Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 5,00 €
  • Gebundenes Buch

Die Geschichte vom Tod einer Mutter: präzise, wahrhaftig, menschlich. Ein modernes memento mori. Hermann Kinders Erzählung ist die literarisch einfühlsame, dichte Bewältigung eines der großen Tabuthemen unserer Zeit: des Todes. In den Falten am Ellbogen, den Gesten und Blicken, dem 4711-Geruch, den Worten und dem Schweigen, in den Gegenständen, die entrümpelt werden müssen, in allem spiegelt sich auch unsere eigene Geschichte, das eigene Leben und der eigene Tod.

Produktbeschreibung
Die Geschichte vom Tod einer Mutter: präzise, wahrhaftig, menschlich. Ein modernes memento mori. Hermann Kinders Erzählung ist die literarisch einfühlsame, dichte Bewältigung eines der großen Tabuthemen unserer Zeit: des Todes. In den Falten am Ellbogen, den Gesten und Blicken, dem 4711-Geruch, den Worten und dem Schweigen, in den Gegenständen, die entrümpelt werden müssen, in allem spiegelt sich auch unsere eigene Geschichte, das eigene Leben und der eigene Tod.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.06.1998

Von der Erhaltung der Materie
Mikroskopisch: Hermann Kinders Erzählung "Um Leben und Tod"

Hermann Kinder hat ein Buch darüber geschrieben, wie ein Sohn die Krankheit und das Sterben einer Mutter wahrnimmt. Schon der erste Satz über jenen Sohn, der die Erzählung als fokussierendes Auge des Autors vermittelt, justiert die Einstellung des Kamera-Auges, gibt Aufschluß über Kinders ästhetisches Verfahren: "Meier, das wußte er, war ein Biosystem, das seinen Namen trug und unterging und dem Gesetz von der Erhaltung der Materie ein minder hübsches Beispiel war." Betroffenheitsprosa läßt ein solcher Satz nicht erwarten. Der Verfall eines Biosystems namens Mensch wird mit kaltem Blick wahrgenommen. Vielleicht aber ist Meier ein wenig hypochondrisch.

Meier hatte unbezahlten Urlaub genommen, war in den Süden gereist, um ein Jahr dort abzuschalten, um ganz bei sich zu sein, da ereilt ihn die Nachricht des Bruders: Die Mutter müsse ins Krankenhaus, er habe keine Zeit, Meier möge sich kümmern. "Da war die Freiheit vorbei." Aus dem Versuch, mit sich selbst ins reine zu kommen, wird eine Rückkehr ins verlassene "Daheim", auch in die eigene Vergangenheit und in einen fremden, lästigen Alltag. Aus dem bloß angedeuteten Aufräumversuch in sich selbst wird ein Aufräumen von anderer, existentieller Art: Fast ein Jahr lang dauert das Sterben der Mutter.

Nüchtern, sachlich sind die Überschriften der zahlreichen Passagen von jeweils nur wenigen Seiten: "Fort", "Zurück", "Krankenhaus". Minutiös halten diese Kapitelüberschriften die Stationen des Vergehens fest: "Von Zehen" - "Vor dem Vorfuß" - "Vorfuß" - über "Knöchel" und "Unterschenkel" und so weiter bis "Oberschenkel"; dann "Intensivstation", "Der Rollstuhl".

Dazwischen immer wieder kurze Abschnitte, in denen Meier außerhalb des Krankenhauses gezeigt wird. Die Wohnung der Mutter muß entsorgt werden und bietet Gelegenheit zur Besichtigung von Vergangenheit und Gegenwartsverfall. Viele Bilder, die Kinder da in den Blick rückt, sind einigermaßen scheußlich: "Ihr selbstgenähter Bademantel war von dreißig Jahren Schweiß und Schuppen, Schnaps und Rauch und Bratenfett versteift und stank" - solche Bilder ersetzen ganze Milieuschilderungen.

Mit seiner Mutter Wohnung räumt Meier also zugleich sein eigenes Leben auf, ein wenig auch die Beziehung zu seinem erfolgreichen Bruder. Der ruft hin und wieder an "und schickte mit einem Kurier einen halben, in Plastik eingeschweißten Lachs, den er von Geschäftsfreunden aus Norwegen geschenkt bekommen hatte". Das ist eines der zahlreichen eingestreuten Genrebildchen, die ganze Psychogramme ersetzen. Und, natürlich, besorgt der Bruder den besten Rollstuhl, den es gibt.

Als die Mutter nach halber Genesung in einem Heim untergebracht ist, reist Meier ab, "nur vor sich ein wenig stolz, daß es sich . . . gelohnt hatte". Er wandert zur Erholung zwei Wochen "entlang der Tiroler Grenze"; für niemanden erreichbar, läuft er durch die Berge, "wie ins Leben winkend, froh über seine beiden Beine und mutig, daß er, würde ihm ein Bein abgeschnitten, schon noch Wege würde finden können wie die Mutter". Im Hotel in Bozen erst erreicht ihn der Brief des Bruders, der ihm vom plötzlichen Tod der Mutter berichtet und daß er sie schon begraben habe.

Meier, wieder bei sich zu Hause, erstarrt, läßt sich neben die Wirklichkeit fallen. "Meier saß da und schaute in den Park, als habe jemand vergessen, ihn wegzuholen, seinen Stuhl zu drehen und ihn irgendwohin zu schieben, wo Leben war. Nun blieb nur noch der eigene Tod." So ist das Leben. Von der "abgebrochenen Freiheit" ist nicht viel übrig: "Am Montag (war er) vor der Zeit im Geschäft."

Kinder schreibt mit zugleich distanziertem und mikroskopischem Blick: Aber gerade das von Tränen freie Auge sieht ja klarer als das verschlierte. Wenn er Meier den verfallenden Körper der "Muddi" anschauen läßt, ihren Unterleib beschreibt und dabei sehr konkret wird, dann rückt er das Biosystem vor das Auge des Lesers, lenkt ihn nicht ab von der konkret erfahrbar gemachten Situation des "Das bist auch du"; da gibt es keine sentimentalen Betrachtungen über Leid, Schmerz, Leben und Tod. Die Konkretheit der Schilderungen macht diesen Text zuweilen schwer erträglich, aber zugleich sehr stringent.

Das gilt nicht nur für die Schilderung der kranken Mutter. Auch der erfolgreiche Bruder mit seiner rundum egoistisch-praktischen Art, der pragmatisch-zynische Chirurg, der Hauswirt oder die Mitbewohnerinnen des Krankenzimmers sind wie das gesamte menschliche Ambiente dieser um die verfallende Mutter organisierten Welt einer gleichbleibend kühlen Anschauung ausgesetzt, die äußerst plastische Bilder formt.

Hermann Kinder, dessen Bücher allesamt von autobiographischer Erfahrung grundiert sind, hat sich nie mit der bloßen Abschilderung erlebter Verhältnisse begnügt. Immer hat er durch seine Figuren die Wirklichkeit gefiltert zur Anschauung gebracht: als deren subjektive und zugleich von sich selbst entfernte Erfahrung. In der dritten Person erzählt es sich leichter gerade auch über sich selbst. Das führt freilich, besonders bei diesem Thema, in diesem Buch, zu Sätzen, die wie Verstecke wirken, zu groben, rohen Sätzen, die dem tieferen Empfinden und Mitleiden entgehen wollen, das sich hinter ihnen verbirgt - vielleicht ist dies so ein Satz: "Manchmal, wenn Meier so auf die Mutter hinuntersprach, schien in der plötzlich so verbitterten Mutter Vergangenes wiederzukehren, in dessen Spiegel sie nicht bloß die greise, wie ein Klumpen nassen Bademantels in den Rollstuhl geschmissene Frau zu sein schien." Es gibt viele solche Sätze in dieser Erzählung. Vielleicht hat Hermann Kinder eine Erzählung über das Sterben seiner Mutter geschrieben. HEINZ LUDWIG ARNOLD

Hermann Kinder: "Um Leben und Tod". Erzählung. Hamburg, Rotbuch Verlag 1997. 140 S., geb., 34,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr