Oskar Huth (1918-1991) war über vier Jahrzehnte in Berliner Künstler- und Literatenkreisen geschätzt für seine treffend-skurrilen Wortprägungen."Statt dürrer historischer Daten, Zahlen, Fakten - prall erzähltes Leben. Atemlos liest man eine neuartige Dokumentation von Krieg und Nazi-Zeit - als Schelmenroman." (Rolf Michaelis, Theater heute)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2001Kriegsuntauglich, lebenswichtig
Oskar Huth und die Geschichte seines ungeplanten Widerstandes
Wer der Theorie oder dem Verdacht anhängt, daß das Produkt aus Lebensleistung und der von den jeweiligen Individuen darüber verbreiteten Interpretation konstant ist - die Faustregel dazu lautet: trübe Funzeln machen großen Lärm, Lichtgestalten flüstern -, der könnte den Fall des Oskar Huth als weiteren exemplarischen Beleg nehmen. Huth hat in den letzten Jahren der Nazizeit in Berlin Dutzenden verfolgter Menschen das Überleben ermöglicht und spricht ganz leise davon und auch von sich, während er sich seiner selbst immer wieder distanziert und reflektierend versichert.
Er hätte wohl auch ganz naiv und für einen 1918 Geborenen altersgemäß in der Hitlerjugend landen können, "wo doch das Angebot an Betriebsamkeit war", sinniert er, aber da war sein Vater, ein Orgel- und Klavierbauer, vor. So konstituierte er sich zunehmend als einzelner mit deutlichen handwerklichen und künstlerischen Talenten, was ihm einen Posten als wissenschaftlicher Zeichner am Botanischen Institut in Dahlem einbrachte, einer Einrichtung von mittelbarer Kriegswichtigkeit, weil dort unter anderem die Eignung von Moosen als Landserersatznahrung beforscht wurde.
Das verhinderte aber nicht Huths Einberufung zu einem Fliegerausbildungsregiment zum 1. September 1939. Nach zehn Tagen war er wieder entlassen und für ein Jahr zurückgestellt, denn Militärärzte hatten ihn als wehruntauglich eingestuft. Das war das von diesem Kurzzeitsoldaten angestrebte Ergebnis, erreicht durch einen konsequent betriebenen verdeckten Hungerstreik, dessen physische Folgen beim Rekruten Huth die Mediziner vor ein Rätsel stellten.
Den späteren zweiten Gestellungsbefehl kontert der dann nicht durch Gewichtsabnahme, sondern gleich durch Auflösung: Der Herr Huth fährt ins schon von Fliegerangriffen getroffene Ruhrgebiet und endet dort wohl als nicht identifiziertes Bombenopfer, denn einen Oskar Huth gibt es ab da nicht mehr. Ein diesem stark ähnelnder Mann kehrt zwar bald darauf wohlbehalten nach Berlin zurück, der heißt aber ausweislich seines Wehrpasses "Haupt" und wandelt nun möglichst auf anderen Wegen als der unauffindbare Gestellungspflichtige durch die Reichshauptstadt. Er nächtigt bei Freunden, bis ihm im März 1943 eine Bekannte namens Käte Kausel, die mit ihrer Tochter aufs Land zieht, ihre Wohnung in der Dillenburger Straße überläßt. Der dazugehörige Kellerraum wird bald darauf zur Werkstatt für Überlebenspapiere, denn auf einer halblegal erstandenen Handpresse produziert der neue Mieter Lebensmittelmarken und Blankoausweise, die Stempel schnitzt er sich selbst. Geplant war es so nicht: "Am Anfang der Illegalität hatte ich überhaupt keine Vorstellung, daß ich irgendeine Art von Widerstand ausüben oder in solchem Zusammenhang irgend jemand mal nützlich sein könnte."
Wie ein solches informelles Netz entstand, hat die kürzlich verstorbene Ilse-Margret Vogel in ihrer 1992 erschienenen Autobiographie "Bad Times, Good Friends" beschrieben. Nichthitleristen lernten, sich zu erkennen und bei Bedrohung die um Hilfe anzugehen, von denen man solche erhoffen konnte. Auf diese Weise kam Frau Vogel auch in Kontakt mit Herrn Haupt, und sie verbrachte mit ihm die letzten Tage der Eroberung Berlins durch die Rote Armee gemeinsam im Luftschutzkeller.
Frau Vogel bietet so die Außensicht einer Mitwisserin auf Oskar Huth, das letzte Kapitel ihres Buches heißt schlicht "Oskar". Es überschneidet sich in vielem mit Huths eigener Erzählung; die Innensicht dieser "Ein-Mann-Verschwörung" (Helmut Höge) kann naturgemäß nur er selbst bieten. Wie konnte es gelingen, daß ein arbeitsloser Deserteur mit Fälscherwerkstatt, aus der unter anderen ein Mitverschwörer des 20. Juli, Ludwig von Hammerstein, mit neuer Identität versorgt wurde, und der auf täglichen Fußmärschen ein weites Netz von Abgetauchten mit Butter, erstanden mit gefälschten Lebensmittelmarken, belieferte, nicht in die Fänge der Nazis geriet? Und wenn doch, dann auf fast wundersame Weise wieder hinaus? "Es hing natürlich alles am seidenen Faden", sagt Oskar Huth und hat eine Hypothese anzubieten: "Was mir geholfen haben muß, durchzukommen, ist wohl, daß mich die Leute hinsichtlich meiner Nervenfestigkeit, meiner physischen Kraft und (wenn ich's mal ein bißchen eitel sagen darf) auch, was die Sache eines gewissen Witzes angeht, unterschätzt haben."
Aber warum sollte man auch Verdacht schöpfen gegenüber einem schmächtigen Mann, der jeden Morgen das Haus verließ in Richtung Botanisches Institut - in dem man einen Herrn Haupt gar nicht kannte und sich vielleicht kaum noch erinnerte, daß dort vor Jahren ein Herr Huth gearbeitet hatte - und der abends mit "Heil Hitler" den Luftschutzraum betrat, um sich dann nebenan, auch wenn die Bomben fielen, an seiner Druckerpresse offensichtlich kriegswichtig zu schaffen machte, denn sichtbar waren immer nur Blätter aus dem botanischen Umfeld?
Oskar Huth hat den deutschen Faschismus überlebt und auch die gewalttätigen Exzesse - "ach, es war Wahnsinn" - von Soldaten der Roten Armee und wurde integraler Bestandteil der Nachkriegs-Künstlerboheme in Berlin mit Zentrum in Kreuzberg. Seine selbstgewählte Berufsbezeichnung dort war "freischaffender Kunsttrinker", zahlreiche ebenfalls dem "Erfrischungswesen" zugetane Schriftsteller haben ihm literarisch Reverenz erwiesen. Er starb vor zehn Jahren und hat seinen gelebten Schelmenroman "Überlebenslauf" so nie geschrieben.
Daß man ihn gleichwohl lesen kann, verdankt sich der Arbeit seines jahrzehntelangen Weggefährten Alf Trenk, Pressezeichner und zehn Jahre jünger als Huth. Der hat den Text aus vielen Tonbändern destilliert und Huth damit wunderbar zum (meist druckreifen) Sprechen gebracht. Erstmals erschien er 1994 als erster Teil eines ebenfalls "Überlebenslauf" genannten "Privatdrucks für den Freundeskreis". Wer ihn jetzt, allgemein zugänglich, liest, wird schmerzlich bedauern, diesem Kreis nicht angehört zu haben. Denn er begegnet mit ihm fast intim - "es hört uns doch keiner zu?" - einem "ungewöhnlichen Zeitgenossen", der einem, an einem Küchen- oder Kneipentisch, seine Geschichte erzählt, voller Eigensinn, Menschlichkeit und Courage. Und das nicht, weil er sich produzieren will, sondern weil man ihn darum gebeten hat. Dieses kleine Buch in wenig repräsentativem Gewande ist ein großes Geschenk.
BURKHARD SCHERER
Oskar Huth: "Überlebenslauf". Herausgegeben von Alf Trenk. Merve Verlag, Berlin 2001. 158 S., br., 24,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Oskar Huth und die Geschichte seines ungeplanten Widerstandes
Wer der Theorie oder dem Verdacht anhängt, daß das Produkt aus Lebensleistung und der von den jeweiligen Individuen darüber verbreiteten Interpretation konstant ist - die Faustregel dazu lautet: trübe Funzeln machen großen Lärm, Lichtgestalten flüstern -, der könnte den Fall des Oskar Huth als weiteren exemplarischen Beleg nehmen. Huth hat in den letzten Jahren der Nazizeit in Berlin Dutzenden verfolgter Menschen das Überleben ermöglicht und spricht ganz leise davon und auch von sich, während er sich seiner selbst immer wieder distanziert und reflektierend versichert.
Er hätte wohl auch ganz naiv und für einen 1918 Geborenen altersgemäß in der Hitlerjugend landen können, "wo doch das Angebot an Betriebsamkeit war", sinniert er, aber da war sein Vater, ein Orgel- und Klavierbauer, vor. So konstituierte er sich zunehmend als einzelner mit deutlichen handwerklichen und künstlerischen Talenten, was ihm einen Posten als wissenschaftlicher Zeichner am Botanischen Institut in Dahlem einbrachte, einer Einrichtung von mittelbarer Kriegswichtigkeit, weil dort unter anderem die Eignung von Moosen als Landserersatznahrung beforscht wurde.
Das verhinderte aber nicht Huths Einberufung zu einem Fliegerausbildungsregiment zum 1. September 1939. Nach zehn Tagen war er wieder entlassen und für ein Jahr zurückgestellt, denn Militärärzte hatten ihn als wehruntauglich eingestuft. Das war das von diesem Kurzzeitsoldaten angestrebte Ergebnis, erreicht durch einen konsequent betriebenen verdeckten Hungerstreik, dessen physische Folgen beim Rekruten Huth die Mediziner vor ein Rätsel stellten.
Den späteren zweiten Gestellungsbefehl kontert der dann nicht durch Gewichtsabnahme, sondern gleich durch Auflösung: Der Herr Huth fährt ins schon von Fliegerangriffen getroffene Ruhrgebiet und endet dort wohl als nicht identifiziertes Bombenopfer, denn einen Oskar Huth gibt es ab da nicht mehr. Ein diesem stark ähnelnder Mann kehrt zwar bald darauf wohlbehalten nach Berlin zurück, der heißt aber ausweislich seines Wehrpasses "Haupt" und wandelt nun möglichst auf anderen Wegen als der unauffindbare Gestellungspflichtige durch die Reichshauptstadt. Er nächtigt bei Freunden, bis ihm im März 1943 eine Bekannte namens Käte Kausel, die mit ihrer Tochter aufs Land zieht, ihre Wohnung in der Dillenburger Straße überläßt. Der dazugehörige Kellerraum wird bald darauf zur Werkstatt für Überlebenspapiere, denn auf einer halblegal erstandenen Handpresse produziert der neue Mieter Lebensmittelmarken und Blankoausweise, die Stempel schnitzt er sich selbst. Geplant war es so nicht: "Am Anfang der Illegalität hatte ich überhaupt keine Vorstellung, daß ich irgendeine Art von Widerstand ausüben oder in solchem Zusammenhang irgend jemand mal nützlich sein könnte."
Wie ein solches informelles Netz entstand, hat die kürzlich verstorbene Ilse-Margret Vogel in ihrer 1992 erschienenen Autobiographie "Bad Times, Good Friends" beschrieben. Nichthitleristen lernten, sich zu erkennen und bei Bedrohung die um Hilfe anzugehen, von denen man solche erhoffen konnte. Auf diese Weise kam Frau Vogel auch in Kontakt mit Herrn Haupt, und sie verbrachte mit ihm die letzten Tage der Eroberung Berlins durch die Rote Armee gemeinsam im Luftschutzkeller.
Frau Vogel bietet so die Außensicht einer Mitwisserin auf Oskar Huth, das letzte Kapitel ihres Buches heißt schlicht "Oskar". Es überschneidet sich in vielem mit Huths eigener Erzählung; die Innensicht dieser "Ein-Mann-Verschwörung" (Helmut Höge) kann naturgemäß nur er selbst bieten. Wie konnte es gelingen, daß ein arbeitsloser Deserteur mit Fälscherwerkstatt, aus der unter anderen ein Mitverschwörer des 20. Juli, Ludwig von Hammerstein, mit neuer Identität versorgt wurde, und der auf täglichen Fußmärschen ein weites Netz von Abgetauchten mit Butter, erstanden mit gefälschten Lebensmittelmarken, belieferte, nicht in die Fänge der Nazis geriet? Und wenn doch, dann auf fast wundersame Weise wieder hinaus? "Es hing natürlich alles am seidenen Faden", sagt Oskar Huth und hat eine Hypothese anzubieten: "Was mir geholfen haben muß, durchzukommen, ist wohl, daß mich die Leute hinsichtlich meiner Nervenfestigkeit, meiner physischen Kraft und (wenn ich's mal ein bißchen eitel sagen darf) auch, was die Sache eines gewissen Witzes angeht, unterschätzt haben."
Aber warum sollte man auch Verdacht schöpfen gegenüber einem schmächtigen Mann, der jeden Morgen das Haus verließ in Richtung Botanisches Institut - in dem man einen Herrn Haupt gar nicht kannte und sich vielleicht kaum noch erinnerte, daß dort vor Jahren ein Herr Huth gearbeitet hatte - und der abends mit "Heil Hitler" den Luftschutzraum betrat, um sich dann nebenan, auch wenn die Bomben fielen, an seiner Druckerpresse offensichtlich kriegswichtig zu schaffen machte, denn sichtbar waren immer nur Blätter aus dem botanischen Umfeld?
Oskar Huth hat den deutschen Faschismus überlebt und auch die gewalttätigen Exzesse - "ach, es war Wahnsinn" - von Soldaten der Roten Armee und wurde integraler Bestandteil der Nachkriegs-Künstlerboheme in Berlin mit Zentrum in Kreuzberg. Seine selbstgewählte Berufsbezeichnung dort war "freischaffender Kunsttrinker", zahlreiche ebenfalls dem "Erfrischungswesen" zugetane Schriftsteller haben ihm literarisch Reverenz erwiesen. Er starb vor zehn Jahren und hat seinen gelebten Schelmenroman "Überlebenslauf" so nie geschrieben.
Daß man ihn gleichwohl lesen kann, verdankt sich der Arbeit seines jahrzehntelangen Weggefährten Alf Trenk, Pressezeichner und zehn Jahre jünger als Huth. Der hat den Text aus vielen Tonbändern destilliert und Huth damit wunderbar zum (meist druckreifen) Sprechen gebracht. Erstmals erschien er 1994 als erster Teil eines ebenfalls "Überlebenslauf" genannten "Privatdrucks für den Freundeskreis". Wer ihn jetzt, allgemein zugänglich, liest, wird schmerzlich bedauern, diesem Kreis nicht angehört zu haben. Denn er begegnet mit ihm fast intim - "es hört uns doch keiner zu?" - einem "ungewöhnlichen Zeitgenossen", der einem, an einem Küchen- oder Kneipentisch, seine Geschichte erzählt, voller Eigensinn, Menschlichkeit und Courage. Und das nicht, weil er sich produzieren will, sondern weil man ihn darum gebeten hat. Dieses kleine Buch in wenig repräsentativem Gewande ist ein großes Geschenk.
BURKHARD SCHERER
Oskar Huth: "Überlebenslauf". Herausgegeben von Alf Trenk. Merve Verlag, Berlin 2001. 158 S., br., 24,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Oskar Huths "Überlebensroman", der dank des "jahrzehntelangen Weggefährten Alf Trenk" nun posthum erscheinen konnte, erachtet Burkhard Scherer schlichtweg für ein "Geschenk". Anhand von Huths "meist druckreifen" Tonbandaufnahmen konnte der Roman rekonstruiert werden, der seine Geschichte erzählt, berichtet Scherer. Oskar Huth, der in Berlin am Botanischen Institut arbeitete, gründete während des zweiten Weltkriegs unter falscher Identität in Berlin eine "Fälscherwerkstatt", in der er Lebensmittelmarken und Blankoausweise herstellte, so dass ihm Viele von den Nazis Verfolgte das Leben verdanken. Eine Art "Schelmenroman" sei Huths Werk, das den Leser dank Trenk nun auf "fast intime" Art und Weise mit dem verstorbenen Autor in Berührung kommen lasse. Nach dem Krieg schloss sich Huth der künstlerischen Boheme in Berlin an, erzählt Scherer. Seine Berufsbezeichnung? "Freischaffender Kunsttrinker".
© Perlentaucher Medien GmbH
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