Lahers Held ist ein Tausendsassa: bayerischer Justizverwaltungsinspektor und begnadeter Erzähler mit schauspielerischer Begabung, unterwegs auf den Kleinkunstbühnen der Republik.Oskar Brunngraber ist bayerischer Justizverwaltungsinspektor, Herr über die Asservatenkammer. Dort und in seinem Büro lässt er die unzähligen Überführungsstücke lebendig werden, die er verwaltet. Er sprudelt fast über vor Assoziationen und Sprachlust, beschäftigt sich mit kleinsten Details und deutet ganz nebenbei die Welt. Abgründig ist sein Humor, zuweilen absurd und trotz allem ernsthaft. Es scheint, als wäre er geschaffen für seinen Beruf. Und doch ist er nur zufällig in ihn hineingerutscht.Aber da ist auch noch der künstlerisch begabte, kulturbegeisterte Privatmann Brunngraber, der wie ein Schwamm aufsaugt, was andere gedacht, geschrieben, gemalt, komponiert haben. Der zurückgezogen auf dem ausgebauten Dachboden Tausende Bilder malt, bunt, gestisch, mit großem Formgespür. Der als Kleinkünstler und Vollblut-Rampensau mitten unter die Leute geht, literarisch-kabarettistische Programme gestaltet, alte Schlager zum Besten gibt und jazzt. Ein richtiges »Mimikmonster«.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Anja Hirsch fühlt sich verloren mit Ludwig Lahers Roman. Das liegt an der monologischen Struktur des Textes, die laut Hirsch fürs Zimmertheater taugt, aber nicht für einen Roman. Lahers Hauptfigur, ein Justizverwaltungsinspektor und Hüter der Asservatenkammer, lockt Hirsch zwar mit kriminellen Kuriosa und morbider Komik, kann ihr am Ende aber doch nur Polizei-Kolportage bieten und adressatenfreie Plaudereien über kaputte Ehen und die eigene Stempelsammlung. Schade, findet Hirsch, Chance auf Insiderperspektive und Situationskomik verspielt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2016Ein Monolog verpasst sein Publikum
Berufsschwadroneur: Ludwig Laher besucht die Asservatenkammer
Ludwig Laher, Jahrgang 1955, kennt man vor allem als Verfasser dokumentarischer Romane. In "Herzfleischentartung" recherchierte er 2001 die Geschichte des NS-Lagers im oberösterreichischen St. Pantaleon. "Bitter" thematisierte 2014 das Leben eines Kriegsverbrechers. Jetzt hat sich Laher in den Kopf eines Justizverwaltungsinspektors hineinbegeben. Er heißt Oskar Brunngraber und ist Hüter der Asservatenkammer, die mit Mordwaffen und Kuriosa gut bestückt ist, mit sogenannten "Überführungsstücken" - so auch der Titel des Romans.
Die Objekte und ihre Geschichten versprechen Spannung oder eine Art morbide Komik. Da ist zum Beispiel ein Fels, mit dem sich jemand ertränkte und den Brunngraber einst zum Prozessauftakt ins Gerichtszimmer schieben musste. Von verbotenen Laserpointern über Blaulichtleuchten bis zu Drogen (genug für Massendelirien) verwahrt er einen gewaltigen Fundus. Bei "Geschäftsanfall", wie es im Amtsdeutsch heißt, werden Haschtütchen oder "NS-Andachtsstücke" aus Flohmärkten von Brunngraber ordentlich "eingeschlichtet" und nach Prozessende auf den Weg gebracht, um entsorgt zu werden. Er kolportiert auch gern das ein oder andere grobe Wort, das einem Polizisten am Tatort beim Anblick der Blutlache über die Lippen kommt: "Pah, do tunk' i mei Weißwurscht nei."
Als Sprungbrett in einen Roman taugen seine Impressionen und Meinungen etwa über den inflationären Gebrauch des Wortes "Mahlzeit" aber nur bedingt. Denn immer, wenn es interessant werden könnte, verlässt Brunngraber seinen Erzählgegenstand, um eigene biographische Details zu enthüllen. Beim Plauderparcours durchs Justizzentrum erinnert er daran, dass er auch als Rezitator auf Bühnen steht, eine Stempelsammlung sein Eigen nennt und die Frucht einer unglücklichen Ehe ist, die ihren Ursprung wiederum in Flucht und Vertreibung hat. Seine Sonderperspektive beim Blick über die Schultern der Verbrecher spielt er nicht aus.
Dass man den Dreh vom Berufsschwadroneur zum narzisstischen Identitätsphilosophen nicht recht mitmachen möchte, liegt auch an der gewählten Form. In gut österreichischer Erzähltradition wird monologisiert. Nur warum? Wer genau ist der Adressat? Brunngrabers geduldiger Zuhörer, der kaum in Erscheinung tritt und nur hin und wieder mal "ich" sagt, ist möglicherweise sein eigenes inneres Ohr oder aber ein Journalist, der sich in den Hochsicherheitstrakt führen und sich alles zeigen lässt; eine Schattenfigur jedenfalls, mehr Chronist als Handelnder, was dem Text jede Chance auf Situationskomik nimmt. Weder filtert Laher Brunngrabers Rede groß, noch verleiht er seiner Hauptfigur durch originelle Außenbeschreibungen Kontur - anders als etwa der gleichfalls recherchefreudige Autor Gerhard Roth, der einen solchen Typus des stillen Zuhörers in seinen Essays über die Stadt Wien kunstvoll einzubinden weiß: als Entdecker nämlich, der den Fachleuten kuriose Fakten über Einzelobjekte entlockt und sie begeistert ergänzt. Da springt der Funke über. Bei Laher, dessen Material als Reportage oder Ein-Mann-Stück für ein Zimmertheater sicherlich gut funktioniert hätte, fühlt man sich diesmal verloren.
ANJA HIRSCH.
Ludwig Laher: "Überführungsstücke".
Wallstein Verlag, Göttingen 2016.
177 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Berufsschwadroneur: Ludwig Laher besucht die Asservatenkammer
Ludwig Laher, Jahrgang 1955, kennt man vor allem als Verfasser dokumentarischer Romane. In "Herzfleischentartung" recherchierte er 2001 die Geschichte des NS-Lagers im oberösterreichischen St. Pantaleon. "Bitter" thematisierte 2014 das Leben eines Kriegsverbrechers. Jetzt hat sich Laher in den Kopf eines Justizverwaltungsinspektors hineinbegeben. Er heißt Oskar Brunngraber und ist Hüter der Asservatenkammer, die mit Mordwaffen und Kuriosa gut bestückt ist, mit sogenannten "Überführungsstücken" - so auch der Titel des Romans.
Die Objekte und ihre Geschichten versprechen Spannung oder eine Art morbide Komik. Da ist zum Beispiel ein Fels, mit dem sich jemand ertränkte und den Brunngraber einst zum Prozessauftakt ins Gerichtszimmer schieben musste. Von verbotenen Laserpointern über Blaulichtleuchten bis zu Drogen (genug für Massendelirien) verwahrt er einen gewaltigen Fundus. Bei "Geschäftsanfall", wie es im Amtsdeutsch heißt, werden Haschtütchen oder "NS-Andachtsstücke" aus Flohmärkten von Brunngraber ordentlich "eingeschlichtet" und nach Prozessende auf den Weg gebracht, um entsorgt zu werden. Er kolportiert auch gern das ein oder andere grobe Wort, das einem Polizisten am Tatort beim Anblick der Blutlache über die Lippen kommt: "Pah, do tunk' i mei Weißwurscht nei."
Als Sprungbrett in einen Roman taugen seine Impressionen und Meinungen etwa über den inflationären Gebrauch des Wortes "Mahlzeit" aber nur bedingt. Denn immer, wenn es interessant werden könnte, verlässt Brunngraber seinen Erzählgegenstand, um eigene biographische Details zu enthüllen. Beim Plauderparcours durchs Justizzentrum erinnert er daran, dass er auch als Rezitator auf Bühnen steht, eine Stempelsammlung sein Eigen nennt und die Frucht einer unglücklichen Ehe ist, die ihren Ursprung wiederum in Flucht und Vertreibung hat. Seine Sonderperspektive beim Blick über die Schultern der Verbrecher spielt er nicht aus.
Dass man den Dreh vom Berufsschwadroneur zum narzisstischen Identitätsphilosophen nicht recht mitmachen möchte, liegt auch an der gewählten Form. In gut österreichischer Erzähltradition wird monologisiert. Nur warum? Wer genau ist der Adressat? Brunngrabers geduldiger Zuhörer, der kaum in Erscheinung tritt und nur hin und wieder mal "ich" sagt, ist möglicherweise sein eigenes inneres Ohr oder aber ein Journalist, der sich in den Hochsicherheitstrakt führen und sich alles zeigen lässt; eine Schattenfigur jedenfalls, mehr Chronist als Handelnder, was dem Text jede Chance auf Situationskomik nimmt. Weder filtert Laher Brunngrabers Rede groß, noch verleiht er seiner Hauptfigur durch originelle Außenbeschreibungen Kontur - anders als etwa der gleichfalls recherchefreudige Autor Gerhard Roth, der einen solchen Typus des stillen Zuhörers in seinen Essays über die Stadt Wien kunstvoll einzubinden weiß: als Entdecker nämlich, der den Fachleuten kuriose Fakten über Einzelobjekte entlockt und sie begeistert ergänzt. Da springt der Funke über. Bei Laher, dessen Material als Reportage oder Ein-Mann-Stück für ein Zimmertheater sicherlich gut funktioniert hätte, fühlt man sich diesmal verloren.
ANJA HIRSCH.
Ludwig Laher: "Überführungsstücke".
Wallstein Verlag, Göttingen 2016.
177 S., geb., 19,90 [Euro].
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»mit sprachlicher Sorgfalt und Liebe zum Detail entwirft Ludwig Laher auf nur knapp 180 Seiten einen ganzen Mikrokosmos an Geschichten« (Sophie Weilandt, ORF ZIB, 01.08.2016) »Es gelingt ihm meisterhaft, die Handlung mit ihrem ironisch-grotesken Anfang hin in eine Lebensgeschichte zu verwandeln (...). Breit empfohlen.« (Peter Vodosek, ekz bibliotheksservice) »eine Charakterstudie, die schon vor dem überraschenden Schluss für manche unerwartete Wendung sorgt.« (Wolfgang Huber-Lang, Kleine Zeitung, 04.08.2016) »eine fein gesponnene Persönlichkeitsstudie« (Christian Schacherreiter, Oberösterreichische Nachrichten, 12.08.2016) »Laher entwirft eine Charakterstudie, ja reißt mit jeder Geschichte seinem Helden eine andere Maske vom Gesicht.« (Stefan Rammer, Passauer Neue Presse, 27.09.2016) »Leichthändig und pointiert breitet Laher die (Gedanken-)Welt dieses etwas schrulligen, in seiner stillen Renitenz unheimlich sympathischen Beamtenpoeten aus.« (Michael Wurmitzer, derStandard.at, 20.12.2016) »Der schmale Roman hinterlässt nach der Lektüre ein warmes Gefühl, ganz unaufdringlich schwingt eine Anleitung zur Lebenskunst mit - sehr zu empfehlen!« (Ingrid Kainzner, bn.bibliotheksnachrichten, 2016/4) »aufs angenehmste irritierend« (Bernhard Oberreither, Literatur und Kritik, März 2017)