Hilde Spiel: Erzählerin und Essayistin, Kritikerin und Feuilletonistin, Übersetzerin und Reporterin, Filmautorin und Historikerin. Sie bestach mit bemerkenswerten Essays und virtuosen Kulturberichten, mit einer Prosa, der es nicht an Eleganz und Verve fehlt. Marcel Reich-Ranicki ist einer ihrer größten Bewunderer, seine Reden auf Hilde Spiel sind ebenso kenntnisreiche wie liebevolle Kritiken ihres Lebenswerkes und eine ehrfurchtsvolle Verneigung vor der »Grande Dame« der deutschsprachigen Literatur.
Zwischen London und Wien - Eine Biographie Hilde Spiels
Obwohl Hilde Spiel nicht an ihren essayistisch-feuilletonistischen Arbeiten gemessen werden und lieber als Romanautorin in die Literaturgeschichte eingehen wollte, galten viele Ehrungen doch der großen Beobachterin der Kultur und des literarischen Lebens. Sechs Jahre nach dem Tod der "Grande Dame der deutschsprachigen Literatur" ist jetzt eine Biographie von Sandra Wiesinger-Stock erschienen, die nach einer Fülle von Würdigungen eine erste Zwischenbilanz zieht. Abzuwarten bleibt die Öffnung des Nachlasses für die Öffentlichkeit.
Das Hauptaugenmerk der Biographin richtet sich auf die Lebensbedingungen österreichischer Emigranten in England (wo Hilde Spiel mit kurzer Unterbrechung zwischen 1936 und 1967 lebte), die Aufnahme der Remigrantin im Österreich der Nachkriegsjahre und ihr Wirken als Vermittlerin zwischen den Kulturkreisen. Ausgeklammert bleiben Analyse und Einordnung der literarischen Werke. Hilde Spiel entstammte einer jüdischen, an das katholische Wien assimilierten Familie, und als ihr Hauptwerk wertet die Biographin das Buch "Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation" (1962), das Porträt der Begründerin einer der großen Salons um 1800.
Tatsächlich hat Hilde Spiel mit diesem Buch Schule gemacht, ohne sich je vom kämpferischen Feminismus vereinnahmen zu lassen. Immer wehrte sie sich gegen die Subsumierung unter eine Gruppe. Hilde Spiel verwahrte sich trotz linksliberaler Bekenntnisse gegen die Verdächtigung ihres Freundfeindes Friedrich Torberg, eine "verkappte Linke" oder gar "Kominternagentin" zu sein. Genausowenig wollte sie sich aber auch - als früh Emigrierte - den eigentlichen Opfern des Naziregimes gleichstellen.
Der Schlüssel für ihre Schriftsteller-und Medienkarriere ist ihre Einfühlung in die englische Sprache, ja das englische Denken. Allerdings gelang die Einbürgerung in London nicht vollkommen, so daß sie nach dreißig Jahren in die Heimat der deutschen Sprache zurückzukehren wünschte. Das geschah nach der Trennung von ihrem ersten Mann, Peter de Mendelssohn. Den Höhepunkt ihrer publizistischen Karriere sieht die Biographin in Hilde Spiels Tätigkeit für diese Zeitung, etwa als Kulturkorrespondentin in Wien und London.
Der enormen schriftstellerischen Produktivität entsprach in den Wiener Jahren der Elan ihrer Initiativen für österreichische Schriftstellervereinigungen, für die soziale Absicherung der Autoren oder für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller im Ausland. Wie ein Nachspiel der Kabalen am habsburgischen Hof mutet das Ränkespiel im österreichischen PEN- Zentrum an, als 1972 ein neuer Präsident zu wählen war und Hilde Spiel kandidierte. Im Buch von Sandra Wiesinger-Stock nehmen die Berichte und Thesen zu diesem bühnenreifen Intrigenstück einen großen Raum ein. Es gelingt den Gegnern, allen voran Friedrich Torberg, die Wahl Hilde Spiels zu verhindern; die Niederlage ist sehr knapp und sehr schmerzhaft. Liest man von den endlosen Querelen vor und nach der Wahl, so erscheinen die heutigen Fehden im westdeutschen PEN - Zentrum noch weniger interessant. Schriftsteller wollen nun einmal nicht unter einen Hut.
Hilde Spiel hat kurz vor ihrem Tod noch eine große Genugtuung erlebt, den Erfolg ihrer Autobiographie (jedenfalls des ersten, 1990 erschienenen Bandes ihrer Erinnerungen). Ihre Biographin stützt sich auch auf Gespräche mit ihrem Sohn, dem Psychoanalytiker Felix de Mendelssohn. Die Auskünfte tragen dazu bei, eine hagiographische Lebensbeschreibung zu verhindern. Und ins Statistische oder Betuliche gerät diese lesbare, mit ausführlichen Bibliographien versehene Darstellung nur, wenn es um die Orden, Ehrentitel und Preise oder um die Natur- und Tierliebe Hilde Spiels geht. WALTER HINCK
Sandra Wiesinger-Stock: "Hilde Spiel. Ein Leben ohne Heimat?" Mit einem Vorwort von Erika Weinzierl. Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1996. 232 S., geb., 40,80 DM.
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