Warum sollte man die in diesem Band gedruckten Vorträge und Aufsätze aus dem letzten Jahrhundert lesen? Der erste Aufsatz stammt aus dem Jahr 1971, der jüngste titelgebende von 1991; zumal sie nicht von einem Mediziner, sondern von einem Philosophen stammen; wenn auch einem der wichtigsten und
einflussreichsten des 20. Jahrhundert.
Jedoch: man spitze einmal in einer Runde (nicht nur) älterer…mehrWarum sollte man die in diesem Band gedruckten Vorträge und Aufsätze aus dem letzten Jahrhundert lesen? Der erste Aufsatz stammt aus dem Jahr 1971, der jüngste titelgebende von 1991; zumal sie nicht von einem Mediziner, sondern von einem Philosophen stammen; wenn auch einem der wichtigsten und einflussreichsten des 20. Jahrhundert.
Jedoch: man spitze einmal in einer Runde (nicht nur) älterer Menschen die Ohren, um überzeugt zu werden, dass die Sorge um die eigene Gesundheit ein dominierendes Gesprächsthema und "ein Urphänomen des Menschseins" darstellt.
Gadamer entfaltet den Gedanken, daß Gesundheit ein paradoxes Phänomen ist: sie ist uns entzogen, nicht ständig bewußt, sondern wir setzen sie selbstvergessen voraus bis zu dem Punkt, an dem eine Krankheit uns ereilt. Erst die Störung des Wohlbefindens, der mit Angst verbundene Einbruch ins selbstverständliche Alltagsleben, bringt die Verborgenheit der Gesundheit ans Licht. Zwar ist Interesse an der Aufhellung dessen, was in der Arzt-Patient-Beziehung immer schon vorausgesetzt ist, sinnvoll, dagegen sind philosophische Vorkenntnisse für die Lektüre nicht erforderlich. Gadamer richtet sich an Ärzte, Patienten und Laien, die wissen wollen, wie Medizin und Technik in unser Leben hineinragen und ob es Grenzen der Machbarkeit gibt.
Vor allem sollte man keinen Ratgeber zu Gesundheitsfragen erwarten, obwohl der Autor 102 Jahre alt wurde, mit 90 Jahren und wachem Geist noch Vorträge in freier Rede lediglich mit Hilfe eines Spickzettels hielt und daher prädisponiert gewesen wäre, uns sein Geheimnis für ein langes Leben bei mentaler Gesundheit mitzuteilen. Dabei hatte er keine wirklich robuste Konstitution und erkrankte noch im erwachsenen Alter an Kinderlähmung. Gadamer weiß also nicht nur als Philosoph, worüber er spricht, wenn er etwa die »Heilkunst« verteidigt und daran erinnert, das Medizin mehr ist als nur die technische Anwendung naturwissenschaftlichen Wissens: namentlich »Heilen« statt nur »Machen«.
Es geht in den 13 Beiträgen dieses Taschenbuches um die nicht hinterfragte Basis der Medizin, die der Autor an zentralen Begriffen wie »Körper und Leib«, »Behandlung und Gespräch«, »Leben und Seele« aufzuschliessen versucht. Man liest diese erhellenden Gedanken mit Gewinn, da Gadamer die Gabe besitzt, in verständlichen Sätzen anschaulich zu machen, was es an der Begegnung von Arzt und Patient oder an der simplen Frage "Na, wo fehlt's denn" zu verstehen gilt.