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Eine studentische Theatergruppe mitten in den siebziger Jahren. Fünf Frauen, vier Männer, renitent, unterbittlich. Sie wollen aufstehen, sagen sie, den Aufstand üben. Und sie üben mit den Mitteln des Theater alles, was ihnen widersteht. Friederike Kretzen macht sich die Methode ihrer Akteure zu Eigen, die vorsichtig und wild entschlossen, schnell anfanged und schnell wieder abbrechend versuchen, durch Üben jedem Besserwissen von der Schippe zu springen.

Produktbeschreibung
Eine studentische Theatergruppe mitten in den siebziger Jahren. Fünf Frauen, vier Männer, renitent, unterbittlich. Sie wollen aufstehen, sagen sie, den Aufstand üben. Und sie üben mit den Mitteln des Theater alles, was ihnen widersteht.
Friederike Kretzen macht sich die Methode ihrer Akteure zu Eigen, die vorsichtig und wild entschlossen, schnell anfanged und schnell wieder abbrechend versuchen, durch Üben jedem Besserwissen von der Schippe zu springen.
Autorenporträt
Friederike Kretzen, 1956 in Leverkusen geboren, Studium der Soziologie und Ethnologie in Gießen. Nach Abschluss des Studiums Regieassistentin Stadttheater Gießen und Schauspiellehrwerkstatt Köln, dann Dramaturgin am Residenz-Theater in München. Während des Studiums erste Veröffentlichungen von Essays und Verfassung von Theatertexten für die eigene Theatergruppe. Seit 1983 freie Autorin in Basel. Neben schriftstellerischen Arbeiten für Radio, Basler Zeitung und NZZ tätig. An der Schule für Gestaltung Zürich seit 1992 Dozentin für Theorie und Schreiben. Seit dem Sommersemester 1996 leitet Friederike Kretzen, zunächst in Vertretung für Adolf Muschg, die Schreibwerkstatt an der ETH Zürich. Mitarbeit an der Reihe "Autoren der Gegenwart" und "Holozän" des Collegium Helveticum an der Sternwarte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.2002

Was waren die Surrealisten nur für wilde Jungs
Jenseits des Lustprinzips: Friederike Kretzen spielt in Gießen Psychodrama und besetzt das leerstehende Haus der Erinnerung

Die siebziger Jahre gab es nicht. Das hat man damals gewußt und darum immer an die Zukunft gedacht oder sich eben die sechziger Jahre erfunden, die es natürlich auch nicht gab. Wer heute mit Mitte Vierzig einen Roman über seine Studentenzeit schreiben will, kann nicht einfach raunend das Imperfekt beschwören und so tun, als sei er wirklich dabeigewesen. Nicht "Ich war", sondern "Ich bin's nicht" lautete der Arbeitstitel des neuen autobiographischen Romans von Friederike Kretzen, der jetzt als "Übungen zu einem Aufstand" erschienen ist. Den Fallstricken der Erinnerungsliteratur will sich die 1956 geborene Autorin entwinden, indem sie auf das autobiographische "Ich" ebenso verzichtet wie auf die Illusion einer abgeschlossenen und dokumentierbaren Vergangenheit: "Die siebziger Jahre" gab es nicht, doch es gibt sie heute, nicht konserviert, sondern imaginiert auf der Nebenbühne des Geschichtstheaters. Selbst wer einmal eine tragende Rolle mit viel Text spielte, sitzt heute im Zuschauerraum.

Vergangenheit ist immer eine Inszenierung der Gegenwart. So erzählt die frühere Dramaturgin Kretzen im präsentischen Tempus von einer Studententheatergruppe in Gießen - wenn für den Begriff "Erzählen" schon ausreicht, daß es einen Anfang und ein Ende gibt. Denn zwischen den Anfängen 1975 und dem Ende 1981 gibt es kaum eine Entwicklung, allenfalls Tiefpunkte - der deutsche Herbst - oder Gipfel, wie der "Sommer der Liebe" 1978. "Übungen zu einem Aufstand" heißt auch: Die Revolution kommt nie zur Aufführung. Denn die Probe ist nie zu Ende. In Gießen finden keine Premieren statt.

Gerade weil die Provinz schon die Welt ist, erscheint das ganze Studentenleben wie ein endloses Improvisationstheater: "Wir müssen weiterüben, härter und weicher zugleich." Kretzen erzählt von Proben, die mit dem Pathos jener Jahre ernst genommen werden, und von Lebensentwürfen, die ewig im Stadium des Experiments bleiben. Die uralte Metapher des Lebens als Theater wird für eine Annäherung an die siebziger Jahre durchaus produktiv wiederbelebt: Man trifft sich erst in einem besetzten Haus, dann in der "Teestube" der Drogenberatung, später in einer ehemaligen Landgaststätte, probt zu leben und zu lieben, ohne sich festzulegen, träumt mit offenen Augen und spricht improvisierte oder in Seminaren aufgeschnappte Texte, so daß reale und dramatische Konflikte ununterscheidbar werden: Man übt Wegfahren, man übt Ungerechtigkeit, man übt Traurigkeit und "wie immer, wenn wir nicht weiterwissen, üben wir Familie".

Statt einer Handlung kann man ein Psychodrama in 73 Kurzkapiteln verfolgen; statt einer Hauptfigur agieren Maria und Marianne, Karl und Esther, Susi und Johanna in wechselnden Kostümen und Szenarien. Doch wie die Kulissen, die von der Wetterau bis Indien reichen, immer ein bißchen wie Gießen auf Pappwänden aussehen, so reden alle Laienschauspieler wie Friederike Kretzen eben schreibt. Maria zum Beispiel so: "Als ich achtzehn werde, stirbt mein Vater. Er ist von allein gestorben. Das hat er immer so gemacht. Allein und für sich. Was ihm ähnlich sieht. Ich habe ihn dann aufgefressen. So wie andere einen Narren an was fressen." Das kindliche Beim-Wort-Nehmen von Metaphern und Bildern, das Assoziativ-Verspielte und Traumlogische mag im Monolog eine Sogwirkung haben, verteilt auf ein ganzes Seminar von Castaneda-Anhängern und Hesse-Jüngern wirkt es grotesk.

Tatsächlich führt Kretzen eine Autobiographie mit verteilten Rollen auf. Wuppertal entkommt man nicht in Gießen, dem "Ich" nicht im "Wir": Die "Indianer"- und Pferdemetaphern, die Großmutter als Erzählerin, der Sehnsuchtsort Wüste (in der Kretzens Vater einst als Fremdenlegionär diente) - viele aus früheren Werken bekannte Motive erscheinen hier als Seeleninventar fremder Figuren. Es ist, als würde sich Kretzen selbst durch ein Kaleidoskop betrachten, in dem alles zerstreut und zugleich märchenhaft-bunt ist: "Plötzlich haben wir alle die Idee, den Kopf hängen zu lassen. Johanna sagt, würde dann alles umgekehrt aussehen? Nein, sagt Esther, wir bleiben ja auf den Füßen stehen." Die endlosen Debatten über Selbst- und Welterlösung, über Revolution und Resignation sind nicht satirisch gemeint. Im Gegenteil: Statt ironischer Distanz zeigt Kretzen den Zoom auf den Kindermund, der vermeintlich Wahrheit kundtut: "Einmal hin und zurück, sagst du dem Busfahrer beim Einsteigen. Das gibt es hier nicht, sagt er, nur hin. Und wenn ich wieder zurückkommen will, sagst du." So hält in der Psychologen-Hochburg Gießen immerhin der öffentliche Nahverkehr das Realitätsprinzip aufrecht.

Einzelne Skizzen, Sätze, Bilder blitzen zwar immer wieder epiphanisch auf, aber zwischen all dem Katzengold, gesuchten und gespreizten Wendungen verlieren auch sie den Glanz unmittelbarer Evidenz. Und es ist nicht die Aufgabe des Lesers, das eine vom anderen zu trennen. Dafür gibt es Lektoren. Nichts gegen Lust am Sprachspiel, aber bei Wendungen wie "draußen auf den Hügelzügen stehen einige von uns als unsere eigenen Etwas herum" oder "sie kamen aus allen möglichen Anstalten und wollten andere Anstalten treffen" hätte irgendein Über-Ich die Notbremse ziehen müssen.

Kretzen läßt ihrer Sprachwut nach dem Vorbild der Surrealisten allzuoft freien Lauf, als sei jede Kontrolle über den Text schon repressive Selbstzensur. "Ich reite so gerne mit Artaud ins Hochland, sage ich. Das Theater der Grausamkeit. Schreien. Jetzt und hier. Was sind das für wilde Jungs gewesen." Einmal versucht sie ihre Poetik ins Bild der "Reise nach Jerusalem" zu fassen: "Wo wir sind, müssen wir fort, und wo wir fort sind, müssen wir hin. Ein ständiges Aufstehen ist unser Theater." Der vielbeschworene Aufstand ist in Wirklichkeit nur ein Sprachwitz, ein Bild für die Lust am Stühlerücken und Reisen, der die Provinz zu eng wird. Am Ende brechen alle auf, nach Basel, Berlin oder anderswo. Neue Städte, neue Spielzeiten. Doch bei der Kinderreise läuft man immer nur im Kreis und kommt in Wahrheit nicht von der Stelle. Wer zuletzt noch steht, hat verloren.

Friederike Kretzen: "Übungen zu einem Aufstand". Roman. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main und Basel 2002. 196 S., geb., 19,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ein "maßlos anspruchsvolles Buch" nennt Sabine Peters diesen Roman, - und findet, dass es der Autorin gelungen ist, ihren Anspruch einzulösen. Es geht in den "planmäßigen, halluzinatorischen Sätzen" dieses Werkes um eine Theatergruppe in den siebziger Jahren, die den "Aufstand übt", schreibt Peters, und die Schreibweise der Autorin, "wiederholt den Gestus des 'Aufbrechens' in seiner doppelten Bedeutung". Damit gelingt der Autorin, so die Rezensentin, "etwas Seltenes", und Peters stellt sie haushoch über jeden, der etwa versucht hat "im Sinn des Heldengesangs" dieselbe Vergangenheit heraufzubeschwören. Sabine Peters wünscht diesem Text, dem "nicht immer leicht" zu folgen sei, und der einen "Eindruck von etwas Flirrendem, Schwebendem" hinterlasse, Leser, die den Bahnungen der Autorin "nachgehen".

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