Es ist Abend. Draußen wütet ein Schneesturm. Eine Frau sitzt mit einem Buch auf den Knien da und erwartet niemanden mehr. Da klopft es. Auf der Schwelle steht die befreundete Autorin. Verstört prescht sie in die Wohnung. Sie sagt, sie sei in eine arge Geschichte hineingeraten, aus der sie allein nicht mehr entkommen könne, und beginnt von ihrem Roman zu erzählen. Wie Ingeborg Bachmann oder Elfriede Jelinek lotet Lydia Mischkulnig in ihrem neuen Roman die Grenzen weiblicher Identität aus.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2003Das Original steckt im Schrank
Knödel oder Nockerl? Lydia Mischkulnig spielt mit Identitäten
"Aber wer bin ich? Eine kindische Frage. Und noch kindischer ist, wenn ich mich frage, was will es, diese Ichige?" Diese Einsicht kommt in Lydia Mischkulnigs drittem Roman zu spät. Da hat sich die Erzählerin bereits dreifach im Ichigen und nebenbei im "Gefühl für Pfotigkeit" verstrickt. Nun gibt es keinen ulkigen Einfall mehr, dem nicht nachgegeben würde, und so erscheinen auch die Fragen zwangsläufig immer idiotischer: "Frage mich, wie es wäre, als Klon meiner Mutter Agathe herumzulaufen? Vielleicht bin ich das Original und habe mich kopiert, und meine Kopie lebt nun munter dahin, während das Original womöglich im Schrankraum steckt. Habe ich mich weggesperrt, Platz gemacht, mich selbst entsorgt?"
Daraus läßt sich unschwer ersehen, daß es sich in dem Roman wieder einmal um ein Spiel mit Identitäten handelt, in dessen Verlauf sich das "Zellhäuflein" der multiplen Persönlichkeit, das sich unverkennbar "auf österreichischem Boden herausgebildet" hat, im Minutentakt ("Sie formulierte und formulierte") in allerlei Klumpiges verwandelt; in einen "Knödel im Magen" zum Beispiel. Auch der Weiblichkeitsdiskurs spielt sich vorzugsweise im Bereich des Glibbrigen ab: "Die heilige Agathe zwickte sich die Brüste ab und servierte sie in Zinnschüsseln als Wackelpudding zukünftigen Vergewaltigern." Die Männer dagegen werden nach dem Formprinzip Igittigitt lautmalerisch modelliert: "Er quetscht noch sein gefletschtes Gebiß mit den faulenden Fetzen in ihre verzerrten Lefzen."
Die Inspirationsquelle dieser Art des Schreibens "in Denkgeschwindigkeit" scheint einmal mehr der Wiener Opernball zu sein: "Um die Opernballbesucher zu beschämen, brüllten wir ihnen mit wachsender Lust entdeckte Peinlichkeiten zu. Daß die Strümpfe Laufmaschen hätten oder daß braune Flecken am Hintern seien, Hundescheiße am Schuh, Lidstrich verpatzt, Pudelfrisur. Das offene Hosentürl bei Männern . . ." Solche Gemeinheiten, glaubt die Erzählerin, seien etwas "typisch Österreichisches", das die Eingeborenen "vielleicht gerade mit Hitler" gemein hätten. Das soll witzig sein, politisch unkorrekte Pöbellust nach Klagenfurter Art.
Selten nur jedoch erzeugt das pubertäre Prinzip Preziosen von erhabener Albernheit ("Geierkrallen schreiten daher"), der große Rest ist fast durchweg Gequassel. "Ich schreibe, solange ich kann", droht Lydia Mischkulnig noch, wenn dem Leser schon kein vernockerlter Gedanke, kein versemmelter Satz und kein verknödelter Vergleich mehr fremd ist. Zum Glück geht kurz darauf das Licht aus.
FRIEDMAR APEL
Lydia Mischkulnig: "Umarmung". Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart und München 2002. 272 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Knödel oder Nockerl? Lydia Mischkulnig spielt mit Identitäten
"Aber wer bin ich? Eine kindische Frage. Und noch kindischer ist, wenn ich mich frage, was will es, diese Ichige?" Diese Einsicht kommt in Lydia Mischkulnigs drittem Roman zu spät. Da hat sich die Erzählerin bereits dreifach im Ichigen und nebenbei im "Gefühl für Pfotigkeit" verstrickt. Nun gibt es keinen ulkigen Einfall mehr, dem nicht nachgegeben würde, und so erscheinen auch die Fragen zwangsläufig immer idiotischer: "Frage mich, wie es wäre, als Klon meiner Mutter Agathe herumzulaufen? Vielleicht bin ich das Original und habe mich kopiert, und meine Kopie lebt nun munter dahin, während das Original womöglich im Schrankraum steckt. Habe ich mich weggesperrt, Platz gemacht, mich selbst entsorgt?"
Daraus läßt sich unschwer ersehen, daß es sich in dem Roman wieder einmal um ein Spiel mit Identitäten handelt, in dessen Verlauf sich das "Zellhäuflein" der multiplen Persönlichkeit, das sich unverkennbar "auf österreichischem Boden herausgebildet" hat, im Minutentakt ("Sie formulierte und formulierte") in allerlei Klumpiges verwandelt; in einen "Knödel im Magen" zum Beispiel. Auch der Weiblichkeitsdiskurs spielt sich vorzugsweise im Bereich des Glibbrigen ab: "Die heilige Agathe zwickte sich die Brüste ab und servierte sie in Zinnschüsseln als Wackelpudding zukünftigen Vergewaltigern." Die Männer dagegen werden nach dem Formprinzip Igittigitt lautmalerisch modelliert: "Er quetscht noch sein gefletschtes Gebiß mit den faulenden Fetzen in ihre verzerrten Lefzen."
Die Inspirationsquelle dieser Art des Schreibens "in Denkgeschwindigkeit" scheint einmal mehr der Wiener Opernball zu sein: "Um die Opernballbesucher zu beschämen, brüllten wir ihnen mit wachsender Lust entdeckte Peinlichkeiten zu. Daß die Strümpfe Laufmaschen hätten oder daß braune Flecken am Hintern seien, Hundescheiße am Schuh, Lidstrich verpatzt, Pudelfrisur. Das offene Hosentürl bei Männern . . ." Solche Gemeinheiten, glaubt die Erzählerin, seien etwas "typisch Österreichisches", das die Eingeborenen "vielleicht gerade mit Hitler" gemein hätten. Das soll witzig sein, politisch unkorrekte Pöbellust nach Klagenfurter Art.
Selten nur jedoch erzeugt das pubertäre Prinzip Preziosen von erhabener Albernheit ("Geierkrallen schreiten daher"), der große Rest ist fast durchweg Gequassel. "Ich schreibe, solange ich kann", droht Lydia Mischkulnig noch, wenn dem Leser schon kein vernockerlter Gedanke, kein versemmelter Satz und kein verknödelter Vergleich mehr fremd ist. Zum Glück geht kurz darauf das Licht aus.
FRIEDMAR APEL
Lydia Mischkulnig: "Umarmung". Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart und München 2002. 272 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Reichlich hämisch macht Rezensent Friedmar Apel mit Lydia Mischkulnigs drittem Roman kurzen Prozess. Hier herrscht das "pubertäre Prinzip", verkündet er und beschreibt die Höhepunkte des Buches als "Preziosen von erhabener Albernheit". Zitate, mit denen er Kostproben dieser Preziosen präsentiert, können den Leser das Fürchten lehren. So sieht Apel die Autorin sich im "Ichigen" und dem "Gefühl der Pfotigkeit" verstricken. Auch belehrt er uns, dass es sich bei diesem Roman um ein "Spiel mit Identitäten" handelt, das er offensichtlich aber nicht sehr überzeugend fand. Während sich der Weiblichkeitsdiskurs des Buches für Apel glibbrig anfühlt, sieht er die Männer "nach dem Modell des Igittigitt" modelliert. Am Ende sei dem Leser "kein vernockerlter Gedanke" der österreichischen Autorin mehr fremd.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Der souverän an den Vorbildnerinnen Jelinek und Streeruwitz vorbeischreibenden Autorin gelingen immer wieder makabre 'Versuchungen' der Liebe und glaubhafte Heraufbeschwörungen der Leidenschaft." (Hajo Steinert, Die Zeit)