Von Flaubert bis Modiano, einen Großteil der Bücher lesen wir in Übersetzung - aber lesen wir den Text des Autors oder des Übersetzers?In der fortwährenden Diskussion über die Kunst des literarischen Übersetzens fallen unweigerlich zwei Namen: Walter Benjamin und Friedrich Schleiermacher.Doch während Benjamins Essay »Die Aufgabe des Übersetzers« (1923) leicht zugänglich ist, wird Schleiermachers legendäre Abhandlung »Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens« (1813) zwar ständig zitiert, aber fast nie gelesen. In modernen Leseausgaben ist sie nicht enthalten, und eine separate Buchveröffentlichung wurde nie vorgelegt. Die Neuausgabe schließt endlich eine der großen Lücken der Übersetzungstheorie.Elisabeth Edl und Wolfgang Matz haben Schleiermachers Text nach dem Erstdruck aus dem Jahr 1838 neu ediert. In ihrem ausführlichen Nachwort beleuchten sie unter dem Gesichtspunkt der Theorie und einer jahrzehntelangen praktischen Erfahrung mit dem Übersetzen von Prosa und Poesie dienach wie vor fundamentale Bedeutung, die Schleiermachers Ideen auch heute noch für jede Beschäftigung mit dem Problem der Übersetzbarkeit großer Literatur haben. »Die Frage, wie sehr eine Übersetzung dem inhalt eines literarischen Textes und wie sehr sie auch der Form, der Sprache verpflichtet ist, ist seit Schleiermacher klargestellt: ohne die Beachtung der Sprache eines Romans kann die Übersetzung dieses Romans keine Literatur sein. Oder mit Hans Magnus Enzensberger: 'Was nicht selber Poesie ist, kann nicht Übersetzung von Poesie sein.'« Elisabeth Edl
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.2022Fremde Ähnlichkeit
Vom Übersetzen: Schleiermachers Text in einer neuen Ausgabe
Die Romantik, eine Hochblüte der Literaturübersetzung in Deutschland, ist auch eine Zeit intensiver übersetzungstheoretischer Reflexionen gewesen. Ein bedeutendes Dokument des damaligen Diskussionsstandes, das zu den Grundlagentexten der heutigen Übersetzungswissenschaft zählt, ist Friedrich Schleiermachers 1813 in der Preußisch-Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gehaltene Rede "Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens".
Schleiermacher, der Platon-Übersetzer und Begründer einer philosophischen Hermeneutik, deutet das Übersetzen als Problem der Annäherung des Eigenen und des Fremden, ein Verhältnis, aus dem er zwei idealtypische Wege der Vermittlung ableitet: Entweder verfremdet der Übersetzer die Zielsprache, bewegt also den Leser zum Autor; oder er bringt die Fremdheit zum Verschwinden, bewegt also den Autor zum Leser.
Die Prämisse der letzteren, "einbürgernden" Methode, sie könne das Werk des Autors bieten, wie er es geschrieben hätte, wäre er Deutscher, verfehlt jedoch für Schleiermacher das Wesen der Sprache. Denn diese bestimme das Denken des Autors im selben Maße, wie er sie gestaltet. Schleiermacher plädiert deshalb für eine Übersetzung, deren Sprache auf die Strukturen der Ausgangssprache und ihren Gebrauch durch den Autor verweist, die mithin erahnen lässt, dass sie nicht "frei gewachsen", sondern "zu einer fremden Ähnlichkeit hinübergebogen sei".
Wie es gelingt, die "Wendungen der Urschrift" spürbar zu machen, lässt Schleiermacher offen. Doch man erfährt es aus dem eleganten Nachwort von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. Anhand vieler Beispiele, die von Flaubert über Georges Simenon bis Yves Bonnefoy reichen, gewähren die Herausgeber des Bandes hier Einblicke in ihre hermeneutisch geprägte Übersetzungspraxis.
Aufgeräumt wird dabei zugleich mit zahlreichen Gemeinplätzen der Literaturkritik: Keine Übersetzung erreiche das Original, Übersetzung sei stets Annäherung. Das aber ist auch nicht Ziel der Übersetzung, die der Definition nach vom Original geschieden ist. Annäherung ist sie höchstens an ihre ideale Gestalt in der Muttersprache, als Ergebnis eines künstlerischen Verstehens des sprachlichen Kunstwerks. Nur dann ist sie selbst Kunst. MAXIMILIAN GILLESSEN
Friedrich Schleiermacher: "Über die verschiedenen Methoden des
Übersetzens".
Hrsg. und mit einem Essay von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. Alexander Verlag, Berlin 2022. 152 S., br., 16,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vom Übersetzen: Schleiermachers Text in einer neuen Ausgabe
Die Romantik, eine Hochblüte der Literaturübersetzung in Deutschland, ist auch eine Zeit intensiver übersetzungstheoretischer Reflexionen gewesen. Ein bedeutendes Dokument des damaligen Diskussionsstandes, das zu den Grundlagentexten der heutigen Übersetzungswissenschaft zählt, ist Friedrich Schleiermachers 1813 in der Preußisch-Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gehaltene Rede "Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens".
Schleiermacher, der Platon-Übersetzer und Begründer einer philosophischen Hermeneutik, deutet das Übersetzen als Problem der Annäherung des Eigenen und des Fremden, ein Verhältnis, aus dem er zwei idealtypische Wege der Vermittlung ableitet: Entweder verfremdet der Übersetzer die Zielsprache, bewegt also den Leser zum Autor; oder er bringt die Fremdheit zum Verschwinden, bewegt also den Autor zum Leser.
Die Prämisse der letzteren, "einbürgernden" Methode, sie könne das Werk des Autors bieten, wie er es geschrieben hätte, wäre er Deutscher, verfehlt jedoch für Schleiermacher das Wesen der Sprache. Denn diese bestimme das Denken des Autors im selben Maße, wie er sie gestaltet. Schleiermacher plädiert deshalb für eine Übersetzung, deren Sprache auf die Strukturen der Ausgangssprache und ihren Gebrauch durch den Autor verweist, die mithin erahnen lässt, dass sie nicht "frei gewachsen", sondern "zu einer fremden Ähnlichkeit hinübergebogen sei".
Wie es gelingt, die "Wendungen der Urschrift" spürbar zu machen, lässt Schleiermacher offen. Doch man erfährt es aus dem eleganten Nachwort von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. Anhand vieler Beispiele, die von Flaubert über Georges Simenon bis Yves Bonnefoy reichen, gewähren die Herausgeber des Bandes hier Einblicke in ihre hermeneutisch geprägte Übersetzungspraxis.
Aufgeräumt wird dabei zugleich mit zahlreichen Gemeinplätzen der Literaturkritik: Keine Übersetzung erreiche das Original, Übersetzung sei stets Annäherung. Das aber ist auch nicht Ziel der Übersetzung, die der Definition nach vom Original geschieden ist. Annäherung ist sie höchstens an ihre ideale Gestalt in der Muttersprache, als Ergebnis eines künstlerischen Verstehens des sprachlichen Kunstwerks. Nur dann ist sie selbst Kunst. MAXIMILIAN GILLESSEN
Friedrich Schleiermacher: "Über die verschiedenen Methoden des
Übersetzens".
Hrsg. und mit einem Essay von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. Alexander Verlag, Berlin 2022. 152 S., br., 16,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Maximilian Gillessen erhält allerhand anregende Gedanken zur Praxis des Übersetzens mit Friedrich Schleiermachers wegweisendem Text von 1813, aber auch mit dem mit vielen Beispielen angereicherten Nachwort der Übersetzer Elisabeth Edl und Wolfgang Matz zur hermeneutischen Übersetzungspraxis. Inwieweit der Übersetzer zwischen Eigenem und Fremdem vermittelt, erfährt der Rezensent und lernt, dass Übersetzung und Original dem Grunde nach verschieden sind und auch sein dürfen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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