Dieses Buch präsentiert die erste umfassende Darstellung der geschichtspolitischen Auseinandersetzungen zur SED-Diktatur in der Bundesrepublik in den letzten Jahren.Die thematische Spannweite reicht von der Kontroverse um die Überführung der Akten des Staatssicherheitsdienstes der DDR in das Bundesarchiv bis zu den Auseinandersetzungen um die Berliner Gedenkstätte Hohenschönhausen, die mit dem Beschluss zur Auflösung der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD einhergehenden Diskussionen, den Debatten um die in Berlin und Leipzig geplanten Freiheits- und Einheitsdenkmäler sowie das Ringen um einen "Campus der Demokratie" bzw. ein "Forum für Freiheit und Bürgerrechte". Ebenso wird der kritische Blick auf die diskursive Begleitung der Aktivitäten zur Wiedererrichtung der Potsdamer Garnisonkirche sowie der Fragen nach einer "ostdeutschen Elite" gerichtet.Bei den der Zukunft geltenden Gedanken geht es um neue Ansätze, Formate und Interpretationen der Zeitgeschichte, namentlich für die kommende Generation. Gestützt auf die Analyse von Leistungen und Grenzen der bislang praktizierten Formen der geschichtspolitischen Arbeit werden hier Überlegungen zur Befestigung einer demokratischen Geschichtskultur im Rahmen zukünftiger Vorhaben wie der "Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte" und eines "Zukunftszentrums" zur europäischen Transformation und deutschen Einheit nach den Friedlichen Revolutionen in Mittelosteuropa entwickelt.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Reichlich irritiert zeigt sich Rezensent Norbert F. Pötzl von Rainer Eckerts Buch über die Aufarbeitung der SED-Vergangenheit. Das Buch, dessen Veröffentlichung letztes Jahr - unter einem anderen Titel - beim Mitteldeutschen Verlag nicht zustande gekommen war, nachdem einige der von Eckert behandelte Personen ihre Persönlichkeit verletzt sahen, erweist sich für den Kritiker als eine wenig integer argumentierende Streitschrift. Es geht dem Autor offensichtlich vor allem darum, so Pötzl, mit seinen Gegnern in der Dissidentenszene abzurechnen und seine eigenen Verdienste ins rechte Licht zu setzen. Pauschal beurteile Eckert Sinn und Unsinn diverser Initiativen. Wirklich gut komme dabei praktisch nur sein persönlicher Freund Ilko-Sascha Kowalczuk weg, dessen Sicht auf die Dinge Eckert viel Platz einräumt. Unter den Kontroversen, die das Buch bereits im Vorfeld ausgelöst hatte, greift Pötzl Eckerts Kritik an der DDR-Spitzensportlerin Ines Geipel heraus, die Pötzl zufolge nicht auf seriöser Quellenarbeit beruht. Insgesamt eine vertane Gelegenheit zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit, insbesondere angesichts jüngerer ostalgischer Tendenzen in Bestsellern von Katja Hoyer und Dirk Oschmann, bilanziert Pötzl.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.07.2023Die Fehde der Aufarbeiter
Der Historiker Rainer Eckert, einst Regimekritiker in der DDR, legt ein wunderliches Werk vor mit Angriffen auf ehemalige Oppositionelle
Ein Buch, das zunächst verhindert wurde, ist nun doch erschienen. Ursprünglich sollte es im August vorigen Jahres unter dem Titel „Getrübte Erinnerungen?“ im Mitteldeutschen Verlag veröffentlicht werden. Der Historiker Rainer Eckert beschreibt darin die geschichtspolitischen Auseinandersetzungen um die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Nachdem der in Halle (Saale) ansässige Verlag Druckfahnen an Journalisten versandt hatte, um frühzeitige Rezensionen anzuregen, kursierte der Text rasch unter Akteuren der Aufarbeitungsszene. Mehrere im Buch erwähnte Personen meldeten Einsprüche wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte an. Daraufhin kündigte der Verlag den Autorenvertrag mit Eckert, die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zog den bewilligten Druckkostenzuschuss zurück.
Nun hat der Leipziger Universitätsverlag das umstrittene Werk herausgebracht, hier und da unter Berücksichtigung der erhobenen Einwände und versehen mit einem Vorwort, in dem der Verfasser die durch sein Buch ausgelöste Kontroverse aus seiner Sicht kommentiert. Der neue Titel „Umkämpfte Vergangenheit“ kennzeichnet treffend das Sujet: Die kleine Schar derjenigen, die die Aufarbeitung der SED-Diktatur betreibt – mehrheitlich ehemalige DDR-Bürgerrechtler, Dissidenten und Verfolgte der kommunistischen Herrschaft –, ist untereinander zerstritten und verfeindet. Rainer Eckert ist allerdings selbst ein Teil dieses Problems.
Eckert, 1950 in Potsdam geboren, in der DDR politisch verfolgt, leitete von 1997 bis 2015 das Zeithistorische Forum Leipzig. Im ersten Kapitel seines Buches behandelt er seinen Abschied von dieser Institution, dessen Form ihn zutiefst gekränkt hat. So wurde verletzte Eitelkeit zur Triebfeder seiner Abrechnung mit Personen und Institutionen, die ihm nicht gut gesinnt sind. Karim Saab, einst ein Leipziger Oppositioneller, nennt Eckert einen „Insider der heillos zerstrittenen Aufarbeitungsszene, der ins Abseits geraten“ ist.
Eckert sieht seine Verdienste um die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit, die sich in kaum zu zählenden Gremien- und Verbandsmitgliedschaften manifestieren, nicht hinreichend gewürdigt. Schulmeisterlich vergibt er Noten an andere Akteure, teilt Initiativen in „richtig“ und „falsch“ ein und kanzelt ab, was nicht seinen Vorstellungen entspricht. Dabei scheut er keine Verbalinjurien: Seine Widersacher sind „heimtückisch“, „verleumderisch“ oder verfügen nur „über nur geringe Expertise“. Durchgehend einig ist sich Eckert nur mit seinem Freund Ilko-Sascha Kowalczuk, dem ostdeutschen Historikerkollegen, den er ein ums andere Mal zustimmend zitiert. Kowalczuk wiederum warf dem Mitteldeutschen Verlag nach dessen Rückzieher einen „in der DDR-Aufarbeitungslandschaft einmaligen Fall von ‚cancel culture‘“ vor.
Anstoß erregten vor allem die Schmähungen Eckerts gegen die ehemalige DDR-Spitzensprinterin Ines Geipel, die Opfer des staatlichen Zwangsdopings war und von der Staatssicherheit bespitzelt wurde; sie lehrt heute als Professorin an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch und ist als Publizistin tätig. Für viele Ostdeutsche ist sie offenbar eine Zumutung, weil sie besonders schonungslos auf die DDR blickt, an die sich viele nicht als Diktatur, sondern als Heimat erinnern möchten.
Eckert kolportiert ungeprüft missgünstige Behauptungen über Geipel, um Zweifel an deren Biografie zu säen. Eben diese Absicht verfolgt auch Eckerts Freund Kowalczuk, ein langjähriger Mitarbeiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, der eine Ablichtung aus Geipels unrechtmäßig in Umlauf gebrachter Stasi-Opfer-Akte an den inzwischen verstorbenen Grünen-Politiker Werner Schulz verschickte und gegen Auszeichnungen Geipels mit renommierten Literaturpreisen lebhaft intervenierte. Kowalczuk verübelt Geipel eine kritische Rezension seines letzten Buches, in dem er die DDR zum Opfer einer feindlichen „Übernahme“ (so der Buchtitel) durch den Westen stilisierte.
Ein von Geipel angebotenes Vieraugengespräch lehnte Eckert ab. Uneinsichtig beharrt er darauf, dass er „nur Dinge zusammenfassend“ beschrieben habe, „die durch die Presse gegangen waren oder vor Gerichten verhandelt worden sind“. Eigene Quellenstudien zur Faktenlage betrieb er nicht – erstaunlich für einen Historiker. Wenn das Kapitel „Ines Geipel und das Doping“ wirklich „keine große Rolle spielt“, wie Eckert behauptet, hätte er die fünf Seiten aus dem (ohne Anmerkungen) knapp 300 Seiten umfassenden Text streichen können. Aber es geht ihm ersichtlich darum, Kowalczuk bei dessen Feldzug gegen Geipel zu unterstützen.
Überhaupt ficht Eckert Kämpfe an allen Fronten aus. Schon die Kapitelüberschriften markieren Martialisches: Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen bewegte sich in einem „Kampffeld“, Kämpfe gab es um die Gedenkstätte Hohenschönhausen und um die Historische Kommission beim Parteivorstand der SPD. Im Text setzen sich die Kämpfe fort: „um Referenten“, „gegen Mythen“, „gegen mein Gutachten“, „um Deutungshoheit“ – und Eckert immer mittendrin. Eckert gibt vor, Chronist der Aufarbeitung sein, aber er ignoriert, was ihm nicht ins Konzept passt. Er zitiert ihm genehme Aussagen, aber unterschlägt gegenteilige Äußerungen.
Dass es unter den zumeist ostdeutschen Aufarbeitern unterschiedliche Sichtweisen gibt, ist nicht verwunderlich. Die Oppositionellen in der DDR waren zu keiner Zeit eine homogene Gruppe. Einig waren sie sich nur in der Ablehnung und Überwindung des SED-Systems, was durch die friedliche Revolution im Herbst 1989 gelang. Danach trennten sich ihre Wege wieder. Viele wirkten und wirken in Parteien und Parlamenten mit, beförderten die demokratische Entwicklung im vereinten Deutschland. Andere gerieten durch Eigenbrötelei in die Bedeutungslosigkeit, einige drifteten auch in ein populistisches oder gar rechtsextremes Umfeld ab.
Eckert beschreibt mit einem Hang zur Rechthaberei die „Konflikte in der deutschen Erinnerungskultur“, bewertet aus seiner subjektiven Sicht die Arbeit der diversen Stiftungen und Gedenkstätten und beschäftigt sich mit der Diskussion um die „ostdeutschen Eliten“. Einstige Gegner des SED-Regimes wurden zwar, was Eckert positiv hervorhebt, „zu einer wichtigen Gestaltungsmacht bei der Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit“. Aber „dieses Milieu hat“, wie Kowalczuk zu Recht beklagt, „in den vergangenen Jahren erheblich an Einfluss und Relevanz verloren. Längst dominieren andere Narrative über die DDR, die immer häufiger nicht mehr als Diktatur rekonstruiert wird“.
Gerade deshalb hätte Eckerts Buch ein Gegenpol zu den aktuellen geschichtsrevisionistischen Bestsellern von Katja Hoyer („Diesseits der Mauer“) und Dirk Oschmann („Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“) werden können, mit denen die einstigen Stützen und Mitläufer des SED-Regimes beglückt werden. Die Chance ist leider vertan.
NORBERT F. PÖTZL
Norbert F. Pötzl hat unter anderem Biografien über Erich Honecker und Wolfgang Vogel sowie das Buch „Der Treuhand-Komplex“ verfasst.
Eckert kolportiert ungeprüft
missgünstige Behauptungen
über Ines Geipel
Rainer Eckert:
Umkämpfte Vergangenheit. Die SED-Diktatur in der aktuellen Geschichtspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2023. 435 Seiten, 40 Euro.
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Der Historiker Rainer Eckert, einst Regimekritiker in der DDR, legt ein wunderliches Werk vor mit Angriffen auf ehemalige Oppositionelle
Ein Buch, das zunächst verhindert wurde, ist nun doch erschienen. Ursprünglich sollte es im August vorigen Jahres unter dem Titel „Getrübte Erinnerungen?“ im Mitteldeutschen Verlag veröffentlicht werden. Der Historiker Rainer Eckert beschreibt darin die geschichtspolitischen Auseinandersetzungen um die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Nachdem der in Halle (Saale) ansässige Verlag Druckfahnen an Journalisten versandt hatte, um frühzeitige Rezensionen anzuregen, kursierte der Text rasch unter Akteuren der Aufarbeitungsszene. Mehrere im Buch erwähnte Personen meldeten Einsprüche wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte an. Daraufhin kündigte der Verlag den Autorenvertrag mit Eckert, die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zog den bewilligten Druckkostenzuschuss zurück.
Nun hat der Leipziger Universitätsverlag das umstrittene Werk herausgebracht, hier und da unter Berücksichtigung der erhobenen Einwände und versehen mit einem Vorwort, in dem der Verfasser die durch sein Buch ausgelöste Kontroverse aus seiner Sicht kommentiert. Der neue Titel „Umkämpfte Vergangenheit“ kennzeichnet treffend das Sujet: Die kleine Schar derjenigen, die die Aufarbeitung der SED-Diktatur betreibt – mehrheitlich ehemalige DDR-Bürgerrechtler, Dissidenten und Verfolgte der kommunistischen Herrschaft –, ist untereinander zerstritten und verfeindet. Rainer Eckert ist allerdings selbst ein Teil dieses Problems.
Eckert, 1950 in Potsdam geboren, in der DDR politisch verfolgt, leitete von 1997 bis 2015 das Zeithistorische Forum Leipzig. Im ersten Kapitel seines Buches behandelt er seinen Abschied von dieser Institution, dessen Form ihn zutiefst gekränkt hat. So wurde verletzte Eitelkeit zur Triebfeder seiner Abrechnung mit Personen und Institutionen, die ihm nicht gut gesinnt sind. Karim Saab, einst ein Leipziger Oppositioneller, nennt Eckert einen „Insider der heillos zerstrittenen Aufarbeitungsszene, der ins Abseits geraten“ ist.
Eckert sieht seine Verdienste um die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit, die sich in kaum zu zählenden Gremien- und Verbandsmitgliedschaften manifestieren, nicht hinreichend gewürdigt. Schulmeisterlich vergibt er Noten an andere Akteure, teilt Initiativen in „richtig“ und „falsch“ ein und kanzelt ab, was nicht seinen Vorstellungen entspricht. Dabei scheut er keine Verbalinjurien: Seine Widersacher sind „heimtückisch“, „verleumderisch“ oder verfügen nur „über nur geringe Expertise“. Durchgehend einig ist sich Eckert nur mit seinem Freund Ilko-Sascha Kowalczuk, dem ostdeutschen Historikerkollegen, den er ein ums andere Mal zustimmend zitiert. Kowalczuk wiederum warf dem Mitteldeutschen Verlag nach dessen Rückzieher einen „in der DDR-Aufarbeitungslandschaft einmaligen Fall von ‚cancel culture‘“ vor.
Anstoß erregten vor allem die Schmähungen Eckerts gegen die ehemalige DDR-Spitzensprinterin Ines Geipel, die Opfer des staatlichen Zwangsdopings war und von der Staatssicherheit bespitzelt wurde; sie lehrt heute als Professorin an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch und ist als Publizistin tätig. Für viele Ostdeutsche ist sie offenbar eine Zumutung, weil sie besonders schonungslos auf die DDR blickt, an die sich viele nicht als Diktatur, sondern als Heimat erinnern möchten.
Eckert kolportiert ungeprüft missgünstige Behauptungen über Geipel, um Zweifel an deren Biografie zu säen. Eben diese Absicht verfolgt auch Eckerts Freund Kowalczuk, ein langjähriger Mitarbeiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, der eine Ablichtung aus Geipels unrechtmäßig in Umlauf gebrachter Stasi-Opfer-Akte an den inzwischen verstorbenen Grünen-Politiker Werner Schulz verschickte und gegen Auszeichnungen Geipels mit renommierten Literaturpreisen lebhaft intervenierte. Kowalczuk verübelt Geipel eine kritische Rezension seines letzten Buches, in dem er die DDR zum Opfer einer feindlichen „Übernahme“ (so der Buchtitel) durch den Westen stilisierte.
Ein von Geipel angebotenes Vieraugengespräch lehnte Eckert ab. Uneinsichtig beharrt er darauf, dass er „nur Dinge zusammenfassend“ beschrieben habe, „die durch die Presse gegangen waren oder vor Gerichten verhandelt worden sind“. Eigene Quellenstudien zur Faktenlage betrieb er nicht – erstaunlich für einen Historiker. Wenn das Kapitel „Ines Geipel und das Doping“ wirklich „keine große Rolle spielt“, wie Eckert behauptet, hätte er die fünf Seiten aus dem (ohne Anmerkungen) knapp 300 Seiten umfassenden Text streichen können. Aber es geht ihm ersichtlich darum, Kowalczuk bei dessen Feldzug gegen Geipel zu unterstützen.
Überhaupt ficht Eckert Kämpfe an allen Fronten aus. Schon die Kapitelüberschriften markieren Martialisches: Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen bewegte sich in einem „Kampffeld“, Kämpfe gab es um die Gedenkstätte Hohenschönhausen und um die Historische Kommission beim Parteivorstand der SPD. Im Text setzen sich die Kämpfe fort: „um Referenten“, „gegen Mythen“, „gegen mein Gutachten“, „um Deutungshoheit“ – und Eckert immer mittendrin. Eckert gibt vor, Chronist der Aufarbeitung sein, aber er ignoriert, was ihm nicht ins Konzept passt. Er zitiert ihm genehme Aussagen, aber unterschlägt gegenteilige Äußerungen.
Dass es unter den zumeist ostdeutschen Aufarbeitern unterschiedliche Sichtweisen gibt, ist nicht verwunderlich. Die Oppositionellen in der DDR waren zu keiner Zeit eine homogene Gruppe. Einig waren sie sich nur in der Ablehnung und Überwindung des SED-Systems, was durch die friedliche Revolution im Herbst 1989 gelang. Danach trennten sich ihre Wege wieder. Viele wirkten und wirken in Parteien und Parlamenten mit, beförderten die demokratische Entwicklung im vereinten Deutschland. Andere gerieten durch Eigenbrötelei in die Bedeutungslosigkeit, einige drifteten auch in ein populistisches oder gar rechtsextremes Umfeld ab.
Eckert beschreibt mit einem Hang zur Rechthaberei die „Konflikte in der deutschen Erinnerungskultur“, bewertet aus seiner subjektiven Sicht die Arbeit der diversen Stiftungen und Gedenkstätten und beschäftigt sich mit der Diskussion um die „ostdeutschen Eliten“. Einstige Gegner des SED-Regimes wurden zwar, was Eckert positiv hervorhebt, „zu einer wichtigen Gestaltungsmacht bei der Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit“. Aber „dieses Milieu hat“, wie Kowalczuk zu Recht beklagt, „in den vergangenen Jahren erheblich an Einfluss und Relevanz verloren. Längst dominieren andere Narrative über die DDR, die immer häufiger nicht mehr als Diktatur rekonstruiert wird“.
Gerade deshalb hätte Eckerts Buch ein Gegenpol zu den aktuellen geschichtsrevisionistischen Bestsellern von Katja Hoyer („Diesseits der Mauer“) und Dirk Oschmann („Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“) werden können, mit denen die einstigen Stützen und Mitläufer des SED-Regimes beglückt werden. Die Chance ist leider vertan.
NORBERT F. PÖTZL
Norbert F. Pötzl hat unter anderem Biografien über Erich Honecker und Wolfgang Vogel sowie das Buch „Der Treuhand-Komplex“ verfasst.
Eckert kolportiert ungeprüft
missgünstige Behauptungen
über Ines Geipel
Rainer Eckert:
Umkämpfte Vergangenheit. Die SED-Diktatur in der aktuellen Geschichtspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2023. 435 Seiten, 40 Euro.
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