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Hans Magnus Enzensberger nähert sich in 99 pointierten, bewusst subjektiven Darstellungen den Lebensläufen und den speziellen Überlebensstrategien internationaler Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Aber auch den objektiven Gründen dafür, dass ihnen ihr Überleben im 20. Jahrhundert, dem »Zeitalter der Wölfe«, gelungen ist.
Das 20. Jahrhundert war eine Blütezeit von Schriftstellern, die Staatsterror und Säuberungen überlebt haben, mit all den moralischen und politischen Ambivalenzen, die das mit sich brachte. Hatten sie ihr Überleben ihrer Hellsicht, ihrer Intelligenz oder Schlauheit zu
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Produktbeschreibung
Hans Magnus Enzensberger nähert sich in 99 pointierten, bewusst subjektiven Darstellungen den Lebensläufen und den speziellen Überlebensstrategien internationaler Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Aber auch den objektiven Gründen dafür, dass ihnen ihr Überleben im 20. Jahrhundert, dem »Zeitalter der Wölfe«, gelungen ist.

Das 20. Jahrhundert war eine Blütezeit von Schriftstellern, die Staatsterror und Säuberungen überlebt haben, mit all den moralischen und politischen Ambivalenzen, die das mit sich brachte. Hatten sie ihr Überleben ihrer Hellsicht, ihrer Intelligenz oder Schlauheit zu verdanken, ihrem Glauben an sich selbst, ihren Beziehungen oder ihrem taktischen Geschick? Waren es Glücksfälle, durch die sie dem Gefängnis, dem Lager und dem Tod entronnen sind, oder waren es Strategien, die von der Anbiederung bis zur Tarnung reichten? Wer das so klar unterscheiden könnte!
Autorenporträt
Hans Magnus Enzensberger wurde am 11. November 1929 in Kaufbeuren geboren und starb am 24. November 2022 in München. Als Lyriker, Essayist, Biograph, Herausgeber und Übersetzer war er einer der einflussreichsten und weltweit bekanntesten deutschen Intellektuellen.
Rezensionen
»Hier wird munter auf das Geordnete gepfiffen, aber mit so viel Enthusiasmus, dass die schräge Melodie sich doch in die Erinnerung eingräbt. Wenn das mal keine künstlerische Überlebensstrategie ist, von der sich was lernen lässt.« Christian Metz Frankfurter Allgemeine Zeitung 20180712

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.04.2018

Virtuose der Mimikry
Hans Magnus Enzensberger hat „99 Überlebenskünstler“
aus dem 20. Jahrhundert zusammengestellt
VON HELMUT BÖTTIGER
Hans Magnus Enzensberger hat die Dinge selten allzu eng gesehen. Deshalb ist es auch egal, dass er bereits auf der zweiten Seite seines neuen Buches das Gedicht „Die gestundete Zeit“ von Ingeborg Bachmann auf das Jahr 1958 datiert (es erschien fünf Jahre vorher in ihrem gleichnamigen Debütband). Und man schmunzelt allenfalls ein bisschen, wenn er wenige Seiten später angibt, Gerhart Hauptmann habe sich „im Sommer in ein Kloster auf der Insel Hiddensee“ zurückgezogen. „Kloster“ heißt die wunderschöne Ortschaft auf besagter Insel, in der sich Hauptmann eine äußerst repräsentative Villa gebaut hat. Man nimmt es bei Enzensberger nie so genau, denn womit er immer zuverlässig punktet, das ist sein gesamter Habitus. Er ist halt ein Überlebenskünstler. Deshalb ist es auch ein autobiografisches Augenzwinkern, wenn er jetzt als 88-Jähriger „99 literarische Vignetten aus dem 20. Jahrhundert“ vorlegt, unter eben diesem eindeutig bewundernden Titel: „Überlebenskünstler“.
„Vignetten“ ist ein schönes Wort, es passt sich wunderbar ein in das „Journal des Luxus und der Moden“, das Enzensberger bereits Ende der 70er-Jahre gegründet hat, oder in die buchbinderische und grafische Gestaltung der „Anderen Bibliothek“, die er kurz danach ins Leben rief. Eine Vignette bezeichnet im Französischen eine Rebsorte, später hieß das gesamte Etikett der Weinflasche so, und zuletzt meinte dieses Wort dann allgemein Randverzierungen in der Drucktechnik. Enzensbergers 99 Vignetten sind zwei-, höchstens drei- oder vierseitige Porträts von Schriftstellern, die er zu obigem Behufe zusammengestellt hat. Bei dieser Kürze, so könnte man meinen, käme es auf jedes einzelne Wort an. Das ist aber beileibe nicht so. Es geht um das Prinzip.
Zu Enzensbergers „Überlebenskünstlern“ des 20. Jahrhunderts gehören natürlich nicht die Schriftsteller, die in den beiden Weltkriegen getötet wurden. Und es geht auch nicht um diejenigen, die tragisch früh ums Leben gekommen sind oder Selbstmord begangen haben – und dazu gehören wohl einige der größten. Enzensberger interessiert sich vornehmlich für jene, die die verheerenden zeitgeschichtlichen Ereignisse überstanden haben, sich durchlavieren konnten und deshalb mit ihnen nicht sofort eindeutig zu identifizieren sind. Mit am deutlichsten fasziniert ist er von jemandem wie Curzio Malaparte, bürgerlich Kurt Erich Suckert, denn der war alles, Anarchist und Diplomat, Avantgardist und faschistischer Aufhetzer von Schlägertruppen, amerikanischer Spion und Verehrer Mao Zedongs. Enzensberger schreibt: „Fiktion und Fakten wollte und konnte er nicht voneinander unterscheiden“, und deshalb scheint dieser „Virtuose der Mimikry“ Enzensberger besonders nah zu sein.
Die Geschichte ist hier vor allem ein spannender Abenteuerspielplatz. Forcierte Rechtsradikale wie Ernst Jünger oder Céline stehen traut vereint mit Kommunisten wie Maxim Gorki, Ilja Ehrenburg oder Pablo Neruda, und Enzensberger geht an alle gleichermaßen neugierig heran. Ausgemalt wird ein Bild, vor dem man kopfschüttelnd und lächelnd und mit Shakespeare sinnieren kann: Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als eure Schulweisheit sich träumen lässt...
Kurz nach dem Krieg, als ganz junger Mann, hat Enzensberger Carl Zuckmayer gesehen und gehört, als dieser unter freiem Himmel eine Rede an die „Jugend“ hielt – „das waren wir“, kommentiert der Autor ein bisschen kichernd im Rückblick. Um dieses Ereignis kreist er mehrfach, bei derselben Gelegenheit sprach etwa auch Erich Kästner. Es scheint ein Moment gewesen zu sein, an dem Enzensberger zum ersten Mal der Topos des „Überlebenskünstlers“ bewusst wurde. Erich Kästner steht, wegen derselben Initiale, assoziativ an der Seite von Erhart Kästner, der sich weitaus weniger charmant und integer durch die Zeit des Nationalsozialismus hindurchgeschmuggelt hatte. Enzensberger benennt das durchaus, aber im Vordergrund steht eine Technik, die besonders bei seiner Beschreibung von jemandem wie Heimito von Doderer auffällt: Wo es besonders kauzig, originell, abwegig und verwegen zugeht, ist er in seinem Element, am liebsten lacht Enzensberger alles weg. Die Vignette zu dem radikal linken Freund Peter Weiss zeigt vielleicht am besten ein weiteres Spezifikum dieses Buches. Enzensberger streut nämlich immer wieder geschickt, wie nebenbei, eine persönliche Erinnerung ein, er hat ja viele gekannt. Listig erwähnt er, dass er in den frühen Sechzigerjahren mal mit dem Ehepaar Weiss, das einen Strandurlaub plante, am Flughafen festsaß. Er führte sie zum Drehständer mit den Büchern und stellte fest: „Da ist was Anständiges unter dem ganzen Schrott: die Frühschriften von Karl Marx. Kennst du das?“ Weiss kaufte das dann wohl, und Enzensberger fügt in seiner unnachahmlichen Diktion hinzu: „Ich konnte ja nicht wissen, was ich damit angerichtet hatte.“ Auch bei Ingeborg Bachmann fällt so ein Satz: „1959 verbrachten wir ein gemeinsames Jahr in Rom“, doch gemach: Er war Stipendiat der Villa Massimo, und sie lebte eh dort. Aber zentral sind natürlich schon „die vielen Liebhaber, die sie ertrug“, und dass einer von ihnen „ein Verschwörer aus Algerien“ gewesen sei, der „gegen die französische Kolonialmacht kämpfte“. Manche Charakteristiken dieses Buches sind hübsch pointiert. Und bei der Einordnung etwa Rudolf Borchardts zeigt sich eine souveräne Unabhängigkeit. Sehr kennerisch lässt sich Enzensberger über Gottfried Benn aus oder über Ezra Pound. Bei manchen dieser Vignetten hat man aber durchaus das Gefühl, dass er vor allem auf die Zahl 99 kommen wollte, da ist einiges läppisch und nichtssagend. Bei Anna Seghers zum Beispiel fällt ihm außer einer Art Wikipedia-Eintrag gar nichts ein, oder spekuliert er etwa auf die herausragende Verfilmung von „Transit“, die gerade in den Kinos läuft? Bei seiner Mediengewitztheit wäre ihm das zuzutrauen.
Ästhetische Überlegungen oder so etwas wie analytischen Tiefgang gibt es hier natürlich selten. Es handelt sich um kleine, intelligente Fingerübungen, deren nicht immer vollständig erreichter Zweck Amüsement und ein kurzes Aufmerken ist. Wenn sie glücken, leben diese Vignetten von einem Kolumnenstil, der seine eigene Subjektivität absolut setzt und mit dem sich Enzensberger die aktuellen Magazin- und Hochglanz-Standards zunutze macht. Journalistisch war er immer auf der Höhe der Zeit. Das unterscheidet ihn natürlich gewaltig von seinen Generationsgenossen, das ist ja sein Markenzeichen: Chamäleonartig wandelte er sich vom Erntehelfer Fidel Castros zu einem hedonistischen Konsumenten im entwickelten Kapitalismus. Jetzt zeigt er sich also endlich stilistisch eins mit der „Generation Golf“, der er damals so gewitzt den Weg geebnet hat. Im Gegensatz zu den Porträtierten in seinem Buch steht er damit anscheinend für das 21. Jahrhundert, aber ein bisschen abgestanden wirkt das jetzt schon auch.
Hans Magnus Enzensberger: Überlebenskünstler. 99 literarische Vignetten aus dem 20. Jahrhundert. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 366 Seiten, 24 Euro.
Kennerisch bei Benn und
Borchardt, doch bei Seghers fällt
ihm fast gar nichts ein
Im Französischen bezeichnete
das Wort „Vignette“ erst eine
Rebsorte, dann das ganze Etikett
Viele Künstler kannte er persönlich: der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger.
Foto: Hans-Bernhard Huber/laif
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2018

Zirkelschluss
So gesehen: Hans Magnus Enzensberger betrachtet neunundneunzig Überlebenskünstler der Literatur

Am Anfang dieses Buches steht eine historische Sichtweise, die ebenso treffend wie befremdlich wirkt. Die zugrundeliegende These lautet: Da das zwanzigste Jahrhundert sich durch seine unterdrückerischen Gewaltregime und verheerenden Kriege auszeichnete, habe es letztlich zwei Arten von Künstlern gegeben. Die einen, die zu Todesopfern der Gewalt wurden. Und die anderen, die die Repressalien (und ihre verstorbenen Kollegen) auf welche Weise auch immer überlebt haben. Bei den letzteren handele es sich im Wortsinne um Überlebenskünstler. Und von denen sei so dieses und jenes abzuschauen. Oder wie es gleich zu Beginn heißt: "Sind Anpassung, glückliche Zufälle, Kompromisse und mehrdeutige Entscheidungen von vorgestern. Kann man nichts von ihnen lernen?"

Eine intrikate, zumindest doch gewagte historische Wendung ruht in dieser rhetorischen Frage. In jedem Fall folgt auf die Einsicht prompt ein Entschluss: in diesem Buch statt von den Opfern lieber von den überlebenden Künstlern und deren Strategien zu erzählen. Das heißt, nicht von allen Künstlern, sondern ausschließlich von den Literaten: chronologisch nach Geburtsdatum sortiert von Knut Hamsun (1859) bis zu Joseph Brodsky (1940). Da die einstigen Überlebenden inzwischen ihrerseits bis auf eine Ausnahme verstorben sind, geht es also darum, den Umschlagmoment vom Leben in den Tod seinerseits zu wenden und die Verstorbenen qua Erzählen aufs Neue lebendig zu machen. Genauer: Sie noch einmal Revue passieren zu lassen, was bedeutet, "Personen in einer Abfolge von Gedanken noch einmal an sich vorbeiziehen zu lassen". Wobei eine gewisse Ironie dieser Erinnerungsarbeit darin besteht, dass die Lehnübersetzung von "passer les troupes en revue" offensichtlich aus dem Militärischen stammt und damit die Parade der Überlebenskünstler einer Truppe gleicht, die sich dadurch auszeichnet, den mörderischen Kriegen erfolgreich von der Schippe gesprungen zu sein.

Man kann das drehen und wenden, wie man will. Aber unsystematischer als dieses Erzählprojekt kann man kaum vorgehen. Hier hat jemand größte Freude daran, seriös (und sogar didaktisch) zu tun und zugleich heiter jede Ordnung und Erwartung zu durchkreuzen. Insofern ist es nur konsequent, wenn Hans Magnus Enzensberger seine 99 Porträts von Überlebenskünstlern selbst als "literarische Vignetten" bezeichnet. Vignetten sind ursprünglich keine eigenständige literarische Form. Ihr angestammter Platz ist die Randlage. Dort illustrieren, verzieren, veranschaulichen und umranken sie als hübsches Beiwerk eine im Zentrum stehende Hauptsache.

Indem Enzensberger die literarische Vignette zur Form erhebt, ist es, als würde er bei einem gerahmten Gemälde absichtlich das Bild ignorieren, um sich dafür lieber intensiv dem Rahmen zu widmen. Und siehe da, bei genauer Betrachtung des Ornaments, besteht dieses aus einer Vielzahl von Bildern, die ganz eigene Geschichten erzählen. Hier herrscht die ungezügelte Mannigfaltigkeit über das Ideal von Einheit und Vollkommenheit. Hier bringen die Kürze, das Sprung- und Wechselhafte Heterogenes zusammen, was sich eigentlich nicht vergleichen lässt. Hier geht es ausdrücklich darum, die 100 rund und vollendet sein zu lassen, um ihr die unerfüllte 99 vorzuziehen. Und falls doch jemand die Frage stellen sollte, was die unausgesprochen bleibende Hauptsache der Porträtarbeit ist? Es ist die Literaturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, die gegenüber den individuellen Geschichten der einzelnen Autoren in Stellung gebracht wird. Oder es ist das Porträt des belesenen, überall und mit allen bekannten Porträtisten selbst, dessen Selbstdarstellung als einhundertstes Bildnis eines Überlebenskünstlers doch den Kreis schließen könnte. (Enzensberger, 1929 geboren, würde in der Chronik seines Buches neben Imre Kertész und Heiner Müller stehen, keine allzu schlechte Nachbarschaft.) Wer für den Charme dieses Buches etwas übrighat, sollte sich gezielt auf dessen wilde Unsystematik einlassen. Bei der selbstverständlich mit zum Konzept gehört, die ursprüngliche Fragestellung gezielt aus den Augen zu verlieren. Bei einzelnen Autoren spielt sie überhaupt keine Rolle. An mancher Stelle schnurrt sie auf einen einzelnen Satz zusammen wie: "Auf ein politisches ,Engagement' ließ er sich nicht ein." Aha, das ist also, was von den Überlebensstrategien zu lernen ist?

Letztlich sind Enzensbergers Lebensstenogramme nichts anderes als eine höchst individuelle, geradezu idiosynkratische Kollegenschau. Enzensberger wandelt durch die literarische Ahnengalerie wie andere vor ihm durch die Höllenkreise. Er tätschelt jenem die Backe, leiht diesem ein Ohr, wendet sich vom Dritten brüsk ab oder steckt einem Vierten noch eine freundliche Note zu. Lebendig wird es, wenn sich Enzensberger selbst in die Lebensläufe und Erzählungen verstrickt: Wie charmant, wenn er gesteht, in einem schwachen Moment eine Devotionalie von Knut Hamsun erstanden zu haben und sie bis heute in Ehren zu halten. Wie erhellend ist es, Enzensberger und Ryszard Kapuscinski beim Kauf eines Mantels zu begleiten, der für den polnischen Herodot nicht abgetragen genug sein kann. Wie entlarvend wird es, wenn der Augenzeuge Enzensberger berichtet, Sartre sei ihm in Moskau seinerzeit als anschmiegsamer Schweiger aufgefallen.

Amüsant, bissig und geradezu brillant werden die Vignetten, wenn ihr Verfasser gnadenlos subjektive Urteile über Biographie, Charakter und Werk der Porträtierten fällt. Da hagelt es schlechte Noten. Zu Elias Canettis "Die Blendung" heißt es schlicht, sie sei "quälend weitschweifig und erschreckend monoton". Der nächste Satz spitzt die Lage noch einmal zu: "Dennoch ist Canettis Scheitern denkwürdig". Fehlt nur noch, den Porträtierten mit einem letzten Schubser über den Klippenrand der Ungerechtigkeiten stürzen zu lassen: "Er war streitbar, geizig, eitel und von seiner Einmaligkeit überzeugt." Damit ist Canetti krachend auf dem Boden der Enzensbergerschen Tatsachen aufgeschlagen.

So gnadenlos das Urteil über Canetti ausfällt, so unumwunden kann Enzensberger andere Literaten bewundern, so kindlich kann er über ihre Leistungen staunen, so sorgsam kann er feine Details in ihrem Auftreten aufschimmern lassen, und so beherzt kann er seine Freunde wider jedwede Kritik verteidigen. Sein Ton ist hierbei - wie es für die gesamte Historiographie charakteristisch ist - frech und scharf und voller Chuzpe. Zum Teil wird er so schnodderig, dass man dem Geschriebenen zusehen kann, wie es ins Fehlerhafte kippt: "Das Unauffälligste an Pessoa war seine Unauffälligkeit." Da ist doch eher gemeint, dass an dem portugiesischen Großmeister literarischer Maskenspiele seine Unauffälligkeit ins Auge stach. Oder wenn es von Franz Jung in einem faustisch wirkenden Hysteron-Proteron heißt: "Er wurde zum zweiten Mal festgenommen, floh nach Breslau, wurde freigelassen und tauchte unter."

Wer geflohen ist, kann doch danach nicht auf freien Fuß gesetzt werden? Und warum sollte er nach einer Freilassung untertauchen? Man sieht bis in die feinsten Züge der Porträts hinein: Hier wird munter auf das Geordnete gepfiffen, aber mit so viel Enthusiasmus, dass die schräge Melodie sich doch in die Erinnerung eingräbt. Wenn das mal keine künstlerische Überlebensstrategie ist, von der sich was lernen lässt.

CHRISTIAN METZ

Hans Magnus Enzensberger: "Überlebenskünstler." 99 literarische Vignetten aus dem 20. Jahrhundert.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 367 S., geb., 24,- [Euro].

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