Wer anders als Roland Barthes konnte sich im vergangenen Jahrhundert trauen, ein ABC der Liebe zu erstellen? Sein essayistisches Buch mit dem Titel Fragmente einer Sprache der Liebe verzauberte die Leser und wurde ein Bestseller.
Wer anders als Albert Ostermaier könnte sich zu Beginn dieses Jahrhunderts trauen, auf dieses Liebes-ABC zurückzugreifen und das Abenteuer des Unbeschreiblichen in einer ganz eigenen, die Sprache und Botschaften der heutigen Liebe wie ein Echolot durchstreifenden Lyrik zu beschwören?
Albert Ostermaier ist ein »Virtuose in der Sprache der Liebe«: Seine Liebenden sind Leidende und Fliehende, hinreißend Hingerissene, Hoffende und Trauernde, die nicht aufgeben und sich wieder ins Leben stürzen, wo andere ums Leben kommen. Ostermaier weiß: Sprache, das lyrische Sprechen, ist die einzige Form, diese Erfahrungen vor dem Verblassen und vor dem Vergehen in die Unwiederbringlichkeit zu bewahren. Und so entsteht aus der lebenslänglichen (freiwilligen oder unfreiwilligen) Abhängigkeit von Anderen die Abhängigkeit von dem Anderen, dem liebenden Subjekt, seinem Blick. Ostermaier gelingt hier ein Zauberwerk der Sprache, das dem zeitlosen Begehren immer neue Formen gibt, aber auch in den lakonischen Mitteilungen unserer technischen Gegenwart (»Verbindung beendet«) eine lyrische Tiefe entdeckt.
Wer anders als Albert Ostermaier könnte sich zu Beginn dieses Jahrhunderts trauen, auf dieses Liebes-ABC zurückzugreifen und das Abenteuer des Unbeschreiblichen in einer ganz eigenen, die Sprache und Botschaften der heutigen Liebe wie ein Echolot durchstreifenden Lyrik zu beschwören?
Albert Ostermaier ist ein »Virtuose in der Sprache der Liebe«: Seine Liebenden sind Leidende und Fliehende, hinreißend Hingerissene, Hoffende und Trauernde, die nicht aufgeben und sich wieder ins Leben stürzen, wo andere ums Leben kommen. Ostermaier weiß: Sprache, das lyrische Sprechen, ist die einzige Form, diese Erfahrungen vor dem Verblassen und vor dem Vergehen in die Unwiederbringlichkeit zu bewahren. Und so entsteht aus der lebenslänglichen (freiwilligen oder unfreiwilligen) Abhängigkeit von Anderen die Abhängigkeit von dem Anderen, dem liebenden Subjekt, seinem Blick. Ostermaier gelingt hier ein Zauberwerk der Sprache, das dem zeitlosen Begehren immer neue Formen gibt, aber auch in den lakonischen Mitteilungen unserer technischen Gegenwart (»Verbindung beendet«) eine lyrische Tiefe entdeckt.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Roman Bucheli empfiehlt Gedichte im Allgemeinen und die Texte von Albert Ostermaier im Besonderen. Gedichtelesen hält den CO2-Ausstoss gering! Wer Gedichte liest, fährt nicht Auto oder zerstört den Regenwald, meint Bucheli. Hm. Ostermeiers Gedichte mit Thema Liebesschmerz, Lust und Verlust scheinen Bucheli das ganze Drama abzubilden, in kurzen Zeilen, aber seitenlang. An das eigene Herz erinnert, an ekstatische Sinnlichkeit, preist der Rezensent Ostermaiers Alphabet der Liebe - von Wollust bis Verzweiflung, alles drin, versichert er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2019Die Matrix eines Codes oder ein Abc der Liebe?
In seinem Gedichtband "Über die Lippen" tritt Albert Ostermaier in literarischen Kontakt zu den "Fragmenten einer Sprache der Liebe" von Roland Barthes
Ein Motto ist immer ein Risiko. Es gibt nicht nur einen Hinweis auf den Inhalt oder den Aufbau eines Werkes, sondern es bestimmt auch den intellektuellen Anspruch eines Autors. Dem Kritiker hingegen kommt dies entgegen: Wird das vor ihm liegende Buch der Tradition und Ambition, die es als Zitat vor sich herträgt, überhaupt gerecht?
Das Motto, das Albert Ostermaier seinem neuen Gedichtband voranstellt, stammt aus Roland Barthes' "Fragmenten einer Sprache der Liebe" (1977), die zu den erfolgreichsten, weil provozierendsten und deswegen interessantesten Erzeugnissen des Poststrukturalismus gehören. Mit seinem Alphabet der Liebesbegriffe von A wie "Abhängigkeit" bis Z wie "Zugrundegehen" zeigt Barthes, dass unsere Sprache selbst im Bereich des Persönlichsten und Intimsten "geprägt ist wie die Matrix eines Codes". Ebendiesen "Code" versucht er in seinem Buch zu entschlüsseln, wozu er in einem "Dis-cursus", also in einer "Bewegung des Hin- und Herlaufens" zwischen Wissenschaft, Literatur und Philosophie, einige jener sprachlichen "Bruchstücke" benennt, derer wir uns als "liebende Subjekte" bedienen.
Ostermaier hat das Motto für sein Buch aus einer vor einigen Jahren veröffentlichten erweiterten Ausgabe der "Fragmente" entnommen, die auch die von Barthes im Schreibprozess verworfenen Einträge enthält. Es besagt, dass in der Romantik "jede Figur", also "jeder Brocken einer Sprache der Liebe", im Zuhörer oder Leser "sofort das Verlangen nach einem Gedicht" geweckt habe. Ebendiesem Verlangen gibt Ostermaier in seinen etwa achtzig Gedichten nach. Er folgt dabei Wort für Wort dem von Barthes entwickelten Abc der Liebe, und manchmal zitiert er auch aus den "Fragmenten". Die Frage, die sich aus dieser nachdrücklichen Bezugnahme ergibt, liegt mehr oder weniger auf der Hand: Was hat Ostermaier zu bieten, was nicht schon von Barthes gesagt worden wäre? Vielleicht lässt sich diese Frage im direkten Vergleich am besten beantworten, und zwar anhand der elementaren und deswegen von Barthes am eingehendsten behandelten Sprachfigur "Ich-liebe-Dich".
Jedem Eintrag in den "Fragmenten" ist eine kurze Begriffsklärung vorangestellt. In diesem Fall besagt sie: Nicht im üblichen Sinne als "Liebeserklärung" müsse die Aussage "Ich-liebe-Dich" verstanden werden, sondern als "wiederholte Äußerung des Liebesseufzers". Die hieran anschließenden Überlegungen sind mitunter in der Ich-Form gehalten, so auch der erste Punkt, dessen sprachlicher Duktus an Friedrich Nietzsche erinnert: "Was! es gäbe also einerseits ein ,ich', andererseits ein ,du' und dazwischen ein vernünftiges (weil lexikalisches) affektives Bindeglied?" Die meisten der zehn Einträge sind am linken Textrand mit den Angaben der Quellen versehen, aus denen sich Barthes' fragmentarischer Liebesdiskurs speist. Dazu gehören Namen (Baudelaire, Rousseau, Klossowski etc.), Stoffe (etwa die Geschichte von Pelléas und Mélisande), Motive (das Geisterschiff aus der Sage vom Fliegenden Holländer), aber auch Gespräche mit Freunden (hier mit einem oder einer gewissen R.H.). Auf den insgesamt zehn Seiten, die der Eintrag umfasst, entwickelt Barthes eine weit in die Literatur- und Philosophiegeschichte ausgreifende Abhandlung, die philosophisches Denken und poetische Ausdrucksformen experimentell miteinander vereint.
In den ausnahmslos freiversigen Gedichten, die Albert Ostermaier in "Über die Lippen" versammelt, wendet sich meist ein lyrisches Ich an ein Du, das selbst aber stumm bleibt. Das Ich artikuliert, so scheint es, seine Gedanken im Inneren. Den Ausgangspunkt der Texte bilden oft konkrete Beziehungserfahrungen, was ihnen den Charakter persönlicher, bisweilen intimer Selbstbekundungen verleiht. Der Pathosgefahr, die unausweichlich ist, wenn es im Gedicht um die Liebe geht, sollen Umgangssprachlichkeit, Ambivalenz und Selbstbezüglichkeit entgegenwirken - einiges davon zeigt sich auch in dem Gedicht "ich-liebe-dich":
du sagst ich-liebe-dich ich
sage ich-liebe-dich und
wäre dir lieber die antwort
schuldig geblieben
die liebe ist mehr als
diese drei wörter wenn
man sie zu oft in
den mund nimmt bleiben
nur die gedankenstriche
dazwischen.
Mindestens drei Aussagen werden in diesen Versen getroffen: 1. Die sprachliche Figur "ich-liebe-dich" vermag das, was die Liebe ausmacht, nur unzureichend zu erfassen, weswegen 2. das Ich am liebsten gleich völlig auf "diese drei wörter" verzichten würde. Dazu kommt 3. die Abnutzungsgefahr der Worte, das heißt, aus dem ohnehin unzureichenden Begriff der Liebe wird durch die laufende Wiederholung eine bloße Sprachhülse ("nur die gedankenstriche / dazwischen"). Was hinter dieser Verwerfung steht, ist offensichtlich, nämlich die romantische Vorstellung einer Liebe, die sich der sprachlichen Festlegung immer schon entzieht, ja der man sich mit Worten allenfalls anzunähern vermag. Dabei greift das Sprecher-Ich auf eine Formulierung zurück, die bei Bob Dylan und Joan Baez vielleicht noch reizvoll war ("love is just a four-letter word"), mittlerweile aber allenfalls noch für Schlagertexte taugt: "die liebe ist mehr als diese drei worte".
Es verwundert also nicht, dass Albert Ostermaier nur zehn Verse schreibt, wo Roland Barthes immerhin zehn Seiten benötigt. Nicht um jene so äußerst reiche "Topik der Liebe" geht es ihm, sondern um eine ultrapauschale, aus der Geschichte der literarischen Moderne wohlbekannte Sprachkritik, die zugleich eine Verteidigung der großen, numinosen Liebe sein will. Stellt man sich die beiden Autoren probeweise beim gemeinsamen Besuch einer Ausstellung von, sagen wir, Gartengemälden vor, so wäre Barthes derjenige, der wild durch die Museums- oder Galerieräume spränge, um auf dieses oder jenes interessante künstlerische Detail hinzuweisen, während Ostermaier seinen Begleiter mit einer spaßverderberischen Geste belehrte: "Aber ein wirklicher Garten sieht doch ganz anders aus, Roland, die Gemälde kommen da einfach nicht heran." Was ließe sich darauf aus Barthes' Sicht anderes entgegnen als ein ratloses "Äh, ja, danke, Albert"?
Nein, mit alldem ist überhaupt nichts gesagt über den ästhetischen Reiz oder die emotionale Bedeutsamkeit, die man bei der Lektüre von Ostermaiers Gedichten empfinden mag. Hierfür gibt es, was für weite Teile der Gegenwartslyrik gilt, ohnehin keine belastbaren Kriterien. Wer diesen Band allerdings in der Erwartung aufschlägt, in ihm käme es zu einer intellektuell und literarisch ergiebigen Begegnung zweier Autoren, Werke und Zeiten, wird ihn vermutlich rasch beiseitelegen.
KAI SINA
Albert Ostermaier:
"Über die Lippen".
Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 98 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In seinem Gedichtband "Über die Lippen" tritt Albert Ostermaier in literarischen Kontakt zu den "Fragmenten einer Sprache der Liebe" von Roland Barthes
Ein Motto ist immer ein Risiko. Es gibt nicht nur einen Hinweis auf den Inhalt oder den Aufbau eines Werkes, sondern es bestimmt auch den intellektuellen Anspruch eines Autors. Dem Kritiker hingegen kommt dies entgegen: Wird das vor ihm liegende Buch der Tradition und Ambition, die es als Zitat vor sich herträgt, überhaupt gerecht?
Das Motto, das Albert Ostermaier seinem neuen Gedichtband voranstellt, stammt aus Roland Barthes' "Fragmenten einer Sprache der Liebe" (1977), die zu den erfolgreichsten, weil provozierendsten und deswegen interessantesten Erzeugnissen des Poststrukturalismus gehören. Mit seinem Alphabet der Liebesbegriffe von A wie "Abhängigkeit" bis Z wie "Zugrundegehen" zeigt Barthes, dass unsere Sprache selbst im Bereich des Persönlichsten und Intimsten "geprägt ist wie die Matrix eines Codes". Ebendiesen "Code" versucht er in seinem Buch zu entschlüsseln, wozu er in einem "Dis-cursus", also in einer "Bewegung des Hin- und Herlaufens" zwischen Wissenschaft, Literatur und Philosophie, einige jener sprachlichen "Bruchstücke" benennt, derer wir uns als "liebende Subjekte" bedienen.
Ostermaier hat das Motto für sein Buch aus einer vor einigen Jahren veröffentlichten erweiterten Ausgabe der "Fragmente" entnommen, die auch die von Barthes im Schreibprozess verworfenen Einträge enthält. Es besagt, dass in der Romantik "jede Figur", also "jeder Brocken einer Sprache der Liebe", im Zuhörer oder Leser "sofort das Verlangen nach einem Gedicht" geweckt habe. Ebendiesem Verlangen gibt Ostermaier in seinen etwa achtzig Gedichten nach. Er folgt dabei Wort für Wort dem von Barthes entwickelten Abc der Liebe, und manchmal zitiert er auch aus den "Fragmenten". Die Frage, die sich aus dieser nachdrücklichen Bezugnahme ergibt, liegt mehr oder weniger auf der Hand: Was hat Ostermaier zu bieten, was nicht schon von Barthes gesagt worden wäre? Vielleicht lässt sich diese Frage im direkten Vergleich am besten beantworten, und zwar anhand der elementaren und deswegen von Barthes am eingehendsten behandelten Sprachfigur "Ich-liebe-Dich".
Jedem Eintrag in den "Fragmenten" ist eine kurze Begriffsklärung vorangestellt. In diesem Fall besagt sie: Nicht im üblichen Sinne als "Liebeserklärung" müsse die Aussage "Ich-liebe-Dich" verstanden werden, sondern als "wiederholte Äußerung des Liebesseufzers". Die hieran anschließenden Überlegungen sind mitunter in der Ich-Form gehalten, so auch der erste Punkt, dessen sprachlicher Duktus an Friedrich Nietzsche erinnert: "Was! es gäbe also einerseits ein ,ich', andererseits ein ,du' und dazwischen ein vernünftiges (weil lexikalisches) affektives Bindeglied?" Die meisten der zehn Einträge sind am linken Textrand mit den Angaben der Quellen versehen, aus denen sich Barthes' fragmentarischer Liebesdiskurs speist. Dazu gehören Namen (Baudelaire, Rousseau, Klossowski etc.), Stoffe (etwa die Geschichte von Pelléas und Mélisande), Motive (das Geisterschiff aus der Sage vom Fliegenden Holländer), aber auch Gespräche mit Freunden (hier mit einem oder einer gewissen R.H.). Auf den insgesamt zehn Seiten, die der Eintrag umfasst, entwickelt Barthes eine weit in die Literatur- und Philosophiegeschichte ausgreifende Abhandlung, die philosophisches Denken und poetische Ausdrucksformen experimentell miteinander vereint.
In den ausnahmslos freiversigen Gedichten, die Albert Ostermaier in "Über die Lippen" versammelt, wendet sich meist ein lyrisches Ich an ein Du, das selbst aber stumm bleibt. Das Ich artikuliert, so scheint es, seine Gedanken im Inneren. Den Ausgangspunkt der Texte bilden oft konkrete Beziehungserfahrungen, was ihnen den Charakter persönlicher, bisweilen intimer Selbstbekundungen verleiht. Der Pathosgefahr, die unausweichlich ist, wenn es im Gedicht um die Liebe geht, sollen Umgangssprachlichkeit, Ambivalenz und Selbstbezüglichkeit entgegenwirken - einiges davon zeigt sich auch in dem Gedicht "ich-liebe-dich":
du sagst ich-liebe-dich ich
sage ich-liebe-dich und
wäre dir lieber die antwort
schuldig geblieben
die liebe ist mehr als
diese drei wörter wenn
man sie zu oft in
den mund nimmt bleiben
nur die gedankenstriche
dazwischen.
Mindestens drei Aussagen werden in diesen Versen getroffen: 1. Die sprachliche Figur "ich-liebe-dich" vermag das, was die Liebe ausmacht, nur unzureichend zu erfassen, weswegen 2. das Ich am liebsten gleich völlig auf "diese drei wörter" verzichten würde. Dazu kommt 3. die Abnutzungsgefahr der Worte, das heißt, aus dem ohnehin unzureichenden Begriff der Liebe wird durch die laufende Wiederholung eine bloße Sprachhülse ("nur die gedankenstriche / dazwischen"). Was hinter dieser Verwerfung steht, ist offensichtlich, nämlich die romantische Vorstellung einer Liebe, die sich der sprachlichen Festlegung immer schon entzieht, ja der man sich mit Worten allenfalls anzunähern vermag. Dabei greift das Sprecher-Ich auf eine Formulierung zurück, die bei Bob Dylan und Joan Baez vielleicht noch reizvoll war ("love is just a four-letter word"), mittlerweile aber allenfalls noch für Schlagertexte taugt: "die liebe ist mehr als diese drei worte".
Es verwundert also nicht, dass Albert Ostermaier nur zehn Verse schreibt, wo Roland Barthes immerhin zehn Seiten benötigt. Nicht um jene so äußerst reiche "Topik der Liebe" geht es ihm, sondern um eine ultrapauschale, aus der Geschichte der literarischen Moderne wohlbekannte Sprachkritik, die zugleich eine Verteidigung der großen, numinosen Liebe sein will. Stellt man sich die beiden Autoren probeweise beim gemeinsamen Besuch einer Ausstellung von, sagen wir, Gartengemälden vor, so wäre Barthes derjenige, der wild durch die Museums- oder Galerieräume spränge, um auf dieses oder jenes interessante künstlerische Detail hinzuweisen, während Ostermaier seinen Begleiter mit einer spaßverderberischen Geste belehrte: "Aber ein wirklicher Garten sieht doch ganz anders aus, Roland, die Gemälde kommen da einfach nicht heran." Was ließe sich darauf aus Barthes' Sicht anderes entgegnen als ein ratloses "Äh, ja, danke, Albert"?
Nein, mit alldem ist überhaupt nichts gesagt über den ästhetischen Reiz oder die emotionale Bedeutsamkeit, die man bei der Lektüre von Ostermaiers Gedichten empfinden mag. Hierfür gibt es, was für weite Teile der Gegenwartslyrik gilt, ohnehin keine belastbaren Kriterien. Wer diesen Band allerdings in der Erwartung aufschlägt, in ihm käme es zu einer intellektuell und literarisch ergiebigen Begegnung zweier Autoren, Werke und Zeiten, wird ihn vermutlich rasch beiseitelegen.
KAI SINA
Albert Ostermaier:
"Über die Lippen".
Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 98 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»99 Seiten braucht Albert Ostermaier für sein Alphabet der Liebe. ... Da steckt alles drin von der Lust bis zum Verlust ... Man liest sie einmal und ein zweites Mal und abermals und nie ist es das Gleiche.« Roman Bucheli Neue Zürcher Zeitung 20190517