Corona-Pandemie, Klimawandel, Flüchtlingsströme, Hunger, Armut, Müll in den Meeren. Wir alle wissen um die Krisen, aber es passiert zu wenig dagegen. Deshalb ohne Wenn und Aber: Schöne Worte braucht niemand mehr. Jetzt muss konkret gehandelt werden. Jeder ist gefordert! Mit Gerd Müller redet ein deutscher Spitzenpolitiker und Minister Klartext. Entwicklungshilfeminister Gerd Müller nimmt uns mit auf seine Reisen fernab des europäischen Wohlstands, erzählt von bewegenden Begegnungen und erklärt, warum sich unsere Handlungen in Europa auf den Rest der Welt auswirken - im Positiven wie im Negativen. Müller macht klar: Wir müssen konsequent umdenken. Er ruft zum beherzten Umdenken in einer globalisierten Welt auf, in der ein neuer Europa-Afrika-Pakt und ein neues globales Verantwortungsgefühl die Welt ein Stück friedlicher, gerechter und zukunftsfähig machen könnten. Ein Buch, das die Augen öffnet, ohne zu moralisieren, das aber an unsere Verantwortung in einer zusammengewachsenen Welt erinnert und konkrete Lösungswege aufzeigt.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Bernd Freytag empfiehlt Gerd Müllers Appell für ein Umdenken im Hinblick auf Bevölkerungswachstum, Klimawandel, Armut und Ungleichheit. Wie der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung anhand von persönlichen Erfahrungen und Begegnungen vor allem am Beispiel Afrikas die Herausforderungen der Menschheit darstellt, scheint Freytag so engagiert wie kenntnisreich und nachvollziehbar. Kritisch sieht Freytag die Lösungsvorschläge im Buch. Zum einen hält er für schwierig, dass Müller Diagnose und Therapie miteinander vermengt und so Redundanzen erzeugt, zum anderen fehlt ihm der Hinweis auf "internationale Regelwerke", die Müllers Aufruf zur Nachhaltigkeit stützen könnten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.2020Streitbar für die Schwächsten
Und ein Schuss Paternalismus - Programmatisches aus der Feder von Entwicklungsminister Gerd Müller
"Wir brauchen dringend eine neue weltweite Verantwortungsethik. Die Menschheit ist aufgefordert, Änderungen insbesondere im Lebensstil, der Produktionsweise und im Konsum vorzunehmen." Mit diesen Worten beginnt der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, das Abschlusskapitel seines Buches "Umdenken. Überlebensfragen der Menschheit". Müller ist bekannt und geschätzt dafür, streitbar für die Schwächsten einzutreten. Diesem Ruf wird er in diesem Buch wieder gerecht. Basierend auf zahlreichen persönlichen Erfahrungen und sehr engagiert - man hört ihn beim Lesen sprechen - behandelt der Autor sein Thema, und umfassend dazu. Neben dem Vorwort und der Einleitung werden in insgesamt sechs weiteren Kapiteln die Herausforderungen für die Menschheit und Ansätze zu deren Bewältigung skizziert.
Der Autor sieht drei wesentliche Herausforderungen für die Menschheit: das Bevölkerungswachstum und die damit verbundene Beanspruchung der Erde, den Klimawandel und die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit. In eindringlichen Worten schildert er die bekannte demographische Entwicklung, den Trend zur Urbanisierung mit all ihren Problemen sowie den Zuwachs an Müllmengen, deren Entsorgung oft nicht fachgerecht stattfindet. Auch die Auswirkungen des Klimawandels werden detailliert und kenntnisreich beschrieben. Dabei kommt es dem Autor besonders darauf an, die Beziehung des Klimawandels zum Entwicklungsproblem einschließlich der Armut und Ungleichheit zu betonen. Zudem werden Armut und Ungleichheit in Verbindung mit den Flüchtlingskrisen der jüngeren Vergangenheit diskutiert; der Autor hebt auch die Verantwortung der reichen Länder für Frieden und Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern hervor.
Ein besonderes Anliegen ist Gerd Müller darüber hinaus die Entwicklung in Afrika. Hier zeigt sich seine tiefe Kenntnis des Kontinents, auf dem der Minister 42 Länder besucht hat. Er hat Afrika mit all seinen Widersprüchen erlebt, die sehr lesenswert herausgearbeitet werden. Da gibt es moderne Metropolen wie Kigali oder eine hochmoderne Lebensmittelfabrik in Nairobi; es gibt aber auch Textilfabriken, in denen unter menschenunwürdigen Verhältnissen geschuftet wird, oder Elektroschrottdeponien mit hohen Gesundheitsrisiken. Da gibt es Präsidenten, die zuhören und die herausragende Bedeutung der Korruptionsbekämpfung erkannt haben; und es gibt den Präsidenten von Tschad, der sich einen neuen mondänen Präsidentenpalast bauen lässt und zur desaströsen Gesundheitsversorgung in seinem Land erklärt, dass Kranke in seinem Land ja nach Europa oder in die Vereinigten Staaten fliegen könnten.
Am Beispiel Afrikas lassen sich die drei Herausforderungen - Bevölkerungswachstum, Klimawandel, Armutsbekämpfung - in der Tat sehr anschaulich, quasi im Brennglas herausarbeiten. Dies gelingt dem Autor besonders gut, während er gleichzeitig das enorme Potential des Kontinents betont. Der Diagnose ist insgesamt wenig hinzuzufügen, sie ist schlüssig und nachvollziehbar. Diesen Teil des Buches kann man vielen Journalisten sowie Mitarbeitern der dem Ministerium nachgelagerten Behörden nur zur Lektüre empfehlen - es wird höchste Zeit für ein differenziertes Afrika-Bild in der deutschen Öffentlichkeit.
Kritischer hingegen muss der Teil des Buches gelesen werden, der der Therapie gewidmet ist. Die Therapievorschläge sind erstens schon deshalb nicht leicht verständlich, weil sie immer wieder in die diagnostischen Teile verwoben sind. Auch wenn dass Buch kein wissenschaftliches Sachbuch sein will, wäre es doch für die Wucht der Argumentation besser gewesen, Diagnose und Therapie strikter zu trennen. So erscheinen viele Vorschläge im Schlusskapitel redundant, weil sie weiter vorne schon wiederholt unterbreitet wurden.
Noch schwerer allerdings wiegt eine zweite Kritik. Der Autor setzt auf Freiwilligkeit und Verhaltensänderungen, meist in Verbindung mit einem gehörigen Schuss Paternalismus (gerade mit Blick auf die Entwicklungsländer). Es werden auch zahlreiche Beispiele genannt - allen voran das BMZ, das auf Initiative des Ministers seit Jahresanfang 2020 klimaneutral ist. Viele Unternehmen haben sich zudem zur Nachhaltigkeit verpflichtet, und etliche deutsche Projekte der Entwicklungszusammenarbeit setzten auf Nachhaltigkeit. All das hört sich zunächst gut an. Aber es nützt nur wenig, wenn es nicht durch ein durchsetzbares internationales Regelwerk unterstützt wird.
Denn es dürfte kaum gelingen, die Menschen so grundlegend zu ändern, dass sie ihr Streben nach materiellem Wohlstand aufgeben, zumal dann, wenn sie sehen, dass andere dies nicht tun. Das Klimaproblem ist ein Allmendeproblem, das nur durch klare, durchsetzbare und global festgelegte Emissionsbegrenzungen in Verbindung mit Steuern oder Zertifikaten zu lösen ist. Das Entwicklungsproblem lässt sich am besten mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit lösen - regelgebundene Marktöffnung in der OECD und Investitionen vor Ort wären geeignete Strategien. Und das demographische Problem löst sich vermutlich automatisch, wenn die wirtschaftliche Entwicklung positiv verläuft.
Gute Regeln, innerhalb derer Freiwilligkeit sich lohnt, finden keine Erwähnung in dem eigentlich lesenswerten Buch. Dennoch hat der Autor recht: Ein Umdenken ist dringend nötig. Dies ist mit einem guten Regelwerk für Klimaschutz und Entwicklungszusammenarbeit aber viel leichter zu bewerkstelligen als mit dem Versuch, einen neuen Menschen zu beschwören. Diese Versuche sind immer und überall gescheitert. So weit geht der Minister zwar nicht - aber es wäre doch ein Leichtes gewesen, das notwendige Regelwerk zu skizzieren. Wir schlagen dies für eine hoffentlich notwendige zweite Auflage vor.
ANDREAS FREYTAG
Gerd Müller.
Umdenken. Überlebensfragen der Menschheit.
Murmann Verlag Hamburg 2020.
200 S., 20.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und ein Schuss Paternalismus - Programmatisches aus der Feder von Entwicklungsminister Gerd Müller
"Wir brauchen dringend eine neue weltweite Verantwortungsethik. Die Menschheit ist aufgefordert, Änderungen insbesondere im Lebensstil, der Produktionsweise und im Konsum vorzunehmen." Mit diesen Worten beginnt der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, das Abschlusskapitel seines Buches "Umdenken. Überlebensfragen der Menschheit". Müller ist bekannt und geschätzt dafür, streitbar für die Schwächsten einzutreten. Diesem Ruf wird er in diesem Buch wieder gerecht. Basierend auf zahlreichen persönlichen Erfahrungen und sehr engagiert - man hört ihn beim Lesen sprechen - behandelt der Autor sein Thema, und umfassend dazu. Neben dem Vorwort und der Einleitung werden in insgesamt sechs weiteren Kapiteln die Herausforderungen für die Menschheit und Ansätze zu deren Bewältigung skizziert.
Der Autor sieht drei wesentliche Herausforderungen für die Menschheit: das Bevölkerungswachstum und die damit verbundene Beanspruchung der Erde, den Klimawandel und die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit. In eindringlichen Worten schildert er die bekannte demographische Entwicklung, den Trend zur Urbanisierung mit all ihren Problemen sowie den Zuwachs an Müllmengen, deren Entsorgung oft nicht fachgerecht stattfindet. Auch die Auswirkungen des Klimawandels werden detailliert und kenntnisreich beschrieben. Dabei kommt es dem Autor besonders darauf an, die Beziehung des Klimawandels zum Entwicklungsproblem einschließlich der Armut und Ungleichheit zu betonen. Zudem werden Armut und Ungleichheit in Verbindung mit den Flüchtlingskrisen der jüngeren Vergangenheit diskutiert; der Autor hebt auch die Verantwortung der reichen Länder für Frieden und Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern hervor.
Ein besonderes Anliegen ist Gerd Müller darüber hinaus die Entwicklung in Afrika. Hier zeigt sich seine tiefe Kenntnis des Kontinents, auf dem der Minister 42 Länder besucht hat. Er hat Afrika mit all seinen Widersprüchen erlebt, die sehr lesenswert herausgearbeitet werden. Da gibt es moderne Metropolen wie Kigali oder eine hochmoderne Lebensmittelfabrik in Nairobi; es gibt aber auch Textilfabriken, in denen unter menschenunwürdigen Verhältnissen geschuftet wird, oder Elektroschrottdeponien mit hohen Gesundheitsrisiken. Da gibt es Präsidenten, die zuhören und die herausragende Bedeutung der Korruptionsbekämpfung erkannt haben; und es gibt den Präsidenten von Tschad, der sich einen neuen mondänen Präsidentenpalast bauen lässt und zur desaströsen Gesundheitsversorgung in seinem Land erklärt, dass Kranke in seinem Land ja nach Europa oder in die Vereinigten Staaten fliegen könnten.
Am Beispiel Afrikas lassen sich die drei Herausforderungen - Bevölkerungswachstum, Klimawandel, Armutsbekämpfung - in der Tat sehr anschaulich, quasi im Brennglas herausarbeiten. Dies gelingt dem Autor besonders gut, während er gleichzeitig das enorme Potential des Kontinents betont. Der Diagnose ist insgesamt wenig hinzuzufügen, sie ist schlüssig und nachvollziehbar. Diesen Teil des Buches kann man vielen Journalisten sowie Mitarbeitern der dem Ministerium nachgelagerten Behörden nur zur Lektüre empfehlen - es wird höchste Zeit für ein differenziertes Afrika-Bild in der deutschen Öffentlichkeit.
Kritischer hingegen muss der Teil des Buches gelesen werden, der der Therapie gewidmet ist. Die Therapievorschläge sind erstens schon deshalb nicht leicht verständlich, weil sie immer wieder in die diagnostischen Teile verwoben sind. Auch wenn dass Buch kein wissenschaftliches Sachbuch sein will, wäre es doch für die Wucht der Argumentation besser gewesen, Diagnose und Therapie strikter zu trennen. So erscheinen viele Vorschläge im Schlusskapitel redundant, weil sie weiter vorne schon wiederholt unterbreitet wurden.
Noch schwerer allerdings wiegt eine zweite Kritik. Der Autor setzt auf Freiwilligkeit und Verhaltensänderungen, meist in Verbindung mit einem gehörigen Schuss Paternalismus (gerade mit Blick auf die Entwicklungsländer). Es werden auch zahlreiche Beispiele genannt - allen voran das BMZ, das auf Initiative des Ministers seit Jahresanfang 2020 klimaneutral ist. Viele Unternehmen haben sich zudem zur Nachhaltigkeit verpflichtet, und etliche deutsche Projekte der Entwicklungszusammenarbeit setzten auf Nachhaltigkeit. All das hört sich zunächst gut an. Aber es nützt nur wenig, wenn es nicht durch ein durchsetzbares internationales Regelwerk unterstützt wird.
Denn es dürfte kaum gelingen, die Menschen so grundlegend zu ändern, dass sie ihr Streben nach materiellem Wohlstand aufgeben, zumal dann, wenn sie sehen, dass andere dies nicht tun. Das Klimaproblem ist ein Allmendeproblem, das nur durch klare, durchsetzbare und global festgelegte Emissionsbegrenzungen in Verbindung mit Steuern oder Zertifikaten zu lösen ist. Das Entwicklungsproblem lässt sich am besten mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit lösen - regelgebundene Marktöffnung in der OECD und Investitionen vor Ort wären geeignete Strategien. Und das demographische Problem löst sich vermutlich automatisch, wenn die wirtschaftliche Entwicklung positiv verläuft.
Gute Regeln, innerhalb derer Freiwilligkeit sich lohnt, finden keine Erwähnung in dem eigentlich lesenswerten Buch. Dennoch hat der Autor recht: Ein Umdenken ist dringend nötig. Dies ist mit einem guten Regelwerk für Klimaschutz und Entwicklungszusammenarbeit aber viel leichter zu bewerkstelligen als mit dem Versuch, einen neuen Menschen zu beschwören. Diese Versuche sind immer und überall gescheitert. So weit geht der Minister zwar nicht - aber es wäre doch ein Leichtes gewesen, das notwendige Regelwerk zu skizzieren. Wir schlagen dies für eine hoffentlich notwendige zweite Auflage vor.
ANDREAS FREYTAG
Gerd Müller.
Umdenken. Überlebensfragen der Menschheit.
Murmann Verlag Hamburg 2020.
200 S., 20.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main