Produktdetails
  • Verlag: Editions Stock
  • Seitenzahl: 288
  • Erscheinungstermin: 19. Oktober 2009
  • Französisch
  • Gewicht: 412g
  • ISBN-13: 9782234062597
  • ISBN-10: 2234062594
  • Artikelnr.: 27053146
Autorenporträt
Alain Finkielkraut, geboren 1949, ist einer der bekanntesten, aber auch umstrittensten französischen Philosophen. Er gehört als Literaturwissenschaftler und Professor an der Ecole polytechnique zu den führenden politischen Intellektuellen Europas. Direktor von "Messager europeen" und Produzent bei France-Culture.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.09.2009

Die genaue Lektüre als Waffe
Alain Finkielkrauts neue Essays: „Un coeur intelligent”
Die „rentrée”, das Ende der großen Sommerferien und der Wiederbeginn des Arbeitslebens in Frankreich, wird traditionsgemäß vor allem von den großen Buchverlagen genutzt, mit einer Fülle von Neuerscheinungen zu prunken. In diesem Jahr sollen es nicht weniger als 659 Romane sein, die um die Gunst der Leser und der Juroren in den diversen Jurys konkurrieren, deren Urteil hierzulande großen Einfluss auf die Publikumsgunst ausübt. In der – verglichen mit der Belletristik kleineren, aber in Frankreich hochgeschätzten – Sparte des Essays ist in diesen Tagen ein Buch erschienen, das gute Aussichten hat, noch Bestand zu haben und diskutiert zu werden, wenn sich die Flut der Neuerscheinungen längst verlaufen hat.
Alain Finkielkraut, einer der unterdessen auch in die Jahren gekommenen „nouveaux philosophes” (er hat Ende Juni seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert), ist als Polemiker wegen seiner allzu harschen Urteile, die er über Muslime oder afrikanische Einwanderer verhängte, sowie durch Äußerungen, die den „Antirassismus als neuen Kommunismus” abkanzelten, bei manchen in den Geruch gekommen, ein Reaktionär zu sein. Jetzt aber überrascht er mit einem Essay, der dieses Image gründlich revidiert. Ursache dieses Wandels, so darf man vermuten, ist eine schwere Krebserkrankung, die Finkielkraut vor einem Jahr anfiel und die ihn für eine Weile verstummen ließ. Die Auseinandersetzung mit dem Krebs erzwang seinen Abschied aus der Arena täglicher Auseinandersetzungen und verschaffte ihm die Muße zur Reflektion, die er der neuerlichen Lektüre einiger Bücher zuwandte, denen er ein besonders eindrückliches Lektüreerlebnis verdankte.
Angesichts seines intellektuellen Werdegangs ist es nicht überraschend, dass sich Finkielkraut auf neun Bücher von ebenso vielen Autoren beschränkte, die sich mit den großen Themen und Konflikten auseinandersetzten, die das vergangene, das zwanzigste Jahrhundert prägten. Das erhellt, dass allein drei der von ihm ausgewählten Werke sich unmittelbar mit den beiden konkurrierenden totalitären Ideologien befassen, die diesem Jahrhundert den Charakter unvergleichbaren Schreckens aufprägten: der Kommunismus und der Nationalsozialismus. Exemplarisch dafür sind für Finkielkraut zum einen die Romane „Der Scherz” von Milan Kundera sowie Wassili Grossmans „Alles fließt”, die auf je unterschiedliche Weise das Schicksal von Verfolgten des Stalinismus beschreiben und zum anderen Sebastian Haffners postum veröffentlichte Jugenderinnerungen „Geschichte eines Deutschen”.
In der Auseinandersetzung mit diesen drei Werken exemplifiziert Finkielkraut nicht nur das Thema, sondern auch die Methodik seiner Reflektion, die, wie er in seinem kurzen Vorwort betont, von zwei Prämissen ausgeht: Dem beharrlichen Schweigen Gottes, der uns jeglichen Aufschluss über das, was geschehen ist, beharrlich verweigert und die Menschen sich selbst überlässt. Als ebenso unbefriedigend oder enttäuschend werden von ihm zum anderen aber auch die Deutungen der Geschichtsschreibung qualifiziert, weshalb er als einzige Gewähr für den möglichen Erfolg seiner Meditation die genaue Befassung mit der Literatur gelten lässt. Ohne diese jedenfalls, so schreibt Finkielkraut, „wird uns die Gnade eines verständigen Herzens für immer versagt sein”.
„Un coeur intelligent”, jenes hörende Herz der Einsicht, um das König Salomo seinen Gott bat, ist auch der programmatische Titel dieser Essaysammlung, die sich außer mit den genannten Büchern auch mit Werken von Camus, Philip Roth, Joseph Conrad, Dostojewski, Henry James und Karen Blixen auseinandersetzt. Die Reflexionen und Meditationen, zu denen Finkielkraut dank dieser Lektüren angeregt wurde, münden in die ebenso überraschende wie überzeugende Schlussfolgerung ein, dass die Literatur in ihrer Genauigkeit und immensen Vielfalt viel unmittelbarer und genauer als Philosophie oder Geschichtsschreibung Aufschluss zu geben vermag über die Komplexität der menschlichen Existenz.
Mit dieser Sammlung subtil argumentierender Essays, die fast zu kurz anmutet, um den Gedankenreichtum, der darin enthalten ist, erschöpfend zu erschließen, hat Alain Finkielkraut ein Werk vorgelegt, das als ein Vademecum Bestand haben wird und das vor allem auch Lust darauf macht, die Bücher seiner „Idealbibliothek” erneut zu lesen. Bedeutsamer als dies ist aber die Botschaft, dass die Literatur eben jene differenzierte Genauigkeit bereitstellt, die es braucht, um den zahllosen Vorurteilen und Verblödungen eines alles zunehmend überwuchernden Geschwätzes Widerstand zu leisten. Allein deren genaue, emphatische Lektüre schärft die Nuancen des hörenden, um Einsicht ringenden Herzens. JOHANNES WILLMS
ALAIN FINKIELKRAUT: Un coeur intelligent. Lectures. Verlag Stock / Flammarion, Paris 2009. 282 S., 20 Euro.
Mit diesem Buch revidiert Finkielkraut sein Image, ein Reaktionär zu sein
Die Beschäftigung mit der Literatur führt zum harschen Urteil über die Geschichtsschreibung
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