden, die sich zuvor so nahegestanden haben, entfernen sich voneinander - und Tara versucht versessen, aus dem 18. November herauszufinden.

Über die Berechnung des Rauminhalts I ist der erste Band eines groß angelegten Romanprojekts, in dem Solvej Balle die Fiktion von der Wirklichkeit befreit, ohne jedoch Science-Fiction zu schreiben. Mit einem präzisen, stets aufmerksam lauschenden Stil schildert Balle die Mechanik und Monotonie der Zeitschleife, in die ihre Protagonistin gerät, sowie die ungewöhnliche Liebesbeziehung, die sich daraus ergibt. Eindringlich führt sie uns vor Augen, wie jeder in seiner eigenen Blase lebt, und lehrt uns - wie es große Literatur oft tut -, die Welt mit neuen Augen zu sehen.
Autorenporträt
Solvej Balle, 1962 in Bovrup geboren, studierte Literatur und Philosophie in Kopenhagen und veröffentlichte 1984 ihren ersten Roman. Nach Jahren ausgedehnter Reisen durch Europa, Amerika, Kanada und Australien wurde sie 1996 Herausgeberin der literarischen Zeitschrift  Den blå port. Seither veröffentlicht sie in unregelmäßigen Abständen eigene literarischen Werke und übersetzte aus dem Englischen u.a. Rosemare Waldrop. Auf Deutsch erschien bislang der Roman Nach dem Gesetz.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensentin Sophie Wennerscheid erlebt mit Solvej Balles Protagonistin einen Tag, den 18. November, immer wieder und wieder. Dass es aus diesem Tag kein Entkommen gibt, merkt sie schnell, und auch, was die Autorin damit bezweckt: Es geht um die Entwicklung einer besonderen Sensibilität für Details, für das Atmen der Welt und unseren Umgang mit ihr. Die "existenzielle Parabel", Teil eines mehrbändigen Projekts, überzeugt Wennerscheid nicht zuletzt durch den von Peter Urban-Halle verlustarm transportierten rhythmischen, tastenden Balle-Sound, der die stille Panik der Heldin gut einfängt, wie die Rezensentin findet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2023

Der ewige Tanz des einsamen Paares
Die dänische Autorin Solvej Balle vermisst den Raum, die Zeit und die Geborgenheit

In Zeitschleifen-Geschichten geht es in der Regel hoch her. Der feingedrechselte Roman "Über die Berechnung des Rauminhalts I" der dänischen Autorin Solvej Balle ist da anders. Still und ruhig erzählt er von einer Frau, deren Nähe zu einem Mann sich allmählich verliert, von der Liebe, die eben noch von eingeübten Alltagsmustern getragen wurde, der Bindung, die sich zu lockern beginnt, der Distanz, die eines Tages als solche empfunden und vergrößert wird, dem ratlosen Warten auf eine Idee, mit der sich alles wieder umkehrt.

Es ist ein bisschen wie in der "sachliche Romanze" von Kästner. Doch zu der zählen Tränen: "Sie waren traurig, betrugen sich heiter, versuchten Küsse, als ob nichts sei, und sahen sich an und wußten nicht weiter. Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei." Die Ich-Erzählerin in Solvej Balles Roman wird nicht von Gefühlen durchschüttelt. Sie ist eine nüchterne Beobachterin ihrer selbst, wird durch das Tagebuchschreiben, die konzentrierte Arbeit mit Stift und Papier, stabilisiert.

Nur Datumsangaben fehlen - aus gutem Grund. Wir lesen die durchnummerierten Notizen einer Frau, die wie in einer Science-Fiction-Novelle, wie im Murmeltierfilm oder Serien wie "Matrjoschka" immer wieder aufs Neue den 18. November erlebt. "#121" steht über der ersten Notiz, "#122" über der zweiten. Das Leben von Tara, die mit ihrem Lebensgefährten Thomas einen Versandhandel für antiquarische Bücher betreibt, ist zu einem ewigen Herbsttag geworden. Der sich zu Romanbeginn bereits zum 121. Mal wiederholt und trotzdem nie völlig identisch abläuft.

Für Variation sorgt zum einen das Schreiben; wer Gleiches mehrfach beschreibt, findet dafür jedes Mal andere Worte, jedes Mal erscheinen andere Details als wichtig, und nach ihnen suchen kann man ja auch: "Es sind die Wörter, die entscheidend sind." Zum anderen gibt es Gegenstände, die sich der Zeitschleifenlogik widersetzen, und erst recht Taras Körper ist vom Geschehen unbeeindruckt: Während ihr Lebensgefährte nicht weiß, dass er diesen Tag schon einmal erlebte, und jedes Mal überrascht ist, wenn Tara den "kleinen Zeitdefekt" thematisiert ("Siebenundzwanzig Tage untersuchten wir die Mechanik des Tages"), kann sich Tara erinnern, und auch eine Brandwunde ist am nächsten Morgen, dem nächsten 18. November, nicht einfach weg. Sie kann Erfahrungen sammeln, er kann es nicht. Ihr wachsen die Haare, er altert nicht: "Unsere Körper lebten in zwei Zeiten." Auch Taras Gefühle verändern sich. Am 17. November, dem letzten normalen Tag, war sie von ihrem Haus in Nordfrankreich zu einer Versteigerung illustrierter Bücher in Bordeaux und von dort nach Paris gefahren, am ersten 18. November ebendort im Hotel aufgewacht. Aber sie springt nicht am Ende jeder Wiederholung nach Paris zurück. Sie kann wählen, wo sie aufwachen will. In der Anfangszeit wählt sie das Bett von Thomas, mit dem sie eine auch körperlich glückliche Beziehung führt.

An dem Tag, an dem sie "#121" auf einem Bogen Papier vermerkt, lebt sie im Gästezimmer des Hauses, ohne dass Thomas ihre Anwesenheit ahnt. Er ist für sie nur noch ein vertrautes Geräusch, dem sie aufmerksam lauscht und das sie bei aller Sehnsucht nach dem Ausbruch aus dem vorhersehbaren Ablauf zum Wohlfühlen braucht. Über das Leben, das sich kontaktlos auf zwei Etagen abspielt, heißt es einige Einträge später: "Wir bewegen uns im Takt, in Harmonie, wir spielen ein Duett, oder wir sind ein ganzes Orchester. Wir haben den Regen und das Licht, das sich ändert." Noch später wird sich auch dieses gemeinsam einsame Tanzen verlieren.

Der Romantitel "Über die Berechnung des Rauminhalts" könnte nicht passender gewählt sein: Tara studiert mit jedem Eintrag aufs Neue den Abstand zu ihrem "noch nicht verlorenen Geliebten", den emotionalen und tatsächlichen Raum, auf dem sie lebt, vergrößert den Abstand und beobachtet und beschreibt und "berechnet" erneut. Wobei sie gezwungenermaßen auch das Mysterium Zeit zu verstehen versucht. Das muss nicht in den Titel. Das versteht sich von selbst.

Solvej Balle, die seit den Romanen "Lyrefugl" (eine Frau stürzt mit Inger Christensens Lyrikband "Alfabet" auf eine einsame Insel) und vor allem "Nach dem Gesetz" (um vier Wissenschaftler und das Irrationale) als wichtige literarische Stimme Dänemarks gilt und ebenso sparsam formuliert, wie sie in den dreißig Jahren nach ihrem Durchbruch publiziert hat, kommt aus dem Minimalismus. Sie formuliert klar und auf das Notwendigste reduziert, kann diesen eigentlich recht schönen Novembertag mit wenigen dahingetupften Worten wie "Tee", "Brennholz", "Apfelbaum" und "Mangold" sinnlich beschrieben. Und die Sätze haben einen Rhythmus, der den Leser betört und dazu führt, dass man diese Meditation (die Peter Urban-Halle übersetzt hat) eigentlich lieber hören als lesen oder laut vorlesen möchte.

Geräusche spielen eine Rolle, kleine Beobachtungen, kurze Gedanken. So muss es auch sein, wenn Tara einen Ausweg aus der Schleife finden will, den es vielleicht gibt, falls sie die Details und Muster und Zyklen versteht. Oder auch nicht. Einmal stellt sie erschöpft fest, nichts Neues mehr zu finden: "Ich bin morgens aufgewacht, habe den Regen betrachtet und die Vögel im Garten, ich habe den Geräuschen im Haus gelauscht, und am Nachmittag, wenn ich die Musik aus dem Wohnzimmer hörte, bin ich hinausgegangen, und eines Tages fing ich an zu schreiben, dass es der achtzehnte November und dass ein Mensch im Haus war." Dann horcht sie in sich selbst und entdeckt: "Ich habe eine Laune. Das ist neu . . . Das ist etwas anderes als Hoffnung, aber es ist doch etwas." Mit dem Eintrag "#366", an einem Punkt, mit dem einige Spannung verbunden ist, weil nun ohne Zeitschleife genau ein Jahr durchschritten sein müsste, endet der Band. Sechs weitere Bände sollen es werden. Für die ersten drei erhielt Solvej Balle den Literaturpreis des Nordischen Rats 2022. Ungeduldig warten wir zwecks Achtsamkeitsschulung auf Nachschub und schauen durchs Fenster nach draußen: "Die Wolken erzählen, dass die Zeit vergangen ist." MATTHIAS HANNEMANN

Solvej Balle: "Über die Berechnung des Rauminhalts I". Roman.

Aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle. Matthes & Seitz, Berlin 2023. 170 S., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Tastend, zögernd, rhythmisierend gibt er die stille Panik wieder, die einsetzt, wenn das Dasein sich zeigt, wie es ist: unwahrscheinlich, unvorhersehbar, merkwürdig.« - Sophie Wennerscheid, Süddeutsche Zeitung Sophie Wennerscheid SZ - Süddeutsche Zeitung 20230309