Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 26,44 €
  • Gebundenes Buch

Postzensur und Telefon- und Internetüberwachung sind Kennzeichen autoritärer Staaten und Diktaturen. Der NSA-Abhörskandal beweist jedoch, dass auch in westlichen Demokratien großflächig abgehört und spioniert wird. Die Grundlagen für die Spionage der USA auf deutschem Boden bestehen bereits seit den 1950er-Jahren. Massenweise Postsendungen wurden geöffnet, beschlagnahmt und vernichtet, allein 100 Millionen aus der DDR. Josef Foschepoth zeigt: Die Bundesrepublik war ein straff organisierter und effizient arbeitender Überwachungsstaat. Dieses Buch ist nicht nur die erste wissenschaftlich…mehr

Produktbeschreibung
Postzensur und Telefon- und Internetüberwachung sind Kennzeichen autoritärer Staaten und Diktaturen. Der NSA-Abhörskandal beweist jedoch, dass auch in westlichen Demokratien großflächig abgehört und spioniert wird. Die Grundlagen für die Spionage der USA auf deutschem Boden bestehen bereits seit den 1950er-Jahren. Massenweise Postsendungen wurden geöffnet, beschlagnahmt und vernichtet, allein 100 Millionen aus der DDR. Josef Foschepoth zeigt: Die Bundesrepublik war ein straff organisierter und effizient arbeitender Überwachungsstaat. Dieses Buch ist nicht nur die erste wissenschaftlich fundierte Geschichte der Überwachung des Post- und Telefonverkehrs in der alten Bundesrepublik, es liefert auch die historischen Hintergründe des aktuellen Geheimdienst-Skandals.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2012

Mehr Staat wagen, nicht viel fragen?
Josef Foschepoth deckt die Post- und Telefonüberwachung der Bonner Republik auf

Ein brisantes Thema, aufbereitet mit endlich freigegeben Verschlusssachen: Josef Foschepoth, der an einem Projekt über die KPD im Kalten Krieg arbeitet, stieß bei Recherchen auf Akten über die Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses in der frühen Bonner Republik. Dazu legt er nun eine Monographie mit Dokumenten-Teil vor, die größte Aufmerksamkeit verdient. Allerdings liest sich das Buch über weite Strecken eher wie ein juristisches Gesellenstück, und manche Wiederholungen und Zuspitzungen ermüden. Unverständlich ist vor allem, warum sich Verlag und Autor um ein Personen- und Sachregister drücken - so als ob die als Sensation angekündigten Ergebnisse doch vor dem Leser verborgen, ihm keine Orientierungen geboten werden sollten.

Bis Anfang der siebziger Jahre wurden nachweislich über 100 Millionen Postsendungen aus der DDR beschlagnahmt, geöffnet und großenteils vernichtet. Hinzu kam solche Post, die in der Bundesrepublik aufgegeben wurde und nicht näher quantifizierbar ist: "Sie dürfte um die 100.000 Postsendungen pro Jahr, mal mehr, mal weniger, betragen haben." Auf welche Gesetze et cetera stützte sich die Post- und Telefonüberwachung? Der Freiburger Zeithistoriker gibt eine klare Antwort: auf alliiertes Besatzungsrecht. Aus der Sicht von Washington, London und Paris galt bei der Einbeziehung Bonns in das westliche Verteidigungsbündnis, "das Interesse an Sicherheit vor Deutschland mit dem Interesse an mehr Sicherheit mit Deutschland in Einklang zu bringen".

Bei den Pariser Konferenzen 1954 behielten sich die einstigen Siegermächte nicht nur ihre Rechte in Berlin und für Deutschland als Ganzes sowie zur Truppenstationierung und zur Erklärung des Notstandes vor, sondern zudem den Überwachungsvorbehalt (um den in- und ausländischen Post- und Fernmeldeverkehr in der Bundesrepublik weiterhin zu kontrollieren) und den Geheimdienstvorbehalt (um die alliierten Geheimdienste mit Unterstützung des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegebenenfalls außerhalb des deutschen Rechts zu stellen). Die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte dieser kaum oder nicht bekannten Vorbehalte deckt Foschepoth auf. Sein Vorwurf an Konrad Adenauer lautet: "Der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland hatte sich über das Grundgesetz, das in Artikel 10 das Post- und Fernmeldegeheimnis für unverletzlich erklärte, hinweggesetzt und es mit seiner Zustimmung zu einem Vorbehaltsrecht der drei Westmächte und damit zu einer überkonstitutionellen Norm erklären lassen."

Allein für das Jahr 1957 könne man von über fünf Millionen überwachten Telefonaten und von "in die Millionen gehenden mitgeschriebenen Fernschreiben" durch die Westalliierten ausgehen - meist durch Amerikaner und "unter Mithilfe" von Westdeutschen. Die Zahl der aus dem Verkehr gezogenen Postsendungen aus der DDR von 1955 bis 1972 belaufe sich auf insgesamt 109,26 Millionen. Erst die Unterzeichnung der Ostverträge und einer deutsch-deutschen Vereinbarung schuf 1972 ein neues Klima mit der "Reduzierung staatsfeindlicher Propaganda auf beiden Seiten". Foschepoth beurteilt das politische System der fünfziger und sechziger Jahre als "Staatsdemokratie", die "nicht nur das Werk des Kanzlers oder Folge bestimmter autoritärer Denk- und Verhaltensweisen war, sondern auch und vor allem Ergebnis struktureller Prägungen und historischer Erfahrungen der in die Schlüsselstellungen des Staates gelangenden neuen beziehungsweise alten Machteliten war". Der Schutz des Staates habe Priorität besessen und sei als das höherwertige Rechtsgut angesehen worden.

Im Jahr 1968 wurden von der Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger (CDU) und Willy Brandt (SPD) die Notstandsgesetze und das G-10-Gesetz parallel verabschiedet. Daher halte sich das Gerücht, dass das Gesetz zur Einschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses Bestandteil der Notstandsgesetzgebung sei. Doch gelten die Notstandsgesetze "nur für den Ausnahmefall, das Überwachungsgesetz dagegen für den Normalfall, die ganz alltägliche Überwachung der Bevölkerung durch die westdeutschen Geheimdienste". Foschepoth konstatiert eine "reibungslose Übergabe der operativen Überwachung in Westdeutschland von den Alliierten auf die Deutschen". Bei Einzelüberwachung war fortan das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter, der Militärische Abschirmdienst sowie der Bundesnachrichtendienst antragsberechtigt, bei allgemeiner Überwachung nur der BND: "Die Anordnung erfolgte durch einen vom Bundeskanzler bestimmten Bundesminister. Dieser hatte in Abständen von höchstens sechs Monaten ein Gremium aus fünf Bundestagsabgeordneten über die Durchführung des Gesetzes zu unterrichten. Dieses Gremium bestellte eine weitere Kommission, die sogenannte G-10-Kommission, der lediglich drei Personen angehörten, die nicht unbedingt Abgeordnete sein mussten. Diese Kommission entschied über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen." Das G-10-Gesetz habe die parlamentarische und gerichtliche Kontrolle der von der Exekutive durchgeführten Überwachungen aufgehoben.

Laut einer vom Auswärtigen Amt ausgehandelten geheimen Verwaltungsvereinbarung vom Oktober 1968 mit den drei Westmächten zum G-10-Gesetz bestehe wohl bis heute gemäß Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut für die Unterzeichner die Verpflichtung, "in enger Zusammenarbeit die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, der Entsendestaaten und der Streitkräfte zu fördern und zu wahren, indem sie insbesondere alle Nachrichten, die für diese Zwecke von Bedeutung sind, sammeln, austauschen und schützen". Damals entstand "ein Verbundssystem" der westdeutschen Dienste mit denen der Westmächte. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der BND konnten konzeptionell, personell und finanziell neu ausgerichtet werden: "Dass dies möglich wurde, war vor allem die Leistung der neuen Staatspartei, der SPD. ,Mehr Staat wagen' war das Konzept, mit dem die SPD koalitions- und regierungsfähig wurde. ,Mehr Demokratie wagen' war das Konzept, mit dem die SPD ein Jahr später bei den Bundestagswahlen im September 1969 mehrheitsfähig wurde und dadurch die Regierungsfähigkeit sicherte."

Beide deutsche Staaten bekannten sich in ihren Verfassungen zum Post- und Telefongeheimnis - was sie nicht von schwersten Verstößen abhielt. Wenigstens in der Bundesrepublik "endete die gesetzlose und verfassungswidrige Zeit 1968". Für die Phase davor bedürfe es der Erklärung, wie ein teilsouveräner Rechtsstaat über Jahre "allein mit dem Hinweis auf die Treuepflicht der Staatsdiener" Beamte von Post, Zoll und Polizei sowie Richter "zu gesetzes- und verfassungswidriger Öffnung, Beschlagnahme und Vernichtung von Millionen Postsendungen" bewegen konnte.

RAINER BLASIUS

Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012. 378 S., 34,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Jan Korte würdigt Josef Foschepoths Buch über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs in der alten Bundesrepublik als "Standardwerk". Er attestiert dem Autor, die Bedeutung der Postzensur und Telefonüberwachung als zentralen Teil der Weststaatsbildung zu belegen. Deutlich wird für ihn darüber, dass es in der Geschichte der BRD immer noch Leerstellen gibt. Anhand der Auswertung von bislang geheimen Dokumenten weist Foschepoth für Korte überzeugend den massenhaften, systematischen Eingriff ins Postgeheimnis ohne Rechtsgrundlage nach. Auch der historische Kontext dieser Überwachung - Westbindung, antikommunistische Hysterie, konservatives Staatsverständnis und zahlreiche alte Nazis in führenden Funktionen in den Behörden - wird seines Erachtens erhellend dargestellt. Sein Fazit: ein Werk, dass den Fokus einmal nicht auf die Erfolgsgeschichte der BRD, sondern auf deren Problemgeschichte legt und vor Augen führt, "wie anfällig die Exekutive für jede Machterweiterung ist".

© Perlentaucher Medien GmbH