Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2008Rasender Verworter
Erich Fried entkam als Siebzehnjähriger dem antisemitischen Terror der Gestapo, dem sein Vater in Wien zum Opfer gefallen war, und ging ins Londoner Exil. Er arbeitete, bis er (vor allem als Shakespeare-Übersetzer) den Wechsel zum freien Schriftstellerberuf wagen konnte, bei der deutschen Sektion des BBC World Service. Seine dritte Ehefrau und Witwe, die bildende Künstlerin und Fotografin Catherine Fried, hat jetzt ihre Erinnerungen an ihn veröffentlicht. Entstanden ist ein sympathisches Buch einer großwüchsigen Engländerin, vor der sich der kleine und rundliche Fried auf einem Schemel aufbaute, um sie zu küssen. Sie bändigte das Chaos in einem immer von Kindern und Gästen überfüllten Haus. Frieds Gastfreundschaft war sprichwörtlich und lockte nicht nur Freunde wie Rudi Dutschke oder Fritz Teufel aus Berlin, sondern auch Schmarotzer an. Diskussionsgruppen der Achtundsechziger besetzten Haus und Garten. Wie von seinem Beruf gewohnt, verarbeitete er Nachrichten rasch - auch zu Lyrik. Einmal genügten ihm eine Nacht und ein Morgen zur Produktion von sechzehn Gedichten. Man darf ihn einen "rasenden Verworter" nennen. Aber als er, nach mehreren Krebsoperationen, 1988 starb, war er als Autor von Liebesgedichten berühmter denn als Verfasser von revolutionären Gesängen gegen den Vietnam-Krieg, die niemanden mehr aufregten. Sein eigener Lieblingsdichter war Hölderlin. Catherine Fried entwirft das Bild eines Mannes, der sich unter dem politischen Eifer Kindlichkeit, eine Neigung zum Anarchismus und eine fast schon verrückte Liebe zur Kreatur bewahrt hatte. In lebensschonender Falle gefangene Mäuse ließ er draußen wieder frei. Der Schlussteil der Erinnerungen gerät nur gelegentlich ins geläuterte Schwärmen der Witwe. Dieses erfreulich unideologische und nicht zuletzt dank der Übersetzung sehr lesbare Buch ist mit Sinn für Humor und fürs Allzumenschliche geschrieben. (Catherine Fried: "Über kurz oder lang". Erinnerungen an Erich Fried. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2008. 144 S., geb., 15,90 [Euro].) WHi.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erich Fried entkam als Siebzehnjähriger dem antisemitischen Terror der Gestapo, dem sein Vater in Wien zum Opfer gefallen war, und ging ins Londoner Exil. Er arbeitete, bis er (vor allem als Shakespeare-Übersetzer) den Wechsel zum freien Schriftstellerberuf wagen konnte, bei der deutschen Sektion des BBC World Service. Seine dritte Ehefrau und Witwe, die bildende Künstlerin und Fotografin Catherine Fried, hat jetzt ihre Erinnerungen an ihn veröffentlicht. Entstanden ist ein sympathisches Buch einer großwüchsigen Engländerin, vor der sich der kleine und rundliche Fried auf einem Schemel aufbaute, um sie zu küssen. Sie bändigte das Chaos in einem immer von Kindern und Gästen überfüllten Haus. Frieds Gastfreundschaft war sprichwörtlich und lockte nicht nur Freunde wie Rudi Dutschke oder Fritz Teufel aus Berlin, sondern auch Schmarotzer an. Diskussionsgruppen der Achtundsechziger besetzten Haus und Garten. Wie von seinem Beruf gewohnt, verarbeitete er Nachrichten rasch - auch zu Lyrik. Einmal genügten ihm eine Nacht und ein Morgen zur Produktion von sechzehn Gedichten. Man darf ihn einen "rasenden Verworter" nennen. Aber als er, nach mehreren Krebsoperationen, 1988 starb, war er als Autor von Liebesgedichten berühmter denn als Verfasser von revolutionären Gesängen gegen den Vietnam-Krieg, die niemanden mehr aufregten. Sein eigener Lieblingsdichter war Hölderlin. Catherine Fried entwirft das Bild eines Mannes, der sich unter dem politischen Eifer Kindlichkeit, eine Neigung zum Anarchismus und eine fast schon verrückte Liebe zur Kreatur bewahrt hatte. In lebensschonender Falle gefangene Mäuse ließ er draußen wieder frei. Der Schlussteil der Erinnerungen gerät nur gelegentlich ins geläuterte Schwärmen der Witwe. Dieses erfreulich unideologische und nicht zuletzt dank der Übersetzung sehr lesbare Buch ist mit Sinn für Humor und fürs Allzumenschliche geschrieben. (Catherine Fried: "Über kurz oder lang". Erinnerungen an Erich Fried. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2008. 144 S., geb., 15,90 [Euro].) WHi.
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