Der Autor greift ein uraltes Thema der Philosophie auf und vertritt die »kanonische« Auffassung, dass sich Freiheit, Verantwortung und Rationalität wechselseitig selbst bedingen. Er erörtert das spezifisch Menschliche der Freiheit und verdeutlicht den Zusammenhang zwischen theoretischem und ethischem Humanismus in fünf Kapiteln: Warum die Annahme menschlicher Freiheit begründet ist - Warum Entscheidungen notwendig frei sind - Warum es keine Verantwortung ohne Freiheit gibt - Warum der Zufall moralisch irrelevant ist - Warum Menschenwürde auf Freiheit beruht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2005Hirnforscher als Dualisten
Julian Nida-Rümelin verteidigt die Willensfreiheit
In fünf Essays entwickelt Nida-Rümelin einen Vorschlag zur Lösung der Freiheitsproblematik und grenzt sich dabei sowohl von jenen Theoretikern ab, die menschliche Freiheit und naturwissenschaftliche Determination für vereinbar halten, als auch von jenen Neurowissenschaftlern, die von der Unvereinbarkeit von Freiheit und Determinismus ausgehen und die Freiheit dem naturwissenschaftlichen Weltbild opfern. Menschliche Freiheit sei, so Nida-Rümelin, "die spezifische Fähigkeit des Menschen, Gründe abzuwägen und dieser Abwägung entsprechend zu handeln".
Die Freiheitsproblematik wird so zunächst auf die Frage nach dem Status von Gründen verschoben. Nida-Rümelin argumentiert, daß Gründe "naturalistisch unterbestimmt" seien und mit naturwissenschaftlichen Mitteln gar nicht erfaßt werden könnten. Genau wie die Regeln des logischen Schließens seien sie aber auch keine mentalen Entitäten, sondern würden erst durch ihre Akzeptanz im Laufe einer Abwägung Wirksamkeit entfalten. Hier tut sich die Frage auf, wie Gründe als nicht-mentale und nicht naturalisierbare Entitäten die mentalen Vorgänge einer Person affizieren können und ihr Handeln beeinflussen. Eine umfassende Antwort auf diese Fragen müßte wohl auch eine Antwort auf das Leib-Seele-Problem beinhalten und hätte den Rahmen von Nida-Rümelins Abhandlung gesprengt.
Wer Freiheit und Determinismus für unvereinbar hält, aber an der Freiheit festhalten möchte, kommt wie Nida-Rümelin nicht umhin, den Indeterminismus zu akzeptieren, und verweist dazu meist auf indeterministische Interpretationen der Quantenmechanik (mancher theoretische Physiker mag hier einwenden, daß es doch auch akzeptable deterministische Interpretationen der Quantenmechanik gebe). Die damit einhergehende Frage, ob sich denn mikrophysikalische Unbestimmtheiten überhaupt bis auf die makrophysikalische Ebene neuronaler Prozesse auswirken könnten, kontert Nida-Rümelin, indem er darauf verweist, daß heute niemand wisse, ob mikrophysikalische Indetermination sich im Gehirn auswirkte oder nicht.
Wenn Indeterminismus, warum dann nicht Zufall? Frühere Ansätze (etwa von Roderick Chisholm) hatten versucht, das Problem des Zufalls durch die Annahme eines dualistisch zu verstehenden Akteurs zu lösen - der Akteur selbst garantierte dort mit seiner überlegten, aber nicht determinierten Entscheidung die Nicht-Zufälligkeit von (physikalisch) indeterminierten Entscheidungen. Inwieweit Nida-Rümelin hier folgen würde, wird nicht klar, denn einerseits lehnt er eine "reduktionistische Metaphysik", wonach alle mentalen Vorgänge neurophysiologische Vorgänge wären, entschieden ab. Andererseits wendet er sich aber auch gegen dualistische Positionen der cartesianischen Tradition, die annehmen, daß mentale Vorgänge unabhängig von hirnphysiologischen Vorgängen stattfinden. Irgendwo dazwischen muß offenbar die Wahrheit liegen.
Einen Dienst der Aufklärung erweist Nida-Rümelin der aktuellen Debatte um die Willensfreiheit, wenn er offenlegt, daß die (vermeintliche) neurophysiologische Widerlegung der Willensfreiheit zunächst einmal ein cartesianisches, dualistisches Weltbild voraussetze: Erst wer annimmt, daß mentale Vorgänge wie das (bewußte) Treffen von Willensentscheidungen losgelöst von hirnphysiologischen Vorgängen stattfinden, und erst wer annimmt, daß es sich bei mentalen Vorgängen und hirnphysiologischen Vorgängen sozusagen um zwei gänzlich verschiedene Seinsbereiche handelt, kann diese zwei Bereiche auch gegeneinander ausspielen. So würde im Blick auf die antidualistische Rhetorik mancher Hirnforscher gelten: Die größten Kritiker der Dualisten sind selber welche.
In diesem Zusammenhang stellt Nida-Rümelin klar, daß der Nachweis von Korrelationen (oder "Korrespondenz") zwischen mentalen Vorgängen und neuronalen Vorgängen alleine keineswegs eine Widerlegung der Relevanz mentaler Vorgänge leisten könne. Kann eine Widerlegung der Willensfreiheit womöglich überhaupt nicht empirisch geleistet werden? Denn empirisch lassen sich zunächst einmal nur Korrelationen zwischen mentalen Vorgängen und neuronalen Vorgängen belegen - doch wie man solche empirisch entdeckten Korrelationen erklärt (ob etwa unter Rückgriff auf den cartesianischen Dualismus), ist wohl eher eine philosophisch-wissenschaftstheoretische Frage, die sich der empirischen Zugänglichkeit entzieht.
BETTINA WALDE
Julian Nida-Rümelin: "Über menschliche Freiheit". Reclam Verlag, Stuttgart 2005. 176 S., br., 5,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Julian Nida-Rümelin verteidigt die Willensfreiheit
In fünf Essays entwickelt Nida-Rümelin einen Vorschlag zur Lösung der Freiheitsproblematik und grenzt sich dabei sowohl von jenen Theoretikern ab, die menschliche Freiheit und naturwissenschaftliche Determination für vereinbar halten, als auch von jenen Neurowissenschaftlern, die von der Unvereinbarkeit von Freiheit und Determinismus ausgehen und die Freiheit dem naturwissenschaftlichen Weltbild opfern. Menschliche Freiheit sei, so Nida-Rümelin, "die spezifische Fähigkeit des Menschen, Gründe abzuwägen und dieser Abwägung entsprechend zu handeln".
Die Freiheitsproblematik wird so zunächst auf die Frage nach dem Status von Gründen verschoben. Nida-Rümelin argumentiert, daß Gründe "naturalistisch unterbestimmt" seien und mit naturwissenschaftlichen Mitteln gar nicht erfaßt werden könnten. Genau wie die Regeln des logischen Schließens seien sie aber auch keine mentalen Entitäten, sondern würden erst durch ihre Akzeptanz im Laufe einer Abwägung Wirksamkeit entfalten. Hier tut sich die Frage auf, wie Gründe als nicht-mentale und nicht naturalisierbare Entitäten die mentalen Vorgänge einer Person affizieren können und ihr Handeln beeinflussen. Eine umfassende Antwort auf diese Fragen müßte wohl auch eine Antwort auf das Leib-Seele-Problem beinhalten und hätte den Rahmen von Nida-Rümelins Abhandlung gesprengt.
Wer Freiheit und Determinismus für unvereinbar hält, aber an der Freiheit festhalten möchte, kommt wie Nida-Rümelin nicht umhin, den Indeterminismus zu akzeptieren, und verweist dazu meist auf indeterministische Interpretationen der Quantenmechanik (mancher theoretische Physiker mag hier einwenden, daß es doch auch akzeptable deterministische Interpretationen der Quantenmechanik gebe). Die damit einhergehende Frage, ob sich denn mikrophysikalische Unbestimmtheiten überhaupt bis auf die makrophysikalische Ebene neuronaler Prozesse auswirken könnten, kontert Nida-Rümelin, indem er darauf verweist, daß heute niemand wisse, ob mikrophysikalische Indetermination sich im Gehirn auswirkte oder nicht.
Wenn Indeterminismus, warum dann nicht Zufall? Frühere Ansätze (etwa von Roderick Chisholm) hatten versucht, das Problem des Zufalls durch die Annahme eines dualistisch zu verstehenden Akteurs zu lösen - der Akteur selbst garantierte dort mit seiner überlegten, aber nicht determinierten Entscheidung die Nicht-Zufälligkeit von (physikalisch) indeterminierten Entscheidungen. Inwieweit Nida-Rümelin hier folgen würde, wird nicht klar, denn einerseits lehnt er eine "reduktionistische Metaphysik", wonach alle mentalen Vorgänge neurophysiologische Vorgänge wären, entschieden ab. Andererseits wendet er sich aber auch gegen dualistische Positionen der cartesianischen Tradition, die annehmen, daß mentale Vorgänge unabhängig von hirnphysiologischen Vorgängen stattfinden. Irgendwo dazwischen muß offenbar die Wahrheit liegen.
Einen Dienst der Aufklärung erweist Nida-Rümelin der aktuellen Debatte um die Willensfreiheit, wenn er offenlegt, daß die (vermeintliche) neurophysiologische Widerlegung der Willensfreiheit zunächst einmal ein cartesianisches, dualistisches Weltbild voraussetze: Erst wer annimmt, daß mentale Vorgänge wie das (bewußte) Treffen von Willensentscheidungen losgelöst von hirnphysiologischen Vorgängen stattfinden, und erst wer annimmt, daß es sich bei mentalen Vorgängen und hirnphysiologischen Vorgängen sozusagen um zwei gänzlich verschiedene Seinsbereiche handelt, kann diese zwei Bereiche auch gegeneinander ausspielen. So würde im Blick auf die antidualistische Rhetorik mancher Hirnforscher gelten: Die größten Kritiker der Dualisten sind selber welche.
In diesem Zusammenhang stellt Nida-Rümelin klar, daß der Nachweis von Korrelationen (oder "Korrespondenz") zwischen mentalen Vorgängen und neuronalen Vorgängen alleine keineswegs eine Widerlegung der Relevanz mentaler Vorgänge leisten könne. Kann eine Widerlegung der Willensfreiheit womöglich überhaupt nicht empirisch geleistet werden? Denn empirisch lassen sich zunächst einmal nur Korrelationen zwischen mentalen Vorgängen und neuronalen Vorgängen belegen - doch wie man solche empirisch entdeckten Korrelationen erklärt (ob etwa unter Rückgriff auf den cartesianischen Dualismus), ist wohl eher eine philosophisch-wissenschaftstheoretische Frage, die sich der empirischen Zugänglichkeit entzieht.
BETTINA WALDE
Julian Nida-Rümelin: "Über menschliche Freiheit". Reclam Verlag, Stuttgart 2005. 176 S., br., 5,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nida-Rümelin hat einen wichtigen Beitrag zu der gegenwärtigen Debatte über die Willensfreiheit vorgelegt, mit stichhaltigen, gut durchdachten Argumenten bei seinem Plädoyer für die Willensfreiheit.Süddeutsche Zeitung
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Aufschlussreich findet Rezensentin Bettina Walde diesen Band mit fünf Essays von Julian Nida-Rümelin über die Freiheitsproblematik. Wie sie berichtet, grenzt sich der Autor sowohl von Positionen ab, die menschliche Freiheit und naturwissenschaftliche Determination für vereinbar halten, als auch von solchen, die von der Unvereinbarkeit von Freiheit und Determinismus ausgehen. Fragen ergeben sich für Walde sowohl im Blick auf sein Verständnis von Freiheit als "spezifische Fähigkeit des Menschen, Gründe abzuwägen und dieser Abwägung entsprechend zu handeln" (Nida-Rümelin), das die Freiheitsproblematik auf die Frage nach dem Status von Gründen verschiebe, als auch bei seiner Argumentation für den Indeterminismus, bei der er auf indeterministische Interpretationen der Quantenmechanik verweise. Der gegenwärtigen Debatte um die Freiheitsproblematik erweist Nida-Rümelin nach Ansicht der Rezensentin einen "Dienst der Aufklärung". Er zeige nämlich, dass die (vermeintliche) neurophysiologische Widerlegung der Willensfreiheit ein cartesianisches, dualistisches Weltbild voraussetze und die größten Kritiker der Dualisten selber Dualisten seien.
© Perlentaucher Medien GmbH
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