Ein einziger schicksalhafter Augenblick verändert Leben
In ihrem neuen Roman erzählt Sabine Gruber die Geschichte zweier Frauen in zwei verschiedenen Städten, Mira in Rom und Irma in Wien. Beide Frauen leben mit einem beunruhigenden Verdacht: Mira ist Altenpflegerin und sorgt sich um ihre Ehe. Der eigene Mann wird ihr immer fremder, sie findet sich in der Rolle der Detektivin wieder, spioniert ihm hinterher. Warum schläft ihr Mann nicht mehr mit ihr? Irma zieht ihr Kind allein groß, sie ist Kulturjournalistin und interviewt Menschen mit aussterbenden Berufen, stellt sich aber vor allem selbst Fragen: Wer ist der Tote, der ihr mit seinem Spenderorgan ein neues Leben ermöglicht? Wie lebt es sich mit einem fremden Teil im eigenen Körper? Wie als Überlebende? Zwei Frauen auf Spurensuche, zwei Frauen voller Liebes- und Lebenssehnsucht. Was verbindet die beiden?
"Über Nacht" ist auch ein Buch über das Alter als Realität und Utopie, über den Zufall als Lebens- und Todesmacht und über die Verquickung von Leben und Schreiben. Locker anknüpfend an die Thematik ihres vielgelobten Romans "Die Zumutung", erzählt Sabine Gruber in ihrer schönen, bilderreichen Sprache von den Überraschungen des Lebens und der Willkür des Gerettetwerdens, von der Zerbrechlichkeit der Liebe und dem Aufflammen einer neuen, von Freundschaft und Fürsorge und vom Tod, der erfinderisch macht.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
In ihrem neuen Roman erzählt Sabine Gruber die Geschichte zweier Frauen in zwei verschiedenen Städten, Mira in Rom und Irma in Wien. Beide Frauen leben mit einem beunruhigenden Verdacht: Mira ist Altenpflegerin und sorgt sich um ihre Ehe. Der eigene Mann wird ihr immer fremder, sie findet sich in der Rolle der Detektivin wieder, spioniert ihm hinterher. Warum schläft ihr Mann nicht mehr mit ihr? Irma zieht ihr Kind allein groß, sie ist Kulturjournalistin und interviewt Menschen mit aussterbenden Berufen, stellt sich aber vor allem selbst Fragen: Wer ist der Tote, der ihr mit seinem Spenderorgan ein neues Leben ermöglicht? Wie lebt es sich mit einem fremden Teil im eigenen Körper? Wie als Überlebende? Zwei Frauen auf Spurensuche, zwei Frauen voller Liebes- und Lebenssehnsucht. Was verbindet die beiden?
"Über Nacht" ist auch ein Buch über das Alter als Realität und Utopie, über den Zufall als Lebens- und Todesmacht und über die Verquickung von Leben und Schreiben. Locker anknüpfend an die Thematik ihres vielgelobten Romans "Die Zumutung", erzählt Sabine Gruber in ihrer schönen, bilderreichen Sprache von den Überraschungen des Lebens und der Willkür des Gerettetwerdens, von der Zerbrechlichkeit der Liebe und dem Aufflammen einer neuen, von Freundschaft und Fürsorge und vom Tod, der erfinderisch macht.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2007Die eine spinnt den Lebensfaden, die andere schneidet ihn ab
Das Ich und sein Double: In ihrem dritten Roman "Über Nacht" spiegelt die österreichische Autorin Sabine Gruber zwei Frauenleben ineinander.
Von Andreas Kilb
Für das, was wir "Schicksal" nennen, hatten die alten Griechen ein zauberisches Bild. Sie sahen drei alte Frauen, die Moiren, um eine Spindel sitzen und den Lebensfaden spinnen: Die erste, Klotho, stellt ihn her, die zweite, Lachesis, misst seine Länge, die dritte, Atropos, schneidet ihn ab. Wie alle großen Bilder aus der Kindheit unserer Kultur ist auch dieses nie ganz verlorengegangen, selbst das Mittelalter bewahrte es in seinen Mythographien, und die Malerei nimmt es seit der Renaissance immer wieder auf. Aber es ist eine Sache, die Moiren in einem Bild, und eine andere, sie in einem Buch, einer Geschichte zu beschwören. Jeder Erzähler spielt Schicksal, doch nur wenige besitzen das nötige Geschick, die Lebensfäden ihrer Figuren offenzulegen, ohne sie zu zerreißen. Allzu rasch droht dem Spiel mit Spindel, Maßband und Schere das Schicksal aller literarischen Spielereien: Man verliert das Interesse an ihnen. Vor einigen Jahren gab es einen Film des Polen Krzysztof Kieslowski, der die Lebensläufe zweier Frauen, beide verkörpert von derselben Schauspielerin, schicksalhaft ineinanderwob. "Die zwei Leben der Veronika" hielt genau die Balance zwischen Erzählung und Allegorie. Doch das ist lange her.
"Über Nacht", der dritte Roman der in Meran geborenen und in Wien lebenden Schriftstellerin Sabine Gruber, handelt von zwei Frauen, Mira und Irma. Die eine, Mira, arbeitet in einem Pflegeheim für Alte und Schwerbehinderte in Rom. Die andere, Irma, wälzt sich, als wir sie kennenlernen, gerade in einem Albtraum von Wüsten, Steppen und Sandstürmen. Dann klingelt das Telefon. Es ist ein Anruf aus dem Krankenhaus: Für Irma liegt eine Spenderniere bereit. Bis zu diesem Zeitpunkt war Irmas Lebensfaden sehr kurz. Jetzt ist er wieder ein Stück länger.
Von Anfang an ist klar, dass die zwei Frauenleben dieses Buches zusammengehören. Nur der Faden, der ie verbindet, wird nicht sofort sichtbar. Irma, die Wienerin, hat seit Jahren nicht mehr richtig ihren Durst gestillt, die strenge Diät, die ihr Nierenleiden über sie verhängte, nahm ihr alle Lebenslust. Mira, die Pflegerin aus Rom, dürstet nach der Liebe ihres Ehemanns Vittorio, dem Gefühl, wieder begehrt zu werden wie am Anfang ihres Zusammenlebens. Aber Vittorios Umarmungen wirken fahrig und routiniert, die Leidenschaft ist zur Pflichtübung abgekühlt. Dann entdeckt Mira, dass ihr Mann sich die Beine rasiert. Zur gleichen Zeit macht sich der Neffe eines Patienten an sie heran, ein abgetakelter Gigolo namens Rino. Der Verdacht, dass Vittorio eine Parallelexistenz als Homosexueller vor ihr verbirgt, macht es Mira schwer, die Zudringlichkeiten Rinos abzuweisen.
Dass Sabine Gruber eine außergewöhnlich formbewusste Erzählerin ist, hat sie schon mit ihrem vorigen Roman "Die Zumutung" bewiesen. Wenn man will, kann man "Über Nacht" als Fortsetzung und Variation der Krankengeschichte lesen, die darin begonnen wurde. Die Frau mit der Schrumpfniere hieß in dem früheren Buch Marianne. Der Sohn, mit dessen Geburt ihr Siechtum begann, ist hier im Kleinkindalter. Während Marianne Kunsthistorikerin war, recherchiert Irma für ein Buchprojekt über ausssterbende Berufe. Die Nähe des eigenen Todes hat Irmas Interesse an Menschen und Dingen geweckt, die verschwinden. "Wer einmal zugrunde gegangen ist, wer den dunklen Boden berührt hat, dem leuchtet selbst das dumpfeste Grau", schreibt sie in ihr Notizbuch. Aber aus dem Grau steigen auch neue Möglichkeiten auf. Bei einem alten Schriftsetzer, den sie für ihr Buch interviewt, lernt Irma dessen Sohn Friedrich kennen, den Mann, mit dem ihre körperliche Durststrecke endet.
Das Schöne an diesem Buch besteht darin, dass es um seine Kunstfertigkeit kein Geschrei macht. Das Netz der Erzählung webt sich wie von selbst. Irma will wissen, woher ihre Spenderniere stammt, sie will das fremde Organ mit einem Namen verbinden. Als sie bei ihrer Suche nicht weiterkommt, richtet sie ihre Neugier auf die eigene Geschichte. Von Rino, dem Vater ihres Kindes, hat sie nur eine Telefonnummer in Rom. Niemand nimmt ab. Also fährt sie hin. Als sie am Termini-Bahnhof in den Himmel schaut, sieht sie Schwärme von Vögeln. "Stare", sagt jemand zu ihr, "die sind überall hier in der Stadt." Derselbe Satz fällt auch in Miras Geschichte, viele Seiten zuvor. Das Schicksalsspiel geht in die entscheidende Runde.
"Ich probiere Geschichten an wie Kleider." Das sagt der Erzähler in "Mein Name sei Gantenbein", dem Buch, mit dem Max Frisch vor vierzig Jahren die Bilanz seines Zusammenlebens mit Ingeborg Bachmann zog. Auch diese Liebe spielte zwischen Wien und Rom. Aber Frischs Alter ego sagt nur "Ich", um sich zu distanzieren. Bei Sabine Gruber gehört das Ich Mira, dem Spiegelbild, während von Irma in der dritten Person berichtet wird. Das gibt der Spiegelung einen anderen Ernst, der Geschichte einen tieferen Ton, auch wenn das Maskenspiel Frischs am Ende doch ein Stück grandioser und virtuoser war.
Als Irma und Mira am Ende zusammenkommen, wird ein Lebensfaden abgeschnitten, der andere verschont. Die Erzählerin spielt Schicksal, aber es ist keine Notoperation, sondern ein geradezu zärtlicher Eingriff. Im nächsten Buch, so viel ist sicher, wird Klotho einen neuen Faden spinnen. Bei Sabine Gruber sind die Moiren in guten Händen.
- Sabine Gruber: "Über Nacht". Roman.
Verlag C. H. Beck, München 2007. 238 S., geb., 17,90 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Ich und sein Double: In ihrem dritten Roman "Über Nacht" spiegelt die österreichische Autorin Sabine Gruber zwei Frauenleben ineinander.
Von Andreas Kilb
Für das, was wir "Schicksal" nennen, hatten die alten Griechen ein zauberisches Bild. Sie sahen drei alte Frauen, die Moiren, um eine Spindel sitzen und den Lebensfaden spinnen: Die erste, Klotho, stellt ihn her, die zweite, Lachesis, misst seine Länge, die dritte, Atropos, schneidet ihn ab. Wie alle großen Bilder aus der Kindheit unserer Kultur ist auch dieses nie ganz verlorengegangen, selbst das Mittelalter bewahrte es in seinen Mythographien, und die Malerei nimmt es seit der Renaissance immer wieder auf. Aber es ist eine Sache, die Moiren in einem Bild, und eine andere, sie in einem Buch, einer Geschichte zu beschwören. Jeder Erzähler spielt Schicksal, doch nur wenige besitzen das nötige Geschick, die Lebensfäden ihrer Figuren offenzulegen, ohne sie zu zerreißen. Allzu rasch droht dem Spiel mit Spindel, Maßband und Schere das Schicksal aller literarischen Spielereien: Man verliert das Interesse an ihnen. Vor einigen Jahren gab es einen Film des Polen Krzysztof Kieslowski, der die Lebensläufe zweier Frauen, beide verkörpert von derselben Schauspielerin, schicksalhaft ineinanderwob. "Die zwei Leben der Veronika" hielt genau die Balance zwischen Erzählung und Allegorie. Doch das ist lange her.
"Über Nacht", der dritte Roman der in Meran geborenen und in Wien lebenden Schriftstellerin Sabine Gruber, handelt von zwei Frauen, Mira und Irma. Die eine, Mira, arbeitet in einem Pflegeheim für Alte und Schwerbehinderte in Rom. Die andere, Irma, wälzt sich, als wir sie kennenlernen, gerade in einem Albtraum von Wüsten, Steppen und Sandstürmen. Dann klingelt das Telefon. Es ist ein Anruf aus dem Krankenhaus: Für Irma liegt eine Spenderniere bereit. Bis zu diesem Zeitpunkt war Irmas Lebensfaden sehr kurz. Jetzt ist er wieder ein Stück länger.
Von Anfang an ist klar, dass die zwei Frauenleben dieses Buches zusammengehören. Nur der Faden, der ie verbindet, wird nicht sofort sichtbar. Irma, die Wienerin, hat seit Jahren nicht mehr richtig ihren Durst gestillt, die strenge Diät, die ihr Nierenleiden über sie verhängte, nahm ihr alle Lebenslust. Mira, die Pflegerin aus Rom, dürstet nach der Liebe ihres Ehemanns Vittorio, dem Gefühl, wieder begehrt zu werden wie am Anfang ihres Zusammenlebens. Aber Vittorios Umarmungen wirken fahrig und routiniert, die Leidenschaft ist zur Pflichtübung abgekühlt. Dann entdeckt Mira, dass ihr Mann sich die Beine rasiert. Zur gleichen Zeit macht sich der Neffe eines Patienten an sie heran, ein abgetakelter Gigolo namens Rino. Der Verdacht, dass Vittorio eine Parallelexistenz als Homosexueller vor ihr verbirgt, macht es Mira schwer, die Zudringlichkeiten Rinos abzuweisen.
Dass Sabine Gruber eine außergewöhnlich formbewusste Erzählerin ist, hat sie schon mit ihrem vorigen Roman "Die Zumutung" bewiesen. Wenn man will, kann man "Über Nacht" als Fortsetzung und Variation der Krankengeschichte lesen, die darin begonnen wurde. Die Frau mit der Schrumpfniere hieß in dem früheren Buch Marianne. Der Sohn, mit dessen Geburt ihr Siechtum begann, ist hier im Kleinkindalter. Während Marianne Kunsthistorikerin war, recherchiert Irma für ein Buchprojekt über ausssterbende Berufe. Die Nähe des eigenen Todes hat Irmas Interesse an Menschen und Dingen geweckt, die verschwinden. "Wer einmal zugrunde gegangen ist, wer den dunklen Boden berührt hat, dem leuchtet selbst das dumpfeste Grau", schreibt sie in ihr Notizbuch. Aber aus dem Grau steigen auch neue Möglichkeiten auf. Bei einem alten Schriftsetzer, den sie für ihr Buch interviewt, lernt Irma dessen Sohn Friedrich kennen, den Mann, mit dem ihre körperliche Durststrecke endet.
Das Schöne an diesem Buch besteht darin, dass es um seine Kunstfertigkeit kein Geschrei macht. Das Netz der Erzählung webt sich wie von selbst. Irma will wissen, woher ihre Spenderniere stammt, sie will das fremde Organ mit einem Namen verbinden. Als sie bei ihrer Suche nicht weiterkommt, richtet sie ihre Neugier auf die eigene Geschichte. Von Rino, dem Vater ihres Kindes, hat sie nur eine Telefonnummer in Rom. Niemand nimmt ab. Also fährt sie hin. Als sie am Termini-Bahnhof in den Himmel schaut, sieht sie Schwärme von Vögeln. "Stare", sagt jemand zu ihr, "die sind überall hier in der Stadt." Derselbe Satz fällt auch in Miras Geschichte, viele Seiten zuvor. Das Schicksalsspiel geht in die entscheidende Runde.
"Ich probiere Geschichten an wie Kleider." Das sagt der Erzähler in "Mein Name sei Gantenbein", dem Buch, mit dem Max Frisch vor vierzig Jahren die Bilanz seines Zusammenlebens mit Ingeborg Bachmann zog. Auch diese Liebe spielte zwischen Wien und Rom. Aber Frischs Alter ego sagt nur "Ich", um sich zu distanzieren. Bei Sabine Gruber gehört das Ich Mira, dem Spiegelbild, während von Irma in der dritten Person berichtet wird. Das gibt der Spiegelung einen anderen Ernst, der Geschichte einen tieferen Ton, auch wenn das Maskenspiel Frischs am Ende doch ein Stück grandioser und virtuoser war.
Als Irma und Mira am Ende zusammenkommen, wird ein Lebensfaden abgeschnitten, der andere verschont. Die Erzählerin spielt Schicksal, aber es ist keine Notoperation, sondern ein geradezu zärtlicher Eingriff. Im nächsten Buch, so viel ist sicher, wird Klotho einen neuen Faden spinnen. Bei Sabine Gruber sind die Moiren in guten Händen.
- Sabine Gruber: "Über Nacht". Roman.
Verlag C. H. Beck, München 2007. 238 S., geb., 17,90 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Paul Jandl ist von Sabine Grubers Roman "Über Nacht", in dessen Mittelpunkt zwei Frauen um die 40 stehen, sichtlich angetan. Die Autorin schildert in realistischer Erzählweise das Leben von Irma, die gerade eine Nierentransplantation hinter sich hat, und von der nicht nur durch den Namen mit ihr verbundenen Mira, einer römischen Altenpflegerin, und lässt die beiden Protagonistinnen in Rom aufeinander stoßen, erklärt der Rezensent. Er stellt anerkennend fest, dass die aus Südtirol stammende und in Wien lebende Autorin sich gleichermaßen in Italien und in Österreich auskennt und so beide Territorien überzeugend darzustellen weiß. Jandl bemerkt mit Befriedigung, dass sich Gruber bei der Schilderung der feinen Linie zwischen Leben und Tod, die sich am augenfälligsten in der Spenderniere von Irma berühren, jeglicher "Sentimentalität" enthält und sehr präzise und intensiv sich dieser "existentiellen und literarischen Chiffre" annimmt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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