Klaus Binders Neuübersetzung der Bibel der Sinnlichkeit - Lukrez' Über die Natur der Dinge.
Fast unglaublich war, was der italienische Humanist Poggio Bracciolini in einem deutschen Kloster entdeckte - kurz nachdem in Konstanz Johannes Hus als Ketzer verbrannt worden war: ein Gesang aus der Römerzeit, der in wunderbarer Poesie vom Bau der Welt erzählt und wie die Menschen darin ein glückliches Leben führen können - ohne Angst vor dem Tod und ohne falsche Furcht vor Göttern. Die nämlich - so Lukrez - sollen den Menschen getrost egal sein. Eine philosophisch fundierte Feier der Natur, des Lebens und der Liebe.
Es dauerte Jahrzehnte, bis das Buch im Druck erschien, und noch Giordano Bruno, der sich auf es berief, wurde wegen Ketzerei verbrannt. Aber der Siegeszug dieses unendlich schönen, freien und unvoreingenommenen Textes war nicht mehr aufzuhalten: Bruno, Galilei, Montaigne, Shakespeare, Gassendi, die Enzyklopädisten, Sterne, Wieland, Friedrich II., Goethe, Kant und Karl Marx, Nietzsche, Albert Einstein und Camus gehörten zu den Kennern und Verehrern des Buchs.Der Übersetzer Klaus Binder bemerkte bei seiner Arbeit an Stephen Greenblatts Bestseller über Lukrez , dass keine der vorliegenden deutschen Übersetzungen für ihn Schönheit und inhaltliche Raffinesse des Lukrez'schen Gedichts zufriedenstellend wiedergibt. Also machte er sich selbst an die Arbeit und legt hier - wie einst z. B. Wolfgang Schadewaldt mit Homer - eine verständnisfördernd kommentierte, rhythmisierte Prosaübersetzung vor.
Fast unglaublich war, was der italienische Humanist Poggio Bracciolini in einem deutschen Kloster entdeckte - kurz nachdem in Konstanz Johannes Hus als Ketzer verbrannt worden war: ein Gesang aus der Römerzeit, der in wunderbarer Poesie vom Bau der Welt erzählt und wie die Menschen darin ein glückliches Leben führen können - ohne Angst vor dem Tod und ohne falsche Furcht vor Göttern. Die nämlich - so Lukrez - sollen den Menschen getrost egal sein. Eine philosophisch fundierte Feier der Natur, des Lebens und der Liebe.
Es dauerte Jahrzehnte, bis das Buch im Druck erschien, und noch Giordano Bruno, der sich auf es berief, wurde wegen Ketzerei verbrannt. Aber der Siegeszug dieses unendlich schönen, freien und unvoreingenommenen Textes war nicht mehr aufzuhalten: Bruno, Galilei, Montaigne, Shakespeare, Gassendi, die Enzyklopädisten, Sterne, Wieland, Friedrich II., Goethe, Kant und Karl Marx, Nietzsche, Albert Einstein und Camus gehörten zu den Kennern und Verehrern des Buchs.Der Übersetzer Klaus Binder bemerkte bei seiner Arbeit an Stephen Greenblatts Bestseller über Lukrez , dass keine der vorliegenden deutschen Übersetzungen für ihn Schönheit und inhaltliche Raffinesse des Lukrez'schen Gedichts zufriedenstellend wiedergibt. Also machte er sich selbst an die Arbeit und legt hier - wie einst z. B. Wolfgang Schadewaldt mit Homer - eine verständnisfördernd kommentierte, rhythmisierte Prosaübersetzung vor.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Matthias Glaubrecht kanns nicht fassen, was dieser in einer "wunderschön" gestalteten Ausgabe veröffentlichte und kommentierte Text an Kühnheit und Modernität des Denkens zu bieten hat. Dank der Übersetzungs- und Gliederungsarbeit von Klaus Binder vermag der Rezensent die alten Verse nun in "rhythmisch beschwingter" Prosa zu lesen. Und siehe da: Lukrez und sein atheistisches Weltbild wirken auf ihn derart poetisch und modern, seine Feier der Natur, des Lebens und der Liebe und die Absage an Religion und Jenseits so einsichtig, dass Glaubrecht sich fragt, wie dieser Text so lange verborgen bleiben konnte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.201412. Der ewige Regen der Atome
Zunächst ist Lukrez' Buch ein Buch über den gemeinen Regen der Atome. Über die Atome, die andauernd, in unendlicher Zahl, vor dem Hintergrund der unendlichen Leere wie der Regen von oben nach unten fallen. Weil die Atome, Lukrez nennt sie Urelemente, aber andauernd auch von ihrer parallelen Bahn abweichen, zusammenstoßen, sich anziehen, wieder auseinandertreiben oder sich verbinden, geschieht überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts. Die Atome in ihren verschiedensten Verbindungen sind die Gründe der Dinge, der Meere, des Himmels, der Berge, der Flüsse und der Lebewesen. Kein Gott, keine Substanz, kein Ganzes, kein Eines hält die Welt zusammen, bloß der ewige Regen der Atome vor dem Hintergrund unendlicher Leere. Aber auch in den Körpern gibt es viel Leere, sonst wären sie nicht weich und anschmiegsam und bereit, sich mit Gleichem im großen Raum des Verschiedenen zu treffen, um sich zu vermehren.
Dabei gilt ein großes Gesetz für alle Verbindungen in der Welt: Während jede Kombination in sich endlich ist, gibt es eine Unendlichkeit von Kombinationen. Wobei es sich um einen Satz handelt, der sich offenbar leichter schreibt, als er zu denken ist. Aus der Verwechselung von Endlichem und Unendlichem erwächst nämlich viel Traurigkeit in der Seele der Menschen. Weil Menschen ihre Endlichkeit nicht richtig verstehen, glauben sie zum Beispiel, dass die Seele weiterlebt, wenn sie schon tot sind. Daraus entstehen dann die traurigen Mythen.
Der Mythos aber ist immer Ausdruck des falschen Unendlichen und der Unruhe der Seele. Neben seinem großartigen Materialismus der zufälligen Begegnung der Atome, die allem zugrunde liegt, ist die Bloßstellung all dessen, was Ursache von Traurigkeit ist, all dessen, was der Traurigkeit bedarf, um seine Macht auszuüben, der tiefliegendste Grund von Lukrez' Denken. Das verbindet ihn mit dem anderen großen Außenseiter der Philosophie, mit Spinoza, einem der seltenen Philosophen, der sich traute, das Wort Glück in einen seiner Titel zu schreiben.
Cord Riechelmann
Lukrez: "Über die Natur der Dinge". Neu übersetzt und kommentiert von Klaus Binder. Galiani, 400 Seiten, 39,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zunächst ist Lukrez' Buch ein Buch über den gemeinen Regen der Atome. Über die Atome, die andauernd, in unendlicher Zahl, vor dem Hintergrund der unendlichen Leere wie der Regen von oben nach unten fallen. Weil die Atome, Lukrez nennt sie Urelemente, aber andauernd auch von ihrer parallelen Bahn abweichen, zusammenstoßen, sich anziehen, wieder auseinandertreiben oder sich verbinden, geschieht überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts. Die Atome in ihren verschiedensten Verbindungen sind die Gründe der Dinge, der Meere, des Himmels, der Berge, der Flüsse und der Lebewesen. Kein Gott, keine Substanz, kein Ganzes, kein Eines hält die Welt zusammen, bloß der ewige Regen der Atome vor dem Hintergrund unendlicher Leere. Aber auch in den Körpern gibt es viel Leere, sonst wären sie nicht weich und anschmiegsam und bereit, sich mit Gleichem im großen Raum des Verschiedenen zu treffen, um sich zu vermehren.
Dabei gilt ein großes Gesetz für alle Verbindungen in der Welt: Während jede Kombination in sich endlich ist, gibt es eine Unendlichkeit von Kombinationen. Wobei es sich um einen Satz handelt, der sich offenbar leichter schreibt, als er zu denken ist. Aus der Verwechselung von Endlichem und Unendlichem erwächst nämlich viel Traurigkeit in der Seele der Menschen. Weil Menschen ihre Endlichkeit nicht richtig verstehen, glauben sie zum Beispiel, dass die Seele weiterlebt, wenn sie schon tot sind. Daraus entstehen dann die traurigen Mythen.
Der Mythos aber ist immer Ausdruck des falschen Unendlichen und der Unruhe der Seele. Neben seinem großartigen Materialismus der zufälligen Begegnung der Atome, die allem zugrunde liegt, ist die Bloßstellung all dessen, was Ursache von Traurigkeit ist, all dessen, was der Traurigkeit bedarf, um seine Macht auszuüben, der tiefliegendste Grund von Lukrez' Denken. Das verbindet ihn mit dem anderen großen Außenseiter der Philosophie, mit Spinoza, einem der seltenen Philosophen, der sich traute, das Wort Glück in einen seiner Titel zu schreiben.
Cord Riechelmann
Lukrez: "Über die Natur der Dinge". Neu übersetzt und kommentiert von Klaus Binder. Galiani, 400 Seiten, 39,99 Euro
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