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Königtümer gelten als überkommene, allenfalls noch folkloristisch und touristisch bedeutsame Regierungsformen. Doch die Bindungs- und Herrschaftskraft von Königen sind immer noch erstaunlich, was sich besonders in Krisenzeiten erweist.Diese Essays von David Graeber und seinem akademischen Lehrer Marshall Sahlins untersuchen unter Sichtung weltweiter Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwart die historische und anthropologische Wirkmacht der Monarchien. Mit Witz und Brillanz zeigen sie, dass sich im Königtum nicht nur menschliche Grundfragen des Verhältnisses zu Göttlichkeit, Fremdheit und…mehr

Produktbeschreibung
Königtümer gelten als überkommene, allenfalls noch folkloristisch und touristisch bedeutsame Regierungsformen. Doch die Bindungs- und Herrschaftskraft von Königen sind immer noch erstaunlich, was sich besonders in Krisenzeiten erweist.Diese Essays von David Graeber und seinem akademischen Lehrer Marshall Sahlins untersuchen unter Sichtung weltweiter Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwart die historische und anthropologische Wirkmacht der Monarchien. Mit Witz und Brillanz zeigen sie, dass sich im Königtum nicht nur menschliche Grundfragen des Verhältnisses zu Göttlichkeit, Fremdheit und Gruppenzugehörigkeit spiegeln. In ihm verbirgt sich auch eine Ordnungsform, die sich in den demokratischen Staaten noch erhalten hat und unser Denken fundamental bestimmt. Die scharfe Analyse einer faszinierenden und allgegenwärtigen politischen Figur - und wie wir uns von ihr lossagen könnten.
Autorenporträt
David Graeber, geboren 1961 in New York, war Kulturanthropologe und lehrte an der London School of Economics. Mit Büchern wie »Schulden: Die ersten 5000 Jahre« und politischen Interventionen in der Bewegung Occupy Wall Street wurde er zu einem der bekanntesten kritischen öffentlichen Intellektuellen der letzten Jahre. Er starb 2020 in Venedig. Marshall Sahlins, geboren 1930 in Chicago, war einer der wichtigsten Sozialanthropologen der Gegenwart und Professor für Anthropologie an der University of Chicago. Er starb 2021 in Chicago.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Ulrich van Loyen verfolgt gespannt, was David Graeber und Marshall Sahlins in ihrem Buch über Könige über die "Grundsubstanz" von Macht und Herrschaft zu sagen haben. So gehen die Ausführungen des kapitalismuskritischen Aktivisten Graeber und des Ethnoarchäologen Sahlin in Anlehnung an Arthur Maurice Hocart von der Annahme aus, dass das Königtum eine "abgeleitete göttliche Funktion" sei, wie der Kritiker erklärt, und drehen sich vor allem um die Frage, ob menschliche Gesellschaften überhaupt anders als irgendwie beherrscht zu denken seien. Spannend findet der Kritiker vor allem, wie die Autoren darlegen, dass im Königtum aber auch ein Befreiungspotenzial steckt, nämlich in der "Einhegung", also Vergegenständlichung und Domestizierung der göttlichen Kräfte, wie van Loyen erklärt. Ein Vorzug der englischen Originalausgabe im Vergleich zur deutschen scheint ihm zu sein, dass die englische zusätzlich zu den Aufsätzen auch noch ethnografisches Beweismaterial aufführt, was die Argumentation noch verständlicher werden lasse.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.12.2022

Wie wollen wir
beherrscht werden?
...von Monarchen oder Geistern? David Graeber und
Marshall Sahlins’ Essay „Über Könige“
VON ULRICH VAN LOYEN
Die ersten Könige waren tote Könige, vermutete der britische Anthropologe Arthur Maurice Hocart. Viele Leser hielten das für spätviktorianische Exzentrik. Hocart meinte indessen, dass Könige für das Bemühen standen, die kosmischen Kräfte in das Reich der Gesellschaft zu holen, und dass sie diese Aufgabe erst vollständig erfüllt hatten, wenn sie diese Welt auch wieder verließen.
Der Gedanke, dass das Königtum eine abgeleitete göttliche Funktion sei, forderte das spätestens seit Emile Durkheims „Elementare Formen des religiösen Lebens“ (1912) allgemein akzeptierte Erklärungsmodell von Gesellschaft und Religion heraus. Dieses besagt, Religion sei eine Idealisierung gesellschaftlicher Ordnung - und weil man das oft vergesse, sei Religion imstande, die Ordnung in Krisenzeiten zu stützen. Hocart lädt zu einem anderen Gedanken ein: Was, wenn „Götter“ oder „Geister“ viel ursprünglichere Konstruktionen wären, gleichsam zu den Bedingungen menschlichen Zusammenlebens zählten? Auf diesem Weg folgen ihm Graeber und Sahlins, mit unterschiedlichen Akzenten.
David Graeber (1961 bis 2020) ist den meisten bekannt als Mastermind der Occupy-Proteste, als anarchistischer Gelehrter und als Kritiker eines Kapitalismus, in dem man andere reich macht und die eigene Lebenszeit verschwendet („Bullshit-Jobs“). Zusammen mit dem Archäologen David Wengrow und unter Inspiration von Erhard Schüttpelz schrieb er kurz vor seinem Tod noch einen Weltbestseller, der den Mythos der neolithischen Revolution anging.
Der unlängst verstorbene Marshall Sahlins (1930 bis 2021) war ein Ethnohistoriker - er rekonstruierte etwa, wie James Cook auf Hawaii zum Gott erklärt und deshalb getötet wurde - und ein bedeutender Erforscher primitiver Staatlichkeit und „Steinzeit-Ökonomie“. Die Beschäftigung mit indigenen Weltbildern hat Sahlins dazu geführt, abendländische Denkweisen in einen ethnologischen Spiegel zu versetzen - ihr universalistischer Anspruch wird dabei ebenso lokalisiert, wie er verständlicher wird. In „Über Könige“ geht es also um die Götter, oder besser, um die Frage, aus welcher Grundsubstanz Macht und Herrschaft bestehen, und ob es ein Jenseits davon gibt. Der Band enthält einen gemeinschaftlich und jeweils einen von einem der beiden Autoren verfassten Aufsatz. Die englische Ausgabe „On kings“ war umfangreicher, weil sie nicht nur die theoretischen Argumente, sondern auch das ethnographische Beweismaterial aufführt.
Besonders Sahlins’ Thesen wurden dadurch veranschaulicht. Etwa der Gedanke, dass „Götter“ und „Geister“, die bei Sahlins „Überpersonen“ genannt werden, häufig den Typus meinen, zu dem sich menschliche Personen als Einzelfälle verhalten. Viele (Ursprungs-)Mythen erzählen dieses Verhältnis von Typus und Einzelfall. Mythische Helden, Ahnen, aber auch die Herrscher einer bestimmten Region (des Waldes oder der See bei den Inuit) verdanken sich dieser ausgestalteten platonischen Idee, einer als „handelnd“ entworfenen Sprach- und Denknotwendigkeit, in die der Mensch gleichsam die Elemente seines Denkens entäußert, um sie anschauen zu können. Den englischen Evolutionisten, die den Anfang des menschlichen Denkens - und entsprechend die Anfänge menschlicher Gesellschaften - als „animistisch“ beschrieben, widerspricht Sahlins also nur bedingt. Animismus als Glaube an die Personenhaftigkeit von Mensch, Natur und Dingen ist ohnehin eine Denkmöglichkeit, die sich in Krisenzeiten je wieder einstellt - die Gaia-Frömmigkeit im Anthropozän einbegriffen. Die Geister, die wir riefen, werden wir nicht los (oder sind es nicht doch die Geister, die uns riefen?).
David Graeber aber treibt noch eine andere Frage um: Wenn Könige von Göttern „abstammen“, heißt das, es gibt keine herrschaftsfreien menschlichen Gesellschaften? Und können sich also Menschen nur als in irgendeiner Weise beherrscht vorstellen? Die letzte Frage bejaht er, für die erste sucht er Lösungen. Er will zeigen, dass königliche Herrschaft eben auch eine Einhegung der kosmischen Herrschaft durch die Götter bezeichnen kann, mithin einen Weg zur Befreiung aufweist.
Könige haben, da würden Mittelalterexperten wie Marc Bloch und Ernst Kantorowicz zustimmen, eine absolutistische und eine sakrale Seite. In der absolutistischen steckt die Dynamik, in der sakralen die Hegung. Die heiligen Könige unterliegen zahlreichen Tabus. Die durch sie hindurchströmende Macht ist ebenso gefährlich für die Welt wie für sie selbst. Absolutistisch hingegen ist die Geschichte ihrer Machtergreifung, die oft aus der Fremde erfolgt und mit einer Verneinung der eigenen Herkunft - und der verwandtschaftlichen Solidarität - einhergeht.
Aber wirklich absolutistische Könige ziehen ihre eigene Dynastie in Zweifel - nicht selten, indem sie Vor- und Nachfahren ermorden - und vollständig sakrale Herrscher sind im besten Fall Ritual-, im schlechtesten Karnevalskönige. Egalitäre Gesellschaften werden folglich versuchen, den König zu sakralisieren. Andererseits stellt sich Egalität selbst unter der Herrschaft des Königs, vor dem alle anderen gleich sind, allererst her - und sei es durch die Todesdrohung.
Königtümer vergegenständlichen und domestizieren also sowohl die kosmischen Kräfte - das, was Menschen schlichtweg nicht machen können, dessen sie aber bedürfen: Glück, Prosperität, Zukunft - und etablieren einen diplomatischen Umgang mit „Überpersonen“, die die Menschen vor ihren eigenen Exzessen bewahren. (Ja, bestenfalls wird aus der „Überperson“ ein maßvolles „Über-Ich“ wie zu Zeiten Siegmund Freuds und Kaiser Franz Josefs.)
Aus dieser Perspektive verheißen die rituellen Königtümer unserer Tage einen zivilisatorischen Vorteil. Vielleicht blicken wir darum neidisch über den Ärmelkanal, wo es heißt: der König ist tot, lang lebe der König!
Königtümer domestizieren die
kosmischen Kräfte, sie etablieren
einen diplomatischen Umgang
David Graeber/Marshall Sahlins: Über Könige. Versuche einer Archäologie der Souveränität. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2022.
160 Seiten, 24 Euro.
Welche Freiheit bietet die Unterwerfung? Die englische Königin Elizabeth II. bei ihrer Krönung in der Westminster Abbey am 2. Juni 1953.
Foto: AP
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