Produktdetails
- Beck'sche Reihe 1107
- Verlag: Beck
- 1995.
- Deutsch
- Gewicht: 252g
- ISBN-13: 9783406392078
- ISBN-10: 3406392075
- Artikelnr.: 05770324
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.1995Und sie spricht doch nicht
Holzwege abschreiten: Hans-Martin Gauger erklärt Geschichte und Aporien der Sprachkritik / Von Burkhard Spinnen
Warum Sprachkritik? Warum reden wir nicht, wie uns der Schnabel gewachsen ist, oder versenken uns vorbehaltlos in die Meisterwerke der Literatur? Von denen es doch so viele gibt und an deren Vermehrung noch gearbeitet wird. Warum sind besonders für die akademische Literaturwissenschaft vor das Vergnügen nicht nur philologische Glossen, sondern auch philosophischer Zweifel gesetzt? Und warum sehen sich oft genug die Studenten der Germanistik, Romanistik und so weiter eher einem abweisend szientifischen Apparat gegenüber statt der Schönheit von Visionen, Sätzen und Versen?
Kurz und schnippisch gesagt, lautete die Antwort: Schuld ist Nietzsche. Und etwas ausführlicher: Mit dem Zusammenbruch der denkerischen Großgebäude im neunzehnten Jahrhundert übernimmt das Literarische die angestammten Aufgaben der Philosophie. Doch es kommt zu einem fatalen Doppelschritt. Auf der einen Seite wird die Sprache selbst zur letzten Konstante und zum einzigen Korrektiv menschlichen Denkens und Handelns erklärt; da heißt es, nur in ihrer höchsten Steigerung, im vom Sach- und Kommunikationszwang befreiten Literarischen, sei Erkenntnis möglich. Aber auf der anderen Seite gehen die Zweifel an den Fähigkeiten der Sprache bis zu dem Punkt, an dem Autoren wie eben Nietzsche oder der Zeitgenosse Fritz Mauthner ihr schlechthin jede Fähigkeit zur Artikulation letzter Wahrheiten absprechen. Sprache sei, so Nietzsche, nicht mehr als ein "Heer beweglicher Metaphern", also Verfügungsmasse der jeweiligen rhetorischen Absicht, und "die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind". Sprache also enthalte keine wie immer wesentliche Beziehung zum Bezeichneten. Damit sei jedes Denken in Sprache im doppelten Sinne grundlos.
An diesem Konflikt haben sich Literatur, Sprachphilosophie und Sprachkritik des zwanzigsten Jahrhunderts abgearbeitet. Und wohl unter dem Eindruck der anbrechenden Jahrhundertwende mehren sich seit einiger Zeit die Resümees über eine philosophische und literarische Avantgarde, die versucht hat, Sprache sowohl allen begrifflichen Reglementierungen als auch jeder rhetorischen Indienstnahme zu entziehen, um sie als Medium der Welterkenntnis aus der Wirrsal des Alltagskommunikativen herauszuhalten.
Wer Geschichte, Grundlagen und Aporien der Sprachkritik in geballt-gebündelter Fassung auf- oder nacharbeiten möchte, dem sei Hans-Martin Gaugers "Über Sprache und Stil" empfohlen. Gauger, Professor für romanische Philologie an der Universität Freiburg, hat auf der Basis vieler eigener Arbeiten zum Thema in der Beckschen Reihe ein handliches Werk vorgelegt, das auf angenehme Weise lehrbuchartig verfährt. Im langsamen Voranschritt von Problemkreis zu Problemkreis, mit vielen Beispielen und Exkursen und nicht ohne die gelegentliche Wiederholung zentraler Theoreme könnte es gewissermaßen als Grundlage einer Vorlesung im Wintersemester dienen. Der Bogen seiner Gegenstände reicht von der Erläuterung dessen, was Sprachkritik ist, über Abhandlungen zur Etymologie, zur Interpretation und zur Übersetzung bis hin zu Fragen nach Begriff und Rang von Stil und Rhetorik. Freilich, die gepflegte Langeweile einer "Einführungsveranstaltung" strahlt das Buch keineswegs aus.
Das liegt einerseits am Thema. Denn rund um die Sprache sind kaum je letzte Weisheiten oder wenigstens endgültige Definitionen zu vermitteln, sondern vielmehr immer wieder Einsichten in eine Vielzahl dialektischer und zum Teil auch aporetischer Strukturen. Sehr stimmig hebt daher Gauger auch gleich an mit ausführlichen, gewissermaßen propädeutisch gedachten Bemerkungen zu dem Umstand, daß Sprache einerseits jedem Sprecher und jedem Sprechen vorangehe, andererseits aber nicht als "reales Abstraktum" existiere, sondern nur von bestimmten Sprachgemeinschaften und auf sehr unterschiedliche, ja individuelle Weise realisiert werde. Oder er beschreitet einmal versuchsweise den "etymologischen Holzweg" (Heideggers), um beispielhaft allen noch so verlockenden Versuchen, einem eindeutig zu bestimmenden "eigentlichen" Bedeutungsursprung der Worte nahezukommen, einen Riegel vorzuschieben. Und an einem einzigen Satz, dem Titel einer Goyaschen Radierung, entwickelt er die Auseinandersetzung zwischen Interpretation als der Rekonstruktion des vom Autor intendierten Sinns und Interpretation als der Entfaltung aller möglichen Bedeutungen des Textes.
Dies und anderes, das oft richtig ins "Einerseits/Andererseits" und "Sowohl-Als-auch" mündet, weiß Gauger engagiert, nachdrücklich und beispielreich darzustellen. Und hier liegt ein weiterer Grund dafür, warum es den Adepten der Sprachkritik bei der Lektüre hält. Gauger macht nämlich kein Hehl aus einigen sehr eigenen Positionen inmitten der allgemeinen. So widmet er etwa ein Kapitel der "Sprache in der modernen Dichtung"; und er liest darin einer Avantgarde, die sich weit von den sprachlichen Grundlagen entfernt habe, gehörig die Leviten.
Insbesondere ihr Versuch, sich "in nahezu sakralem Ernst" aus der Wirklichkeit zurückzuziehen, laufe dem "Sinn des Sprechens" als Verständigung, Ausdruck und Aufforderung zuwider. Und sowohl ihr Einbeziehen von Alltags- oder Fachsprachen als auch ihre Tendenz zu Inkohärenz, Vieldeutigkeit oder gar Sinnoffenheit zeugten am ehesten von ihrem letztlich aussichtslosen "Anrennen an die Grenzen der Sprache". Flauberts Wunsch, ein "Buch über nichts" zu schreiben, bleibe (zum Glück!) unerfüllbar, denn "literarisch, also unter Wörtern, ist der Künstler gleichsam dazu verdammt, von irgend etwas zu reden". Ebenso kritisch geht Gauger aber auch mit Teilen der modernen Linguistik ins Gericht, der er, als Gegenextrem, eine positivistische Standpunktlosigkeit vorwirft. Sie erschöpfe sich im bloßen Ad-notam-Nehmen der jeweiligen Sprachbewegungen und müsse daher alles "irgendwie in Ordnung" finden.
Es ist nun besonders ein Satz, der gewissermaßen als negatives Stimulans für Gaugers Bestimmung dient: "Die Sprache spricht." Gegen dieses Diktum, nach Heidegger zitiert, aber Leitformel für einen Großteil des philosophischen und literarischen Sprachdenkens im zwanzigsten Jahrhundert, sucht Gauger immer wieder zu argumentieren: "Die Sprache ist nicht irgendwo; sie ist kein für sich Seiendes. Das Haus der Sprache ist der Mensch. Die Sprache spricht nicht, sie dichtet auch nicht." Das richtet sich zum Beispiel gegen (den "frühen") Benjamin, der wenig genannt, und gegen Karl Kraus, der vehement abgetan wird. Gauger kämpft so an vielen Stellen (vielleicht könnte man sagen: als Nachhut der Aufklärung) für die Autonomie des Subjekts und gegen jede Wiederverhaftung an metaphysische Größen.
Gaugers eigenes Sprachdenken wird gegen Schluß des Buches noch einmal besonders deutlich da, wo er speziell vom Stil in den Wissenschaften handelt. Auch hier hat erkennbar ein zeitgenössisches Ungenügen den Anlaß gegeben, denn in den Wissenschaften realisiere sich heute Kompetenz weitgehend als "Anpassung an einen der mehreren herrschenden ,Diskurse'". Es müsse hingegen, so Gauger, gerade in der Wissenschaft, und ganz im Gegensatz zum Literarischen, der "sachliche Gehalt" jederzeit vom "sprachlichen Ausdruck" zu trennen sein; und hier besonders gelte auch, "daß das Sprachliche nicht das einzige Werkzeug des Erkennens und auch nicht das einzige Werkzeug der Mitteilung des Erkannten ist". Ja, das Sprachliche sei "bloße Einkleidung", und alles müsse "immer auch anders gesagt werden können".
Daß in solchen Unterscheidungen zwischen den "Textsorten" Literatur und Wissenschaft Sprache schließlich doch sehr weitgehend als Einheitsstiftendes aufgegeben wird - und das sogar gegen wissenschaftlich initiierte Sprachdenker von Lichtenberg bis Julian Jaynes -, kann Gauger nicht als Lapsus angekreidet werden, insofern es sein erklärtes Programm ist. Allerdings könnte gefragt werden, ob er nicht in dem Bestreben, einem Abgleiten der Literatur in Mystik und einem Aufgehen von Wissenschaft in Phrasenreproduktion gegenzusteuern, Positionen verwirft, die gerade gegen die Beliebigkeit öffentlicher und fachlicher Rede bezogen worden sind und an denen sich vielleicht der bessere Teil der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts orientiert hat. Und endlich müßte man Gauger nach Lektüre seines rundum angenehm belehrenden Buches vielleicht danach fragen, was genau er denn auf das Podest gesetzt wissen will, von dem er "die" Sprache immer wieder holt - oder warum er glaubt, es könne ohne Schaden unbesetzt bleiben.
Hans-Martin Gauger: "Über Sprache und Stil". C. H. Beck Verlag, München 1995. 275 S., br., 24,- DM.
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Holzwege abschreiten: Hans-Martin Gauger erklärt Geschichte und Aporien der Sprachkritik / Von Burkhard Spinnen
Warum Sprachkritik? Warum reden wir nicht, wie uns der Schnabel gewachsen ist, oder versenken uns vorbehaltlos in die Meisterwerke der Literatur? Von denen es doch so viele gibt und an deren Vermehrung noch gearbeitet wird. Warum sind besonders für die akademische Literaturwissenschaft vor das Vergnügen nicht nur philologische Glossen, sondern auch philosophischer Zweifel gesetzt? Und warum sehen sich oft genug die Studenten der Germanistik, Romanistik und so weiter eher einem abweisend szientifischen Apparat gegenüber statt der Schönheit von Visionen, Sätzen und Versen?
Kurz und schnippisch gesagt, lautete die Antwort: Schuld ist Nietzsche. Und etwas ausführlicher: Mit dem Zusammenbruch der denkerischen Großgebäude im neunzehnten Jahrhundert übernimmt das Literarische die angestammten Aufgaben der Philosophie. Doch es kommt zu einem fatalen Doppelschritt. Auf der einen Seite wird die Sprache selbst zur letzten Konstante und zum einzigen Korrektiv menschlichen Denkens und Handelns erklärt; da heißt es, nur in ihrer höchsten Steigerung, im vom Sach- und Kommunikationszwang befreiten Literarischen, sei Erkenntnis möglich. Aber auf der anderen Seite gehen die Zweifel an den Fähigkeiten der Sprache bis zu dem Punkt, an dem Autoren wie eben Nietzsche oder der Zeitgenosse Fritz Mauthner ihr schlechthin jede Fähigkeit zur Artikulation letzter Wahrheiten absprechen. Sprache sei, so Nietzsche, nicht mehr als ein "Heer beweglicher Metaphern", also Verfügungsmasse der jeweiligen rhetorischen Absicht, und "die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind". Sprache also enthalte keine wie immer wesentliche Beziehung zum Bezeichneten. Damit sei jedes Denken in Sprache im doppelten Sinne grundlos.
An diesem Konflikt haben sich Literatur, Sprachphilosophie und Sprachkritik des zwanzigsten Jahrhunderts abgearbeitet. Und wohl unter dem Eindruck der anbrechenden Jahrhundertwende mehren sich seit einiger Zeit die Resümees über eine philosophische und literarische Avantgarde, die versucht hat, Sprache sowohl allen begrifflichen Reglementierungen als auch jeder rhetorischen Indienstnahme zu entziehen, um sie als Medium der Welterkenntnis aus der Wirrsal des Alltagskommunikativen herauszuhalten.
Wer Geschichte, Grundlagen und Aporien der Sprachkritik in geballt-gebündelter Fassung auf- oder nacharbeiten möchte, dem sei Hans-Martin Gaugers "Über Sprache und Stil" empfohlen. Gauger, Professor für romanische Philologie an der Universität Freiburg, hat auf der Basis vieler eigener Arbeiten zum Thema in der Beckschen Reihe ein handliches Werk vorgelegt, das auf angenehme Weise lehrbuchartig verfährt. Im langsamen Voranschritt von Problemkreis zu Problemkreis, mit vielen Beispielen und Exkursen und nicht ohne die gelegentliche Wiederholung zentraler Theoreme könnte es gewissermaßen als Grundlage einer Vorlesung im Wintersemester dienen. Der Bogen seiner Gegenstände reicht von der Erläuterung dessen, was Sprachkritik ist, über Abhandlungen zur Etymologie, zur Interpretation und zur Übersetzung bis hin zu Fragen nach Begriff und Rang von Stil und Rhetorik. Freilich, die gepflegte Langeweile einer "Einführungsveranstaltung" strahlt das Buch keineswegs aus.
Das liegt einerseits am Thema. Denn rund um die Sprache sind kaum je letzte Weisheiten oder wenigstens endgültige Definitionen zu vermitteln, sondern vielmehr immer wieder Einsichten in eine Vielzahl dialektischer und zum Teil auch aporetischer Strukturen. Sehr stimmig hebt daher Gauger auch gleich an mit ausführlichen, gewissermaßen propädeutisch gedachten Bemerkungen zu dem Umstand, daß Sprache einerseits jedem Sprecher und jedem Sprechen vorangehe, andererseits aber nicht als "reales Abstraktum" existiere, sondern nur von bestimmten Sprachgemeinschaften und auf sehr unterschiedliche, ja individuelle Weise realisiert werde. Oder er beschreitet einmal versuchsweise den "etymologischen Holzweg" (Heideggers), um beispielhaft allen noch so verlockenden Versuchen, einem eindeutig zu bestimmenden "eigentlichen" Bedeutungsursprung der Worte nahezukommen, einen Riegel vorzuschieben. Und an einem einzigen Satz, dem Titel einer Goyaschen Radierung, entwickelt er die Auseinandersetzung zwischen Interpretation als der Rekonstruktion des vom Autor intendierten Sinns und Interpretation als der Entfaltung aller möglichen Bedeutungen des Textes.
Dies und anderes, das oft richtig ins "Einerseits/Andererseits" und "Sowohl-Als-auch" mündet, weiß Gauger engagiert, nachdrücklich und beispielreich darzustellen. Und hier liegt ein weiterer Grund dafür, warum es den Adepten der Sprachkritik bei der Lektüre hält. Gauger macht nämlich kein Hehl aus einigen sehr eigenen Positionen inmitten der allgemeinen. So widmet er etwa ein Kapitel der "Sprache in der modernen Dichtung"; und er liest darin einer Avantgarde, die sich weit von den sprachlichen Grundlagen entfernt habe, gehörig die Leviten.
Insbesondere ihr Versuch, sich "in nahezu sakralem Ernst" aus der Wirklichkeit zurückzuziehen, laufe dem "Sinn des Sprechens" als Verständigung, Ausdruck und Aufforderung zuwider. Und sowohl ihr Einbeziehen von Alltags- oder Fachsprachen als auch ihre Tendenz zu Inkohärenz, Vieldeutigkeit oder gar Sinnoffenheit zeugten am ehesten von ihrem letztlich aussichtslosen "Anrennen an die Grenzen der Sprache". Flauberts Wunsch, ein "Buch über nichts" zu schreiben, bleibe (zum Glück!) unerfüllbar, denn "literarisch, also unter Wörtern, ist der Künstler gleichsam dazu verdammt, von irgend etwas zu reden". Ebenso kritisch geht Gauger aber auch mit Teilen der modernen Linguistik ins Gericht, der er, als Gegenextrem, eine positivistische Standpunktlosigkeit vorwirft. Sie erschöpfe sich im bloßen Ad-notam-Nehmen der jeweiligen Sprachbewegungen und müsse daher alles "irgendwie in Ordnung" finden.
Es ist nun besonders ein Satz, der gewissermaßen als negatives Stimulans für Gaugers Bestimmung dient: "Die Sprache spricht." Gegen dieses Diktum, nach Heidegger zitiert, aber Leitformel für einen Großteil des philosophischen und literarischen Sprachdenkens im zwanzigsten Jahrhundert, sucht Gauger immer wieder zu argumentieren: "Die Sprache ist nicht irgendwo; sie ist kein für sich Seiendes. Das Haus der Sprache ist der Mensch. Die Sprache spricht nicht, sie dichtet auch nicht." Das richtet sich zum Beispiel gegen (den "frühen") Benjamin, der wenig genannt, und gegen Karl Kraus, der vehement abgetan wird. Gauger kämpft so an vielen Stellen (vielleicht könnte man sagen: als Nachhut der Aufklärung) für die Autonomie des Subjekts und gegen jede Wiederverhaftung an metaphysische Größen.
Gaugers eigenes Sprachdenken wird gegen Schluß des Buches noch einmal besonders deutlich da, wo er speziell vom Stil in den Wissenschaften handelt. Auch hier hat erkennbar ein zeitgenössisches Ungenügen den Anlaß gegeben, denn in den Wissenschaften realisiere sich heute Kompetenz weitgehend als "Anpassung an einen der mehreren herrschenden ,Diskurse'". Es müsse hingegen, so Gauger, gerade in der Wissenschaft, und ganz im Gegensatz zum Literarischen, der "sachliche Gehalt" jederzeit vom "sprachlichen Ausdruck" zu trennen sein; und hier besonders gelte auch, "daß das Sprachliche nicht das einzige Werkzeug des Erkennens und auch nicht das einzige Werkzeug der Mitteilung des Erkannten ist". Ja, das Sprachliche sei "bloße Einkleidung", und alles müsse "immer auch anders gesagt werden können".
Daß in solchen Unterscheidungen zwischen den "Textsorten" Literatur und Wissenschaft Sprache schließlich doch sehr weitgehend als Einheitsstiftendes aufgegeben wird - und das sogar gegen wissenschaftlich initiierte Sprachdenker von Lichtenberg bis Julian Jaynes -, kann Gauger nicht als Lapsus angekreidet werden, insofern es sein erklärtes Programm ist. Allerdings könnte gefragt werden, ob er nicht in dem Bestreben, einem Abgleiten der Literatur in Mystik und einem Aufgehen von Wissenschaft in Phrasenreproduktion gegenzusteuern, Positionen verwirft, die gerade gegen die Beliebigkeit öffentlicher und fachlicher Rede bezogen worden sind und an denen sich vielleicht der bessere Teil der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts orientiert hat. Und endlich müßte man Gauger nach Lektüre seines rundum angenehm belehrenden Buches vielleicht danach fragen, was genau er denn auf das Podest gesetzt wissen will, von dem er "die" Sprache immer wieder holt - oder warum er glaubt, es könne ohne Schaden unbesetzt bleiben.
Hans-Martin Gauger: "Über Sprache und Stil". C. H. Beck Verlag, München 1995. 275 S., br., 24,- DM.
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