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Produktdetails
  • Humanistische Bibliothek Reihe II: Texte
  • Verlag: Brill Fink / Wilhelm Fink Verlag
  • Artikelnr. des Verlages: 1882750
  • Seitenzahl: 46
  • Deutsch
  • Gewicht: 711g
  • ISBN-13: 9783770531165
  • ISBN-10: 3770531167
  • Artikelnr.: 27625011
Autorenporträt
Mit Beiträgen von Daniel Höchli
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.1997

Florenz wälzt sich im harten Bett
Donato Giannotti wacht / Von Herfried Münkler

In Florenz, so hatte schon Dante geklagt, seien die Paragraphen der Verfassung so fein gesponnen, daß Mitte November schon wieder zerstört sei, was man im Oktober gerade erarbeitet habe, und deswegen verglich Dante seine Vaterstadt mit einer Kranken, die sich in ihrem Bette umherwälze, um ihre Schmerzen zu lindern. Dante hat das nicht ohne Bitterkeit bemerkt, denn einem der in Florenz so häufigen Verfassungswechsel ist er selber zum Opfer gefallen: Man hatte ihn aus der Stadt verbannt und schließlich in Abwesenheit zum Tode verurteilt.

Zweihundert Jahre später hat Donato Giannotti den Anspruch erhoben, eine Formel für die politische Stabilisierung von Florenz gefunden zu haben, ohne daß dies gleichbedeutend war mit dem Verzicht auf die republikanische Selbstregierung der Stadt. Genau darauf nämlich lief die von der Medici-Familie durchgesetzte Antwort auf das beständige Schwanken der Stadt zwischen einer streng oligarchischen und einer größere Teile des Bürgertums in die politische Verantwortung einbeziehenden Verfassung hinaus. Die Macht wurde nicht nur informell, wie dies im fünfzehnten Jahrhundert unter Cosimo und Lorenzo de'Medici der Fall gewesen war, sondern auch formell bei der führenden Familie der Stadt Florenz konzentriert und monopolisiert.

Die versprach dafür den in Untertanen verwandelten Bürgern Ruhe und Sicherheit. In einer Tyrannis, so Giannottis Einwand, seien aber auf Dauer weder Ruhe noch Sicherheit zu finden. Tatsächlich gebe es dies nur in einer Republik, und zwar dann, wenn diese auf einer Mischverfassung begründet sei.

Giannottis Vorschlag konnte in Florenz nicht mehr realisiert werden: 1530, vier Jahre vor der Abfassung der Verfassungsschrift Giannottis, waren die Medici mit Hilfe kaiserlicher Truppen in die Stadt zurückgekehrt, aus der sie 1527 vertrieben worden waren. Sie unternahmen nun alle Anstrengungen, damit ihnen dieses Schicksal, das sie 1494 schon einmal erfahren hatten, ein drittes Mal erspart blieb. Tatsächlich ist es ihnen gelungen, bis zum Aussterben der Familie und dem Übergang des Großherzogtums Toscana auf das Haus Habsburg eine stabile Herrschaftsordnung zu errichten. Giannotti blieb im Exil; seine Schrift zirkulierte wohl unter anderen Florentiner Exilanten, aber vorerst war nicht einmal an ihre Drucklegung zu denken. Dafür reichte der Arm der Medici zu weit.

Giannotti wäre als politischer Theoretiker gänzlich in Vergessenheit geraten, wenn er nicht noch eine weitere Arbeit verfaßt hätte, in der er sich mit der Republik Venedig beschäftigte. Die Kenntnisse der venezianischen Verfassung, die in die politischen Schriften des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts eingegangen sind, verdanken sich wesentlich dieser Schrift. Dennoch gehört Giannotti heute zu den vergessenen Autoren der politischen Ideengeschichte. Dagegen haben die in den letzten Jahren erschienenen italienischen Editionen der Schriften Giannottis nicht geholfen, und daran wird wohl auch die jetzt von Riklin und Höchli sorgfältig besorgte deutsche Ausgabe seiner Schrift über die Florentiner Republik nichts ändern.

Und doch ist es überaus instruktiv, Giannottis Überlegungen zum Aufbau einer stabilen politischen Ordnung mit den Theorien seiner ungleich bekannteren Landsleute Francesco Guicciardini und Niccolò Machiavelli zu vergleichen. Zumal mit Machiavelli verbindet Giannotti mehr als die gemeinsame Option für die Republik: Von 1528 bis 1530 hat er in der letzten Florentiner Republik dasselbe Amt bekleidet, das Machiavelli von 1498 bis 1512 innehatte - Kanzler des Rats der Zehn.

Wahrscheinlich hat er Machiavelli in dem Ort Oricellari persönlich kennengelernt, wo der damals Amtsenthobene mit jungen Florentinern über politische Fragen diskutierte. Giannotti stimmt in seiner sieben Jahre nach Machiavellis Tod verfaßten Schrift diesem in vieler Hinsicht zu, vor allem in der Frage der Bürgermiliz, der Ablehnung von Söldnern und der Präferenz für eine möglichst breite Partizipation der Stadtbürgerschaft an der Politik.

Aber in zwei Punkten gibt es einen auffallenden Dissens, der nicht nur auf die unterschiedlichen politischen Vorstellungen der Florentiner Republikaner ein Schlaglicht wirft: Giannotti folgt Machiavelli nicht darin, die römische Republik zum nachahmenswerten Vorbild zu stilisieren, sondern setzt statt dessen auf das venezianische Modell, von dem sich Machiavelli in allen seinen Schriften distanziert hat, und er erwartet von institutionellen Arrangements eine Lösung der politischen Probleme der Stadt, während Machiavelli nahezu ausschließlich auf die Revitalisierung des bürgerschaftlichen Geistes setzt.

Was Machiavelli von der soziomoralischen Verfassung der Bürger, von ihrer virtù, erwartet, das erhofft Giannotti von der institutionellen Verfassung, vom Zusammenspiel und der Balance der einzelnen Behörden, die Habgier und Ehrgeiz der Menschen domestizieren und in sozialverträgliche Kanäle lenken sollten. Für Machiavelli entschied sich die Frage, ob die Bürger in einer freiheitlich verfaßten Republik miteinander leben konnten, im wesentlichen an ihrer politischen Tugend; Giannotti dagegen setzte, wie Daniel Höchli in seiner Einführung schreibt, auf die "Tugend der Institutionen", durch die die Menschen nicht nur gelenkt, sondern auch erzogen werden sollten. Dabei ging Giannotti ganz wie Machiavelli davon aus, daß die Menschen eher schlecht als gut und eher am privaten Nutzen als am Gemeinwohl orientiert seien. Machiavelli vertraute bei ihrer "Umerziehung" auf die Begeisterung durch das römische Vorbild; Giannotti hingegen setzte auf den tagtäglichen Einfluß der Institutionen.

Aber wenn Giannotti auch zunächst einmal die Schlechtigkeit aller Menschen dekretierte, so ging er in einem zweiten Schritt doch sogleich daran, dies sozial zu differenzieren. Die untersten Schichten der Stadt, so die soziologische Grundlegung seiner Mischverfassungstheorie, strebten bloß nach Ruhe und Sicherheit, in deren Schutz sie ihrer täglichen Arbeit nachgehen konnten. Sie waren das geringste Problem bei der Einrichtung einer republikanischen Ordnung. Die kleinbürgerlichen Schichten, die popolari, erstrebten neben der Ruhe noch die Freiheit, womit auch sie in ihren Zielsetzungen mit einer republikanischen Ordnung harmonierten.

Problematisch dagegen waren die mittleren Schichten, die mediocri, denen neben der Freiheit auch noch an Ehre gelegen war, und vor allem die Großen der Stadt, die grandi, denen es darüber hinaus noch um ruhmvolle Selbstdarstellung ging. Für diese beiden Schichten sollten durch die spezifischen Bestimmungen der Mischverfassung Möglichkeiten eröffnet werden, dieses Streben zu befriedigen, ohne daß es zu den von Dante beklagten Verfassungswechseln und Umstürzen kam, bis schließlich allen die republikanische Ordnung verhaßt war. Die Mischverfassung, in der demokratische, aristokratische und monarchische Verfassungselemente miteinander kombiniert wurden, war eine Anpassung der republikanischen Verfassung an die spezifischen Sozialverhältnisse der Stadt, in der sie durchgesetzt und auf Dauer gestellt werden sollte.

Giannotti hat diesen Grundgedanken detailliert ausgearbeitet: Im ersten Buch seiner "Republik von Florenz" beschreibt er die soziopolitische Situation der Stadt und reflektiert diese auf der Folie der aristotelischen Theorie. Während Machiavelli sich auf die römische Geschichtsschreibung bezieht, stützt er sich auf die griechische Philosophie. Nachdem er im ersten Buch gleichsam die empirischen und normativen Rahmenbedingungen seiner Untersuchung geklärt hat, analysiert er im zweiten Buch dann die Defizite der bisherigen Florentiner Verfassungen, die zum Sturz der Republiken von 1512 und 1527 führten. Erst daran anschließend entwickelt er im dritten Buch das Modell der Mischverfassung, an das er im vierten Buch noch Überlegungen zum Milizwesen und zur Erziehung der Jugend anschließt. Die ausführliche Kommentierung, die der Übersetzung beigegeben worden ist, sowie das umfangreiche Begriffsregister ermöglichen das Verständnis auch jener Passagen über die Florentiner Verfassungsgeschichte, die für den heutigen Leser unübersichtlich und verwirrend sind. Giannotti endet mit der Hoffnung, daß die Glücksgöttin sich nie darüber werde beklagen müssen, daß die Chance zur Realisierung einer stabilen republikanischen Verfassung, die sie gewährt habe, in Florenz nicht genutzt worden sei.

Man mag darüber streiten, ob es diese Chance nach 1534 tatsächlich noch einmal gegeben hat. Viele Exilanten haben auf die Wiedererrichtung der Republik gehofft, als Alessandro de'Medici von seinem Vater Lorenzino ermordet wurde; aber die Masse der Florentiner Bevölkerung verspürte keine Neigung mehr zu republikanischen Experimenten. Mit dem ihm befreundeten Michelangelo, der sich ebenfalls für die Republik von 1527 bis 1530 engagierte, hat Giannotti dies immer wieder besprochen. Ein Ergebnis dieses Austauschs ist die heute im Bargello zu sehende Brutus-Büste Michelangelos. Ganz offenkundig enthält sie auch eine Botschaft für den optimistischen und entschlossenen Giannotti: Es gibt geschichtliche Epochen, in denen sich auch durch die kühnste und hochherzigste Tat die Republik nicht mehr retten läßt. Gegen diese Einsicht hat sich Giannotti bis zu seinem Tode gesträubt.

Donato Giannotti: "Die Republik Florenz (1534)". Herausgegeben und eingeleitet von Alois Riklin, übersetzt und kommentiert von Daniel Höchli. Wilhelm Fink Verlag, München 1997. 465 S., geb., 128,- DM.

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