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»Strand beweist wieder einmal, daß er in einem Maße, das jeden Kunstkritiker nervös machen muß, die nicht immer verwandten Gaben des Schauens und des Sehens besitzt. Er blickt tiefer in Hoppers Bilder als jeder andere zuvor ... Dies ist das gescheiteste Buch, das je über Hopper geschrieben wurde.« Soweit Adam Gopnik, selbst namhafter Kunstkritiker. Tatsächlich sind Mark Strands Texte zu 30 Gemälden von Edward Hopper nicht nur brillante Essays, sondern auch eine Schule des Sehens. Die scheinbar so vertrauten Hopper-Ikonen - wie Nighthawks, House by the Railroad oder Sun in an Empty Room -…mehr

Produktbeschreibung
»Strand beweist wieder einmal, daß er in einem Maße, das jeden Kunstkritiker nervös machen muß, die nicht immer verwandten Gaben des Schauens und des Sehens besitzt. Er blickt tiefer in Hoppers Bilder als jeder andere zuvor ... Dies ist das gescheiteste Buch, das je über Hopper geschrieben wurde.« Soweit Adam Gopnik, selbst namhafter Kunstkritiker. Tatsächlich sind Mark Strands Texte zu 30 Gemälden von Edward Hopper nicht nur brillante Essays, sondern auch eine Schule des Sehens. Die scheinbar so vertrauten Hopper-Ikonen - wie Nighthawks, House by the Railroad oder Sun in an Empty Room - erscheinen in Strands luziden Bildbetrachtungen, die nicht interpretieren, vielmehr zum genauen Hinsehen animieren wollen, in einem neuen Licht, das alle Hopper-Klischees und liebgewordenen Sehgewohnheiten vergessen läßt. Mark Strand (geb. 1934), Professor an der University of Chicago und Pulitzer-Preisträger, hat neun Gedichtbände sowie zahlreiche Essays, Erzählungen, Übersetzungen und Monographien über zeitgenössische Künstler veröffentlicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2005

Traurige Häfen des Verlangens
Die Meditationen des Lyrikers Mark Strand zu Edward Hopper

Aus der evolutionären Psychologie lernen wir, wie tief verwurzelt manche menschlichen Verhaltensweisen in der Stammesgeschichte sind. So versuchen wir in Räumen, etwa bei Empfängen, unwillkürlich eine Wand im Rücken zu haben - eine einst elementare Vorsichtsmaßnahme, um gegen Angriffe aus dem Hinterhalt gefeit zu sein. Vor Bildern in Museen bewegen wir uns in der Regel nach angelernten Mustern: Wir gehen vor und zurück, untersuchen den Farbauftrag und verschaffen uns verschiedene Ansichtswinkel. Man würde sich nicht so verhalten, als sei das Dargestellte real, etwa zurückspringen bei einem gefährlichen Tier von Dalí oder um das Nachtcafé van Goghs einen Bogen machen.

Es macht den Charme der Kommentare des amerikanischen Lyrikers Mark Strand zu Gemälden Edward Hoppers aus, daß er den Betrachter immer als Teil des Bildes annimmt, eine teilnehmende Beobachtung wie in der Ethnographie unternimmt. Am Lokal etwa, in dem die "Nighthawks" hocken, werde man nicht hineingezogen, "sondern an ihm entlanggeführt", der Sog zum perspektivischen Fluchtpunkt außerhalb des Bildes drängt den Betrachter weiter. Doch setzt die Betrachtung eine dialektische Bewegung in Gang, ein Oszillieren zwischen Attraktion und Abstoßung: "Das Lokal ist eine Insel im Licht, die jeden, der möglicherweise vorbeigeht - in diesem Fall uns -, vom Ziel seiner Reise ablenkt." Da das Leben aber ein ständiges Weiterschreiten ist, wäre das Erreichen des Fluchtpunkts der Tod. Die "Ablenkung" des Betrachters wird daher zur "Rettung".

Ausdrücklich vermeidet Strand in seinen kurzen Texten, die vom Szenischen und Formalen ausgehen, alle sozialen und historischen Lesarten; er geht nicht werkchronologisch vor und unternimmt nur ganz selten kunsthistorische Vergleiche, etwa zur Tradition amerikanischer Landschaftsmalerei. Er will Hopper nicht irgendwo "verorten", sondern gerade umgekehrt die Wahrnehmung sehr bekannter Bilder wieder neu in Gang setzen. Das Recht zu diesem Dilettantismus leitet sich aus einer Geistesverwandtschaft ab, die doch nie behauptet, besser als andere zu wissen, was sich hinter den rätselhaften Szenarien verbirgt. So bemerkt er zu "A Woman in the Sun", es sei "sinnlos", darüber zu spekulieren, was dem Schlaf der gerade erwachten Frau vorausging: "Ihre Vergangenheit bleibt wie ihr Rücken im Schatten." Aber Hoppers Bilder verweigern auch die Zukunft. Obwohl sie gerade dazu einzuladen scheinen, würden sie banal, sobald man um den gefrorenen Augenblick herum eine Geschichte ausspinnen würde. Das Gefühl der unaufhebbaren Fremdheit ist für das Schauen konstitutiv. Oft erblicken Figuren etwas offenbar Bedeutsames außerhalb des Bildes, das dem Betrachter verborgen bleibt, etwa in dem großartigen "Pennsylvania Coal Town" von 1947. Doch die Botschaft des Lichts ist nicht für uns bestimmt. Hoppers Räume seien "traurige Häfen des Verlangens", das ewig ungestillt bleibt: "Es ist beunruhigend. Wir wollen weitergehen. Und etwas treibt uns an, gerade wenn etwas anderes uns zum Bleiben zwingt. Es lastet auf uns wie Einsamkeit. Unser Abstand zu allem wächst."

Als schwächere Bilder erscheinen dann gerade diejenigen, die zuviel erzählen. Etwa "Excursion into Philosophy" von 1959, auf dem ein Mann zu sehen ist, der neben einer schlafenden Frau auf dem Bett sitzt, ein aufgeschlagenes Buch neben sich. Hopper selbst hatte zudem angeblich dazu geäußert, das Buch sei "Platon, zu spät noch einmal gelesen". Dies ist eine der wenigen Stellen, wo Strand richtig polemisch wird: Das Bild werde "zu einem Cartoon, zu einer hoffnungslos vereinfachten Ansicht - von was?". Immerhin erkennt Strand hier die Gefahr, daß Hoppers einsame Menschen auch ins existentialische Klischee umschlagen und als Dekoration im Wartezimmer des Psychotherapeuten enden können. Vielleicht habe Hopper, so Strand, mit dem Hinweis auf Platon absichtlich in die Irre führen wollen: Das Bild heiße "schließlich nicht ,Erkundungen bei Platon' oder ,Die Grenzen Platons' oder ,Postkoitale Traurigkeit und Platonismus'".

Als leitmotivisch wiederholtes Thema erscheint immer wieder die Reflexion über das Wesen der Zeit, des Augenblicks, des scheinbar stillgestellten "Dazwischen" - in einem lebenslangen, nie zur Ruhe kommenden Unterwegssein. Schon früh hat man in Strands Lyrik, die etwa im Suhrkamp-Band "Dunkler Hafen" (1997) auf deutsch vorliegt, ein literarisches Pendant zu Hoppers Malerei gesehen: der existentielle Grundton, die Arbeit mit einfachen und eingängigen formalen Mitteln, die Beiläufigkeit der Gegenstände - private Szenen, Skizzen aus der amerikanischen Provinz, Naturbeschreibungen -, die plötzlich in Momente innerweltlicher Epiphanie umschlagen.

Strands erster Gedichtband "Sleeping With One Eye Open" erschien 1964, ein Jahr nach der Entstehung von "Sun in an Empty Room", laut Strand Hoppers "letztes großes Bild, die Vision einer Welt ohne uns, nicht bloß ein Ort, der uns ausschließt, sondern ein Ort, der von uns geleert ist". In Strands Debüt findet sich das Gedicht "Keeping Things Whole", das mit den Versen endet: "Alle haben wir Gründe / uns zu bewegen / Ich bewege mich / um die Dinge ganz zu lassen." Edward Hopper zeigt, was Gegenstände, Orte und Menschen tun, wenn wir sie aus den Augen verlieren.

RICHARD KÄMMERLINGS

Mark Strand: "Über Gemälde von Edward Hopper". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Wiebke Meier. Schirmer/Mosel, München 2004. 104 S., Abb., geb., 14,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Die Rezensentin Brigitte Werneburg ist richtig angetan von diesem kleinen Band, in denen der amerikanische Dichter Mark Strand seine Beobachtungen über Bilder von Edward Hopper mitteilt. Ihr gefällt Strands lakonischer Stil, der ihrer Meinung nach widerspiegelt, wie auch Hopper seine Bilder komponierte. Auch Strands Fähigkeit, "dem Betrachter und Leser die Bildstrategien Hoppers bewusst zu machen" beeindruckt die Rezensentin - selbst wenn sie das Gefühl hat, dadurch indirekt zu ein paar unbeabsichtigten Interpretationen verleitet worden zu sein. Doch das soll nicht weiter stören: "Diese Garantie kann für das feine, kleine und kluge Buch abgegeben werden: Es vermag seine Leser jederzeit auf neue Gedanken bringen und sie überraschende Sichtweisen entdecken lassen." Anlass für die deutsche Veröffentlichung des 2001 im Original erschienenen Buches in die derzeit in Köln stattfindende Edward Hopper-Retrospektive.

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