John Rawls, der vielleicht wichtigste politische Philosoph des 20. Jahrhunderts, galt zeitlebens als »religiös unmusikalisch«, doch nach seinem Tod wurden zwei Texte entdeckt, die zu einer gründlichen Revision dieses Bildes zwingen. Seine »Senior Thesis« aus dem Jahr 1942 zeigt einen brillanten Studenten, der Politik, Ethik und Theologie dadurch gekennzeichnet sieht, dass sie versuchen, mit der Sünde - dem Bösen - in der Welt fertig zu werden. Im zweiten, fast 50 Jahre später entstandenen, sehr persönlichen Text gewährt uns Rawls einen bewegenden Einblick in »seine Religion« und schildert auf eindringliche Weise, wie er als Soldat im Zweiten Weltkrieg den Glauben seiner Jugend verlor.
»Will man den intellektuell spannenden Weg verstehen, wie die Einschränkungen der Liberalität durch Gerechtigkeit als Fairness zum Zerfall der Gesellschaft führen kann, welche Wirkung die Säkularisierung religiöser Vorstellungen als politische Theorie entfaltet, wohin der Wunsch einer innerweltlichen Erlösung führt, dann darf man sich dieser vorbildlichen Edition anvertrauen.« Klaus-Rüdiger Mai Die Tagespost 20210506
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Misstraut den Kommentaren!, ruft Otto Kallscheuer. Aus dem Nachlass herausgegebene Jugendschriften, meint der Rezensent, werden oft in eine Vielzahl akademischer Kommentare verpackt und zu einer bloßen Vorstufe dessen degradiert, was der Meister eigentlich zu sagen hatte. Umso mehr, wenn es um die religiöse Jugendschrift des linksliberalen Standartenträgers John Rawls geht. Kallscheuer will die Schrift für sich sprechen lassen: In ihr entwickelt Rawls eine Ethik der Gemeinschaft, die zwar im Großen und Ganzen auf dieselben moralischen Prinzipien hinausläuft wie seine solidarische Sozialethik, aber anders und viel "heißer" begründet ist. Denn für den Jungen Rawls sind Menschen nicht nur Individuen und nutzenmaximierende Einzelne, sondern Teile einer Gemeinschaft. Dass Rawls die Entfremdung von Person und Gemeinschaft Sünde nennt, überrascht sogar Kallscheuer. Aber er nimmt es bereichert zur Kenntnis.
© Perlentaucher Medien GmbH
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