In diesem Band wird jene heute breitgeführte Diskussion fortgesetzt, die sich im Rahmen der politischen Philosophie mit dem Begriff der Anerkennung und seinem Verhältnis zur Gerechtigkeitstheorie beschäftigt. Nancy Fraser vertritt die These, daß eine politisch-philosophische Konzentration auf die Anerkennungsbegrifflichkeit die Folge hat, die nach wie vor brisanten Umverteilungsfragen in den Hintergrund treten zu lassen; demgegenüber möchte Axel Honneth zeigen, daß sich Fragen der Verteilungsgerechtigkeit normativ besser klären lassen, wenn sie im Rahmen eines hinreichend ausdifferenzierten Anerkennungskonzeptes reformuliert werden. Die durch diese Entgegensetzung gekennzeichnete Fragestellung wirft eine Reihe von politischen, gesellschaftstheoretischen und normativen Fragen auf, die in diesem Band kontrovers behandelt werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.2003Kann passieren
Gut aneinander vorbeigeredet: Nancy Fraser vs. Axel Honneth
Ob Umverteilung oder Anerkennung der Grundbegriff heutigen politischen Denkens sein sollte - darum streiten Nancy Fraser und Axel Honneth. Fraser sieht mit linker Sorge, wie in den politischen Debatten der Vereinigten Staaten unter dem Banner von Anerkennung an die Stelle harter ökonomischer Fakten zunehmend weiche kulturelle Abgrenzungen treten. Dabei räumt sie ein, daß nicht jeder Statusunterschied sich auf einen Klassenunterschied reduzieren lasse. Ökonomische und kulturelle Ungleichheit müßten vielmehr beide unter der Perspektive von Gerechtigkeit betrachtet werden - eine Gerechtigkeit, die sie als partizipative Parität ausführt.
Honneth setzt dagegen, daß auch er Umverteilung gut finde, daß es ihm aber auf der "darunterliegenden Ebene um die ,philosophische' Frage geht, welche der mit den beiden Begriffen jeweils verknüpften Theoriesprachen heutzutage besser geeignet ist, die politischen Forderungen des Tages zu rekonstruieren". Das ist hart, aber richtig. Fraser hat nicht begriffen, was (in Deutschland) Philosophie heißt. Von der intersubjektiven Konstituiertheit von Subjektivität überhaupt wird bei Honneth unter dem Titel Anerkennung geredet. Ohne Du kein Ich, hatte Jacobi griffig formuliert. Und Hegel hatte hinzugefügt, daß beide das voneinander wissen müssen: Ich ist Wir, und Wir ist Ich. Das wechselseitige Anerkanntsein habe seine je verschiedene Wirklichkeit in den Institutionen von Familie, Markt und Staat. Von dem aufgefächerten Anerkennungsbegriff aus können dann Phänomene von Mißachtung bestimmt werden: Niemand mag mich, weil ich zu dick bin; ich werde wegen meines Geschlechtes benachteiligt; der Wissenschaftsbetrieb ignoriert beharrlich meine Schriften.
Für Fraser ist das eine Psychologisierung. Man könnte auch sagen, daß Honneth in ihren Augen nicht verstanden hat, was Politik ist. Da ist etwas dran. All die aktuellen identitätspolitischen Probleme, die Fraser aufwendig mit der Idee der partizipativen Parität untersucht, schiebt er als uninteressant beiseite, da sie unter den Gleichheitsgrundsatz fallen, also im Horizont des Liberalismus bleiben. Kritische Theorie habe sich vor allem um die stumme Qual der Erniedrigten und Geknechteten zu bemühen, denen keine höhere Bildung zu sagen gab, wie sie leiden. Die Qual begründe einen Anspruch, denn in den Fundamenten der Gesellschaft sei die Teleologie eingelagert, für Minderung des Leidens und Mehrung des Glücks aller zu sorgen.
Der Liberalismus, so das genuin hegelsche Argument, täusche sich darüber, daß wir die Gerechtigkeit nur ernsthaft zu unserer Sache machen können, wenn wir unter einer Idee des Guten stehen. Schön, nur was folgt daraus? Doch kaum, daß - wie Goethe gegen Herders Idee von Humanität einwandte - einer des anderen humaner Krankenwärter werden soll. Manche Klage ist hohl, und nicht alles läßt sich machen. Um politisch zu sein, muß der Anspruch zu Initiative und Bewegung werden und sich auf dem Markt der Meinungen behaupten. Hegel hatte darin die Vernünftigkeit des Weltlaufs gesehen. Indem Honneth hier nicht mitmacht, bekommt seine Theorie einen Zug ins Eschatologische, daß alles ganz anders werden müsse.
So haben denn Fraser wie Honneth recht und unrecht zugleich. Man könnte auch sagen, daß sie einen unterschiedlichen Begriff von Begründung haben. Für Fraser ist Begründen das Artikulieren und Verteidigen von politischen Ansprüchen. Philosophie hat dabei ausschließlich die Funktion, das Minimum zu fixieren, dem auch der politische Gegner zustimmen muß. Für Honneth ist Begründen das Offenlegen der Grundlagen dessen, was ist. Das ist politisch nur, insofern es die Handelnden über ihre Voraussetzungen verständigt. Die Probleme zwischen Fraser und Honneth entstehen erst, wo sie ihre Wirkungskreise überschreiten: Wenn Fraser meint, daß sie ein philosophisch zureichendes Verständnis von Staat hat, und wenn Honneth meint, daß er aus seiner Idee des Guten deduzieren könne, wie die Welt aussehen soll. Philosophie oder Politik hätte der Band heißen sollen.
GUSTAV FALKE
Nancy Fraser/Axel Honneth: "Umverteilung oder Anerkennung?" Eine politisch-philosophische Kontroverse. Übersetzung der englischen Originaltexte von Nancy Fraser durch Burkhardt Wolf. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 306 S., br., 13,- [Euro]).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gut aneinander vorbeigeredet: Nancy Fraser vs. Axel Honneth
Ob Umverteilung oder Anerkennung der Grundbegriff heutigen politischen Denkens sein sollte - darum streiten Nancy Fraser und Axel Honneth. Fraser sieht mit linker Sorge, wie in den politischen Debatten der Vereinigten Staaten unter dem Banner von Anerkennung an die Stelle harter ökonomischer Fakten zunehmend weiche kulturelle Abgrenzungen treten. Dabei räumt sie ein, daß nicht jeder Statusunterschied sich auf einen Klassenunterschied reduzieren lasse. Ökonomische und kulturelle Ungleichheit müßten vielmehr beide unter der Perspektive von Gerechtigkeit betrachtet werden - eine Gerechtigkeit, die sie als partizipative Parität ausführt.
Honneth setzt dagegen, daß auch er Umverteilung gut finde, daß es ihm aber auf der "darunterliegenden Ebene um die ,philosophische' Frage geht, welche der mit den beiden Begriffen jeweils verknüpften Theoriesprachen heutzutage besser geeignet ist, die politischen Forderungen des Tages zu rekonstruieren". Das ist hart, aber richtig. Fraser hat nicht begriffen, was (in Deutschland) Philosophie heißt. Von der intersubjektiven Konstituiertheit von Subjektivität überhaupt wird bei Honneth unter dem Titel Anerkennung geredet. Ohne Du kein Ich, hatte Jacobi griffig formuliert. Und Hegel hatte hinzugefügt, daß beide das voneinander wissen müssen: Ich ist Wir, und Wir ist Ich. Das wechselseitige Anerkanntsein habe seine je verschiedene Wirklichkeit in den Institutionen von Familie, Markt und Staat. Von dem aufgefächerten Anerkennungsbegriff aus können dann Phänomene von Mißachtung bestimmt werden: Niemand mag mich, weil ich zu dick bin; ich werde wegen meines Geschlechtes benachteiligt; der Wissenschaftsbetrieb ignoriert beharrlich meine Schriften.
Für Fraser ist das eine Psychologisierung. Man könnte auch sagen, daß Honneth in ihren Augen nicht verstanden hat, was Politik ist. Da ist etwas dran. All die aktuellen identitätspolitischen Probleme, die Fraser aufwendig mit der Idee der partizipativen Parität untersucht, schiebt er als uninteressant beiseite, da sie unter den Gleichheitsgrundsatz fallen, also im Horizont des Liberalismus bleiben. Kritische Theorie habe sich vor allem um die stumme Qual der Erniedrigten und Geknechteten zu bemühen, denen keine höhere Bildung zu sagen gab, wie sie leiden. Die Qual begründe einen Anspruch, denn in den Fundamenten der Gesellschaft sei die Teleologie eingelagert, für Minderung des Leidens und Mehrung des Glücks aller zu sorgen.
Der Liberalismus, so das genuin hegelsche Argument, täusche sich darüber, daß wir die Gerechtigkeit nur ernsthaft zu unserer Sache machen können, wenn wir unter einer Idee des Guten stehen. Schön, nur was folgt daraus? Doch kaum, daß - wie Goethe gegen Herders Idee von Humanität einwandte - einer des anderen humaner Krankenwärter werden soll. Manche Klage ist hohl, und nicht alles läßt sich machen. Um politisch zu sein, muß der Anspruch zu Initiative und Bewegung werden und sich auf dem Markt der Meinungen behaupten. Hegel hatte darin die Vernünftigkeit des Weltlaufs gesehen. Indem Honneth hier nicht mitmacht, bekommt seine Theorie einen Zug ins Eschatologische, daß alles ganz anders werden müsse.
So haben denn Fraser wie Honneth recht und unrecht zugleich. Man könnte auch sagen, daß sie einen unterschiedlichen Begriff von Begründung haben. Für Fraser ist Begründen das Artikulieren und Verteidigen von politischen Ansprüchen. Philosophie hat dabei ausschließlich die Funktion, das Minimum zu fixieren, dem auch der politische Gegner zustimmen muß. Für Honneth ist Begründen das Offenlegen der Grundlagen dessen, was ist. Das ist politisch nur, insofern es die Handelnden über ihre Voraussetzungen verständigt. Die Probleme zwischen Fraser und Honneth entstehen erst, wo sie ihre Wirkungskreise überschreiten: Wenn Fraser meint, daß sie ein philosophisch zureichendes Verständnis von Staat hat, und wenn Honneth meint, daß er aus seiner Idee des Guten deduzieren könne, wie die Welt aussehen soll. Philosophie oder Politik hätte der Band heißen sollen.
GUSTAV FALKE
Nancy Fraser/Axel Honneth: "Umverteilung oder Anerkennung?" Eine politisch-philosophische Kontroverse. Übersetzung der englischen Originaltexte von Nancy Fraser durch Burkhardt Wolf. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 306 S., br., 13,- [Euro]).
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Andreas Cremonini hat diesen Band über Gerechtigkeit im Spannungsfeld zwischen Umverteilung und Anerkennung mit großem Interesse gelesen. Seiner Ansicht nach haben die in dem Buch enthaltenen vier Texte nach "gut philosophischer Tradition" das Große, Ganze im Blick. Fraser verlange eine "Theorie sozialer Gerechtigkeit", die sowohl die marxistische Forderung nach Umverteilung, als auch die nach "Anerkennung" kultureller Verschiedenheit berücksichtige, fasst der Rezensent zusammen. Die Autorin hält "paritätische Partizipation" an den Entscheidungsprozessen der Gesellschaft über Gerechtigkeit für unumgänglich, so der Rezensent, der anerkennt, dass sich dies in "realpolitischen Konfliktszenarien" auch als nützlich erweisen könnte. Allerdings kann er auch die Kritik Honneths nicht von der Hand weisen, der anmerkt, dass Fraser die "sozialen Pathologien" der Gesellschaft in ihrer These nicht ausreichend berücksichtigt und damit Gefahr läuft, "unkritisch herrschende politische Ausschluss- und Verwerfungsmechanismen" zu übernehmen. Allerdings findet der Rezensent, dass die "fundamentalphilosophischen Darlegungen des Autors hier durchaus etwas "weltfremd" wirken. Am Ende der Lektüre beschleicht den etwas erschöpft wirkenden Cremonini der "Verdacht", dass in diesem Buch die äußerst kenntnisreichen Kontrahenten sich "auf hohem Niveau und mit rhetorischem Pathos aneinander vorbeibewegen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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