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Postzensur und Telefon- und Internetüberwachung sind Kennzeichen autoritärer Staaten und Diktaturen. Der NSA-Abhörskandal beweist jedoch, dass auch in westlichen Demokratien großflächig abgehört und spioniert wird. Die Grundlagen für die Spionage der USA auf deutschem Boden bestehen bereits seit den 1950er-Jahren. Massenweise Postsendungen wurden geöffnet, beschlagnahmt und vernichtet, allein 100 Millionen aus der DDR. Josef Foschepoth zeigt: Die Bundesrepublik war ein straff organisierter und effizient arbeitender Überwachungsstaat. Dieses Buch ist nicht nur die erste wissenschaftlich…mehr

Produktbeschreibung
Postzensur und Telefon- und Internetüberwachung sind Kennzeichen autoritärer Staaten und Diktaturen. Der NSA-Abhörskandal beweist jedoch, dass auch in westlichen Demokratien großflächig abgehört und spioniert wird. Die Grundlagen für die Spionage der USA auf deutschem Boden bestehen bereits seit den 1950er-Jahren. Massenweise Postsendungen wurden geöffnet, beschlagnahmt und vernichtet, allein 100 Millionen aus der DDR. Josef Foschepoth zeigt: Die Bundesrepublik war ein straff organisierter und effizient arbeitender Überwachungsstaat. Dieses Buch ist nicht nur die erste wissenschaftlich fundierte Geschichte der Überwachung des Post- und Telefonverkehrs in der alten Bundesrepublik, es liefert auch die historischen Hintergründe des aktuellen Geheimdienst-Skandals.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2012

Mehr Staat wagen, nicht viel fragen?
Josef Foschepoth deckt die Post- und Telefonüberwachung der Bonner Republik auf

Ein brisantes Thema, aufbereitet mit endlich freigegeben Verschlusssachen: Josef Foschepoth, der an einem Projekt über die KPD im Kalten Krieg arbeitet, stieß bei Recherchen auf Akten über die Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses in der frühen Bonner Republik. Dazu legt er nun eine Monographie mit Dokumenten-Teil vor, die größte Aufmerksamkeit verdient. Allerdings liest sich das Buch über weite Strecken eher wie ein juristisches Gesellenstück, und manche Wiederholungen und Zuspitzungen ermüden. Unverständlich ist vor allem, warum sich Verlag und Autor um ein Personen- und Sachregister drücken - so als ob die als Sensation angekündigten Ergebnisse doch vor dem Leser verborgen, ihm keine Orientierungen geboten werden sollten.

Bis Anfang der siebziger Jahre wurden nachweislich über 100 Millionen Postsendungen aus der DDR beschlagnahmt, geöffnet und großenteils vernichtet. Hinzu kam solche Post, die in der Bundesrepublik aufgegeben wurde und nicht näher quantifizierbar ist: "Sie dürfte um die 100.000 Postsendungen pro Jahr, mal mehr, mal weniger, betragen haben." Auf welche Gesetze et cetera stützte sich die Post- und Telefonüberwachung? Der Freiburger Zeithistoriker gibt eine klare Antwort: auf alliiertes Besatzungsrecht. Aus der Sicht von Washington, London und Paris galt bei der Einbeziehung Bonns in das westliche Verteidigungsbündnis, "das Interesse an Sicherheit vor Deutschland mit dem Interesse an mehr Sicherheit mit Deutschland in Einklang zu bringen".

Bei den Pariser Konferenzen 1954 behielten sich die einstigen Siegermächte nicht nur ihre Rechte in Berlin und für Deutschland als Ganzes sowie zur Truppenstationierung und zur Erklärung des Notstandes vor, sondern zudem den Überwachungsvorbehalt (um den in- und ausländischen Post- und Fernmeldeverkehr in der Bundesrepublik weiterhin zu kontrollieren) und den Geheimdienstvorbehalt (um die alliierten Geheimdienste mit Unterstützung des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegebenenfalls außerhalb des deutschen Rechts zu stellen). Die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte dieser kaum oder nicht bekannten Vorbehalte deckt Foschepoth auf. Sein Vorwurf an Konrad Adenauer lautet: "Der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland hatte sich über das Grundgesetz, das in Artikel 10 das Post- und Fernmeldegeheimnis für unverletzlich erklärte, hinweggesetzt und es mit seiner Zustimmung zu einem Vorbehaltsrecht der drei Westmächte und damit zu einer überkonstitutionellen Norm erklären lassen."

Allein für das Jahr 1957 könne man von über fünf Millionen überwachten Telefonaten und von "in die Millionen gehenden mitgeschriebenen Fernschreiben" durch die Westalliierten ausgehen - meist durch Amerikaner und "unter Mithilfe" von Westdeutschen. Die Zahl der aus dem Verkehr gezogenen Postsendungen aus der DDR von 1955 bis 1972 belaufe sich auf insgesamt 109,26 Millionen. Erst die Unterzeichnung der Ostverträge und einer deutsch-deutschen Vereinbarung schuf 1972 ein neues Klima mit der "Reduzierung staatsfeindlicher Propaganda auf beiden Seiten". Foschepoth beurteilt das politische System der fünfziger und sechziger Jahre als "Staatsdemokratie", die "nicht nur das Werk des Kanzlers oder Folge bestimmter autoritärer Denk- und Verhaltensweisen war, sondern auch und vor allem Ergebnis struktureller Prägungen und historischer Erfahrungen der in die Schlüsselstellungen des Staates gelangenden neuen beziehungsweise alten Machteliten war". Der Schutz des Staates habe Priorität besessen und sei als das höherwertige Rechtsgut angesehen worden.

Im Jahr 1968 wurden von der Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger (CDU) und Willy Brandt (SPD) die Notstandsgesetze und das G-10-Gesetz parallel verabschiedet. Daher halte sich das Gerücht, dass das Gesetz zur Einschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses Bestandteil der Notstandsgesetzgebung sei. Doch gelten die Notstandsgesetze "nur für den Ausnahmefall, das Überwachungsgesetz dagegen für den Normalfall, die ganz alltägliche Überwachung der Bevölkerung durch die westdeutschen Geheimdienste". Foschepoth konstatiert eine "reibungslose Übergabe der operativen Überwachung in Westdeutschland von den Alliierten auf die Deutschen". Bei Einzelüberwachung war fortan das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter, der Militärische Abschirmdienst sowie der Bundesnachrichtendienst antragsberechtigt, bei allgemeiner Überwachung nur der BND: "Die Anordnung erfolgte durch einen vom Bundeskanzler bestimmten Bundesminister. Dieser hatte in Abständen von höchstens sechs Monaten ein Gremium aus fünf Bundestagsabgeordneten über die Durchführung des Gesetzes zu unterrichten. Dieses Gremium bestellte eine weitere Kommission, die sogenannte G-10-Kommission, der lediglich drei Personen angehörten, die nicht unbedingt Abgeordnete sein mussten. Diese Kommission entschied über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen." Das G-10-Gesetz habe die parlamentarische und gerichtliche Kontrolle der von der Exekutive durchgeführten Überwachungen aufgehoben.

Laut einer vom Auswärtigen Amt ausgehandelten geheimen Verwaltungsvereinbarung vom Oktober 1968 mit den drei Westmächten zum G-10-Gesetz bestehe wohl bis heute gemäß Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut für die Unterzeichner die Verpflichtung, "in enger Zusammenarbeit die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, der Entsendestaaten und der Streitkräfte zu fördern und zu wahren, indem sie insbesondere alle Nachrichten, die für diese Zwecke von Bedeutung sind, sammeln, austauschen und schützen". Damals entstand "ein Verbundssystem" der westdeutschen Dienste mit denen der Westmächte. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der BND konnten konzeptionell, personell und finanziell neu ausgerichtet werden: "Dass dies möglich wurde, war vor allem die Leistung der neuen Staatspartei, der SPD. ,Mehr Staat wagen' war das Konzept, mit dem die SPD koalitions- und regierungsfähig wurde. ,Mehr Demokratie wagen' war das Konzept, mit dem die SPD ein Jahr später bei den Bundestagswahlen im September 1969 mehrheitsfähig wurde und dadurch die Regierungsfähigkeit sicherte."

Beide deutsche Staaten bekannten sich in ihren Verfassungen zum Post- und Telefongeheimnis - was sie nicht von schwersten Verstößen abhielt. Wenigstens in der Bundesrepublik "endete die gesetzlose und verfassungswidrige Zeit 1968". Für die Phase davor bedürfe es der Erklärung, wie ein teilsouveräner Rechtsstaat über Jahre "allein mit dem Hinweis auf die Treuepflicht der Staatsdiener" Beamte von Post, Zoll und Polizei sowie Richter "zu gesetzes- und verfassungswidriger Öffnung, Beschlagnahme und Vernichtung von Millionen Postsendungen" bewegen konnte.

RAINER BLASIUS

Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012. 378 S., 34,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Jan Korte würdigt Josef Foschepoths Buch über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs in der alten Bundesrepublik als "Standardwerk". Er attestiert dem Autor, die Bedeutung der Postzensur und Telefonüberwachung als zentralen Teil der Weststaatsbildung zu belegen. Deutlich wird für ihn darüber, dass es in der Geschichte der BRD immer noch Leerstellen gibt. Anhand der Auswertung von bislang geheimen Dokumenten weist Foschepoth für Korte überzeugend den massenhaften, systematischen Eingriff ins Postgeheimnis ohne Rechtsgrundlage nach. Auch der historische Kontext dieser Überwachung - Westbindung, antikommunistische Hysterie, konservatives Staatsverständnis und zahlreiche alte Nazis in führenden Funktionen in den Behörden - wird seines Erachtens erhellend dargestellt. Sein Fazit: ein Werk, dass den Fokus einmal nicht auf die Erfolgsgeschichte der BRD, sondern auf deren Problemgeschichte legt und vor Augen führt, "wie anfällig die Exekutive für jede Machterweiterung ist".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.11.2012

Die nie ganz
souveräne Republik
Der Historiker Josef Foschepoth zeigt, wie Kanzler Adenauer half,
Deutschland zu einem Überwachungsstaat zu machen
VON FRANZISKA AUGSTEIN
Seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten hat sich eine gewisse Selbstzufriedenheit breitgemacht. Während die DDR zum „Unrechtsstaat“ wurde, strahlt die alte Bundesrepublik im milden Schein der Verklärung. Jetzt hat der Freiburger Historiker Josef Foschepoth den Deutschen ein Licht aufgesetzt: „Es war nicht alles so glatt, so rechtsstaatlich, so demokratisch, so glücklich und erfolgreich, wie manche Darstellung zur Geschichte der Bundesrepublik suggeriert.“ Foschepoth zeigt, dass die alte Bundesrepublik zeit ihres Bestehens ein veritabler Überwachungsstaat war, dass das Grundgesetz missachtet und der Rechtsstaat unterwandert wurde – und dieses nicht von Kommunisten, sondern auf Betreiben Konrad Adenauers.
  Vor einigen Jahren stieß Foschepoth, ein Experte der deutsch-deutschen Geschichte, zufällig auf eine Akte über Postzensur. Die war seltsam unvollständig. Von einem Aktenzeichen wühlte er sich zum nächsten und kam so darauf, dass etliche Dokumente als geheime Verschlusssachen geführt wurden. Daraufhin wandte er sich an den Historikerverband; sekundiert von der Presse, zettelte man eine Kampagne für die Freigabe der Akten an. Der 2009 amtierende Innenminister Wolfgang Schäuble war das Gerangel bald leid, zeigte sich als echter Demokrat und regte im Bundeskabinett an, die Verschlusssachen sukzessive freizugeben. Der Bestand dieser Dokumente allein im Bundesinnenministerium wurde auf 1,5 Millionen geschätzt. Foschepoth erhielt eine Sondergenehmigung und durfte, nachdem er sich vom Verfassungsschutz hatte durchleuchten lassen, Einblicke in viele Arkana deutscher Behörden nehmen. Im Gespräch mit der SZ sagte er, nicht alle Bediensteten dürften gewusst haben, wie brisant das Material war, das er zu sehen bekam.
  1955 traten in der Bundesrepublik die Pariser Verträge in Kraft, die den Besatzungsstatus beendeten. Adenauer verkündete, nun seien die Westdeutschen „Freie unter Freien“. Insgeheim wusste er es besser. Die Westmächte hatten sich allerlei Vorbehaltsrechte ausbedungen, um Westdeutschland auch weiterhin kontrollieren zu können. Im Besonderen forderten die Drei Mächte nun im Namen der „Sicherheit der alliierten Truppen“ in Deutschland „Maßnahmen im Fall eines inneren und äußeren Notstands und zur strategischen Überwachung des Post- und Telefonverkehrs“. Dieses sollte gelten, bis die Westdeutschen ein eigenes Überwachungsgesetz verabschieden würden.
  So ein Gesetz wäre höchst unpopulär gewesen, schreibt Foschepoth. Vollends lästig aber war: Dazu musste der 10. Artikel des Grundgesetzes geändert werden, der mit den Worten anhebt: „Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.“ Der Eingriff ins Grundgesetz wäre nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag zu machen gewesen, wozu die SPD sich in den 50er-Jahren nicht bereit erklärt hätte. Weil Adenauer einen politischen Erfolg brauchte und die Pariser Verträge also unbedingt abschließen wollte, ersann er, was Foschepoth einen „Trick“ nennt: Zusammen mit den Westmächten setzte der Kanzler einen Brief an sich selbst auf, in dem von ihm gefordert wurde, die nötige Überwachung zu gewährleisten. Damit hatte Adenauer eine aus seiner Sicht optimale Lösung gefunden: Die Alliierten waren zufrieden, und der Brief blieb als Annex zu den Pariser Verträgen geheim; nur wenige Politiker und Beamte wussten davon.
  Dass Adenauer, wie Foschepoth schreibt, einen „schweren Verfassungsbruch“ beging, indem er Artikel 10 des Grundgesetzes aushebelte, kümmerte ihn nicht. Er war damals schließlich nicht der Einzige, der die Auffassung vertrat, der Schutz des Staates sei wichtiger als der Schutz des Bürgers und seiner Grundrechte. Was schützenswert sein soll an einem Staat, der Grundrechte seiner Bürger missachtet: Diese Frage wurde in jener Phase des Kalten Kriegs selten gestellt. Es galt schließlich, den Kommunismus zu bekämpfen.
  Von 1955 bis 1968 sah die Arbeitsteilung so aus: Die den Alliierten in den Pariser Verträgen versteckt eingeräumten Rechte legitimierten die individuelle sowie strategisch-allgemeine Überwachung des westdeutschen Post- und Fernmeldewesens. Bundesdeutsche Behörden – die Post, der Zoll, Staatsanwaltschaften und Gerichte – setzten sie um. Das Abhören des Fernmeldeverkehrs oblag dem BND, dem MAD und den Verfassungsschutzämtern, die sich auch in den Postverkehr einmischten. Die Alliierten hatten zum Abhören zudem ihre eigenen Einrichtungen: Die allgemein-strategische Überwachung wurde bis 1968 vornehmlich von ihnen ausgeführt.
  Die Westmächte fischten gleichsam mit einem Riesennetz in großen Datenmengen auf der Suche nach Detailinformation. Die Bundesregierung hingegen hatte es mit patriarchalischer Fürsorge darauf abgesehen, das Land gegen Propagandamaterial aus dem Osten abzuschotten. Wissenschaftler wunderten sich also, dass abonnierte Zeitschriften aus dem Osten nicht ankamen; Bundestagsabgeordnete vermissten Post; private Grüße erreichten ihre Empfänger nicht. Dabei handelte es sich auch um Sendungen, die in Westdeutschland aufgegeben worden waren. Nichts daran war rechtens. An sich hätten Richter darüber befinden müssen, ob ein Brief geöffnet werden dürfe – sie bekamen die Sendungen aber schon geöffnet zum Absegnen vorgelegt. Wenn ein Richter sich weigerte, was selten vorkam, dann geschah nichts weiter: Allen war daran gelegen, dass das Treiben nicht publik werde.
  Den Postministern war nicht wohl bei den Aktivitäten, die ihre Beamten ausführen mussten. Die Postler standen am Anfang der Kette der Unrechtmäßigkeiten: Sie mussten die Postsäcke auf staatsfeindliches Material hin durchforschen. In Anbetracht des Postaufkommens war da Hellsehertum gefragt. Laut den Foschepoth zugänglichen Akten wurden zwischen 1951 und 1972 rund 90 Millionen Postsendungen aus dem Verkehr gezogen und größtenteils vernichtet. Adenauer forderte von Innenminister Gerhard Schröder mehrfach, er möge endlich ein Überwachungsgesetz vorlegen. Doch dieser hatte keine Lust, für den Kanzler die Kastanien aus dem Feuer zu holen, indem er sich bei der Bevölkerung gründlich unbeliebt machte.
  In den 60er-Jahren zeigte sich, dass dieser Zustand nicht ewig andauern konnte. 1963, ein Jahr nach der „ Spiegel -Affäre“, gab es die „Abhöraffäre“. Die Zeiten hatten sich gewandelt: Ein Beamter des Verfassungsschutzes packte aus, weil er das widerrechtliche Ausforschen der Bundesbürger mit seinem Gewissen nicht mehr vereinbaren konnte. Auch die SPD hatte sich gewandelt, sie wollte als „regierungsfähig“ gelten. Also geschah nun, was einige Jahre zuvor undenkbar gewesen wäre: Mit den Stimmen der SPD wurde 1968 das G-10-Gesetz verabschiedet: ein Überwachungsgesetz zur präventiven Abwehr von Gefahren. Sofern der Verfassungsschutz oder der BND behaupteten, es liege ein „Anhaltspunkt“ für eine Gefahr vor, durften die Bürger ausspioniert werden. Die Rechte der Westmächte blieben trotzdem bestehen. Das G-10-Gesetz diente lediglich zur formalen Legalisierung der rechtsstaatswidrigen Praktiken. Auch hier wurde, mit Foschepoth gesagt, „ein Trick“ angewendet: Um die Bürger nicht kopfscheu zu machen, packte man das G-10-Gesetz in die Notstandsgesetzgebung. Über letztere wurde in der Öffentlichkeit heiß diskutiert, als die Notstandsgesetze verabschiedet wurden, ist das G-10-Gesetz mit durchgesegelt.
  Die Bundeskanzler – nicht nur Adenauer, auch Brandt, Schmidt und Kohl – mochten nicht zugeben, dass bundesdeutsche Überwachungsbehörden verpflichtet waren, ihre Erkenntnisse mit den Alliierten zu teilen. Stattdessen wurde offiziell immer wieder aufs Neue die „Souveränität“ der Bundesrepublik gefeiert.
  „Bei der Deutung des SED-Staates“, schließt Foschepoth, „ist das System der Überwachung gleichsam zum Synonym der DDR geworden.“ Dass auch die Bundesbürger bis 1989 von ihrem Staat systematisch bespitzelt wurden, wird übersehen.
  Und wie steht es heute? In den Unterlagen zum 2+4-Vertrag von 1990 hat Josef Foschepoth keine Hinweise darauf gefunden, dass die Überwachungsrechte der Alliierten gelöscht worden seien. Im Gegenteil: Der Verzicht auf Souveränität, den Adenauer begann und der 1968 mit dem G-10-Gesetz fortgesetzt wurde, ist in einem geheimen Dokument festgeschrieben, das Foschepoth einsehen konnte: Die Rechte der Allliierten, die Deutschen auszuforschen, sind durch das 1959 abgeschlossene Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut verbürgt, das immer noch in Kraft ist. Bis heute ist die Bundesrepublik nicht ganz souverän. So kann etwa die National Security Agency der USA frei schalten und walten. Der Unterschied zu früher besteht laut Foschepoth darin, dass sie heutzutage Satelliten zur Überwachung einsetzt.
  Foschepoth plädiert dafür, die Geschichte der alten Bundesrepublik nicht als abgeschlossene Erfolgsgeschichte zu sehen. Leider, sagte er der SZ, sei der offene Umgang mit geheimen Verschlusssachen, den Schäuble einleitete, nun schon wieder beschränkt: Bundesinnenminister Friedrich fürchte vielleicht, dass Angela Merkel etwas dagegen haben könne, wenn ein Schatten auf Adenauers Andenken fällt.
Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012. 377 Seiten, 34,99 Euro.
Die Überwachungsrechte der
alliierten Westmächte
gelten bis zum heutigen Tag
Die Postüberwachung in der alten Bundesrepublik war nicht nur unrechtmäßig, sondern auch ziemlich kompliziert: Die Postbeamten durchwühlten die Postsäcke, angebliche „kommunistische Propagandaschriften“ übergaben sie den Zollbehörden, die sie weitergaben an die Staatsanwaltschaften, welchselbe sie dann an die Richter weiterleiteten.
ZEICHNUNG: HADERER
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