Sprachmächtig, ergreifend, außergewöhnlich
Der Bestsellerautor und preisgekrönte Reporter Bartholomäus Grill erzählt die Geschichte seiner Lebensreise mit dem Tod. Seine eindringlich geschilderten Begegnungen mit dem Sterben, vom frühen Tod der Schwester über das Lebensende der Eltern bis hin zum Massensterben in Afrika und dem Freitod des unheilbar kranken Bruders, machen »Um uns die Toten« zu einer ganz persönlichen und zugleich allgemeingültigen Auseinandersetzung mit dem Tod. Ein literarisches Sachbuch, das unter die Haut geht.
Bartholomäus Grill nimmt den Leser mit auf eine Reise, die von der bayerischen Heimat über Rumänien und Afrika nach Zürich und wieder zurück führt, eine Reise, die zu einem ergreifenden Memento mori wird. Die Erfahrungswelt beginnt im erzkatholischen Bayern, wo der Tod allgegenwärtig und faszinierend erscheint. Als Auslandskorrespondent begegnet ihm der Tod als Massenmörder, in Gestalt von Kriegen, Epidemien und Hungersnöten. Im Kontrast dazu steht das Sterben der Liebsten: der Tod der schwerstbehinderten Schwester, die kurz nach der Geburt stirbt, das einsame Ende des Vaters, der Freitod des Bruders und das erbarmungslose Sterben der Mutter.
Ein sprachgewaltiges Buch, das berührt und lange nachklingt. In dem Sich-vergewissern der eigenen Sterblichkeit, aber auch in der Freiheit, »nicht an den Tod denken zu müssen«, ist »Um uns die Toten« zugleich ein bewegendes und außergewöhnliches Buch über das Leben.
Der Bestsellerautor und preisgekrönte Reporter Bartholomäus Grill erzählt die Geschichte seiner Lebensreise mit dem Tod. Seine eindringlich geschilderten Begegnungen mit dem Sterben, vom frühen Tod der Schwester über das Lebensende der Eltern bis hin zum Massensterben in Afrika und dem Freitod des unheilbar kranken Bruders, machen »Um uns die Toten« zu einer ganz persönlichen und zugleich allgemeingültigen Auseinandersetzung mit dem Tod. Ein literarisches Sachbuch, das unter die Haut geht.
Bartholomäus Grill nimmt den Leser mit auf eine Reise, die von der bayerischen Heimat über Rumänien und Afrika nach Zürich und wieder zurück führt, eine Reise, die zu einem ergreifenden Memento mori wird. Die Erfahrungswelt beginnt im erzkatholischen Bayern, wo der Tod allgegenwärtig und faszinierend erscheint. Als Auslandskorrespondent begegnet ihm der Tod als Massenmörder, in Gestalt von Kriegen, Epidemien und Hungersnöten. Im Kontrast dazu steht das Sterben der Liebsten: der Tod der schwerstbehinderten Schwester, die kurz nach der Geburt stirbt, das einsame Ende des Vaters, der Freitod des Bruders und das erbarmungslose Sterben der Mutter.
Ein sprachgewaltiges Buch, das berührt und lange nachklingt. In dem Sich-vergewissern der eigenen Sterblichkeit, aber auch in der Freiheit, »nicht an den Tod denken zu müssen«, ist »Um uns die Toten« zugleich ein bewegendes und außergewöhnliches Buch über das Leben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2014Die einzige Bestie, die sich nicht zähmen lässt
Beschweigen führt nicht weiter: Bartholomäus Grill fordert uns auf, den Tod näher ins Leben zu holen
Mors certa, hora incerta: Der Tod ist uns sicher, doch seine Stunde ist uns nicht bekannt. Vielleicht ist das die schlechthin bündigste Formel für einen Grundzug menschlichen Lebens. Zudem steckt in ihr eigentlich alles, was sich über den Tod sagen lässt: Er wird unweigerlich kommen, aber weil er nicht mehr Teil des Lebens ist, endet da auch schon unsere Bekanntschaft. Wir wissen nicht einmal, ob wir sie in der eigenen Todesstunde machen werden - unabhängig davon, ob wir uns ein Danach ausmalen oder verwerfen.
Aber möglich ist es immerhin, diese Stunde selbst zu bestimmen, im selbstgesetzten Ende. So wie es der Bruder des Reporters Bartholomäus Grill tat, der im finalen Stadium einer Krebserkrankung die Dienste des Züricher Sterbehilfevereins Dignitas in Anspruch nahm. Bartholomäus Grill schrieb über diese Sterbegeschichte seines Bruders vor fast zehn Jahren einen Bericht, der sehr große Aufmerksamkeit fand. Genauso wie seine daran sich knüpfende Diskussion mit dem Philosophen Robert Spaemann, der sich entschieden gegen solche Sterbehilfe ausgesprochen hatte.
Beides, die Erzählung vom Sterben seines Bruders und das Gespräch mit Robert Spaemann, findet man auch in Grills neuem Buch. "Meine Begegnungen mit dem Sterben" ist sein Untertitel, und es verknüpft die private mit der professionellen Biographie seines Autors, die Sterbefälle in seiner Familie und seinem Bekanntenkreis mit den Sterbenden und Toten, die der Reporter auf seinen Reisen in Kriegs- und Krisengebiete gesehen hat - ab den neunziger Jahren als Korrespondent in Afrika.
Von der Kindheit auf einem Bergbauernhof, später in einer Kleinstadt im tiefen Bayern wird so der Bogen geschlagen zu blutigen Bandenkriegen, Völkermord, verheerenden Hungersnöten und Epidemien. Und auch wieder zurück zur Familiengeschichte, zum Tod des Vaters, des Bruders, der Mutter. Es ist eine Erzählung, die mit der Evokation einer katholisch überwölbten Provinzwelt der sechziger Jahre anhebt, mit ihren Kirchenfesten, Heiligen und vielerlei symbolisch unterlegten Handlungen, die Alltag und Arbeit durchdringen. Eine Welt, von der sich der Autor als junger Mann losmacht, sogar mit antiklerikalem Furor, um dann mit zunehmender Lebens- und Welterfahrung zur Einsicht zu gelangen, dass man in letzten und auch vorletzten Dingen den Fortschritt nicht überschätzen sollte.
Erinnerungen an das eigene Bekanntwerden mit Todesgeschichten, Schilderungen des gewaltsamen oder massenhaften Todes, Erzählungen vom Sterben geliebter Menschen, das alles verknüpft mit einigen Erkundungen von Bilder- und Vorstellungswelten, die den Tod umgeben - das ist kein leichter Parcours. Es drohen auf der einen Seite Besinnlichkeiten, auf der anderen existentiell aufgebrachtes Rütteln. Der Autor umschifft diese Klippen recht sicher. Einen Ratgeber hat er nicht geschrieben, sondern ein Buch, das die eigenen Erfahrungen zu klären sucht.
Aber doch auch ein Buch, das ein Anliegen hat und das sein Autor sogar als Ausdruck eines kollektiven Bedürfnisses versteht, nämlich "den verdrängten, verbannten und scheinbar gezähmten Tod wieder näher ans Leben zurückzuholen". Vom Beschweigen des aus dem Gesichtskreis verbannten Todes ist bei Grill öfters die Rede. Gegen Ende des Buchs stößt man auf eine Szene im Fitnessstudio: Ein alter Mann wird vorgeführt, der sich auf dem Laufband abquält. Und der Autor hat ein Resümee seiner Beschreibung parat: "Das Fitnesscenter ist ein Sinnbild für die freizeitindustrielle Verdrängung des Todes."
Da möchte man eher zum Anwalt der vermeintlichen Todesverdrängung werden. Schließlich wäre nichts leichter, als das Fitnessstudio umgekehrt unter die Belege für eine - wie immer auch indirekte - Einsicht in die Gebrechlichkeit des Lebens und des Laufs, den es mit uns allen nimmt, zu zählen. Die generalisierte Verdrängungsthese behauptet den Wert einer direkteren Konfrontation mit einem "näher ans Leben zurückgeholten" Tod, ohne sich näher darüber auszusprechen. Glücklicherweise vielleicht, denn die tatsächlich redseligen neueren Enthusiasten der Sterbeerfahrung sind dem Autor zu Recht verdächtig.
Immer noch interessant nachzulesen ist die Dokumentation des Gesprächs mit Robert Spaemann. Nicht nur wegen des Pro und Contra in Sachen Sterbehilfe, sondern weil Spaemann in ihm eine denkbar grundsätzliche Frage über den selbstgesetzten Tod aufwirft: ob wir uns nämlich für ihn überhaupt im üblichen Sinn des Wortes entscheiden, zu ihm also durch das Abwägen von Gründen gelangen können. Wohl kaum, lautet die Antwort, und deshalb scheint die Unausweichlichkeit des Todes die Kehrseite einer Unaufkündbarkeit des Lebens. Wollen wir es loswerden, können wir uns nur überrumpeln, so formulierte es Wittgenstein einmal. So wie uns auch der Tod überrumpelt. Selbst dann, wenn wir ihm die Stunde bestimmen.
HELMUT MAYER
Bartholomäus Grill: "Um uns die Toten. Meine Begegnungen mit dem Sterben". Siedler Verlag, München 2014. 224 S., Abb., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Beschweigen führt nicht weiter: Bartholomäus Grill fordert uns auf, den Tod näher ins Leben zu holen
Mors certa, hora incerta: Der Tod ist uns sicher, doch seine Stunde ist uns nicht bekannt. Vielleicht ist das die schlechthin bündigste Formel für einen Grundzug menschlichen Lebens. Zudem steckt in ihr eigentlich alles, was sich über den Tod sagen lässt: Er wird unweigerlich kommen, aber weil er nicht mehr Teil des Lebens ist, endet da auch schon unsere Bekanntschaft. Wir wissen nicht einmal, ob wir sie in der eigenen Todesstunde machen werden - unabhängig davon, ob wir uns ein Danach ausmalen oder verwerfen.
Aber möglich ist es immerhin, diese Stunde selbst zu bestimmen, im selbstgesetzten Ende. So wie es der Bruder des Reporters Bartholomäus Grill tat, der im finalen Stadium einer Krebserkrankung die Dienste des Züricher Sterbehilfevereins Dignitas in Anspruch nahm. Bartholomäus Grill schrieb über diese Sterbegeschichte seines Bruders vor fast zehn Jahren einen Bericht, der sehr große Aufmerksamkeit fand. Genauso wie seine daran sich knüpfende Diskussion mit dem Philosophen Robert Spaemann, der sich entschieden gegen solche Sterbehilfe ausgesprochen hatte.
Beides, die Erzählung vom Sterben seines Bruders und das Gespräch mit Robert Spaemann, findet man auch in Grills neuem Buch. "Meine Begegnungen mit dem Sterben" ist sein Untertitel, und es verknüpft die private mit der professionellen Biographie seines Autors, die Sterbefälle in seiner Familie und seinem Bekanntenkreis mit den Sterbenden und Toten, die der Reporter auf seinen Reisen in Kriegs- und Krisengebiete gesehen hat - ab den neunziger Jahren als Korrespondent in Afrika.
Von der Kindheit auf einem Bergbauernhof, später in einer Kleinstadt im tiefen Bayern wird so der Bogen geschlagen zu blutigen Bandenkriegen, Völkermord, verheerenden Hungersnöten und Epidemien. Und auch wieder zurück zur Familiengeschichte, zum Tod des Vaters, des Bruders, der Mutter. Es ist eine Erzählung, die mit der Evokation einer katholisch überwölbten Provinzwelt der sechziger Jahre anhebt, mit ihren Kirchenfesten, Heiligen und vielerlei symbolisch unterlegten Handlungen, die Alltag und Arbeit durchdringen. Eine Welt, von der sich der Autor als junger Mann losmacht, sogar mit antiklerikalem Furor, um dann mit zunehmender Lebens- und Welterfahrung zur Einsicht zu gelangen, dass man in letzten und auch vorletzten Dingen den Fortschritt nicht überschätzen sollte.
Erinnerungen an das eigene Bekanntwerden mit Todesgeschichten, Schilderungen des gewaltsamen oder massenhaften Todes, Erzählungen vom Sterben geliebter Menschen, das alles verknüpft mit einigen Erkundungen von Bilder- und Vorstellungswelten, die den Tod umgeben - das ist kein leichter Parcours. Es drohen auf der einen Seite Besinnlichkeiten, auf der anderen existentiell aufgebrachtes Rütteln. Der Autor umschifft diese Klippen recht sicher. Einen Ratgeber hat er nicht geschrieben, sondern ein Buch, das die eigenen Erfahrungen zu klären sucht.
Aber doch auch ein Buch, das ein Anliegen hat und das sein Autor sogar als Ausdruck eines kollektiven Bedürfnisses versteht, nämlich "den verdrängten, verbannten und scheinbar gezähmten Tod wieder näher ans Leben zurückzuholen". Vom Beschweigen des aus dem Gesichtskreis verbannten Todes ist bei Grill öfters die Rede. Gegen Ende des Buchs stößt man auf eine Szene im Fitnessstudio: Ein alter Mann wird vorgeführt, der sich auf dem Laufband abquält. Und der Autor hat ein Resümee seiner Beschreibung parat: "Das Fitnesscenter ist ein Sinnbild für die freizeitindustrielle Verdrängung des Todes."
Da möchte man eher zum Anwalt der vermeintlichen Todesverdrängung werden. Schließlich wäre nichts leichter, als das Fitnessstudio umgekehrt unter die Belege für eine - wie immer auch indirekte - Einsicht in die Gebrechlichkeit des Lebens und des Laufs, den es mit uns allen nimmt, zu zählen. Die generalisierte Verdrängungsthese behauptet den Wert einer direkteren Konfrontation mit einem "näher ans Leben zurückgeholten" Tod, ohne sich näher darüber auszusprechen. Glücklicherweise vielleicht, denn die tatsächlich redseligen neueren Enthusiasten der Sterbeerfahrung sind dem Autor zu Recht verdächtig.
Immer noch interessant nachzulesen ist die Dokumentation des Gesprächs mit Robert Spaemann. Nicht nur wegen des Pro und Contra in Sachen Sterbehilfe, sondern weil Spaemann in ihm eine denkbar grundsätzliche Frage über den selbstgesetzten Tod aufwirft: ob wir uns nämlich für ihn überhaupt im üblichen Sinn des Wortes entscheiden, zu ihm also durch das Abwägen von Gründen gelangen können. Wohl kaum, lautet die Antwort, und deshalb scheint die Unausweichlichkeit des Todes die Kehrseite einer Unaufkündbarkeit des Lebens. Wollen wir es loswerden, können wir uns nur überrumpeln, so formulierte es Wittgenstein einmal. So wie uns auch der Tod überrumpelt. Selbst dann, wenn wir ihm die Stunde bestimmen.
HELMUT MAYER
Bartholomäus Grill: "Um uns die Toten. Meine Begegnungen mit dem Sterben". Siedler Verlag, München 2014. 224 S., Abb., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In seinem Buch "Um uns die Toten" plädiert Bartholomäus Grill für ein kollektives memento mori, berichtet Helmut Mayer. Der Journalist Grill erzählt zu diesem Zweck genauso von den Todesfällen in seiner eigenen Familie in der bayerischen Provinz, wie von den Hungersnöten und blutigen Konflikten in den Krisenregionen Afrikas, über die er seit den neunziger Jahren berichtet, fasst der Rezensent zusammen. Überall vermutet der Autor Symptome unseres Ausweichens vor dem Unausweichlichen, die Mayer nicht immer nachvollziehbar findet: warum sollen Fitnesscenter die "freizeitindustrielle Verdrängung des Todes" verkörpern und nicht das Bewusstsein unserer Zerbrechlichkeit?, fragt sich der Rezensent. Spannend liest sich aber immer noch Grills Diskussion mit dem Philosophen Robert Spaemann über die Legitimität der Sterbehilfe, findet Mayer, der sich allerdings eher von Spaemanns Argumenten gegen einen organisierten Freitod überzeugen lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Grill schafft es, das allergrößte persönliche Unglück mit größter Authentizität und Beherrschung zu beschreiben. Er gibt damit einem verdrängten Vorgang Sprache.« Frank Schirrmacher in seiner Laudatio für den Egon-Erwin-Kisch-Preis 2006