Die Publizistin Jutta Ditfurth stieß in ihrer sechsjährigen Recherche auf bisher unbekannte Quellen zu Ulrike Meinhof. Sie kann völlig neue Zusammenhänge in der Lebensgeschichte der RAF-Gründerin aufzeigen. In dieser ersten umfassenden Biografie spiegeln sich auch die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik und das politisch rebellische Klima der sechziger und siebziger Jahre wider.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2008Eine Heldin zum Fürchten
Ulrike Meinhof mit den Augen von Jutta Ditfurth betrachtet
Vor allem Anverwandtschaft und Verehrung sprechen aus diesem Versuch, der Lebensgeschichte Ulrike Meinhofs gerecht zu werden. Jutta Ditfurth beschränkt sich in ihrer Biographie auf die Einfühlung in das Selbstverständnis ihrer Heldin. In einer mehr als sechsjährigen Recherche hat sie sich zum äußersten Verständnis für die Verbrechen der Ulrike Meinhof und der RAF emporgearbeitet. Sie beschreibt den Lebensweg der Terroristin als Aufeinanderfolge von Radikalisierungsschüben, für die sie schlechte Menschen und die schlechten gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich macht. In der Ditfurth-Meinhof-Welt steht dabei außer Frage, dass die Guten links sind und die besonders Guten "radikale Linke". Für eine sensible Intellektuelle wie Ulrike Meinhof war der Griff zur Waffe demzufolge eine logische Konsequenz aus dem Scheitern der außerparlamentarischen Opposition nach dem Ende der Großen Koalition 1969.
Diese Meinhof-Story lebt von starken Vereinfachungen. So gelingt ihr die geradlinige Rekonstruktion des Erlebnis- und Denkhorizonts der kommunistischen Journalistin und späteren RAF-Terroristin. Durch den emphatischen Blickwinkel verstellt sich die Autorin allerdings den Blick auf naheliegende Einwände gegen Meinhofs irrationale Scheinlogik. Andererseits leuchtet sie einen historischen Kontext aus, den große Teile der 68er Erlebnisgeneration längst aus ihrer Erinnerung eliminiert haben. Der West-Berliner Polizei gelang es im Herbst 1970, eine Reihe von Bandenmitgliedern aus der RAF und anderen bewaffneten Kampfgruppen festzunehmen. Jutta Ditfurth bemerkt dazu: "Jetzt saßen schätzungsweise 40 Menschen aus der radikalen Linken allein in Westberlin im Gefängnis." Sie bezeichnet die Terroristen als "radikale Linke" und belegt detailliert, warum die Rote Armee Fraktion, nachdem sie sich zum "fortgeschrittensten Flügel" der sozialistischen Systemüberwinder ausgerufen hatte, gerade wegen der Bereitschaft zum "radikalen Bruch" mit der bürgerlichen Existenz auf eine breite Unterstützung in linken und linksliberalen Kreisen bauen konnte.
Die RAF war tatsächlich in ihrer Anfangszeit keineswegs isoliert. Viele "gute Linke" halfen den Baader-Meinhof-Leuten, sich zu verstecken. Es wurden Wohnungen und Häuser zur Verfügung gestellt, Ausweise "verloren", Geld aus Banküberfällen "gewaschen", Fahrzeuge überlassen und vor allem die "Idee des bewaffneten Kampfes" durch heroisierende Flugschriften und endloses Palaver in Teach-ins und Kneipen unter die Leute gebracht. Recht plausibel destruiert Jutta Ditfurth die linke Lebenslüge, wonach es angeblich eine reformselige 68er-Bewegung gab, die mit der isolierten Terroristenfraktion Ulrike Meinhofs nichts gemein hatte. Meinhofs Freund und Mittäter Horst Mahler, der heute als rechtsextremer Phantast von sich reden macht, tituliert die RAF mittlerweile hämisch als Waffen-SDS. Die Revolutionstheorien des SDS von 1968 und die RAF-Idee lagen näher beieinander, als das den tonangebenden Heldendarstellern der Studentenrevolte heute lieb ist. Ulrike Meinhof sprang mit Andreas Bader im Juni 1970 nach einer Schießerei aus einem Parterrefenster in den Untergrund, ihr Hopser aus der Apo in die RAF war wahrlich kein großer Sprung.
Neben den Helfern im Westen verfügte die RAF von Anfang an über ein sicheres Hinterland in der DDR. Jutta Ditfurth schildert Ulrike Meinhofs DDR-Aufenthalte als Momente der Freiheit und Erholung von Verfolgung und Unterdrückung. Das gilt für die Zeit ihre illegalen KPD-Arbeit im SDS und in der Zeitschrift "konkret" wie auch für die spätere RAF-Zeit. In der DDR traf die engagierte Streiterin gegen das Unrecht in der Welt angeblich auf kluge Ratgeber und alte "Kämpfer gegen den Faschismus", auf Menschen, die verstanden, was die junge Frau im kapitalistischen Westen umtrieb. Neben allen möglichen Missständen des Adenauer-Staates waren das vor allem die noch immer in Schlüsselpositionen tätigen ehemaligen Nationalsozialisten.
Frau Ditfurth hat nun herausgefunden, dass sogar die nächste familiäre Umgebung Ulrike Meinhofs naziverseucht war. Vater Meinhof, den die Tochter kaum noch bewusst erlebte, war NSDAP-Mitglied gewesen, ein Onkel und ihr späterer Schwiegervater ebenfalls, ja sogar Meinhofs linke Ziehmutter Renate Riemeck trat 1941 in die NSDAP ein. Akribisch notiert Ditfurth hinter den Namen dieser Verwandten wie auch hinter den Namen der späteren Gerichtsgutachter im RAF-Prozess deren NSDAP-Mitgliedsnummern. Bei Nazis, die in der DDR zu Amt und Würden gekommen waren, verschweigt die Autorin deren Vergangenheit. Gerhard Dengler etwa vom DDR-Nationalrat wird freundlich erwähnt. Der Herausgeber des DDR-Braunbuchs über Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik belieferte Ulrike Meinhof 1965 mit präpariertem Material gegen Bundespräsident Heinrich Lübke. Denglers NSDAP-Mitgliedsnummer stammt aus dem Jahr 1937, vor 1933 gehörte er dem Stahlhelm und später der SA an. Das alles ist seit langem bekannt. Doch es passt nicht in das Ditfurth-Meinhof-Bild von der DDR, wo "ehemalige NS-Verfolgte versuchten, einen sozialistischen Staat aufzubauen". Also weglassen wie vieles andere, was Ditfurths stringente Meinhof-Legende durcheinanderbringen könnte.
Das gilt besonders für den letzten Teil des Buches, in dem noch einmal alle Verschwörungstheorien der siebziger Jahre über Isolationshaft, systematische Folter von RAF-Gefangenen und die Ermordung Ulrike Meinhofs durch ein Geheimdienstkommando Revue passieren. Auch hier wird alles Widersprechende verschwiegen oder relativiert. Selbst der häufig von Ditfurth als Freund und Helfer Ulrike Meinhofs herbeizitierte gute DDR-Mensch, Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul, hatte sich 1977 in einem Gespräch mit dem Frankfurter RAF-Anwalt Weidenhammer energisch gegen die "Folterthese" gewandt. "Abgesehen von Härten, die jede Haft mit sich bringt", könne "die Behandlung der Gefangenen in Stammheim (Bücher, Schreibmaschine, Fernseher, Rundfunk, Tischtennis, gemeinsame Diskussion über Tag) nicht als ,unmenschliche Behandlung' im Sinne des Art. 3 der Konvention gegen die Strafverfolgungsbehörden der BRD angesehen werden".
In der Danksagung am Ende des Buches führt Jutta Ditfurth auch ihre "Zeitzeugen" auf. Ausschließlich ehemalige RAF-Leute, Meinhof-Anwälte, Meinhof-Sympathisanten und Freunde. Kritiker, politische Gegner oder gar Menschen, die von Terroranschlägen betroffen wurden, an denen Meinhof direkt oder mittelbar beteiligt war, interessierten die Biographin nicht. Ihr Betroffenheitspathos endet genau da, wo Ulrike Meinhof 1970 die "Grenze zwischen uns und dem Feind" gezogen hatte. Frau Ditfurth beansprucht laut Untertitel des Buches, "Die Biografie" über Ulrike Meinhof vorgelegt zu haben. Herausgekommen aber ist eine linke Polit-Schmonzette über Ulrike gegen den Rest der bösen Welt.
JOCHEN STAADT
Jutta Ditfurth: Ulrike Meinhof. Die Biografie. Ullstein Verlag, Berlin 2007. 479 S., 22,90 [Euro].
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Ulrike Meinhof mit den Augen von Jutta Ditfurth betrachtet
Vor allem Anverwandtschaft und Verehrung sprechen aus diesem Versuch, der Lebensgeschichte Ulrike Meinhofs gerecht zu werden. Jutta Ditfurth beschränkt sich in ihrer Biographie auf die Einfühlung in das Selbstverständnis ihrer Heldin. In einer mehr als sechsjährigen Recherche hat sie sich zum äußersten Verständnis für die Verbrechen der Ulrike Meinhof und der RAF emporgearbeitet. Sie beschreibt den Lebensweg der Terroristin als Aufeinanderfolge von Radikalisierungsschüben, für die sie schlechte Menschen und die schlechten gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich macht. In der Ditfurth-Meinhof-Welt steht dabei außer Frage, dass die Guten links sind und die besonders Guten "radikale Linke". Für eine sensible Intellektuelle wie Ulrike Meinhof war der Griff zur Waffe demzufolge eine logische Konsequenz aus dem Scheitern der außerparlamentarischen Opposition nach dem Ende der Großen Koalition 1969.
Diese Meinhof-Story lebt von starken Vereinfachungen. So gelingt ihr die geradlinige Rekonstruktion des Erlebnis- und Denkhorizonts der kommunistischen Journalistin und späteren RAF-Terroristin. Durch den emphatischen Blickwinkel verstellt sich die Autorin allerdings den Blick auf naheliegende Einwände gegen Meinhofs irrationale Scheinlogik. Andererseits leuchtet sie einen historischen Kontext aus, den große Teile der 68er Erlebnisgeneration längst aus ihrer Erinnerung eliminiert haben. Der West-Berliner Polizei gelang es im Herbst 1970, eine Reihe von Bandenmitgliedern aus der RAF und anderen bewaffneten Kampfgruppen festzunehmen. Jutta Ditfurth bemerkt dazu: "Jetzt saßen schätzungsweise 40 Menschen aus der radikalen Linken allein in Westberlin im Gefängnis." Sie bezeichnet die Terroristen als "radikale Linke" und belegt detailliert, warum die Rote Armee Fraktion, nachdem sie sich zum "fortgeschrittensten Flügel" der sozialistischen Systemüberwinder ausgerufen hatte, gerade wegen der Bereitschaft zum "radikalen Bruch" mit der bürgerlichen Existenz auf eine breite Unterstützung in linken und linksliberalen Kreisen bauen konnte.
Die RAF war tatsächlich in ihrer Anfangszeit keineswegs isoliert. Viele "gute Linke" halfen den Baader-Meinhof-Leuten, sich zu verstecken. Es wurden Wohnungen und Häuser zur Verfügung gestellt, Ausweise "verloren", Geld aus Banküberfällen "gewaschen", Fahrzeuge überlassen und vor allem die "Idee des bewaffneten Kampfes" durch heroisierende Flugschriften und endloses Palaver in Teach-ins und Kneipen unter die Leute gebracht. Recht plausibel destruiert Jutta Ditfurth die linke Lebenslüge, wonach es angeblich eine reformselige 68er-Bewegung gab, die mit der isolierten Terroristenfraktion Ulrike Meinhofs nichts gemein hatte. Meinhofs Freund und Mittäter Horst Mahler, der heute als rechtsextremer Phantast von sich reden macht, tituliert die RAF mittlerweile hämisch als Waffen-SDS. Die Revolutionstheorien des SDS von 1968 und die RAF-Idee lagen näher beieinander, als das den tonangebenden Heldendarstellern der Studentenrevolte heute lieb ist. Ulrike Meinhof sprang mit Andreas Bader im Juni 1970 nach einer Schießerei aus einem Parterrefenster in den Untergrund, ihr Hopser aus der Apo in die RAF war wahrlich kein großer Sprung.
Neben den Helfern im Westen verfügte die RAF von Anfang an über ein sicheres Hinterland in der DDR. Jutta Ditfurth schildert Ulrike Meinhofs DDR-Aufenthalte als Momente der Freiheit und Erholung von Verfolgung und Unterdrückung. Das gilt für die Zeit ihre illegalen KPD-Arbeit im SDS und in der Zeitschrift "konkret" wie auch für die spätere RAF-Zeit. In der DDR traf die engagierte Streiterin gegen das Unrecht in der Welt angeblich auf kluge Ratgeber und alte "Kämpfer gegen den Faschismus", auf Menschen, die verstanden, was die junge Frau im kapitalistischen Westen umtrieb. Neben allen möglichen Missständen des Adenauer-Staates waren das vor allem die noch immer in Schlüsselpositionen tätigen ehemaligen Nationalsozialisten.
Frau Ditfurth hat nun herausgefunden, dass sogar die nächste familiäre Umgebung Ulrike Meinhofs naziverseucht war. Vater Meinhof, den die Tochter kaum noch bewusst erlebte, war NSDAP-Mitglied gewesen, ein Onkel und ihr späterer Schwiegervater ebenfalls, ja sogar Meinhofs linke Ziehmutter Renate Riemeck trat 1941 in die NSDAP ein. Akribisch notiert Ditfurth hinter den Namen dieser Verwandten wie auch hinter den Namen der späteren Gerichtsgutachter im RAF-Prozess deren NSDAP-Mitgliedsnummern. Bei Nazis, die in der DDR zu Amt und Würden gekommen waren, verschweigt die Autorin deren Vergangenheit. Gerhard Dengler etwa vom DDR-Nationalrat wird freundlich erwähnt. Der Herausgeber des DDR-Braunbuchs über Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik belieferte Ulrike Meinhof 1965 mit präpariertem Material gegen Bundespräsident Heinrich Lübke. Denglers NSDAP-Mitgliedsnummer stammt aus dem Jahr 1937, vor 1933 gehörte er dem Stahlhelm und später der SA an. Das alles ist seit langem bekannt. Doch es passt nicht in das Ditfurth-Meinhof-Bild von der DDR, wo "ehemalige NS-Verfolgte versuchten, einen sozialistischen Staat aufzubauen". Also weglassen wie vieles andere, was Ditfurths stringente Meinhof-Legende durcheinanderbringen könnte.
Das gilt besonders für den letzten Teil des Buches, in dem noch einmal alle Verschwörungstheorien der siebziger Jahre über Isolationshaft, systematische Folter von RAF-Gefangenen und die Ermordung Ulrike Meinhofs durch ein Geheimdienstkommando Revue passieren. Auch hier wird alles Widersprechende verschwiegen oder relativiert. Selbst der häufig von Ditfurth als Freund und Helfer Ulrike Meinhofs herbeizitierte gute DDR-Mensch, Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul, hatte sich 1977 in einem Gespräch mit dem Frankfurter RAF-Anwalt Weidenhammer energisch gegen die "Folterthese" gewandt. "Abgesehen von Härten, die jede Haft mit sich bringt", könne "die Behandlung der Gefangenen in Stammheim (Bücher, Schreibmaschine, Fernseher, Rundfunk, Tischtennis, gemeinsame Diskussion über Tag) nicht als ,unmenschliche Behandlung' im Sinne des Art. 3 der Konvention gegen die Strafverfolgungsbehörden der BRD angesehen werden".
In der Danksagung am Ende des Buches führt Jutta Ditfurth auch ihre "Zeitzeugen" auf. Ausschließlich ehemalige RAF-Leute, Meinhof-Anwälte, Meinhof-Sympathisanten und Freunde. Kritiker, politische Gegner oder gar Menschen, die von Terroranschlägen betroffen wurden, an denen Meinhof direkt oder mittelbar beteiligt war, interessierten die Biographin nicht. Ihr Betroffenheitspathos endet genau da, wo Ulrike Meinhof 1970 die "Grenze zwischen uns und dem Feind" gezogen hatte. Frau Ditfurth beansprucht laut Untertitel des Buches, "Die Biografie" über Ulrike Meinhof vorgelegt zu haben. Herausgekommen aber ist eine linke Polit-Schmonzette über Ulrike gegen den Rest der bösen Welt.
JOCHEN STAADT
Jutta Ditfurth: Ulrike Meinhof. Die Biografie. Ullstein Verlag, Berlin 2007. 479 S., 22,90 [Euro].
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