Etwa 200 000 jüdische Überlebende des Holocaust verbrachten die ersten Nachkriegsjahre als "displaced persons" auf (west-)deutschem und österreichischem Boden. Sie waren in Auffanglagern untergebracht, die den Militärbehörden unterstanden, und warteten auf die Möglichkeit nach Palästina bzw. in die USA auszuwandern.
Während dieser Wartezeit schufen sie sich kleine, selbstverwaltete Enklaven. Hier gaben sie Zeitungen in jiddischer Sprache heraus, spielten jiddische Bühnenklassiker, unterrichteten Kinder und Jugendliche. Die Beiträge dieses Jahrbuchs bieten einen Überblick über die Geschichte dieser Menschen.
Während dieser Wartezeit schufen sie sich kleine, selbstverwaltete Enklaven. Hier gaben sie Zeitungen in jiddischer Sprache heraus, spielten jiddische Bühnenklassiker, unterrichteten Kinder und Jugendliche. Die Beiträge dieses Jahrbuchs bieten einen Überblick über die Geschichte dieser Menschen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.1997Wie Schmutz zusammengekehrt
Zwei Bücher über das Schicksal der deutschen Juden
John Dippel: Die große Illusion. Warum deutsche Juden ihre Heimat nicht verlassen wollten. Beltz Quadriga Verlag, Weinheim und Berlin 1997. 538 Seiten, 58,- Mark.
Fritz Bauer Institut (Herausgeber): Überlebt und unterwegs. Jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1997. 381 Seiten, Abbildungen, 48,- Mark.
Epochenlang waren die Juden eingepfercht in Ghettogassen, bis die Aufklärung wie ein erlösender Donner über Europa rollte und es aus seiner Trägheit weckte. Jüdische intellektuelle Energie verband sich mit der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft, nährte, belebte und erfrischte sie: kein Feld, auf dem Juden nicht führend, ordnend, lehrend und gestaltend mitgewirkt hätten. Als Fremde fühlten sie sich längst nicht mehr. Im Gegenteil, sie waren Deutsche durch und durch - mindestens, seitdem man von Deutschen spricht, trotz schwelenden Judenhasses und gelegentlich aufflammendem Antisemitismus'.
Hitler zerstörte das kreative Miteinander, vernichtete die Gemeinschaft endgültig und machte aus Staatsbürgern entrechtete Außenseiter. Ferner vermochte er den Glauben an die vermeintlich jüdische Fremdheit ins deutsche Bewußtsein zu drängen. Dort haust er noch heute, läßt selbst moderne Historiker von "Deutschen und Juden" wie vom "jüdischen Beitrag zur deutschen Kultur" sprechen. Viele wundern sich, einige fragen sich sogar, warum die Juden Deutschland nicht früher verlassen haben. Sie übersehen, wie verwurzelt die jüdischen Deutschen in ihrer Heimat waren, und verbinden deutsches Judentum stets mit den Vernichtungslagern. John Dippel enthält sich solcher Überheblichkeit. Die Kluft zwischen dem, was Juden damals wußten, und dem, was wir heute wissen, "ist so bodenlos wie die Hölle, in die sie während der Hitlerzeit geworfen wurden", pflichtet er einer Kollegin bei. Der amerikanische Historiker will die jüdischen Deutschen verstehen, nicht verurteilen. Er hört allein auf die Stimmen der Vergangenheit und nimmt sie so ernst wie möglich. Auf diese Weise gelingt es ihm, die Juden in ihren Zeitverhältnissen darzustellen, ihre Ansichten und Gefühle, ihre Hoffnungen und Ängste, ihre Liebe zur Heimat und das innige Verwobensein in die Kultur ihres Landes hervorzuheben. Da drückt man schon mal ein Auge zu, wenn nicht jedes angegebene Datum den Tag genau trifft oder der Autor Berliner Straßennamen verdreht. Zumal Dippel die Lage der Juden atmosphärisch dicht wiederzugeben weiß. Sein Mittel ist die Parallelbiographie. Anhand von sechs Lebensgeschichten schildert er den Weg des deutschen Judentums bis in die Vernichtungslager - doch nicht vom Blickpunkt Auschwitz, sondern auf die damalige Gegenwart bezogen, quasi ohne um die Zukunft zu wissen.
Keiner der sechs dachte jemals daran, Deutschland zu verlassen - weder der berühmte Chemiker Richard Willstätter noch Leo Baeck, weder der Bankier Max Warburg noch die Gesellschaftskolumnistin Bella Fromm und sogar der Zionist Robert Weltsch nicht, vom Jugendführer und völkischen Hitzkopf Hans-Joachim Schoeps zu schweigen. Allesamt waren sie nicht bloß im deutschen Sprachraum aufgewachsen, ihre Familien lebten seit Generationen dort. "Sie waren Kinder eines für jüdische Verhältnisse goldenen Zeitalters." Gemeinsam war ihnen nur der Glaube und die Liebe zum Vaterland. Die Juden bildeten ja längst keinen Verbund mehr, betont Dippel zu Recht. Erst Hitler und seine Schergen kehrten sie wie Schmutz zusammen und zwangen ihnen eine Gemeinsamkeit auf, die sie bis dahin nicht gekannt hatten, nämlich ausgestoßen zu sein. Das freilich hinderte sie nicht daran, weiter an die Heimat zu glauben und zu hoffen, die Regierung werde Vernunft annehmen. Nur deshalb weigerten sie sich beständig, die Emigration zu planen. "Ich weiß, daß Deutschland verrückt geworden ist, aber wenn eine Mutter krank wird, ist das für ihr Kind kein Grund, sie zu verlassen", schrieb Richard Willstätter trotzig. Und auch für Leo Baeck bestand kein Zweifel: Deutsche Juden "können diese endlose Geschlechterkette, die sie an die Vergangenheit bindet, ebensowenig durchbrechen, wie sie ihren Bund mit Gott lösen können".
Rhetorische Attacken, Verhaftungen und Exzesse beantworteten die Juden mit Treueschwüren und nationalen Bekenntnissen. Hans-Joachim Schoeps hielt die antisemitischen Ausfälle und Gesetze der Regierung sogar für eine "Art Prüfstein der jüdischen Vaterlandstreue". "Wir liquidieren heute die Epoche 1812 bis 1933", erklärte er nach dem Boykott gegen jüdische Geschäfte im April 1933. "An diesem geschichtlichen Wendepunkt beginnt überhaupt erst der Kampf um die rechte Eingliederung der jüdischen Deutschen in das neue Deutschland, das heute zu sich selbst findet" - eine Auseinandersetzung, die Schoeps durch unterwürfige Gesuche an Hitler und den Vorschlag zur Gründung eines jüdischen "Nationalparks" auf deutschem Boden zu gewinnen trachtete.
Doch Willfährigkeit half so wenig wie Widerstand. Jahr für Jahr nahmen die Entbehrungen zu, stieg die Zahl der willkürlichen Verhaftungen. Mit der Reichskristallnacht mußten selbst Optimisten eingestehen: Juden hatten aufgehört, Deutsche zu sein. Bis zum 9. November 1938 hatte ein Drittel von ihnen das Land verlassen. Nun brach alles auf, was Geld, Visum und Kraft besaß. "Ich hänge mit allen Fasern an meiner Heimat, und doch merke ich deutlich, daß es für uns keinen Weg zurück gibt", erklärte Bella Fromm verbittert. Max Warburg und Richard Willstätter teilten dieses Empfinden. Sie verließen das Land unversehrt, doch seelisch gebrochen. Hans-Joachim Schoeps hoffte in Stockholm auf Rückkehr, während Robert Weltsch in Palästina das Heimweh plagte. Einzig Leo Baeck blieb. Als faktisches Oberhaupt der Juden betrachtete er es als seine Pflicht, zu gehen, "wenn ich der letzte lebende Jude in Deutschland bin". Das deutsche Judentum war da schon untergegangen, die schöpferische Gemeinschaft längst vernichtet.
Jüdisches Leben kehrte dennoch nach Deutschland zurück, freilich in anderer, nicht mehr zu vergleichender Form. Ausgerechnet das Land der Täter wurde Hort und Herberge vornehmlich osteuropäisch-jüdischer Flüchtlinge. Etwa fünfzigtausend Juden erlebten ihre Befreiung in den Konzentrationslagern auf deutschem Gebiet. Nur wenige von ihnen dachten daran, heimzukehren. Neue Pogrome in Krakau und Kielce ließen die Sehnsucht nach Orten der Kindheit schwinden. Während acht Millionen verschleppter Russen, Polen und Ukrainer nach 1945 ostwärts zogen, blieben die Juden zurück. Zu ihnen gesellten sich über hunderttausend polnische, tschechische und ungarische Glaubensbrüder. Sie hofften, von Deutschland aus leichter nach Palästina zu kommen. Die Engländer aber waren nicht gewillt, jüdische Flüchtlinge in ihr Mandatsgebiet reisen zu lassen. Aus Jerusalem, Haifa und Akko wurden Landsberg, Lechfeld und Leipheim, Städte, in denen Lager mit mehr als zweitausend jüdischen Displaced Persons entstanden.
Ihr Schicksal untersuchen sechzehn Geisteswissenschaftler in einem flüchtig redigierten Sammelband des Fritz Bauer Institutes. Das Buch teilt das Los vieler Aufsatzsammlungen: Es gleicht einem Kantinenessen am Wochenende, in dem Übriggebliebenes zum Resteallerlei vermengt wurde. Nur Dan Diners Beitrag ragt wie Rinderhesse aus dem Eintopf. Der israelische Historiker bleibt nicht nur beim Thema, er unterstreicht die historische Bedeutung der Displaced Persons für die jüdische Geschichte. Glaubt man Diner, bahnte sich die unmittelbare Gründung Israels in Süddeutschland an, weil in den jüdischen Flüchtlingslagern erstmals alle Elemente der Staatsbildung zusammenkamen: die Anerkennung der Juden als Volk neben den polnischen, ukrainischen und russischen Displaced Persons, die moralische Wucht des Holocaust als Anstoß, den Juden ein Land zu geben; und der Wechsel der politischen Verantwortung von den Briten auf die Amerikaner, die jüdische Belange in Palästina unterstützten und auf London Druck ausübten, um das Flüchtlingsproblem zu lösen.
Mit der Gründung des jüdischen Staates verließen die meisten Juden den deutschen Wartesaal. Zurück blieb eine kleine Gemeinde, die sich erst heute, Schritt für Schritt, aus den Trümmern der Vergangenheit erhebt. Mit dem deutschen Judentum von einst hat sie nicht viel gemein. JACQUES SCHUSTER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Bücher über das Schicksal der deutschen Juden
John Dippel: Die große Illusion. Warum deutsche Juden ihre Heimat nicht verlassen wollten. Beltz Quadriga Verlag, Weinheim und Berlin 1997. 538 Seiten, 58,- Mark.
Fritz Bauer Institut (Herausgeber): Überlebt und unterwegs. Jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1997. 381 Seiten, Abbildungen, 48,- Mark.
Epochenlang waren die Juden eingepfercht in Ghettogassen, bis die Aufklärung wie ein erlösender Donner über Europa rollte und es aus seiner Trägheit weckte. Jüdische intellektuelle Energie verband sich mit der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft, nährte, belebte und erfrischte sie: kein Feld, auf dem Juden nicht führend, ordnend, lehrend und gestaltend mitgewirkt hätten. Als Fremde fühlten sie sich längst nicht mehr. Im Gegenteil, sie waren Deutsche durch und durch - mindestens, seitdem man von Deutschen spricht, trotz schwelenden Judenhasses und gelegentlich aufflammendem Antisemitismus'.
Hitler zerstörte das kreative Miteinander, vernichtete die Gemeinschaft endgültig und machte aus Staatsbürgern entrechtete Außenseiter. Ferner vermochte er den Glauben an die vermeintlich jüdische Fremdheit ins deutsche Bewußtsein zu drängen. Dort haust er noch heute, läßt selbst moderne Historiker von "Deutschen und Juden" wie vom "jüdischen Beitrag zur deutschen Kultur" sprechen. Viele wundern sich, einige fragen sich sogar, warum die Juden Deutschland nicht früher verlassen haben. Sie übersehen, wie verwurzelt die jüdischen Deutschen in ihrer Heimat waren, und verbinden deutsches Judentum stets mit den Vernichtungslagern. John Dippel enthält sich solcher Überheblichkeit. Die Kluft zwischen dem, was Juden damals wußten, und dem, was wir heute wissen, "ist so bodenlos wie die Hölle, in die sie während der Hitlerzeit geworfen wurden", pflichtet er einer Kollegin bei. Der amerikanische Historiker will die jüdischen Deutschen verstehen, nicht verurteilen. Er hört allein auf die Stimmen der Vergangenheit und nimmt sie so ernst wie möglich. Auf diese Weise gelingt es ihm, die Juden in ihren Zeitverhältnissen darzustellen, ihre Ansichten und Gefühle, ihre Hoffnungen und Ängste, ihre Liebe zur Heimat und das innige Verwobensein in die Kultur ihres Landes hervorzuheben. Da drückt man schon mal ein Auge zu, wenn nicht jedes angegebene Datum den Tag genau trifft oder der Autor Berliner Straßennamen verdreht. Zumal Dippel die Lage der Juden atmosphärisch dicht wiederzugeben weiß. Sein Mittel ist die Parallelbiographie. Anhand von sechs Lebensgeschichten schildert er den Weg des deutschen Judentums bis in die Vernichtungslager - doch nicht vom Blickpunkt Auschwitz, sondern auf die damalige Gegenwart bezogen, quasi ohne um die Zukunft zu wissen.
Keiner der sechs dachte jemals daran, Deutschland zu verlassen - weder der berühmte Chemiker Richard Willstätter noch Leo Baeck, weder der Bankier Max Warburg noch die Gesellschaftskolumnistin Bella Fromm und sogar der Zionist Robert Weltsch nicht, vom Jugendführer und völkischen Hitzkopf Hans-Joachim Schoeps zu schweigen. Allesamt waren sie nicht bloß im deutschen Sprachraum aufgewachsen, ihre Familien lebten seit Generationen dort. "Sie waren Kinder eines für jüdische Verhältnisse goldenen Zeitalters." Gemeinsam war ihnen nur der Glaube und die Liebe zum Vaterland. Die Juden bildeten ja längst keinen Verbund mehr, betont Dippel zu Recht. Erst Hitler und seine Schergen kehrten sie wie Schmutz zusammen und zwangen ihnen eine Gemeinsamkeit auf, die sie bis dahin nicht gekannt hatten, nämlich ausgestoßen zu sein. Das freilich hinderte sie nicht daran, weiter an die Heimat zu glauben und zu hoffen, die Regierung werde Vernunft annehmen. Nur deshalb weigerten sie sich beständig, die Emigration zu planen. "Ich weiß, daß Deutschland verrückt geworden ist, aber wenn eine Mutter krank wird, ist das für ihr Kind kein Grund, sie zu verlassen", schrieb Richard Willstätter trotzig. Und auch für Leo Baeck bestand kein Zweifel: Deutsche Juden "können diese endlose Geschlechterkette, die sie an die Vergangenheit bindet, ebensowenig durchbrechen, wie sie ihren Bund mit Gott lösen können".
Rhetorische Attacken, Verhaftungen und Exzesse beantworteten die Juden mit Treueschwüren und nationalen Bekenntnissen. Hans-Joachim Schoeps hielt die antisemitischen Ausfälle und Gesetze der Regierung sogar für eine "Art Prüfstein der jüdischen Vaterlandstreue". "Wir liquidieren heute die Epoche 1812 bis 1933", erklärte er nach dem Boykott gegen jüdische Geschäfte im April 1933. "An diesem geschichtlichen Wendepunkt beginnt überhaupt erst der Kampf um die rechte Eingliederung der jüdischen Deutschen in das neue Deutschland, das heute zu sich selbst findet" - eine Auseinandersetzung, die Schoeps durch unterwürfige Gesuche an Hitler und den Vorschlag zur Gründung eines jüdischen "Nationalparks" auf deutschem Boden zu gewinnen trachtete.
Doch Willfährigkeit half so wenig wie Widerstand. Jahr für Jahr nahmen die Entbehrungen zu, stieg die Zahl der willkürlichen Verhaftungen. Mit der Reichskristallnacht mußten selbst Optimisten eingestehen: Juden hatten aufgehört, Deutsche zu sein. Bis zum 9. November 1938 hatte ein Drittel von ihnen das Land verlassen. Nun brach alles auf, was Geld, Visum und Kraft besaß. "Ich hänge mit allen Fasern an meiner Heimat, und doch merke ich deutlich, daß es für uns keinen Weg zurück gibt", erklärte Bella Fromm verbittert. Max Warburg und Richard Willstätter teilten dieses Empfinden. Sie verließen das Land unversehrt, doch seelisch gebrochen. Hans-Joachim Schoeps hoffte in Stockholm auf Rückkehr, während Robert Weltsch in Palästina das Heimweh plagte. Einzig Leo Baeck blieb. Als faktisches Oberhaupt der Juden betrachtete er es als seine Pflicht, zu gehen, "wenn ich der letzte lebende Jude in Deutschland bin". Das deutsche Judentum war da schon untergegangen, die schöpferische Gemeinschaft längst vernichtet.
Jüdisches Leben kehrte dennoch nach Deutschland zurück, freilich in anderer, nicht mehr zu vergleichender Form. Ausgerechnet das Land der Täter wurde Hort und Herberge vornehmlich osteuropäisch-jüdischer Flüchtlinge. Etwa fünfzigtausend Juden erlebten ihre Befreiung in den Konzentrationslagern auf deutschem Gebiet. Nur wenige von ihnen dachten daran, heimzukehren. Neue Pogrome in Krakau und Kielce ließen die Sehnsucht nach Orten der Kindheit schwinden. Während acht Millionen verschleppter Russen, Polen und Ukrainer nach 1945 ostwärts zogen, blieben die Juden zurück. Zu ihnen gesellten sich über hunderttausend polnische, tschechische und ungarische Glaubensbrüder. Sie hofften, von Deutschland aus leichter nach Palästina zu kommen. Die Engländer aber waren nicht gewillt, jüdische Flüchtlinge in ihr Mandatsgebiet reisen zu lassen. Aus Jerusalem, Haifa und Akko wurden Landsberg, Lechfeld und Leipheim, Städte, in denen Lager mit mehr als zweitausend jüdischen Displaced Persons entstanden.
Ihr Schicksal untersuchen sechzehn Geisteswissenschaftler in einem flüchtig redigierten Sammelband des Fritz Bauer Institutes. Das Buch teilt das Los vieler Aufsatzsammlungen: Es gleicht einem Kantinenessen am Wochenende, in dem Übriggebliebenes zum Resteallerlei vermengt wurde. Nur Dan Diners Beitrag ragt wie Rinderhesse aus dem Eintopf. Der israelische Historiker bleibt nicht nur beim Thema, er unterstreicht die historische Bedeutung der Displaced Persons für die jüdische Geschichte. Glaubt man Diner, bahnte sich die unmittelbare Gründung Israels in Süddeutschland an, weil in den jüdischen Flüchtlingslagern erstmals alle Elemente der Staatsbildung zusammenkamen: die Anerkennung der Juden als Volk neben den polnischen, ukrainischen und russischen Displaced Persons, die moralische Wucht des Holocaust als Anstoß, den Juden ein Land zu geben; und der Wechsel der politischen Verantwortung von den Briten auf die Amerikaner, die jüdische Belange in Palästina unterstützten und auf London Druck ausübten, um das Flüchtlingsproblem zu lösen.
Mit der Gründung des jüdischen Staates verließen die meisten Juden den deutschen Wartesaal. Zurück blieb eine kleine Gemeinde, die sich erst heute, Schritt für Schritt, aus den Trümmern der Vergangenheit erhebt. Mit dem deutschen Judentum von einst hat sie nicht viel gemein. JACQUES SCHUSTER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main