Marktplatzangebote
9 Angebote ab € 15,00 €
  • Gebundenes Buch

Im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert wiegt die historische Bedeutung des österreichischen Staatsvertrages schwerer als sein politischer Stellenwert. Der Staatsvertrag von 1955 brachte in Verbindung mit der im gleichen Jahr proklamierten Neutralität das Ende der zehn Jahre währenden ""Ost-West-Besetzung"" Österreichs - der Besetzung des Landes durch Streitkräfte einander im Kalten Krieg feindselig gegenüberstehender Militärblöcke. Damit war auch die zehn Jahre lang latent vorhandene Gefahr einer Zerreißung des Landes gebannt. Dieses Standardwerk erscheint nunmehr in der vierten, grundlegend…mehr

Produktbeschreibung
Im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert wiegt die historische Bedeutung des österreichischen Staatsvertrages schwerer als sein politischer Stellenwert. Der Staatsvertrag von 1955 brachte in Verbindung mit der im gleichen Jahr proklamierten Neutralität das Ende der zehn Jahre währenden ""Ost-West-Besetzung"" Österreichs - der Besetzung des Landes durch Streitkräfte einander im Kalten Krieg feindselig gegenüberstehender Militärblöcke. Damit war auch die zehn Jahre lang latent vorhandene Gefahr einer Zerreißung des Landes gebannt. Dieses Standardwerk erscheint nunmehr in der vierten, grundlegend neubearbeiteten und wesentlich erweiterten Auflage, mit Verarbeitung zahlreicher seit der dritten Auflage neu zugänglich gewordener Quellen, einschließlich erstmals verwerteter russischer Archivquellen, und unter Berücksichtigung der neuesten Forschungsliteratur.
Autorenporträt
Gerald Stourzh, geb. 1929 in Wien, emer. Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Wien, wirkl. Mitglied d. Österr. Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Zuvor Professor an der Freien Universität Berlin. Forschungstätigkeit an der University of Chicago, dem Institute for Advanced Study Princeton, sowie dem Churchill College, Universität Cambridge.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.1999

Gunst der Stunde
Ein Meisterwerk der Diplomatiegeschichte: Gerald Stourzh, völlig überarbeitet und wesentlich erweitert

Gerald Stourzh: Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955. Studien zu Politik und Verwaltung, Band 62. 4., völlig überarbeitete und wesentlich erweiterte Auflage. Böhlau Verlag, Wien 1998. 831 Seiten, 12 Abbildungen, 140,- Mark.

Der Wiener Historiker Gerald Stourzh hat ein Meisterwerk vorgelegt: Erzählt wird die "Geschichte über das Zustandekommen des österreichischen Staatsvertrags" vom Sommer 1955, der das Ende der Ost-West-Besetzung des Landes in den Jahren seit 1945 besiegelte und zur Voraussetzung wurde für die "immerwährende Neutralität". Dass der Autor nach der Zeitenwende der Jahre 1989/90 in einer grundlegenden Erweiterung und Überarbeitung seines zuerst 1975 erschienenen Buches eine im Prinzip ganz neue Darstellung verfassen konnte, hängt mit der elementaren Tatsache zusammen, dass sich die Materialbasis des Untersuchungsgegenstandes inzwischen wesentlich verbreitert hat. Noch für die 1985 erschienene dritte Auflage standen dem Verfasser für das Entscheidungsjahr 1955 keine Archivalien aus den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion zur Verfügung. Das hat sich mittlerweile erheblich geändert; erstmals vermochte der Autor sogar russische Archive, wenn auch begrenzt, doch zumindest soweit zu sichten, dass die Motive und Ziele der Österreich-, Europa- und Weltpolitik der Sowjetunion weit deutlicher als zuvor benannt werden können.

Allein, die Quellen, die unveröffentlichten und die publizierten, die zusammen mit einer vorbildlichen Auswertung der zeitgenössischen Publizistik und der wissenschaftlichen Literatur so intensiv herangezogen worden sind, bilden nur das Rohmaterial, das der österreichische Historiker kunstvoll bearbeitet hat: Es ist vor allem die gedankliche Durchdringung des Untersuchungsgegenstandes, die den Gang der Dinge plausibel macht, die das verwirrend Unübersichtliche des Geschehens zu einer einleuchtend nachvollziehbaren Geschichte formt, die immer wieder Erkenntnisse in Einsichten zu verwandeln versteht, welche die Behauptung vom angeblich "altmodischen Klang" der Diplomatiegeschichte ein um das andere Mal widerlegen. Stourzh' Buch ist ein Beispiel dafür, dass "das Handwerk der Diplomaten . . . so modern wie eh und je ist" und dass ihre Geschichte zu schreiben weit über die wissenschaftliche Dimension hinaus nützlich sein kann.

Insofern unterbreitet der Autor ein Lehrstück "über die Kunst des Verhandelns . . . und über jene Künstler des Verhandelns, ob Berufsdiplomaten oder Staatsmänner, die, fünf verschiedenen Ländern angehörend, ,nicht mit der Waffe in der Hand, sondern mit Beredsamkeit und Geisteskräften' eine der dauerhaftesten friedlichen Kompromisslösungen in der Geschichte des 20. Jahrhunderts errungen haben", die nicht zuletzt Österreich zu einem ganz unschätzbaren Vorteil gereicht hat.

Mit jeweils unterschiedlicher Intensität im Hinblick auf ihre Realisierungschancen standen zwischen 1945 und 1955 fünf Varianten zur Debatte, um die österreichische Frage, um die Zukunft des von Russen, Amerikanern, Briten und Franzosen okkupierten Landes zu lösen: Zum einen konnte es bei einer "anhaltenden Besetzung durch die Vier Mächte" bleiben; zum Zweiten war eine am deutschen Beispiel orientierte "Teilung Österreichs" niemals auszuschließen; zum Dritten existierte die ebenfalls nicht von vornherein von der Hand zu weisende Möglichkeit, "Österreich als Teil des Ostblocks" zu konstituieren; dem entsprach zum Vierten die Möglichkeit, das Land als einen "auch militärisch integrierten Teil des Westblocks" aus dem Ringen des Kalten Krieges hervorgehen zu lassen; und zum Fünften gab es jene Option, die schließlich Wirklichkeit geworden ist, nämlich Österreich "als Staat zwischen zwei Militärblöcken" zu situieren.

Allem voran war es der Wille der Österreicher selbst, die fremden Besatzer loszuwerden und im Sinne der Moskauer "Erklärung über Österreich" vom 1. November 1943 aufs Neue, wie vor dem Jahr des "Anschlusses" an das Deutsche Reich, "frei und unabhängig" zu werden. Hinzu kam, dass die Entwicklung der Weltpolitik in den Jahren 1954/55 gerade diese Lösung zuließ, ja sogar begünstigte: Die Amerikaner, Briten und Franzosen konnten sich vor dem Hintergrund der zurückliegenden Erfahrungen mit dem kleinen Land darauf verlassen, dass Österreich auch nach ihrem militärischen Abzug das bleiben würde, was es seit vielen Jahren war, nämlich ein "geheimer Verbündeter" des Westens. Daher vermochte sich der amerikanische Außenminister Dulles auf der Berliner Konferenz am 13. Februar 1954, einem "Lostag für Österreich", auch dazu verstehen, eine - in Analogie zum Schweizer Vorbild - freiwillig erklärte Neutralität Österreichs zu akzeptieren. Zusammen mit der Versicherung von Außenminister Figl, sein Land habe nicht die Absicht, ein Militärbündnis mit irgendeinem Staat einzugeben, war damit zugleich die militärische Blockfreiheit der Republik bekräftigt.

Die Sowjets spekulierten darauf, im Zuge einer weltweiten Kampagne für die Blockfreiheit und Neutralisierung möglichst vieler Staaten das Blatt auch in Österreich, ja überhaupt in Europa zu ihren Gunsten zu wenden. Moskau fällte diese Entscheidung nicht nur, wie mit nach wie vor zutreffender Berechtigung argumentiert wird, um die Bundesrepublik Deutschland zu umwerben und deren westlicher Orientierung entgegenzuwirken. Vielmehr trat etwas Entscheidendes hinzu, auf das Gerald Stourzh nunmehr den Blick gelenkt hat: Es war die neue Strategie Chruschtschows, mit der er sich gegenüber dem führenden Repräsentanten der orthodoxen Linie, Molotow, schließlich durchsetzte, nämlich durch einen gründlich veränderten "grand dessein soviétique", einen großen Plan der Sowjetrepublik, über den Frankreichs Botschafter in Belgrad damals so eindrucksvoll berichtete, in Europa und in Asien im globalen Maßstab Vorteil zu nehmen. Die Russen hatten nämlich vor, zwischen den Blöcken "eine Art von Barriere neutraler oder neutralisierter Staaten" zu bilden, "die von Finnland und Schweden bis Jugoslawien reichen würde", die Österreich einschloss und die "übermorgen" auch Deutschland umfassen sollte. Mehr noch: Über den alten Kontinent hinaus strebten die Sowjets in weltweitem Zusammenhang nach der Errichtung einer so genannten "Sphäre des Friedens", appellierten an die sich im indonesischen Bandung im April 1955 zur "Dritten Welt" formierenden Staaten Afrikas und Asiens und planten, unter ihrer Vormundschaft ein "Friedenslager" zu schaffen, das den amerikanischen Einfluss zurückdrängen sollte.

Der Abzug der Russen aus dem chinesischen Port Arthur und ihr Verzicht auf den finnischen Marinestützpunkt Porkkala-Udd können in diesem Zusammenhang als Symptome der sowjetischen Politik einer neuen "souplesse", einer bis dahin unbekannten Beweglichkeit, gelten, die Österreich bevorzugt zugute kam: "Bei einem Baustein dieser Politik, der Österreich-Lösung vom April 1955, ging es also um mehr als lediglich die Nato-Abwehr, auch um mehr als die Funktion eines ,Modellfalls' für Deutschland; es handelte sich um einen Teil einer über Europa hinausreichenden Politik der Flexibilität unter dem Schlagwort der ,friedlichen Koexistenz', die überdies nichtkommunistischen, aber eben durch kein Militärbündnis mit dem Westen und dessen Führungsmacht verbundenen Staaten einen neuen Rang in der sowjetischen Strategie einräumte - und zunächst dem Westen eine Überraschung nach der anderen bescherte". Kein Wunder also, dass Chruschtschow "die Österreich-Lösung mit der Erklärung der österreichischen Neutralität . . . als ,Sieg'" betrachtete. Und die Amerikaner, die Österreich als stillen Alliierten des Westens auf ihrer Seite wussten, schätzten die gefundene Regelung gleichfalls nicht als Niederlage ein: Dieser Interessenausgleich der beiden Blöcke war es, der Österreich im "annus mirabilis" 1955 all das zu gewinnen ermöglichte, wonach seine Politiker und Diplomaten viele Jahre lang mit nicht erlahmender Zähigkeit und großem Geschick gestrebt hatten - Einheit und Freiheit.

KLAUS HILDEBRAND

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr