Die Liebe und ihr ewiger Gegenspieler, der Tod, sind das Thema von Patrick Süskinds provokantem Essay. Mit Beispielen aus Philosophie und Literatur (von Platon über Kleist bis Thomas Mann) wie aus dem modernen Leben führt er uns die Liebe als Himmels- und Höllenmacht vor. Und er vergleicht die Schicksale von Jesus und Orpheus, die beide den Tod durch die Liebe zu überwinden versuchten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2006Laßt ihn wieder frei!
Patrick Süskind auf Irrwegen / Von Volker Weidermann
Wie ist ihm denn das passiert? Wir haben uns Patrick Süskind immer als einen Menschen vorgestellt, der sich in seinem geheimen Versteck, wo er seit vielen, vielen Jahren residiert, mit einer so unendlichen Zahl von Skrupeln, Wortbewachern und Rufbeschützern umgeben hat, daß sich niemals ein unbedachtes Wort oder gar ein ganzes unbedachtes Werk an diesen vorbei ans Licht der Öffentlichkeit zwängen kann. Jedes Werk, das Süskinds Namen trägt, trug bislang den Stempel einer fast schon beunruhigenden Perfektion. Ob Novelle, Roman, Kindergeschichte, Drehbuch oder Theaterstück - was Süskind in die Welt entließ, war nicht nur phänomenal erfolgreich, sondern paßte jedes- mal in die vom Autor vorgesehene Form hinein, als wäre diese nur für ebenjene eine Geschichte erfunden worden. Das war - fast - das Süskind-Gesetz.
Und jetzt hat Patrick Süskind einen Essay veröffentlicht, und das schöne Gesetz hat seine Gültigkeit verloren. Zunächst hatte man ihn gar nicht bemerkt, da war er als Nachwort im Drehbuch-Band zum Film "Vom Suchen und Finden der Liebe" erschienen. Anscheinend war man im Verlag ob der ausbleibenden Resonanz enttäuscht und hat diesen Essay nun noch einmal in einem extraschmalen Sonderband herausgebracht. "Über Liebe und Tod" heißt der Text, und es steht alles drin, was Patrick Süskind zu diesem Thema gerade so erlebt oder gelesen hat: Der Autor steht im Stau, im Wagen vor ihm, sitzt ein Liebespaar, sie sehr hübsch, er gar nicht, und die beiden vertreiben sich die Zeit zunächst mit Küssen und später mit noch engagierteren Liebesverrichtungen. Herr Süskind schreibt recht angewidert mit.
Ein paar Tage später ist er "in einem bürgerlichen Haus zu einem größeren Abendessen eingeladen". Dort trifft er auf ein Liebespaar. Die beiden können den ganzen Abend nicht voneinander lassen, bestehen sogar auf Änderung der Tischordnung, um auch während des Essens nicht voneinander getrennt zu sein, und verlassen "noch vor dem Dessert" die Veranstaltung. Offenbar sehr, sehr verliebt. Doch Süskind fragt: "Ist das die wahre Liebe?" und antwortet verzagt sich selbst: "Es fällt nicht leicht, das zu glauben." Dann schildert er die längst auserzählte Episode der letzten Liebe Thomas Manns zum Kellner Franzl im Hotel Dolder in Zürich. Um auch hier zu bilanzieren: "So kann's nun auch nicht gehen."
Es ist quälend, Patrick Süskind auf diesen wenigen Seiten zu folgen, wie er traurig-verzweifelt die wahre Liebe sucht. Sie ist halt nicht in den Büchern und meistens auch nicht im Autostau, will man ihm immer zurufen. Aber da hört keiner zu. Das alles ist zunächst nur traurig. Richtig schaurig wird es erst, nachdem Süskind in der Mitte des Buches umstandslos das Thema wechselt: "So munter sich über die Liebe plaudern läßt, so wenig ist über den Tod zu sagen. Er verschlägt uns die Sprache." Und wie wortreich sich Süskind in der Folge nun die Sprache verschlagen läßt, das ist kaum zu ertragen. Tristan und Isolde wird in Jugendsprache nachgeplappert, Kleists Freitod würdelos verquatscht, bis am Ende Orpheus und Jesus in einem sinnlosen Zweikampf gegeneinander ausgespielt werden.
Es gibt nur eine Lösung: Der wahre Patrick Süskind wurde entführt. Und keiner wird ihm helfen können, weil niemand weiß, wie der echte aussieht, und also niemand den echten Süskind vom falschen unterscheiden kann. Wir wissen nur: Der wahre Süskind hat diesen Essay nicht geschrieben.
Patrick Süskind: "Über Liebe und Tod". Diogenes Verlag, Zürich 2006. 62 Seiten, br., 6,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Patrick Süskind auf Irrwegen / Von Volker Weidermann
Wie ist ihm denn das passiert? Wir haben uns Patrick Süskind immer als einen Menschen vorgestellt, der sich in seinem geheimen Versteck, wo er seit vielen, vielen Jahren residiert, mit einer so unendlichen Zahl von Skrupeln, Wortbewachern und Rufbeschützern umgeben hat, daß sich niemals ein unbedachtes Wort oder gar ein ganzes unbedachtes Werk an diesen vorbei ans Licht der Öffentlichkeit zwängen kann. Jedes Werk, das Süskinds Namen trägt, trug bislang den Stempel einer fast schon beunruhigenden Perfektion. Ob Novelle, Roman, Kindergeschichte, Drehbuch oder Theaterstück - was Süskind in die Welt entließ, war nicht nur phänomenal erfolgreich, sondern paßte jedes- mal in die vom Autor vorgesehene Form hinein, als wäre diese nur für ebenjene eine Geschichte erfunden worden. Das war - fast - das Süskind-Gesetz.
Und jetzt hat Patrick Süskind einen Essay veröffentlicht, und das schöne Gesetz hat seine Gültigkeit verloren. Zunächst hatte man ihn gar nicht bemerkt, da war er als Nachwort im Drehbuch-Band zum Film "Vom Suchen und Finden der Liebe" erschienen. Anscheinend war man im Verlag ob der ausbleibenden Resonanz enttäuscht und hat diesen Essay nun noch einmal in einem extraschmalen Sonderband herausgebracht. "Über Liebe und Tod" heißt der Text, und es steht alles drin, was Patrick Süskind zu diesem Thema gerade so erlebt oder gelesen hat: Der Autor steht im Stau, im Wagen vor ihm, sitzt ein Liebespaar, sie sehr hübsch, er gar nicht, und die beiden vertreiben sich die Zeit zunächst mit Küssen und später mit noch engagierteren Liebesverrichtungen. Herr Süskind schreibt recht angewidert mit.
Ein paar Tage später ist er "in einem bürgerlichen Haus zu einem größeren Abendessen eingeladen". Dort trifft er auf ein Liebespaar. Die beiden können den ganzen Abend nicht voneinander lassen, bestehen sogar auf Änderung der Tischordnung, um auch während des Essens nicht voneinander getrennt zu sein, und verlassen "noch vor dem Dessert" die Veranstaltung. Offenbar sehr, sehr verliebt. Doch Süskind fragt: "Ist das die wahre Liebe?" und antwortet verzagt sich selbst: "Es fällt nicht leicht, das zu glauben." Dann schildert er die längst auserzählte Episode der letzten Liebe Thomas Manns zum Kellner Franzl im Hotel Dolder in Zürich. Um auch hier zu bilanzieren: "So kann's nun auch nicht gehen."
Es ist quälend, Patrick Süskind auf diesen wenigen Seiten zu folgen, wie er traurig-verzweifelt die wahre Liebe sucht. Sie ist halt nicht in den Büchern und meistens auch nicht im Autostau, will man ihm immer zurufen. Aber da hört keiner zu. Das alles ist zunächst nur traurig. Richtig schaurig wird es erst, nachdem Süskind in der Mitte des Buches umstandslos das Thema wechselt: "So munter sich über die Liebe plaudern läßt, so wenig ist über den Tod zu sagen. Er verschlägt uns die Sprache." Und wie wortreich sich Süskind in der Folge nun die Sprache verschlagen läßt, das ist kaum zu ertragen. Tristan und Isolde wird in Jugendsprache nachgeplappert, Kleists Freitod würdelos verquatscht, bis am Ende Orpheus und Jesus in einem sinnlosen Zweikampf gegeneinander ausgespielt werden.
Es gibt nur eine Lösung: Der wahre Patrick Süskind wurde entführt. Und keiner wird ihm helfen können, weil niemand weiß, wie der echte aussieht, und also niemand den echten Süskind vom falschen unterscheiden kann. Wir wissen nur: Der wahre Süskind hat diesen Essay nicht geschrieben.
Patrick Süskind: "Über Liebe und Tod". Diogenes Verlag, Zürich 2006. 62 Seiten, br., 6,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Volker Weidermann kann kaum glauben, dass hinter dem Essay "Über Liebe und Tod" tatsächlich der von ihm vor allem wegen seiner makellosen Formbeherrschung bewunderte "wahre" Patrick Süskind stecken soll und fürchtet, nein hofft wahrscheinlich, dass Süskind entführt wurde und ein unbegabtes Double seinen Platz eingenommen hat. Beklagt der Rezensent das, was Süskind zur Liebe einfällt, lediglich als ziemlich "traurig", erschaudert er angesichts der Texte über den Tod, die recht unvermittelt in der Mitte des Buches auftauchen. Hier repetiere der Autor bloß den Liebestod von Tristan und Isolde , schwadroniert "würdelos" über Kleists Selbstmord und hetzt Orpheus und Jesus ohne Sinn und Verstand aufeinander, empört sich Weidermann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Im Winter 1984 betrat ein Mann die literarische Szene, der seitdem zu den raffiniertesten und verblüffendsten Gestalten dieser an raffinierten und verblüffenden Gestalten nicht armen Epoche gehört.« Der Spiegel Der Spiegel